10. Wochen-Redakteur.

[161] Die Auflösung des Kremsierer Reichstages im März 1849 traf alle politischen und nationalen Parteien wie ein plötzlicher Blitzschlag. Gerade im Augenblick ihrer gewaltsamen Vertreibung aus der alten Bischofsresidenz waren die Abgeordneten der gegenseitigen Verständigung und friedlichen Einigung ganz nahe getreten und hatten sich in die Hoffnung einer endlichen Regelung der nationalen Kämpfe hineingeträumt. Deshalb konnten sie auch nicht glauben, daß der Staatsstreich des Fürsten Schwarzenberg das Schicksal Österreichs endgültig besiegelt habe. Sie erwarteten vielmehr mit Zuversicht einen nahen Umschwung der Dinge, darin bestärkt durch die Siege der ungarischen Truppen über die kaiserlichen Heere im Frühling 1849 und die grenzenlose Anarchie in allen Verwaltungszweigen. Ein Provisorium jagte das andere, so daß schließlich niemand mehr wußte, was gesetzliche Vorschrift war. Dazu kam die allgemeine Unzufriedenheit, erhöht durch die steigende Geldnot und heimlich selbst von hochstehenden Staatsmännern geschürt, welche die Unfähigkeit des Fürsten Schwarzenberg, einen großen Staat zu verwalten, rasch entdeckt hatten.[161] Es galt also, weiter zu kämpfen und Widerstand zu leisten, bis die erwünschte Veränderung eingetroffen sei. Noch bestand die Preßfreiheit zu Rechte; von einer Zeitung hoffte die Opposition den größten Erfolg.

Im Mai 1849 erhielt ich von einem Führer der Reichstagsrechten, dem allgemein beliebten und geachteten Advokaten Doktor Pinkas in Prag, die Einladung, einer Versammlung beizuwohnen, in welcher die Ausgabe einer großen Zeitung erörtert und beschlossen werden sollte. Mehrere czechische Abgeordnete waren zugegen, aber auch die deutsche konservative Partei hatte sich nicht ausgeschlossen. Die Aufgabe der Zeitung, die herrschende Reaktion zu bekämpfen und den im Kremsierer Reichstage festgestellten Verfassungsentwurf zu verteidigen, wenn möglich wieder in Wirksamkeit zu setzen, brach die nationalen Gegensätze und ließ die Feindschaft zwischen den einzelnen Stämmen zurücktreten. Dem Ministerium war es glücklich gelungen, eine geschlossene Oppositionspartei, welche von Südtirol und Böhmen bis nach Siebenbürgen und Serbien reichte, in das Leben zu rufen. Die Verhandlungen verliefen daher ganz friedlich, auch die Wahl des Redakteurs machte keine Schwierigkeiten. Sie fiel mit allen gegen eine Stimme auf mich. Der griesgrämige Palazky allein, dessen Ekelfalten zu beiden Seiten des Mundes sich, seit er Politik trieb, bedenklich stark entwickelt hatten, brachte mit schalen Komplimenten gemischt allerhand Bedenken gegen mich vor und empfahl den Leipziger Magister Jordan, einen Wenden von Geburt, welcher sich seit einem Jahre in Prag als fahrender Litterat[162] herumtrieb. Dieser, meinte Palazky, hätte für die nationalen Strömungen doch noch ein besseres Verständnis, sei überhaupt der beste Journalist der Gegenwart. Ich ließ Palazky das Lob seines Schützlings singen, hörte ruhig zu, wie Pinkas und die andern Herren den angeblich besten Journalisten als eine litterarische Schmeißfliege ausmalten und erklärte zum Schlusse, daß ein ganz einfacher Grund mir die Annahme des Vertrauensamtes unmöglich mache. Ich zählte erst dreiundzwanzig Jahre, besaß also nicht das vom Gesetz für den Herausgeber einer Zeitung vorgeschriebene Alter. Dagegen war nun nichts einzuwenden und da gegen Magister Jordan sich alle Stimmen, jene Palazkys ausgenommen, erhoben, so mußte der Plan vorläufig aufgegeben werden. Ich trat bald darauf meine Reise an und hörte lange Zeit nichts von dem Unternehmen. Erst im nächsten Jahre, während ich mich in London aufhielt, erfuhr ich, daß der Zeitungsplan, wenngleich in veränderter Weise, doch zur Ausführung gelangt sei. Mitglieder der Reichstagsrechten hatten ein kleines Prager Lokalblatt gekauft, dasselbe in die »Union« umgetauft und zum Redakteur meinen früheren Lehrer, den aus seinem Kloster ausgetretenen Kreuzherrnpriester Smetana, bestellt. Bald darauf kam die Kunde, Smetana, welcher ganz überflüssig seine Unzufriedenheit mit der katholischen Lehre und seinen Austritt auch aus der katholischen Kirche zur Kenntnis der Abonnenten gebracht und dadurch großes Ärgernis hervorgerufen hatte, sei bewogen worden, auf die Leitung des Blattes zu verzichten. Als Mitarbeiter noch ferner thätig zu sein, hinderte die[163] bald darauf erfolgte schwere Erkrankung des mehr wunderlich als tief angelegten Mannes. Meine Neugierde, wer wohl Smetana als Redakteur folgen werde, blieb nicht lange unbefriedigt. In einem sehr langen Briefe, einer förmlichen Denkschrift, erbat Pinkas meine schleunige Rückkehr zur Übernahme der Leitung. Ich schlug zuerst das Anerbieten rundweg ab, weil ich weder den mir liebgewordenen Aufenthalt in England vorzeitig abbrechen, noch der politischen Thätigkeit mich wieder vorwiegend oder gar ausschließlich widmen wollte. Meine Absicht war vielmehr auf die Wiederaufnahme meiner Vorlesungen an der Prager Universität, jedoch im Fache der Kunstgeschichte, gerichtet. Pinkas ruhte jedoch nicht. Brandbriefe folgten einander auf dem Fuße nach. Er gab zu, daß das Schreiben einer Zeitung, während noch das Kriegsgesetz herrscht – Prag war im Mai 1849 wieder in Belagerungszustand versetzt worden – geringe Annehmlichkeiten biete. Er ließ auch die Mangelhaftigkeit des Redaktionspersonals durchblicken. Der Belagerungszustand könne aber nicht mehr lange dauern, außerdem gewähre das Militärgericht, wenn man nur persönliche Angriffe auf die Minister und den Soldatenstand vermeide, politischen Erörterungen große Duldung. Das Personal der Redaktion zu ändern stehe durchaus in meiner Gewalt, sei sogar wünschenswert. Als ich noch immer mit dem Jawort zögerte, berief sich Pinkas auf unsere persönliche Freundschaft und auf meine patriotische Pflicht. Er sei jetzt, nachdem er seit Smetanas Abgang die Leitung der Union ausschließlich besorgt, täglich ein bis zwei Artikel[164] für dieselbe geschrieben habe, mit seinen Kräften zu Ende. Als persönlichen Dienst erbat er sich meine Zusage. Jetzt sei ferner der Zeitpunkt gekommen, in welchem die Union eine besonders fruchtbare Wirksamkeit entfalten würde. Pinkas war damals noch optimistisch gesinnt und glaubte an eine baldige Rückkehr verfassungsmäßiger Zustände. Nur für diese voraussichtlich kurze Periode verlange er von mir die Leitung des Blattes. Später könne ich mich ja der akademischen Laufbahn wieder zuwenden, ja vielleicht auch als Redakteur, wenn nur einmal die inneren Verhältnisse der Union geregelt wären, Vorlesungen an der Universität halten. So gedrängt, und weil ich in der That für Pinkas die größte Hochachtung fühlte, entschloß ich mich dem Rufe zu folgen, bestand nur darauf, daß ich noch den ganzen Sommer in England verweilen werde.

