Tätigkeit in Kassel, Hannover und Berlin

[104] Ich reiste also nach Kassel. Auf dem Wege freute ich mich über die Natur und die schönen Gegenden, die sich mir nun in der Wirklichkeit zeigten und die ich in den Städten nur in Bildern zu sehen gewohnt war. Als ich das erste rieselnde Bächlein wieder bergunter fließen sah, das klare, lebendige Wasser, dann die Hügel und die hohen Berge, die Waldungen und Gebirge in der Ferne und in der Nähe, und ich durch den dichten Wald fuhr, wo mich der frische, erquickende Holzgeruch anwehte und ich die Waldluft wieder einatmete – da wurden die Freuden der Kindheit und der Jugend wieder lebhaft rege. So kam ich nach Kassel, fand meinen Bruder, meinen Onkel und alle Verwandte im besten Wohlsein und eilte nun nach Haina zu meinem Vater. Die Freude des Wiedersehens war unendlich. »So wie du bist«, sagte mein Vater, »glaubte ich, würdest du werden; ich war dessen gewiß.« Auch mein Vetter Just hatte eine große Freude, mich so herangewachsen zu sehen, denn er hatte mich als Kind gewartet und getragen, und ich war immer sein Liebling gewesen. Viele meiner Schulkameraden kamen gelaufen, den Wilhelm zu sehen, und in fröhlichen Wechselgesprächen erinnerten wir einer den andern, wie wir als Knaben im Walde Erdbeeren gepflückt, Eichhörnchen gejagt und Fische und Vögel gefangen hatten!

Nach längerem Verweilen im väterlichen Hause und bei den Meinigen wollte ich meinen Bruder bereden, mit mir nach Holland zu reisen; aber er versuchte, mich bei sich in Kassel[105] zu behalten. Er hatte viele Bestellungen von Porträts und meinte, es sei besser, diese erst gemeinschaftlich zu vollenden; dann könnten wir noch immer tun, was das beste schiene. Er hatte Umgang mit sehr artigen und angenehmen Menschen und sehr viele gute Freunde, unter anderen auch den Intendanten über die Gemälde, welche in den Zimmern des Landgrafen hingen, dem sogenannten Kabinett, einer auserlesenen Sammlung von holländischen Künstlern, mehrenteils kleine Bilder, aber lauter ausgesuchte Meisterstücke. Landgraf Wilhelm VIII., ein großer Kenner, hatte sie als Gouverneur in Holland gekauft. Damals konnte man in Holland noch leicht Bilder erwerben und erhielt sie häufig von der Wand, wo der Maler sie selbst hingehängt hatte, ohne die geringste Beschädigung. Hier war ein kleines Bild von Rubens: »Pan und Syrinx« vorstellend, wozu Bruegel den Hintergrund gemalt hatte. Das Schilf mit den Blumen und das Rohr war bewundernswürdig schön. Auch ein kleines Bild von Rembrandt: »Wie die drei Marien zum Grabe Christi kommen und ein Engel auf dem abgewälzten Steine sitzt.« Das weiße Gewand und die Klarheit des himmlischen Lichtes, das den Engel umfloß, waren wie hingezaubert und ein wunderbarer Effekt in dem Bilde. Ferner ein Bild von Slingeland, eine Mutter sitzt und näht, neben ihr steht eine Wiege, wo das darinliegende Kind eben erwacht und die Mutter ansieht. Ein Bild von Wouwerman, »Eine Plünderung«: es brennt eine Stadt und die Kirche, die Pfaffen werden hinausgetrieben und gemißhandelt; ein Soldat hat einen Pfaffen bei den Ohren und führt ihn zu dem wachthabenden Offizier; eine Frau liegt über dem Leichname ihres Gatten, und ein Soldat schlägt sie über den Rücken; kurz, man erblickt alle Greuel der Plünderung! Dies Bild ist von Wouwermans erster Manier und das vollkommenste, was ich von ihm gesehen. Man erstaunt, was dieser Meister vermochte! Die Gesichter sind nicht viel größer als eine große Erbse, doch betrachtete man sie durch ein[106] Vergrößerungsglas, so glaubte man einen Kopf von Rubens zu sehen: so war es mit Feuer und Geist gearbeitet. Aus diesem Kabinett und aus der Galerie kopierte ich verschiedene Bilder: den ganz vortrefflichen Kopf von Rembrandt mit einem Helme und Köpfe nach van Dyck. Auch malte ich für den Landgrafen Tiere aus der Menagerie, worunter einige seltene und schöne waren, ein Elefant, Löwe, ein Leopard und eine Leopardin, diese bekam in selbiger Zeit zwei Junge; sie hatte schon einmal geworfen, was selten in Europa ist.

