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[205] Die Naturliebe, die ›Entdeckung der Landschaft‹ bleibt ein reizend-wehmütiges Kuriosum der letzten europäischen Epoche; denn zugleich mit ihr schuf man die exakten Naturwissenschaften, das entscheidende Mittel, jedem sentimentalen oder materialistischen Naturalismus den Todesstoß zu geben.

An uns selbst, vor unsern Augen, in unsern Herzen vollzieht sich dieses grausame, denkwürdige Schauspiel.

Unsre Sinne sind darum nicht abgestumpft und gelangweilt vor dem Naturbilde (– so wenig als die Sinne der Ägypter und Griechen). Aber wir verlieren unser Kunstwollen nicht mehr an diesen lieblichen Schein. Unsre Sinne erfassen glühend erregt einen neuen Inhalt, auch auf die Gefahr und Gewißheit hin, daß dieser nur ein zweiter, tiefer zurückliegender Schein ist. Kant sprach von ihm das philosophische Wort: man muß sich begnügen zu wissen was die Dinge scheinen. Wie tiefsinnig gegen Goethes voreiliges: »ob nicht Natur sich endlich doch ergründe.«

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Franz Marc: Schriften. Köln: DuMont, 1978, S. 205-206.
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