Am 20. August 1850 kam ich in Prag an, am folgenden Morgen betrat ich zum erstenmal die Redaktionsräume der Union. Peinliche Überraschungen harrten meiner. Das ganze Personal arbeitete in einer und derselben allerdings saalartigen, aber überaus schmutzigen Stube. Von den Mitgliedern der Redaktion kannte ich dem Ansehn nach nur ein einziges, einen gewissen Dr. Gabler, welcher nach Smetanas Austritt die Verantwortung für das Blatt getragen hatte und sich bereit erklärte, auch fernerhin dem Kriegsgericht gegenüber als verantwortlicher Redakteur zu gelten. Ich nahm selbstverständlich das Anerbieten willig an. Gabler galt bei seinen Freunden als ein feiner Kenner französischer Verhältnisse. Sie klagten nur über die legitimistischen[165] Sympathieen, welche zuweilen sein politisches Urteil färbten. Verehrung für eine hocharistokratische Dame führten sie zur Entschuldigung des seltsamen Eifers für die Bourbons an. In Wahrheit war es nur ein Liebesverhältnis zur Tochter eines Concierge im Faubourg St. Germain, welches seine legitimistischen Anwandlungen verschuldet hatte. Neben dem unbedeutenden, nur ganz oberflächlich gebildeten, aber gutmütigen Gabler spielte ein Herr Wawra eine Hauptrolle in der Redaktion. Ihm fiel die Aufgabe zu, aus den französischen und englischen Zeitungen die brauchbaren Nachrichten auszuziehen. Herr Wawra hatte große Eile, mich über seine politischen Ansichten aufzuklären. Er beklagte den Verlust, welchen England durch den Tod Pühls – so sprach er den Namen Peel aus – erlitten hatte und versicherte mich seines Einverständnisses mit dem General Zawagnatz (lese Cavaignac). Das waren also meine Gehilfen. Mein Schrecken steigerte sich, als ich an einem Ecktisch das runzelige Magistergesicht Jordans entdeckte. So hatte also der alte Palazky seinen Liebling doch in die Redaktion der Union einzuschmuggeln verstanden. Um das Maaß der erhebenden Eindrücke zu füllen, erfuhr ich noch zu guterletzt, daß zwischen der Druckerei und dem Herausgeber der Zeitung ein heftiger Streit ausgebrochen sei, die erstere zum nächsten Monat gekündigt habe. Mutlos eilte ich zu Pinkas. Durch sein kräftiges Eingreifen war bereits eine neue Druckerei gewonnen worden und was Jordan betraf, so kamen wir überein, ihn sobald als möglich an die Luft zu setzen, schon jetzt aber seine Thätigkeit[166] auf das sogenannte Abendblatt der Union, eine Beilage, welche nur Lokalnachrichten bringt und eine kurze Übersicht der Tagesereignisse brachte, zu beschränken. Dadurch würde der »Ränkeschmied« unschädlich gemacht werden. Nun hatte ich zwar schon mancherlei Schlimmes über Jordan gehört, das Anrecht auf diesen Ehrentitel war mir aber noch neu. Pinkas belehrte mich nun eingehend über den Mann und weihte mich zugleich in die mir bis dahin wenig bekannten inneren Verhältnisse der Union ein.

Mehrere Mitglieder des aufgelösten Reichstages, einige wohlhabende Advokaten, Gutsbesitzer und der Banquier Lämmel hatten das Kapital zusammengeschossen und sich das Aufsichtsrecht über die Verwaltung vorbehalten, während Pinkas als politischer Ratgeber der Redaktion zur Seite stehen sollte. Leider gehörte auch Palazky zu den Gründern der Zeitung und zeigte sich sofort eifrig bemüht, sie seinem Interesse dienstbar zu machen. Es kam zu einem scharfen Kampf zwischen ihm und Pinkas. Der letztere dachte durchaus nicht daran, in der Union nur die besonderen Angelegenheiten der Czechen, ihre nationalen Anliegen und persönlichen Wünsche zu verteidigen. Die Zeitung sollte vielmehr die ganze Opposition um ihre Fahne scharen, zunächst und vorwiegend das konstitutionelle Recht wieder zum Leben erwecken. Palazky dagegen hatte nur Sinn für die czechische Kirchturmpolitik, war viel zu einseitig und verbohrt, um einer freieren Anschauung der Dinge zu huldigen. Ihn erfüllte namentlich eine gehässige Mißgunst gegen alle Nichtczechen, und jedes zu gunsten der Deutschen, Magyaren,[167] Italiener gesprochene Wort erschien ihm schon als Verrat an der eigenen Nation. Palazky unterlag den überlegenen Waffen des Gegners; um es aber nicht zu einem schroffen Bruch kommen zu lassen, wurde halb aus Mitleid Jordan ein Plätzchen in der Redaktion eingeräumt. Kaum hier warm geworden, begann er, ob auf eigene Faust, ob von Palazky angereizt, seine Umtriebe. Jeder Redakteur sollte unmöglich gemacht werden, bis endlich die Leitung ihm von selbst zufiele. Jordan hatte Smetana zu der unglücklichen Erklärung in der Union verleitet, welche diesem das Amt kostete. Und auch Gabler warf er heimtückisch spitze Steine in den Weg. Die Beschränkung auf Wiedergabe kurzer, zumeist lokaler Nachrichten half, wie ich mich bald überzeugte, nicht viel. Jordan verstand es selbst in die scheinbar harmloseste Notiz Gift zu tröpfeln. Die Nachricht, daß im Banate die neuerrichtete Gendarmerie bei dem Landvolke hier und dort auf Widerstand stoße, erhielt durch Jordan die Fassung, daß serbische Bauern die Gendarmen windelweich durchgebläut hätten. Einmal las ich in dem Abendblatte die Notiz, daß sich eine Frau Blaha für einen vom Militärgericht zu Stockprügeln verurteilten Arbeiter bei dem kommandierenden General erfolgreich verwandt habe. Ich dachte nichts Arges dabei, hielt Frau Blaha für die Mutter oder Gattin des Verurteilten, bis mich eine grobe, durch eine noch gröbere Ordonnanz überbrachte Zuschrift des Generals eines bessern belehrte. Er nehme von Frau Blaha (einer Kaufmannsfrau) seinen Zucker und Kaffee, habe aber sonst nichts mit ihr zu schaffen und[168] verbitte sich fernerhin das Herauszerren seiner privaten Verhältnisse an die Öffentlichkeit. Das Tollste blieb aber doch die Art, wie Jordan die Vollendung des von den böhmischen Ständen gestifteten Denkmals Kaiser Franz I. den Lesern der Union mitteilte: »Heute Nacht ist Kaiser Franz von Arbeitern im gotischen Tabernakel auf dem Franzenskai hinaufgezogen worden.« Das war dem Militärgericht doch zu viel. Wir mußten eine hohe Summe als Strafgeld zahlen und außerdem wanderte der verantwortliche Redakteur auf acht Tage zum Profossen. Das Haus Pinkas sorgte dafür, daß es Gabler wenigstens an reichlichster Kost nicht gebrach. Er brachte jedesmal – denn die Arreststrafen häuften sich – vollere Backen in die Freiheit zurück. Immerhin merkte ich, daß die Union nicht auf die Nachsicht der Militärbehörde rechnen könne.

Die wenigen Tage bis zum Antritt der Redaktion benutzte ich, um mich über die Lage der Dinge in Österreich und die Stimmungen in den verschiedenen Klassen zu orientieren und den innern Geschäftsbetrieb besser zu ordnen. Zum Schreiben kam ich nur selten. Meine Thätigkeit in der Redaktion beschränkte sich wesentlich darauf, die selbstständigen Beiträge meiner Kollegen zusammenzustreichen oder einfach in den Papierkorb zu werfen. Auszüge oder einfache Abdrücke aus fremden Zeitungen mußten vorläufig genügen. In den ersten Septemberwochen übernahm ich vollständig und ausschließlich die Leitung des Blattes. Ein neuer tüchtigerer Drucker war gewonnen worden, die Abendbeilage hörte auf zu erscheinen. Die Union wurde nur[169] einmal am Tage, aber in großem Folioformat, ausgegeben. Als Ideal schwebten mir – man vergesse nicht, daß ich fünfundzwanzig Jahre alt war und das Zeitungswesen in Österreich noch in den Windeln lag – die Pariser Journale, besonders Emile Girardins »Presse« vor Augen. Drei bis vier kurze Leitartikel mit starken Drückern, epigrammatischen Spitzen, volltönenden Schlußsätzen, sollte jede Nummer bringen, darauf eine kurze Übersicht der Tagesereignisse und stets knapp gefaßte Berichte aus den Einzelländern folgen. Auf Originalkorrespondenzen legte ich kein Gewicht. Gute waren nicht zu haben, schlechte, in der Regel je schlechter desto langstieliger, verdarben die Zeitung. Wichtiger waren nur private Mitteilungen kundiger Männer, welchen ich dann in den Leitartikeln vorarbeitete, und solche begannen besonders aus Ungarn und den Balkanstaaten ziemlich reichlich zu fließen.