Die Galerie war außerdem noch angefüllt mit vortrefflichen Meisterwerken, von Rubens: »Mars und Viktoria«, »David«; von Rembrandt: »Jakob segnet seine Söhne«, »Goliath wird gefangen«, »Frauenporträt mit einem Kragen«, zwei Landschaften; von Giordano: »Ein Familienstück«, »Ein Satyr«, »Jupiter als Kind, von der Ziege gesäugt«; von Schalcken: »Ein Nachtstück«; ein Wouwerman; von Potter Bilder in Lebensgröße: »Die pissende Kuh«, »Die verkehrte Welt«, »Eine Mühle«, »Spielende Kinder«; ein A. Cuyp; von Heemskerck: »Die Taufe Christi«; von Rosa da Tivoli: Familienporträts; von Melchior Roos: »Die Menagerie«; ein Lairesse; von Teniers: »Schützengesellschaft von Antwerpen« (400 Figuren). Auch viele italienische Bilder waren da. Von Andrea del Sarto; von Raffael: »Maria mit dem Kinde«; von L. da Vinci: »La Carità, eine Heilige Familie«; Carracci: »Magdalena«; von Guido Reni: »Aeneas und Dido«, »Maria«; von Tizian: »Ein Mann in Lebensgröße«, zwei Frauenporträts; von Palma: »Venus und Amor«, »Perseus und Andromeda«; ein Bassano und andere.

Lady Morgan sagt in ihrem »Leben des Salvator Rosa«, im Palazzo Pitti zu Florenz sei ein Gemälde von Holbein, dessen eigene Familie vorstellend. Hier waltet eine Unrichtigkeit ob, denn dieses Gemälde ist von Giorgione da Castelfranco. Ein Mann sitzt am Klavier und scheint eben[107] einige Akkorde gegriffen zu haben; er wendet sich fragend um nach einem andern, der hinter seinem Stuhle steht und ihm auf die Schulter klopft, mit dem Ausdrucke, als ob es das Rechte sei. Eine weibliche Figur steht neben ihm. – Allein hier in Kassel in der kurfürstlichen Galerie existiert jenes Gemälde von Holbein: »Die Familie des Künstlers.« Er selbst ist darauf und seine Frau, welche das jüngste Kind auf dem Arme trägt. Zwei andere sitzen an einem Tische und speisen. Es ist ein Kniestück von ungefähr acht Fuß Höhe und vier Fuß Breite.

Es war am 2. September 1773, als ich mit meinem Bruder in Kassel anfing zusammenzuarbeiten. Um eben die Zeit wurde Ludwig Strack konfirmiert und von seinen Eltern nach Kassel zu meinem Bruder, dem Galerie-Inspektor Johann Heinrich, getan, um von ihm und mir das Malen zu lernen. Wir nahmen ihn ganz zu uns und liebten ihn, wie unseren Bruder Jakob, der auch bei meinem Bruder war.

Oft hatten wir auch das Vergnügen, von Fremden besucht zu werden, die nach Kassel kamen, die schönen Werke und Kunstsachen zu sehen, welche die Fürsten nach und nach gebaut und gesammelt hatten. So lernte ich Kersting und Camper kennen; auch aus Hannover kam einmal Herr Winkelmann zu uns, mit verschiedenen Frauen aus seiner Familie. Diese außerordentlich artigen Menschen hatten eine so große Freude an der Natur und Kunst und sprachen über alles mit so viel Liebe und Gefühl, daß wir gern ihrer freundlichen Einladung folgten, sie in ihrer Heimat zu besuchen. Ich reiste auch hin, das war den 23. Oktober 1774, wurde von Herrn Winkelmann mit der innigsten Freundschaft empfangen und mußte in seinem Hause logieren. Er war der älteste von den drei Brüdern, ein großer Freund der Musik und Malerei und hatte schöne Abgüsse von antiken Statuen; in der ganzen Familie war Geschmack und Liebe für Literatur. Der Dichter Jakobi,[108] Bruder der sehr gebildeten Frau des Herrn Winkelmann, kam auch hin, so oft er seinen Freund Gleim in Halberstadt besuchte. Abwechselnd in ihren Häusern versammelten sich viele Menschen von Geschmack und Kenntnis; alles Neue und Schöne wurde gelesen, besonders aber auch die alten Dichter. Hier kam mir der Homer (von Damm) zum ersten Male in die Hände. Als ich diese göttlichen Gesänge vernahm, wurde ich wie bezaubert, ich hörte eine Geschichte, von einem Dichter gesungen. Die Personen in der Ilias und Odyssee und die olympischen Götter und Göttinnen schwebten lebendig vor meinen Augen; ich fing noch den nämlichen Tag an, einige Begebenheiten nach dem Homer zu zeichnen. Seitdem las ich ihn täglich, und er ist mir nicht wieder aus den Händen gekommen, in kurzer Zeit wußte ich ihn auswendig. In Pyrmont machte ich Gleims Bekanntschaft. Er hatte seine größte Freude daran, wenn ich ihm den Homer vorsagte, der mir wie ein Vaterunser geläufig war, besonders wenn ich in meiner erhitzten Phantasie oft noch zusetzte. Alle Nachmittage mußte ich ihm gegenübersitzen und ihm Gesang auf Gesang vortragen. – Meine Beschäftigung im Porträtmalen verschaffte mir außerdem immer mehr Bekanntschaften mit den Vornehmsten und Schönsten in der Stadt. Man weiß ja, daß da, wo Schönheiten sind, gern die zarten Seelen sich versammeln, und da den Malern das Glück zuteil wird, daß die Schönsten am meisten gemalt werden, so hatte ich täglich ausgezeichnete Gesellschaft um mich, denn eine schöne Dame brachte gewöhnlich noch eine oder mehrere zur Gesellschaft mit. Auch kamen wohl Herren, sie wieder abzuholen, und so war mein Zimmer oft voll von ausgesuchten Menschen, welche die Künste liebten, und ich freute mich über die feine Art der Unterhaltung und über die auserlesenen Gespräche. Hier entdeckte sich mir eine Welt, die ich bis jetzt noch nicht gekannt hatte. Oft lasen auch die Herren oder Damen aus Dichtern etwas vor, um den Sitzenden die Zeit angenehm[109] zu machen. Da lernte ich nun immer mehr, wie die Dichter die Natur beschauen und belauschen und sie dann mit Worten dem Leser ins Gemüt bringen. Bis jetzt wußte ich nur, wie die Maler die Natur ansehen und in ihren Bildern wiedergeben; in der Malerei nur hatte ich die zarten und die starken Leidenschaften der Menschen abgebildet gesehen. Nun lernte ich aber auch, wie der Dichter in seiner Kunst in das innerste Herz des Menschen eingeht, da die Gefühle aufspürt und durch Worte sie darstellt. Meinem Aufenthalte in der Stadt Hannover, die von jeher keiner anderen an Geisteskultur nachstand, verdanke ich es, daß ich Geschmack für die Dichtkunst gewann. Gemäldesammlungen waren auch verschiedene in Hannover, z.B. die des Herrn von Grote, eine schöne Sammlung, die Herr Greenwood kaufte für 8500 Taler. Er suchte hundert Stück aus, darunter ein Bild von Rembrandt, das ihm, wie er sagte, den ganzen Kauf bezahlen mußte. Es stellte die heiligen drei Könige vor, wie sie das Christkind beschenken, und ist eins der schönsten Meisterstücke, welche ich von diesem Künstler gesehen habe. Die morgenländischen Könige erscheinen mit ihrem ganzen Gefolge in dem Lieblingskostüme Rembrandts. – Eben dieser Herr Greenwood kam noch einige Male nach Deutschland, um aus dieser Gegend die Kunstschätze wegzuführen, die ihm willig für seine blanken Guineen dargereicht wurden. Ich war mit ihm in Hildesheim, wo er für ein Bild von Rubens, das im Dome hing, hundert Louisdor bot; es wurde ihm geweigert; einige Jahre später nach meiner Zurückkunft habe ich es jedoch vergebens gesucht. Herr Wübels aus Amsterdam, gereizt durch diese guten Ankäufe des Herrn Greenwood, machte auch Reisen durch diese Gegend und führte noch den Rest schöner Bilder für seine Dukaten weg.