Mein Tagewerk war folgendes: Von früh 8 Uhr an als ich die eingegangenen Briefe und Zeitungen, strich an, was übersetzt, ausgezogen oder ausgeschnitten werden sollte und stellte die Übersicht der Tagesereignisse zusammen. Magister Jordan übergab ich gleich am ersten Tage einen dicken russischen Roman, den er für das Feuilleton übersetzen sollte. So wurde er unschädlich gemacht. Nach kurzer Mittagspause kehrte ich in die Redaktion zurück, schrieb die Leitartikel, las und korrigierte, was die andern Mitglieder der Redaktion gearbeitet hatten und schloß um sechs Uhr das Blatt ab. Meine einzige Erholung war der Abendbesuch auf dem noch in der Stadt, aber hoch und[170] frei gelegenen Landhause des Dr. Pinkas. Dorthin zog mich in den ersten Tagen der geistreiche, allseitig gebildete und mit mir in der Politik vollkommen übereinstimmende Mann, gar bald aber die reizende, übrigens viel umworbene Tochter, die ich später als Gattin heimführen durfte und welche, solange ich lebe, mein höchstes, nie getrübtes Glück ausmachen wird. Gleich bei dem ersten Besuche nahm sie mein Herz durch ihre liebenswürdige Natur, ihre Schönheit und ihren feinen Geist gefangen und wenn bei der Übernahme der Redaktion alle Skrupel des Verstandes leicht wogen und ich rascher zusagte, als ich ursprünglich die Absicht hatte, so lag der Grund in der blitzschnell aufkeimenden Liebe zu meiner Isabella. Da war es nun freilich hart, wenn gegen neun Uhr der Druckerjunge atemlos gelaufen kam, um mir zu melden, daß die Satzberechnung nicht stimmen wolle und der metteur-en-page nicht wisse, was er zurücklegen oder anfügen solle. Da half nichts; ich mußte den gastlichen Tisch, und was mir noch schrecklicher war, die Geliebte, um welche mehrere Nebenbuhler eifrig warben, verlassen, und eine gute halbe Stunde von der Höhe des Laurenziberges bis in die Neustadt über die Brücke eilen, um Ordnung zu schaffen.

Die Zeitung hatte mit dem neuen Quartal an Abnehmern und noch mehr an Lesern gewonnen. Mit Befriedigung vernahm ich, daß man auch in Wien und in Ungarn der Union eine größere Aufmerksamkeit zuwandte und selbst einzelne Minister, wie Bruck, ihr Beachtung schenkten. Das hinderte nicht, daß ich schon nach wenigen[171] Wochen die ganze Nutzlosigkeit meiner Arbeit erkannte. Ich schrieb die Zeitung sozusagen allein. Außer den Leitartikeln mußte ich auch alle andern Beiträge, selbst die geringsten Notizen genau prüfen, oft völlig umschreiben, selbst Aufsätze für das Feuilleton fielen mir anheim. Die andern Mitglieder der Redaktion genossen Ferien, ich keuchte unter der Arbeitslast. Daß meine Kräfte auf die Dauer zusammenbrechen müßten, lag klar zur Tage. Dann aber gewann ich nur zu rasch die Überzeugung von dem Irrtum optimistischer Anschauungen. Die Reaktion machte durch ganz Europa ihren Weg in aufsteigender Linie, war sichtlich noch lange nicht an das Ende ihrer Siege gelangt. Am wenigsten in Österreich, wo sie nach dem Fieberrausche des achtundvierziger Jahres unstreitig eine gewisse Berechtigung besaß. Die allgemeine Ermüdung der Geister, das Ruhebedürfnis kam der Regierung zu statten. Jedermann war mit den einzelnen Maßregeln des Ministeriums unzufrieden, aber niemand wollte aus der Behaglichkeit des privaten Lebens heraustreten oder wohl gar für die allgemeinen Interessen sich opfern. Der Kampf, welchen die Union gegen die Regierung führte, glich den Schlägen mit einem dünnen Stabe auf eine große Wasserfläche. Einen kurzen Augenblick kräuselte sich das Wasser und machte kleine Wellen, dann war alles wieder ruhig wie zuvor. Einige Unterhaltung gewährte der kleine Krieg mit dem Militärgericht und der Polizei. Ihre Befehle wurden mit höflicher Ironie behandelt, auf ihre Maßregeln für jeden Verständigen der Schein des Lächerlichen geworfen. Einmal[172] gelang es mir, die Militärbehörde und die Polizei gründlich miteinander zu verfeinden. Im Herbst 1850 wurde bekanntlich ein Armeecorps im nördlichen Böhmen unter dem Kommando des Erzherzogs Albrecht gesammelt, um auf Preußens Entschlüsse in der deutschen Frage einen starken Druck zu üben. Ängstliche witterten bereits den Beginn eines preußisch-österreichischen Krieges. Selbst in den militärischen Kreisen setzte man gar ernste Mienen auf und rasselte gewaltig mit dem Säbel. Die Zeitungen erhielten ein strenges Verbot, über die Bewegungen des Armeecorps irgend etwas mitzuteilen. In den Zuschriften der Polizei an die Redaktion der Union war aber nur von der Rückbewegung der Armee die Rede. Das gab mir Anlaß, mich über den Mangel an Patriotismus bei der Polizeibehörde zu beschweren, welche unsere tapferen Truppen bereits auf dem Rückzuge, auf der Flucht begriffen, erblicke. Wutschnaubend stellte das Militärkommando die Polizei über diese »Dummheit« zur Rede, die Polizei wieder warf die Schuld auf den schlechten Stil der Militärkanzlei. Kurzum, die beiden hohen Behörden lagen sich grimmig in den Haaren, aber freilich, die Stellung der Union wurde dadurch nicht gebessert. Doch hätte diese wohl noch lange das Leben gefristet, wenn nicht ein unmittelbarer Befehl des Ministerpräsidenten Fürst Schwarzenberg, aus Olmütz datiert, ihr das Todesurteil gesprochen hätte. Der Anlaß dazu war folgender:

Die brennende Tagesfrage war die künftige Stellung Österreichs und Preußens im Deutschen Bunde. Die hessischen[173] Wirren, bei dem schroffen Gegensatze zwischen den beiden Großmächten unlösbar, beschleunigten die Entscheidung. Seit ich das deutsche Leben genauer kennen gelernt und eine nähere Einsicht in die Zustände Österreichs gewonnen hatte, galt mir als Eckstein meiner Politik die Ausscheidung Österreichs aus dem Deutschen Bunde, die ausschließliche Leitung des letztern durch den preußischen Staat. Das Recht des deutschen Volkes auf eine nationale Einigung auch im Staatsleben durfte ich natürlich in einer österreichischen Zeitung nicht ausschließlich in den Vordergrund rücken. Um so schärfer betonte ich das Unrecht, welches die österreichischen Völker durch das Beharren im Deutschen Bunde erleiden würden. Die festere Angliederung der einzelnen Länder, Stämme – denn an die Wiederherstellung des alten Dualismus Österreich-Ungarn glaubte damals niemand, sie wäre auch durch eine folgerichtige volksfreundlichere Verwaltung zu vermeiden gewesen – konnte nicht vollzogen werden, wenn sich Österreich vorwiegend als erste deutsche Bundesmacht fühlte, ebensowenig war an die Durchführung einer selbständigen Verfassung zu denken, wenn zwei Reichstage durcheinander sprachen. Wir ahnten, daß der Wiederherstellung des alten Bundestages das Verfassungswesen in Deutschland wie in Österreich zum Opfer fallen werde, desto eifriger mußten wir den Plan bekämpfen. Die Union brachte fast täglich Variationen über das Thema: Die Vorherrschaft in Deutschland gehört Preußen von Rechtswegen, Österreich dagegen muß seinen Schwerpunkt im Osten sichern und schon jetzt[174] seine schützende, behutsam befreiende Hand über den Balkanstaaten halten, um bei der unvermeidlichen Zersetzung der Türkei nicht zu kurz zu kommen. Der Ruf: Heraus aus dem deutschen Bund! traf die verwundbare Stelle des Fürsten Schwarzenberg. In dem Augenblicke, in welchem er, auf die Unterstützung der Großmächte bauend, in seinem Stolze nicht wenig gehoben durch die demütige Huldigung süddeutscher Fürsten, dem jungen Kaiser in Bregenz dargebracht, sich anschickte, Preußen so tief als möglich zu erniedrigen und dann zu vernichten, wagte es eine österreichische Zeitung, seine Politik nicht allein als verwerflich, sondern auch als thöricht und auf die Dauer erfolglos anzugreifen. Der Warschauer Kongreß hatte mit den Triumphen des Kaisers Nikolaus, mit der ängstlichen Nachgiebigkeit Preußens geschlossen. Schon schwirrten die Gerüchte von dem Siege der Friedenspartei in Berlin, von noch weiterem Zurückweichen Preußens. In Wien begann man bereits Siegeslieder anzustimmen, den Untergang des »abscheulichen Liberalismus und Konstitutionalismus« zu verkünden. Da thaten scharfe Trümphe not. Von Anfang Oktober an brachte die Union täglich einen geharnischten Protest gegen Schwarzenbergs Politik.