Auch in Hehlen, auf dem Gute des Grafen Schulenburg, waren viele ansehnliche Gemälde, die er als Gouverneur in Venedig gesammelt hatte. Die Venetianer hatten ihm auch[110] Geschenke gemacht mit Bildern ihrer vorzüglichsten Meister. Diese Sammlung kaufte ebenfalls jener englische Gemäldehändler, wenn mir recht ist, für 18000 Taler. Darunter war ein Tizian, der ihm die ganze Ankaufssumme wieder einbringen sollte. Er konnte nicht genug den Wert und das Lob aussprechen über die vielen vortrefflichen italienischen Gemälde, die er hier gekauft hatte.

Nachdem ich viele Porträts in Hannover gefertigt und mir damit etwas verdient hatte, reiste ich nach Kassel zurück zu meinem Bruder, der unter der Zeit Inspektor der Gemäldegalerie geworden war. Um ihm eine Freude zu machen, brachte ich ihm einige Bilder von alten Meistern mit, besonders Jagdstücke, z.B. ein großes Bild von Snyders in Lebensgröße: »Schwäne und Enten, die durch Hunde aus dem Schilfe gejagt werden.« Es war so natürlich und täuschend, daß, als es an der Wand hing, oft fremde Hunde, die hereinkamen, an die Wand sprangen und bellten. Auch eins von Fyt: »Tote Rebhühner, Wachteln und andere Vögel«, und zwei große Bilder von G. Lairesse: »Das prächtige Mahl, welches Kleopatra mit der Perle dem Antonius gab«, und ein anderes: »Wie Cäsar Oktavian zu Kleopatra kommt und sie tot findet, um sie her ihre weinenden Zofen«. – Mein Bruder, ein so eifriger Liebhaber von Gemälden, dem ich sogleich bei meiner Ankunft von diesen Bildern erzählte, und daß sie bald nachkommen würden, wurde von solcher Unruhe ergriffen, daß er sogleich mit Hammer, Zange und Brecheisen den Kisten auf der Straße entgegenlief. Als er aber vollends die Bilder sah, war kein glücklicherer Mensch wie er!

Ich lebte nun wieder einige Zeit in der Galerie, wo mein Bruder wohnte, und arbeitete mit ihm. Meine Reise nach England und Frankreich hatte ich aufgegeben, und ich wünschte mir, für einen Hof wie Gotha, Weimar usw. wirken zu können. Besonders war meine Absicht, mit den dortigen Dichtern zu leben, und ich nahm mir vor, alles Dichterische[111] aufzufassen, wo ich es fände, zu zeichnen, was fürs Auge anschaulich wäre, und aufzuschreiben, was für den Dichter wäre, der mit Worten malt. Eines Nachmittags, als ich im Augarten spazierenging, begegnete mir die Frau Landgräfin Philippine mit dem Prinzen von Württemberg, der eben auf seiner Reise nach Rußland war, wo er nachher Feldmarschall wurde. Die Frau Landgräfin winkte mir und fragte, ob ich den Prinzen, ihren Neffen, malen wollte? Diese Ehre kam mir unerwartet, und meine Freude darüber war desto lebhafter. Am folgenden Morgen malte ich den Prinzen und nachher auch ihr eigenes Porträt. Ich hatte das Glück, daß beide ähnlich gefunden wurden, und ich mußte mehrere Kopien von ihrem Porträt machen, welche sie an verschiedene Höfe schicken wollte. Dann äußerte sie den Wunsch, auch das Porträt ihrer Schwester in einem Familienbilde zu haben, nämlich zugleich mit dem Prinzen Ferdinand von Preußen, deren Gemahle, und mit deren drei Kindern. In diesem Auftrage kam sie meinem Wunsche zuvor, Berlin zu sehen. Mit einem Empfehlungsschreiben reiste ich dahin ab. Dies geschah den 13. Juni 1777.

Meinen Weg nahm ich über Gotha, wo ich verschiedene alte gute Bilder sah aus der Zeit des Lukas Cranach, dann über Weimar und Leipzig nach Dresden. – Hier sah ich nun zum ersten Male gute italienische Bilder, die mich in Verwunderung setzten, besonders die von Correggio. Mit Recht wird die sogenannte »Nacht« (Die Geburt Christi) für das schönste Bild in der Welt gehalten; auch hat ihm dies kein anderer Maler streitig gemacht, wenn er es nicht selbst getan hat mit seiner eigenen Arbeit, dem »Heiligen Georg«. Daß in der »Geburt Christi« das Licht vom Christkinde allein ausgeht, welches das Licht in die Welt brachte, ist ein schöner Gedanke; und da das Licht in der Mitte zusammengehalten ist, so macht es ein vollkommenes, harmonisches Ganzes. Aber in dem Bilde vom heiligen Georg sind wohl einzelne Teile vorzuziehen, z.B. der Arm, der mein[112] Erstaunen so erregte, wie nie ein anderes Kunstwerk getan hat. Auch das kleinere Bild von Correggio, »Die heilige Magdalena«, wie sie, umgekehrt von ihrem Lebenswandel, in einer Grotte auf der Erde liegt und mit Wohlgefallen in einem Buche liest! Ein Sonnenlicht fällt vom Himmel zwischen dem Haupthaar auf ihre Stirn, und das weiße Buch wirft einen klaren Widerschein in ihr Gesicht. Durch das Lesen erhält ihr Geist ein Licht, das die inneren Himmelsfreuden weckt, die in jedem Menschen liegen.

Einige Wochen hielt ich mich in Dresden auf und besuchte täglich die Galerie. Dann reiste ich nach Berlin, übergab meinen Empfehlungsbrief und eröffnete meinen Antrag an Ihre Hoheit die Prinzessin Ferdinand. Diese hatte die Gnade, mich schon am folgenden Tage ihr Bildnis für ihre geliebte Schwester malen zu lassen. Sie führte mir ihre Kinder zu, die Prinzessin Luise, die Prinzen Heinrich und Louis; auch stellte sie mich ihrem Gemahle, dem Prinzen Ferdinand, vor. Nachdem ich alle gesehen hatte, entwarf ich meine Komposition, und das Bild wurde angefangen. Ich wohnte bei ihr im Schlosse zu Friedrichsfelde, ging aber oft in die Stadt, wo ich mehrere Porträts aufnahm, unter anderen das vom Minister Finkenstein, welches ich dreizehnmal für seine Freunde kopieren mußte. Einmal auch malte ich ihn in ganzer Figur in Lebensgröße in seiner Ordenskleidung als Johanniter-Ritter. So häuften sich die Arbeiten immer mehr, und ich hatte sogar das Glück, Ihre Majestät die Königin zu malen, welche gleichfalls gegen mich äußerte, daß sie ihr Porträt gerade von mir zu haben wünsche, weil sie gehört habe, daß ich so schnell male, denn das lange Sitzen würde ihr unangenehm. Es schien mir übrigens, als spräche sie gern über die Kunst, und ich sann vorher darauf, wie ich sie während des Sitzens unterhalten wollte, damit sie nicht Langeweile hätte. Zur bestimmten Zeit wurde das Nebenzimmer, wo ich sie malen sollte, mit Hilfe der Bedienten gehörig eingerichtet und die[113] Fenster mit Tüchern behängt, damit das Licht recht vorteilhaft auf das Original falle. Als nun die Staffelei und das Tuch in Ordnung gebracht und der Stuhl zurechtgestellt war, trat die Königin herein und setzte sich gerade so, wie ich es wünschte. Ich fing sogleich beim Arbeiten eine Erzählung an über die Malerei, wobei sie mit Gefallen zuhörte, und wenn ich es nötig fand, daß sie den Mund bewegte, tat ich eine Frage, worauf sie etwas erwidern mußte. So waren rasch drei Viertelstunden vergangen, und ich stand auf und dankte für die gehabte Geduld. Die Königin glaubte, daß sie sich anders setzen müsse, und war sehr verwundert, als ich erwiderte, daß ich schon fertig sei. Mehrere Damen des Hofes kamen nun herbei und jauchzten über die große Ähnlichkeit des Bildes; ein alter Bedienter trat auch herein, und als er es sah, fing er an zu weinen und sagte: »Unsere gute Preußenmutter, wie sie leibt und lebt!« Ich mußte noch einige Kopien davon machen. Das Original schickte die Königin an die Mutter des Kronprinzen. Als diese denselben Abend Assemblée bei sich hatte, stand zufällig eine Dame mit dem Rücken gegen die Wand gekehrt, wo das Bild kurz vorher etwas niedrig aufgehängt war; indem sie sich nun eben umdrehte, glaubte sie, die Königin selbst zu sehen, und wollte sich entschuldigen, daß sie nicht auf die Seite getreten sei. Diese Täuschung der Dame machte großes Aufsehen in der Assemblée. Vielleicht tat sie auch nur so, um der Prinzessin über das Geschenk der Königin ein angenehmes Kompliment zu machen. Genug, mir brachte es großen Vorteil, denn es sprach sich in der Stadt herum, und ich bekam so viel Bestellungen, daß ich oft drei Porträts in einem Tage machte.