Eine heftige Invektive der ministeriellen Zeitungen gegen Radowitz, niemals hätte ein Minister ein so unwürdiges Spiel mit der Ehre und den Interessen des Staates getrieben; er verdiene daher auch die tiefe Demütigung und harte Strafe, welcher er jetzt entgegengehe, gaben mir Anlaß zu der spöttischen Frage, ob nicht die[175] gleichen Worte noch auf andere Minister anzuwenden wären. Ich gab den Citaten eine solche Fassung (»Champagnerrausch des Übermuts« z.B.), daß alle Welt auf Schwarzenberg mit Fingern wies. In einem andern Leitartikel bewies ich die materielle Unfähigkeit Österreichs, einen großen Krieg zu führen. Der Kriegserklärung würde die Bankerotterklärung auf dem Fuße folgen. Dieser Aufsatz war mir aus naher Umgebung des Finanzministers zugeflüstert worden. Dann schilderte ich die schlimme Einwirkung eines österreichischen Sieges auf unsere Verfassungszustände. Kein Zweifel, daß die leitenden Männer, durch ihr Siegesbewußtsein aufgebläht, zum Absolutismus zurückkehren würden, ja zurückkehren müßten. Die Unterwerfung des deutschen Volkes unter den Bundestag forderte notwendig noch in Österreich den Bruch der Verfassung. Selbst die augenblickliche Niederlage Manteuffels, legte ein Leitartikel vom 7. November dar, könne den Verfassungskampf nicht beenden. Der preußische und deutsche Volksgeist wird sich nur um so leidenschaftlicher gegen die österreichische Verwandtschaft auflehnen. »Wenn Stein und Hardenberg, wenn Gneisenau und Scharnhorst noch heute lebten, sie müßten sich zu den Wühlern schlagen und wären, wie sie es einst in ähnlichen Zeiten bereits halb und halb gewesen, offene Rebellen gegen die legitimen Staatsgewalten, ist es ja doch nicht bloß Deutschlands Heil, sondern auch Preußens Ehre, die ihre schlechtesten Vertreter im Berliner Ministerrate gefunden. Zerstampfe man nur die reiche Litteratur, die über die Blütezeit preußischer Führer geschrieben worden.[176] Solange sie besteht, kann die preußische Regierung nicht ruhig atmen. Jedes Wort, das dort gesprochen, ist ein Verdammungsurteil ihrer gegenwärtigen Politik.«

Mit scharfem Hohn übergoß ich wiederholt die Faseleien der Großdeutschen, unter welcher Maske sich die Ultramontanen und österreichisch Gesinnten gern bargen. Einem lügnerischen Traumbilde opfern sie die wirkliche Freiheit und Selbständigkeit des deutschen Volkes. Leidenschaftlich bekämpfte ich das in der Wiener Zeitung veröffentlichte Programm des österreichisch-deutschen Großreiches. »Was ist der Sinn des ganzen Manifestes? Österreich soll deutscher sein als Preußen. Wir wissen wahrlich nicht, sollen wir mehr über die uns Österreichern zugedachte Beschämung, oder über jene, welche auf das deutsche Volk fällt, ergrimmt sein. Wie, eine Bevölkerung von mehr als zwanzig Millionen ist nur gerade so viel wert, um als Beiwerk zum deutschen Bunde hinzugefügt zu werden, und auf der andern Seite, Deutschland ist noch immer nicht reif zur Selbstregierung, bedarf noch immer, daß Bundestagsgesandte über sein Schicksal zu Gerichte sitzen, der Bundestag! Was ist dieser Bundestag: er ist die Wiener Schlußakte, die Karlsbader Konferenzbeschlüsse, die Mainzer Untersuchungskommission. An diesen Zeichen ist er zu erkennen, diese Merkmale haben seinen zeitlichen Tod überlebt, mit dieser Natur wird er wieder auferstehen.« Wunderbarer Weise nahm das Militärgericht an allen diesen Artikeln keinen Anstand. Daß sie in der Stille gesammelt wurden, um bei passendem Anlaß als Anklagestoff zu dienen, davon[177] besaß ich keine Ahnung. Die Nachsicht der Militärcensur stärkte meinen Mut und gab mir Lust zu noch heftigeren Angriffen.

In dem Leitartikel, am 10. November abgedruckt, ging ich dem Fürsten Schwarzenberg unmittelbar zu Leibe. »Mag auch Fürst Schwarzenberg ein kurzes Gedächtnis besitzen, schrieb ich, mag er vergangenen Reden und Gelöbnissen für seine Person keine bindende Kraft mehr zuschreiben, das hindert nicht, daß die österreichischen Völker den Wortlaut der Reichsverfassung, das Programm des gegenwärtigen Ministeriums und die Natur des ehemaligen Bundestages im Gedächtnisse behalten und den Minister an seine eingegangenen Verbindlichkeiten, an seine Pflichten erinnern.« Ich hielt ihm sein Sündenregister, die Niederlagen, welche er im Orient, in der Handelsfrage erlitten hatte, vor, klagte ihn förmlich des Treubruches, an der Verfassung und dem eigenen Programm begangen, an. »Ist das Ministerprogramm keine Wahrheit und Wirklichkeit mehr, dann thut es Not, ein neues zu schaffen und mit demselben auch neue Lenker des Staates.«

Dieser Leitartikel, der allerdings scharf persönlich gefaßt war und großes Aufsehen erregte, brach der Union den Hals. Als er dem Ministerpräsidenten vorgelegt wurde, befahl er telegraphisch (12. November) die Unterdrückung des Blattes. Der Druck der Union wurde sofort eingestellt, der Redaktion aber nicht einmal gestattet, den Grund des Verbotes, – »wegen ihrer in neuester Zeit gebrachten leidenschaftlichen, regierungsfeindlichen Leitartikel« traf sie der Zorn des Fürsten – ihren Lesern mitzuteilen.[178]

Fürst Schwarzenberg ahnte nicht, daß er mir durch seine brutale Maßregel einen großen Dienst erwiesen hatte. Anstandshalber legte ich eine kräftige Verwahrung gegen das Verbot ein, welche an den Ministerrat gerichtet war, aber natürlich ohne Antwort blieb. Im Herzen dankte ich dem Fürsten, daß er mich aus einer unhaltbaren Stellung verdrängt hatte. Ein gewaltsamer Tod war für die Union unter allen Umständen ehrenvoller als ein langes unheilbares Siechtum. So konnte ich denn wieder ruhig meine akademischen Pläne und kunsthistorischen Studien aufnehmen. Ohne ein letztes Wort entließ mich aber Frau Politika doch nicht. Wie ich im Jahre 1849 meine Eindrücke in dem Büchlein: »Österreich nach der Revolution« gesammelt hatte, so gab ich jetzt eine kleine Schrift unter dem Titel: »Österreich, Preußen und Deutschland« heraus. Den unmittelbaren Anlaß bot eine Brochüre des ehemaligen Staatsministers, Grafen Ficquelmont, welcher die alte Metternichsche Politik breit trat und die einfache Wiederbelebung des Bundestages empfahl. Meine Schrift, welcher ich als Vorrede ein ziemlich spöttisches Sendschreiben an den edlen Grafen vorangestellt hatte, blieb völlig unbeachtet. Denn gleich am Tage der Ausgabe wurde die Auflage von dem Militärgericht konfisziert und vernichtet. Persönlich blieb ich völlig unangefochten und da ich auch sonst in keinem politischen Prozeß verwickelt gewesen, so glaubte ich, daß die Universität gegen die Wiederaufnahme meiner akademischen Thätigkeit nichts einwenden werde. Ich richtete an die philosophische Fakultät ein wohlbegründetes Gesuch, in[179] welchem ich um die Zulassung als Privatdozent der Kunstgeschichte bat. Ein Zeugnis des früheren Geschäftsleiters der Prager Kunstakademie, Grafen Franz Thun, daß ich einen Kursus kunsthistorischer Vorlesungen bereits an der Kunstschule erfolgreich gehalten, lag bei, in meinen Augen ein Haupttrumpf des Gesuches. Denn Franz Thun, der Bruder des Unterrichtsministers, war jetzt der Kunstreferent im österreichischen Ministerium und mir persönlich wohlgesinnt. Außerdem erbot ich mich, eine besondere Habilitationsschrift, wenn es verlangt würde, abzufassen. Trotzdem wies die Fakultät das Gesuch in schroffster Weise, ohne irgend einen Grund dafür anzugeben, oder meine Fähigkeit zu prüfen, zurück. Wie ich nachträglich erfuhr, hatte seltsamer Weise Georg Curtius, der aus Deutschland berufene Philologe, am heftigsten gegen mich gesprochen und daß die Fakultät sich durch meine Zulassung politisch kompromittieren würde, am nachdrücklichsten betont. Politische Tapferkeit war nie seine Sache gewesen, während seines Prager Aufenthaltes streifte die Furcht, irgend welchen Anstoß bei den Behörden zu erregen, an das Lächerliche. So ließ er z.B. sich bei Dr. Pinkas durch eine gemeinsame Freundin, Frau Arnemann in Altona, entschuldigen, daß er den anfangs eifrig gepflegten Verkehr nicht ferner unterhalte, weil der Umgang mit einem Liberalen ihm in den Augen des Ministers, Grafen Leo Thun, schaden könnte.

Also auch dieser Weg ehrlichen Fortkommens war mir in meiner Heimat abgeschnitten. Der alte Plan, nach Deutschland zurückzukehren und hier mein Glück als Dozent[180] zu versuchen, gewann neues Leben. Doch nicht allein wollte ich die Wanderung antreten. Ich hatte, zahlreichen Bewerbern zum Trotze, das Herz meiner Isabella gewonnen. Im Mai 1851 verlobten wir uns unter einem blühenden Fliederbaume. Nun galt es freilich mit doppeltem Eifer nach irgend einer festen Stellung auszuspähen, zunächst durch eine größere litterarische Arbeit mich in deutschen wissenschaftlichen Kreisen einzuführen. In stiller Thätigkeit verging ein volles Jahr. Die einzige Erholung bot eine kurze Reise nach Dresden zu meinem englischen Freunde, Ralph Noël, die einzige Aufregung brachten die Scenen, welche den Tod meines früheren Lehrers, Smetana, begleiteten und mich wider Willen auf den politischen Schauplatz zurückführten.

Noël, von einer liebenswürdigen, feingebildeten Frau unterstützt, lebte sehr gesellig. Er unterhielt sowohl mit der vornehmen Dresdener Gesellschaft, wie mit litterarischen Kreisen regen Verkehr. Da gerade die Dresdener Konferenzen im Gange waren, so hatte ich Gelegenheit, mehrere kleinstaatliche Diplomaten kennen zu lernen. Großer Gott, welche Summe von eigener Überschätzung, sklavischer Unterwürfigkeit unter Österreichs Machtwort, von wildem Preußenhasse und bodenloser Unwissenheit war hier vereinigt zu schauen. Der schlimmste Geselle unter diesen angeblichen Staatsmännern war ein Staatsrat Strauß, der Vertreter von Waldeck, dessen Stimme sich in ein förmliches Krähen überschlug, wenn er auf das so schrecklich anmaßende Preußen zu sprechen kam. In solcher Umgebung gewann ich die später oft noch bekräftigte Überzeugung, daß selbst ein ganz[181] mittelmäßiger Journalist solche Dutzend-Diplomaten an politischer Sachkunde weit überrage. Der einzige Vorzug, die größere Personalkenntnis, nützt ihnen nichts, da sie den Wert der Persönlichkeiten nicht abzuschätzen verstehen, durch Äußerlichkeiten gewonnen oder abgestoßen werden.

Eine größere Anziehungskraft übten die litterarischen Freunde Noëls auf mich. Mit ihm im selben Hause wohnten Gutzkow und Auerbach, beinahe tägliche Gäste an seinem Kamine. Gutzkow erschien zugeknöpft, um seine Lippen spielte häufig ein ironisches Lächeln; das Bewußtsein der Überlegenheit prägte sich in den kurzen spitzen Bemerkungen, mit welchen er sich in das Gespräch mischte, deutlich aus. Er vergab nie das geringste seiner Würde, während Auerbach nur zu oft durch seine, ich weiß nicht, ob natürliche oder künstliche Naivetät zum Lachen reizte. Auerbach zeigte damals häufig elegische Stimmungen. Er hatte den Sprung von der einfachen Dorfgeschichte zum großen sozialen Roman gewagt. Aber sein: »Neues Leben«, der erste Versuch in dem Fache, griff nicht durch, eine Anzeige in Zarnckes Centralblatt, als deren Verfasser Mommsen galt, führte geradezu vernichtende Hiebe gegen das Buch. Da ging denn nun Auerbach klagereich herum und suchte nach einem Ritter, der zu seinen Gunsten gegen die Kritiker auf den Kampfplatz treten sollte. Auch mich wollte er für diese wenig dankbare Aufgabe werben, doch ließ er schließlich den Grund meiner Ablehnung, die geringe Bekanntschaft mit der deutschen Presse, gelten und bewahrte mir eine freundliche Gesinnung. Auerbach war überhaupt im Verkehr[182] eine liebenswürdigere Natur als Gutzkow. Er verfügte auch über volle Brusttöne, während Gutzkow durch sein hohles Pfeifen auf die Dauer erbitterte. Bei ihm hatte man immer die Furcht, daß er plötzlich die Maske des patronisierenden Wohlwollens abnehmen und ein von Eifersucht verzerrtes Gesicht zeigen könne. Niemals habe ich aus seinem Munde ein Wort unbedingter, freudiger Anerkennung eines Schriftstellers vernommen, dagegen besaß er für ihre Schwächen das schärfste Auge. Er verfügte über eine feine satirische Ader, entbehrte aber vollkommen des gemütlichen Humors. Selbst die Fehler Auerbachs waren harmloser Art. Wenn wir mit ihm spazieren gingen und Noël irgend einen guten Gedanken äußerte, zog Auerbach regelmäßig das Taschenbuch heraus und notierte sich den Satz mit den Worten: »Schenken Sie mir den Einfall, ich will Ihnen nächstens auch was Gutes schenken.« Da Noël nur mit phrenologischen Studien sich beschäftigte, so kam er nie dazu, das Versprechen zu erfüllen. Wirklich geschmacklos war der gute Auerbach nur einmal, als er uns zur »Menschenerklärung« seines neugeborenen Kindes einlud. In einem Salon war der bekränzte Kupferstich der Sixtina aufgestellt und Auerbach hielt eine mit vielen Gemeinplätzen und Sentenzen gespickte Rede an die Freunde, das Kind und die Frau, welche letztere, wie mir schien, die Scene wenig erbaulich fand.

Bald nach meiner Heimkehr nach Prag erfuhr ich, daß Smetana auf den Tod krank liege. Frau Arnemann in Altona hatte den unglückseligen Mann im Hause des Dr.[183] Pinkas kennen gelernt und ihm nach seinem Abgang von der Redaktion der Union, nach seiner feierlichen Exkommunikation aus der katholischen Kirche, ein Asyl in Holstein angeboten. Er folgte dem Rufe und übernahm eine Erzieherstelle bei dem Grafen Pourtales. Aber nur wenige Monate hielt er in der Fremde aus. In engsten spießbürgerlichen Kreisen aufgewachsen, konnte er sich in neue Verhältnisse nicht mehr finden. Die Butter war zu salzig, der Aal zu fett, die Suppe zu süß, die Leute sprachen anders und empfanden anders, als er gewohnt war, kurz, das Leben wurde ihm unerträglich. Das Gefühl des rasch nahenden Endes steigerte das Heimweh. Er wollte zu Hause sterben. Und so kam er denn zur peinlichen Überraschung der Freunde schon nach wenigen Monaten wieder in Prag an und fand Aufnahme im Hause seines Schwagers, eines nicht gerade feingebildeten, aber kreuzbraven Mannes.

Smetanas Austritt aus der katholischen Kirche hatte den Zorn der Klerisei in einem viel zu hohem Grade erregt, als daß er nicht ihre Rache hätte fürchten müssen. Schon kündigten fromme Bettelweiber an, daß sein Leichnam, wie der Kadaver eines räudigen Hundes, am Schindanger werde verscharrt werden und Betschwestern hatten Visionen des leibhaftigen Teufels, welcher auf die Seele des Ungläubigen lauere. Der Teufel kümmerte uns wenig, wohl aber besorgten wir, daß die fanatische Priesterschaft den Kranken in den letzten Augenblicken überrumpeln werde, um einen Widerruf zu erzwingen. Die Bekehrung des Philosophen wäre ein glänzender Triumph für die Ultramontanen[184] gewesen. Unsere Sorge erwies sich als gut begründet. Eines Morgens kam Smetanas Schwager atemlos zu mir, um zu melden, daß der Kardinalerzbischof, Fürst Schwarzenberg, für den Nachmittag seinen Besuch angekündigt habe. Als treuer Hirt müsse er sich bemühen, das verirrte Schaf zur Herde zurückzuführen. Smetana rief meine Hilfe an und bat flehentlich, ihn mit dem Hirten um keinen Preis allein zu lassen. In seiner Aufregung sah er in dem Hirten den Wolf und fürchtete eine gewaltsame That. Eine kurze Beratung mit Freunden führte zu dem Beschluß, daß der Kardinal nur in Gegenwart eines Arztes mit dem Kranken sprechen dürfe. Der Zustand des Kranken rechtfertigte unsere Absicht vollkommen. Nur mußte erst ein Arzt gefunden werden, da der furchtsame Hausarzt gewiß auf den ersten Wink des Kirchenfürsten sich demütig entfernt hätte. Zum Glück war mein bester Freund, Hans Czermak, welcher damals als Assistent im physiologischen Institut arbeitete, gern bereit, die Rolle des praktischen Arztes zu übernehmen. Pünktlich stellten wir uns ein. Auch der Kardinal ließ nicht lange auf sich warten. Er kam begleitet von einem baumstarken Priester, welcher sich überdies mit einem derben Knotenstocke bewaffnet hatte. Wunderbares Spiel des Zufalls! Derselbe Priester, namens Hruscha, hat sich viele Jahre später als Bischof, aus feiger Furcht vor dem Tode, erhenkt. Jetzt stand er bereit, einem Sterbenden die letzte Stunde vergällen zu helfen. So groß war die Macht der Gewohnheit, daß die anwesende Familie des Kranken bei dem Eintritt des Kardinals sich[185] tief bis beinahe zum Kniefall beugten. Der Kardinal spendete rasch den Segen und eilte in die anstoßende offene Krankenstube. Hier traten wir ihm unerwartet entgegen. Den vornehmen kalten Wink mit der beringten Hand, uns zu entfernen, übersah ich, erklärte ihm vielmehr in der höflichsten Weise, daß der Arzt bei der hochgradigen Aufregung des Kranken diesen keinen Augenblick verlassen dürfe, ich selbst auf die Bitte Smetanas der Unterredung als Zeuge beiwohnen werde. Unwillig wandte sich der Kardinal zu dem Sterbelager und begann einen ziemlich seichten – die Schwarzenberge haben, wie der Kardinal selbst einmal bei einer Schulvisitation einräumte, das Pulver nicht erfunden – Sermon über die Unzulänglichkeit der Philosophie, die Kraft des Glaubens u.s.w. Der Kranke drehte ihm den Rücken zu und wiederholte immer nur keuchend die Worte: Fort mit ihm! Der Einsicht, daß hier kein Sieg für die Kirche zu hoffen sei, konnte sich selbst der Kardinal nicht verschließen. Zornig erhob er sich und verließ, ohne sich um jemand weiter zu kümmern, die Stube und das Haus. Pater Hruscha, welcher derweilen im Nebenzimmer besonders der Mutter und den Schwestern des Kranken mit Drohungen arg zugesetzt hatte, folgte ihm grimmigen Blickes, die Augen rollend, den Stock schwingend. Am folgenden Tage starb Smetana. Die ratlose Familie übertrug mir die Sorge auch für die Bestattung. Fröhlichen Herzens übernahm ich die neue, voraussichtlich peinliche Aufgabe nicht. Ich bedang mir nur die Begleitung des Schwagers als gesetzlichen Vertreters der Familie aus,[186] um den Vorwürfen, daß ich mich in fremde Angelegenheiten eigenmächtig mische, zu entgehen. So trotteten wir denn von Pontius zu Pilatus. An ein Begräbnis auf dem katholischen Friedhof war nicht zu denken. Die Kirchenbehörden wiesen unser Ansuchen als halben Wahnsinn zurück. Die Bestattung auf dem evangelischen Friedhofe unterlag gleichfalls großen Schwierigkeiten, da Smetana nicht zur protestantischen Gemeinde gehörte. Der humane Sinn und die wissenschaftliche Bildung des Pastors der deutsch-evangelischen Gemeinde, Martins, half sie glücklich lösen. Eine kirchliche Funktion werde er nicht üben, von einer solchen könne vernünftigerweise nur bei wirklichen Glaubensgenossen die Rede sein, selbstverständlich gönne aber die protestantische Gemeinde einem ehrlichen und ernsten Geisteskämpfer eine Ruhestätte auf ihrem Boden. Vorausgesetzt, daß die Polizei zustimmte, hatten wir also ein Grab für den Verstorbenen gefunden. Den Gang in das finstere Polizeigebäude traten wir mit schwerem Herzen an. Wiederholt mußten wir anklopfen, stundenlang warten, bis wir vor den Polizeigewaltigen, den berüchtigten Sacher-Masoch, vorgelassen wurden. Sacher-Masoch hatte bis 1848 das Amt eines Polizeipräsidenten in Lemberg verwaltet, in den Märztagen aber eiligst die Flucht ergriffen. Die Polen vergaßen nicht, daß er nach dem verunglückten Aufstande 1846 die Gefangenen in raffinierter Weise mißhandelt und zur Strafe stets noch grausamen Hohn zugefügt hatte. Sie bedrohten ihn jetzt, nachdem das Blatt sich gewendet, mit harter Wiedervergeltung. Sacher-Masoch fand ein Asyl in[187] Prag, wo er zuerst ein Privatbüreau für Polizeiinteressen einrichtete, später an die Spitze der Polizeidirektion gestellt wurde. Ich stand nicht das erstemal dem allgemein gehaßten, nicht minder gefürchteten Manne gegenüber. Als ich 1849 den akademischen Leseverein leitete, erbat er sich meinen Besuch, um mir ein reiches Büchergeschenk für den Verein zu übermachen und zugleich sein warmes Interesse an meiner Thätigkeit auszusprechen. Wollte er mich in das andere Lager ziehen oder mir nur eine Falle legen, und mich zu offener Kundgebung meiner Gesinnungen verlocken? Schon damals übte Sacher-Masoch einen abschreckenden Eindruck auf mich. Die Natur hatte ihn gezeichnet, den Typus des Häßlich-Bösen in ihm verkörpert. Zum pockennarbigen Gesicht gesellten sich kleine schielende Augen, struppiger Bart und unheimlich lauernde, an ein Raubtier erinnernde Bewegungen. Ich fand ihn bei der zweiten Begegnung nicht verschönert. Umgeben von einem zahlreichen Polizeistabe trat er uns entgegen. Von unserm Begehren wollte er nichts wissen. Smetana sei ja kein Protestant gewesen, könne daher auch nicht als solcher begraben werden. Nachdem er uns weidlich ausgeschimpft hatte, wandte ich mich mit den Worten der Thüre zu, daß wir ein stilles Begräbnis, das nach keiner Seite hin Anstoß erregen könnte, gewünscht hätten, die Polizei aber, wie es scheine, um jeden Preis einen Skandal hervorrufen wolle. Diese Erklärung würde ich öffentlich abgeben. Darauf kam er zur Besinnung. Er erlaubte endlich die Bestattung auf dem evangelischen Friedhofe, doch müßte ich persönlich die Verantwortung[188] tragen, und gewärtig sein, für jeden »Unfug« zur Rechenschaft gezogen zu werden. Was diese Rechenschaft bedeute, erfuhr ich noch am selben Abend durch einen Brief, welchen Dr. Pinkas von einem hochgestellten befreundeten Beamten empfing. Er wurde gebeten, mich ja dringend zu warnen, etwa eine Grabrede zu halten. Denn in diesem Falle war der Befehl ergangen, mich zu verhaften und in ein ungarisches Regiment als gemeinen Soldaten zu stecken.

Die Scenen, welche sich bei dem Begräbnis abspielten, sind oft beschrieben worden. Da die von der Kirche besoldeten Leichenträger ausstanden, so mußten Freunde den Sarg von dem Sterbezimmer zu dem auf der Straße harrenden Totenwagen tragen. Uns war bange zu Mute. Auf der Treppe und Hausflur drängten sich die Menschen, auf dem Platze vor dem Hause standen sie Kopf an Kopf. Unter ihnen allerdings liberale Studenten, Handwerker und Arbeiter, aber auch die von Fanatikern kommandierten Betschwestern und Bettelweiber fehlten nicht. Ein dumpfes Gemurmel empfing uns. Wir wußten nicht, ob wir es freundlich oder feindlich halten sollten. Da hatte einer der Sargträger, Dr. Pinkas, die glückliche Eingebung mit erhobener Stimme: Hut ab! zu rufen. Das wirkte wie ein plötzlicher Blitzschlag. Die Reihen öffneten sich, die Männer entblößten das Haupt, die Weiber verstummten. Kaum war der Sarg im Wagen, von welchem ein Kirchendiener mit auffälligem Lärm das Kreuz abschraubte, geborgen, so befahl ein Polizeikommissar dem Kutscher im Galopp zu fahren und den Weg nicht wie gewöhnlich durch die Stadt,[189] sondern um die Stadtmauer herumzunehmen. Die nächsten Freunde warfen sich in bereitstehende Kutschen und folgten, so gut es ging, dem Leichenwagen. Nur wenigen Studenten gelang es, auf einem kürzern Wege im Laufschritt, gleichzeitig mit der Leiche den evangelischen Friedhof zu erreichen. Am Grabe angelangt, wurde ich von zwei Polizeiagenten in die Mitte genommen. Sie warteten auf das erste Wort, welches am Grabe gesprochen würde, um mich zu verhaften. Ohne daß wir Freunde eine Abrede getroffen hätten, standen wir fest und einig zu einander. Wir nahmen die Hüte ab, warfen jeder einige Schollen in das offene Grab und entfernten uns im tiefsten Schweigen. An Leib und Seele müde, kehrte ich in das gastliche Haus des Dr. Pinkas zurück, Trost suchend und findend bei dem wackern Manne und der geliebten Tochter. Die Gefahr war glücklich überstanden. Ein zweites Mal wollte und sollte ich nicht mit der Polizei in Berührung kommen. Der Gedanke rascher Übersiedelung nach Deutschland reifte zum festen Plan.

Was sollte ich auch in Österreich, welche Thätigkeit konnte ich im besondern auf dem heimischen Prager Boden entfalten. In diesen Tagen wurde es für jeden Unbefangenen klar, daß die brutale militärische Herrschaft, unter welcher wir seit der Unterwerfung Ungarns litten, durch die klerikale Reaktion abgelöst werden würde. Militärrock und Kutte zankten sich eine kurze Zeit miteinander, schließlich siegte die Kutte.

Rasselte im Jahre 1848 jeder halbwüchsige Junge mit dem Säbel, so galt jetzt der Rosenkranz als gute Empfehlungskarte.[190] Das Strebertum kleidete sich in kirchliche Farben. Spötter erzählten, daß man die beiden leitenden Minister, Alexander Bach und Leo Thun, täglich in der Michaelskirche antreffen könne. Der eine kniee vor einem Kruzifix rechts, der andere vor einem Marienbilde links und wer ihrer Gunst sicher sein wolle, thäte gut daran, sich neben sie auf die Kniee zu werfen.

In den ersten fünfziger Jahren wurde der Grund zu der Schwächung der äußern Macht und zu der innern Zerrüttung gelegt, aus welcher nur ein genialer Staatsmann Österreich wieder herausreißen kann. Wir warten noch bis zur Stunde auf ihn. Die herrschende Regierungsform war einfach die organisierte Anarchie. Alle Staatskörper und Verwaltungskreise gerieten in Unordnung. In der Armee deckte Gunst der Hohen die persönliche Untüchtigkeit. »Intelligenz« machte einen Offizier verdächtig, jedenfalls nicht beliebt. »Wir brauchen keine Räsonneurs, sondern tüchtige Dreinhauer!« Die siegreichen Feldzüge in der Lombardei hatten in die Reihen des Heeres einen tollen Übermut verpflanzt. Man hielt sich für unbezwinglich. Wozu also arbeiten und mit dem Studium der Kriegskunst sich plagen? – Wie die Armee, so wurde auch die Justizpflege grundsätzlich verdorben. Die neuerrichtete Gendarmerie schien nicht dazu da zu sein, Verbrechen zu verhüten und auszuforschen, sondern um die Justizbeamten zu überwachen. Solange Exner lebte, waltete im Unterrichtsministerium der Grundsatz, daß wenigstens das philologische Studium nach Kräften gefördert werden müsse. Nach[191] seinem vorzeitigen Tode wurde die kirchliche Gesinnung bei Berufungen maßgebend. Die Verwaltung verlor, da sich die Gesetze, Verordnungen, Organisationen jagten, alle Stetigkeit, die Beamten zeigten sich teils verbittert und heimlich Oppositionsgelüsten zugethan, teils vollzogen sie mechanisch den Dienst, wenig bekümmert um das Wohl des Staates, desto eifriger dagegen beflissen, ihr persönliches Interesse zu wahren und ihre Beförderung zu beschleunigen. In dem Augenblicke, wo alle politischen Gedanken im Volke streng verpönt waren, tauchten die elementaren nationalen Bestrebungen wieder empor. Sie waren 1848 nicht gefährlich gewesen, weil sie mit liberalen politischen Wünschen Hand in Hand gingen. Jetzt fehlte das politische Gegengewicht. In schroffer Einseitigkeit wurden nationale Programme aufgestellt, langsam aber stetig vollzog sich die Wandlung von Gleichgültigkeit zur förmlichen Staatsfeindschaft. Nicht das Staatswohl, sondern das nationale Interesse lenkte die Stammesgenossen. Auf nationaler Gliederung wollten wir österreichischen Liberalen 1848 das österreichische Reich neu aufbauen; nun mußten wir unthätig zusehen, wie die nationalen Sonderinteressen den Staatskörper bedrohen und schwächen. Die Reaktion der fünfziger Jahre hat den Größenwahn der slawischen Stämme erzogen.

So fest unter diesen Umständen mein Plan stand, die Heimat, die mir jedes ehrliche Fortkommen verwehrte, zu verlassen, so hafteten doch an der Ausführung große Schwierigkeiten. Wird mich eine deutsche Universität als[192] Privatdozenten aufnehmen, und welche sollte ich wählen? Als der letzte Präsident des Frankfurter Parlamentes, Simson, welcher gleichzeitig mit Dr. Pinkas in Karlsbad die Kur gebrauchte, von meinem Vorhaben hörte, lachte er über meine Leichtgläubigkeit laut auf. Es sei gar nicht daran zu denken, daß irgend eine deutsche Fakultät einen jungen österreichischen Gelehrten zur Habilitation zuließe. Ich würde von jeder als Ausländer angesehen und schon deshalb zurückgewiesen werden. Dieser Einwand hätte mich leicht entmutigt, wenn nicht gleichzeitig Droysen aus Jena, der mich auf einer Durchreise freundlich in Prag aufsuchte, um, wie er liebenswürdig sagte, das Handwerk zu grüßen, und Robert Prutz, an dessem »Deutschen Museum« ich fleißig mitarbeitete, mich aufgemuntert hätten, den Plan weiter zu verfolgen. Um sicher zu gehen, wollte ich noch vorher an einer größeren litterarischen Arbeit meine Kräfte versuchen.

Anfangs der fünfziger Jahre kam ein besonderer Zweig wissenschaftlicher Litteratur, die Brieflitteratur, in die Mode. Die Erläuterungsschriften zu Humboldts Kosmos hatten dazu wesentlich beigetragen. Sie erschienen in der Form von geologischen, botanischen Briefen, welchen psychologische, ästhetische Briefe u.s.w. folgten. Der Schriftsteller hatte dabei den Vorteil, daß er den trockenen Ton des Lehrbuches leichter vermeiden, das Wesentliche in ein schärferes Licht setzen konnte. Ich plante eine Reihe kunsthistorischer Briefe, in welchen ich versuchen wollte, den Entwickelungsgang der bildenden Künste in großen Zügen zu schildern und ihren Zusammenhang mit der übrigen, besonders[193] poetischen Kultur darzulegen. Als ich diese Gedanken meinem alten Freunde und Verleger, Friedrich Ehrlich, mitteilte, war er gleich bereit, den Druck zu übernehmen. Der Umfang wurde auf vier Hefte, den vier Weltaltern entsprechend, festgestellt. Mit Fleiß und Liebe ging ich an die Arbeit, so daß bereits im Winter 1851 das erste Heft, die Briefe über die altorientalische Kunst, ausgegeben werden konnte. Unerwartet stieß ich dabei auf Censurschwierigkeiten. Der Militärrichter, welcher die Presse zu überwachen hatte, nahm Anstoß daran, daß ich den Hindus die antike Schicksalsidee absprach und dadurch die Mängel in ihren lyrisch so fesselnden Dramen erklärte. Der weise Salomon, Franz hieß er und Auditeurmajor war er, fand darin einen gehässigen Angriff auf die Hindureligion und zwang mich zu einer abgeschwächten Form meines Satzes und zum Umdrucke des ganzen Bogens.

Hatte das Heft sich nicht den Beifall der löblichen Militärbehörde erobern können, so fand es an anderer Stelle eine gute Aufnahme. Humboldt schrieb mir in seiner Weise einen schiefen und krummen Brief, aus welchem ich zwar die Lobeserhebungen als Höflichkeiten strich, aber doch entnahm, daß er die zehn Bogen mit Aufmerksamkeit gelesen hatte. Hermann Hettner zollte dem Heft im Deutschen Museum eine so reiche Anerkennung, daß ich schon eitel hätte werden können. Jedenfalls besaß ich jetzt eine litterarische Einführung in deutsche Fakultäten. Die folgenden Hefte erschienen viel langsamer und waren nicht mehr mit gleicher Liebe gearbeitet. Mein Freund Ehrlich starb, der Erbe[194] seines Verlags drang auf rasche Vollendung und wollte von einer Vermehrung der Hefte, die mir notwendig erschien, nichts wissen. Dadurch wurden die letzten Abschnitte überhastet und zu kurz behandelt.

Anfang Juni 1852 begann ich die Entdeckungsreise nach einer neuen Heimat. Zuerst sprach ich in Halle vor, um mit den persönlichen Freunden und politischen Verwandten, besonders Robert Prutz und Max Duncker, Rat zu pflegen. Sie waren der Meinung, daß ich sofort nach Berlin reisen und hier Johannes Schulze, dem vortragenden Rat im Kultusministerium und Universitätsreferenten, mich vorstellen sollte. Hätte ich dessen Zustimmung zu meinen Plänen, so wäre mir die Zulassung als Privatdozent an einer preußischen Universität gesichert. Die letztere hatte ich allerdings im Sinne, da ich nach meiner ganzen politischen Anschauung dem preußischen Staate zuneigte. Ich war sogar Thor genug, zu glauben, meine Verteidigung des Rechtes Preußens und Deutschlands gegen die gewaltsame Politik Schwarzenbergs würden mir in Berlin gut ausgelegt werden. Johannes Schulze, an den mich Prutz brieflich empfohlen hatte, empfing mich freundlich, hörte geduldig die Erzählung meines Lebensweges, meine Pläne an. Dann sprang er auf: »Liebes Kind, Sie gehen nach Bonn, nur nach Bonn. Dort allein ist der rechte Platz für Sie, dort allein können Sie Erfolg haben. Kommen Sie in einigen Tagen wieder, ich will an Ritschl schreiben Nach Bonn, nur nach Bonn!« So war in wenigen Minuten meine Laufbahn fest bestimmt.[195]

Den Aufenhalt in Berlin benutzte ich natürlich, um mich auch den ältern Fachgenossen vorzustellen. Schnaase, obschon seit Jahren kränkelnd und zurückgezogen lebend, nahm mich doch auf das freundlichste auf. Unvergeßlich bleibt mir die Erinnerung an den feinsinnigen, trotz seines großen Ruhmes überaus bescheidenen Mann mit dem durchgeisteten Antlitz, dem scharf und doch milde blickenden Auge, mit dem humorvollen Zuge um die Lippen, welcher so völlig frei von allen persönlichen Interessen nur der Wissenschaft und der guten Sache lebte, jeden, der es verdiente, gelten ließ, für jeden, dessen ernstes Streben er erkannte, wohlthuende Aufmunterung bereit hatte. Schnaase blieb seitdem bis zu seinem Tode mit mir in regem persönlichen und brieflichen Verkehr. Auch Waagen, ein jovialer, älterer Herr, den Kopf voll Schnurren und Anekdoten, aber auch voll wertvoller Kunstnotizen, erwies sich gleichfalls überaus wohlwollend. Durch die beiden Gönner wurde ich mit Gerhardt, Raumer, Passow, von Schlözer, dem alten Bendemann näher bekannt, so daß die Tage des Wartens in Berlin nur zu rasch verflogen. Unglück hatte ich nur mit Friedrich Eggers und Franz Kugler. Bei ersterem glaubte ich anfangs an einen Irrtum in der Adresse. Ich wurde in ein Damenboudoir geführt, in welchem es stark nach feinsten Parfüms duftete. Zierliche Blumenständer, ein glänzender Vogelkäfig, auf Tischen goldgeränderte Bücher, der Schreibtisch auf das säuberlichste geordnet, trafen mein Auge. Freilich als Eggers eintrat, in eleganter Haustracht, jedes Wort abgemessen, jede Bewegung[196] abgerundet, da merkte ich, daß Stube und Bewohner trefflich zusammen passen. Wir wechselten einige höfliche Redensarten und damit hatte die Begegnung ein Ende. Kugler empfing mich mit unbegreiflicher Grobheit, er ließ mich stehen, gab mir deutliche Winke, daß er meine kunstgeschichtliche Thätigkeit für ganz überflüssig erachte und schloß seine Rede, ohne daß ich eigentlich zu Wort kam, mit der Versicherung, seine Zeit sei sehr kostbar, er nehme selten Besuche an, erwidere sie niemals. Ich empfahl mich und habe Kugler nie wieder gesehen.

Am Tage meiner Abreise nach Bonn konnte ich meiner Braut schreiben, daß ich die Tasche voll gewichtiger Empfehlungen an Bonner Professoren und Privatdozenten besitze, und meine Absicht, mich in Bonn niederzulassen, wohl gelingen dürfte. Wir schwelgten in kühnen Hoffnungen und sahen den Tag unserer Verbindung merklich näher gerückt. Allerdings waren wir uns der Unzulänglichkeit der Einnahmen eines Privatdozenten zur Gründung eines heimischen Herdes, und wenn er noch so klein wäre, bewußt. Aber auch in diesem Punkt wandte sich jetzt mein Schicksal unerwartet zum guten.

Seitdem ich im »Konstitutionellen Blatte aus Böhmen« und namentlich in der »Union« die orientalische Politik in dem Sinne besprochen hatte, daß es in Österreichs Interesse liege, die Rumänen, Bulgaren, Serben in ihren Ansprüchen auf größere Selbständigkeit zu unterstützen, ihnen das stete Schielen nach Rußland abzugewöhnen und bei der Pforte sich zu ihren Gunsten zu verwenden, stand[197] ich mit den südslavischen Politikern und Regierungsmännern auf gutem Fuße. Hätte die Union länger ihr Dasein gefristet, so wäre sie das Hauptorgan der südslavischen Volksstämme geworden. Nach ihrer gewaltsamen Unterdrückung fehlte es an einem solchen Sprachrohre. Da faßten der serbische Minister Garaschanin und sein Sekretär Marinovich, ein Bulgare von Geburt, von den jüngern südslavischen Staatsmännern unstreitig der tüchtigste und gebildetste, den Plan, statt die Gunst einer einzelnen Zeitung zu suchen, lieber einen ständigen Agenten zu bestellen, welcher die Vertretung der Interessen Serbiens und weiter der Donauländer gegenüber der wenig günstigen Meinung Westeuropas übernehmen sollte. Diese Rolle war mir zugedacht. Am zweiten Tage nach meiner Ankunft in Bonn erhielt ich die Aufforderung zu einer Konferenz mit Garaschanin und Marinovich in Köln. Sie waren auf der Reise nach Paris begriffen und machten in Köln Halt, um mit mir die Sache in Ordnung zu bringen. Garaschanin sprach nur gebrochen Deutsch, Marinovich dagegen ein vortreffliches Französisch. Mit diesem verhandelte ich. Waren wir über einen Punkt einig geworden, so verdolmetschte er ihn für den Minister in das Serbische. In zwei Tagen waren wir vollkommen einig. Mir fiel eine doppelte Aufgabe zu. Ich sollte in den angesehensten Zeitungen Frankreichs, Englands und Deutschlands alle Berichte, welche sich auf Serbien bezogen, aufsuchen, in Auszügen an Marinovich senden, in dringenden Fällen die vorkommenden Irrtümer gleich widerlegen. Dann aber fiel mir noch die[198] wichtigere Aufgabe zu, auf Grund der empfangenen Instruktionen die öffentliche Meinung über die Zustände und die berechtigten Ansprüche Serbiens aufzuklären. Als Richtschnur galt: Lockerung der türkischen Bande, Steigerung der politischen und wirtschaftlichen Selbständigkeit und Abwehr des russischen Einflusses. Anfangs ging unsere Meinung dahin, daß sich das österreichische Ministerium für die serbischen Interessen gewinnen ließe. Gar bald erkannten wir den Irrtum. Die brutale und doch immer ganz schwankende und unklare Politik der Wiener Staatskanzlei wurde dem Streben der Donaustaaten ebenso gefährlich wie der russische Ehrgeiz. Als Jahresgehalt bot mir die serbische Regierung 2000 österreichische Gulden (ca. 1000 Thaler) an, eine Summe, die weit meine Erwartungen überstieg. Gehobenen Sinnes verließ ich Köln, wo wir auf der Straße durch den uns stets auf dem Fuße folgenden roten Serežaner mit Yatagan und Pistolen im Gürtel nicht geringes Aufsehn machten. Lief nun noch die Habilitation in Bonn ohne Gefährde ab, so stand ich auf dem Gipfel des Glücks, durfte mit Sicherheit auf die nahe Verbindung mit der geliebten Braut hoffen.[199]

Quelle:
Springer, Anton: Aus meinem Leben. Berlin 1892, S. 161-200.
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