Ich gewann nun auch immer mehr Fertigkeit, in weniger Zeit die Hauptzüge und das Charakteristische eines Gesichtes aufzufassen, so daß ich oftmals den Kopf, den ich porträtieren sollte, nicht einmal mit Kreide vorzeichnete, sondern gleich mit Pinsel und Farben anfing. Die vielen[114] Bestellungen veranlaßten mich, meinen jüngsten Bruder Jakob zu mir kommen zu lassen. Er sollte mir helfen, zugleich aber die Welt kennenlernen, wozu es mir in meiner Jugend an Gelegenheit gefehlt hatte. Ich hielt ihm verschiedene Lehrer, vorzüglich zum Unterricht in der Geometrie und Perspektive, die einem Maler zu wissen sehr nötig sind, und um ihn im Porträtmalen vorwärtszubringen, suchte ich ihm Menschen auf mit Charakterköpfen und bezahlte sie, daß sie ihm den ganzen Tag säßen und er recht danach studieren könnte. Einige Köpfe zeichnete ich auch mit ihm zugleich, um ihn durch die Vergleichung der Arbeit auf das Notwendige und Fehlende aufmerksam zu machen. So führte ich in Berlin ein sehr angenehmes Leben. Täglich hatte ich die schönste Gesellschaft bei mir versammelt, und durch diese wurden Empfindungen in meiner Seele geweckt, welche genährt zu werden verlangten; und ich fand, daß die Phantasie Stoff zu Geisteswirkungen geben könne, die von dem bloß mechanischen Wirken ganz verschieden sind.

Der Minister Herzberg gab mir häufig Merkmale seines Wohlwollens; ich fuhr öfter mit ihm sonntags auf sein schön eingerichtetes Landgut, wo sich Gelehrte und Männer von Verdiensten um ihn versammelten. Wir gingen miteinander spazieren, und er schien mit besonderem Wohlgefallen zu bemerken, wenn wir über die Schönheiten der Natur sprachen, daß ich alles mit Aufmerksamkeit betrachtete, vorher schon betrachtet hatte und frei und unbefangen die Empfindungen meines Gemüts äußerte. Die vielen Beweise seiner Gewogenheit hätten mich stolz machen können, aber sie demütigten mich; und wenn er mich wegen meines Porträtmalens lobte und ehrte, so glaubte ich nur, daß er eine Anlage in mir finde und daß er mich zu ermuntern suche, diese so auszubilden, daß ich dereinst Werke hervorzubringen vermöchte, die mich seines Beifalls würdig machten. Ja, ich fühlte oft den Wunsch in mir, mich mit Eicheln[115] und Wasser zu begnügen, um seine Güte zu vergelten und ihm zu beweisen, daß er sich nicht geirrt habe in mir. Ich wollte Größeres leisten, nur konnte ich von dem gewöhnlichen Porträtmalen nicht abgehen, weil ich nicht Mittel besaß, Bilder zu schaffen, worauf ich viel Zeit hätte verwenden müssen und wofür ich dann doch nicht einmal eine sichere Einnahme erwarten konnte. Am Ende wurden mir auch solche modernen Porträts mit den gepuderten Haaren und den geschminkten Wangen, wo man nie die Natur malen kann, weil die Originale selbst, nicht wahr sind, zuwider.

Erwähnen muß ich wenigstens noch, daß sich auch König Friedrich Wilhelm, der Vater des großen Friedrich, von den Regierungsgeschäften abmüßigte und malte. Ich selbst sah hier sehr schöne Bilder von ihm, besonders ein paar alte Köpfe nach Abraham Bloemaert.

Um die nämliche Zeit erhielt ich einen Brief aus Kassel, worin mir angetragen wurde, als Pensionär der Akademie auf drei Jahre zum Studium nach Italien zu reisen. Der Landgraf hatte es bei seiner Akademie so eingerichtet, daß er alle drei Jahre einen der Zöglinge nach Italien schickte, der sich dort in der Kunst vervollkommnen sollte. Da ich nun der erste war, der bei der Stiftung der Akademie dort gearbeitet hatte, so wurde ich gewählt und im Namen aller Mitglieder gefragt, ob ich es annehmen wolle. Dies kam mir zur gelegenen Zeit; alle meine Freunde wünschten mir Glück zu einer Reise in das Land, wo der menschliche Geist in großen Werken der Kunst so schön geblüht. Doch kostete es einigen Kampf, die erfreulichen Verhältnisse in Berlin aufzugeben. Meinen Bruder konnte ich für jetzt nicht mitnehmen, ich mußte erst sehen, ob in Italien alles gut ginge; dann sollte er nachkommen. Ich schickte ihn nach Dresden, dort in der Galerie zu studieren. Dann ließ ich einige ärmere Maler zu mir kommen und gab ihnen, was ich nur irgend entbehren konnte. Mein schönes englisches Pferd, welches[116] ich für meinen Bruder zu seinem Vergnügen und seiner Gesundheit wegen angeschafft hatte, schenkte ich einem Freunde und trat nun meine Rückreise an nach Kassel, wo ich den jungen Forster wiederfand, den ich in Berlin kennenlernte und der jetzt in Kassel angestellt war. Ich besuchte noch einmal meinen Vater und meine Geschwister; sodann ward ich durch meinen Onkel dem Herrn Landgrafen vorgestellt, der mir selbst meine Reiseroute vorschrieb. Ich sollte gerade nach Rom gehen und dort studieren und erst auf der Rückreise die anderen Städte von Italien sehen. Auch ließ er mir durch seinen Minister Empfehlungsbriefe mitgeben und äußerte zugleich gegen meinen Onkel, daß ich demnächst dessen Nachfolger bei der Akademie werden sollte. Nun nahm ich noch Abschied von der Frau Landgräfin, und alle meine Angelegenheiten waren somit geordnet. Ich wollte den Freuden der Welt entsagen und dort nur mit Menschen umgehen, von denen ich etwas lernen könnte.

Meine Abreise von Kassel geschah 1779, den 15. Oktober, am jährlichen großen Bettage. Der Polizeiknecht wollte meinen Koffer nicht wegbringen lassen, weil an diesem Tage niemand etwas über die Straße tragen durfte.

Quelle:
Tischbein, Heinrich Wilhelm: Aus meinem Leben. Berlin 1956, S. 104-117.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Raabe, Wilhelm

Der Hungerpastor

Der Hungerpastor

In der Nachfolge Jean Pauls schreibt Wilhelm Raabe 1862 seinen bildungskritisch moralisierenden Roman »Der Hungerpastor«. »Vom Hunger will ich in diesem schönen Buche handeln, von dem, was er bedeutet, was er will und was er vermag.«

340 Seiten, 14.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon