Kapitel VIII.
De sophistica
oder
Von der betrüglichen Weltweisheit

[61] Aber viel mehr Wunderwerke und grössere Zeichen setzt hierzu die neue Schule der betrüglichen Welt-Weisheit-Künstler, von ihren Terminis de Infinito, de Comparativis, de Superlativis usw., mit welchen sie alle Sachen, welche an sich selber ganz falsch und unmöglich sind, für wahr behaupten wollen, da hingegen die, so wahr sind, dieselben verderben diese Leute gleichsam, als wenn sie aus dem Trojanischen Pferde herausgekommen wären.

Es sind ihrer, die nur drei Praedicamenta, auch nur zwei Figuren bei dem Syllogismo annehmen, und billigen nur acht Arten derselben; die modalischen Propositiones aber und die konkretischen und abstraktischen Termini werden von ihnen ausgelacht.

So sind ihrer auch, die elf Praedicamenta statuieren und vier Figuren in Syllogismis zählen; diese ververmehren[61] die Praedicabilia und numeros Causarum, und sinnen so viel unüberwindliche Skotische Subtilitäten aus, dass des Cleanthis und Chrysippi Arglistigkeiten ganz grob und bäurisch scheinen, wenn sie gegen diese neuen sophistischen Erfindungen gesetzt werden sollten, in welchen nun fast an allen Orten der ganze scholastische Haufe mit elender und verderblicher Mühe und Fleiss beschäftigt ist, und nichts mehr zu tun zu haben scheinet, als dass sie lernen irren und mit einem kontinuierlichen solchen Federgefechte die Wahrheit verdunkeln, oder gar unleuchtend machen. Ihre ganze Disziplin ist nichts anders als nur ein ärgerlicher Wortfang und ein listig Gespötte, die die gemeine Art zu reden verkehret und der Zunge Gewalt tut, die die Wahrheit nach ihrer schmählichen Auslegung unterdrückt und nur ihre Ehre im Lästern sucht. Ihnen ist nicht soviel um die Victorie als um Streit, nicht soviel um die Wahrheit als um Zänkerei zu tun, also dass unter ihnen der Vornehmste ist, welcher nur wacker schreien und unverschämt sein kann; von welchen Petrarca saget: entweder es ist die Schande ihrer Stilart oder das Bekenntnis ihrer Unwissenheit, dass sie mit der Zunge unversöhnlich sind; sie streiten nicht mit der Feder; sie halten sich auch mit ihren schlechten Fratzen nicht lange auf; derowegen suchen sie nach der Parther Gewohnheit den Streit in der Flucht, und reden so was in Wind hinein.

Denn diese sind es, die Quintilianus im Disputieren sehr verschmitzt nennet; wenn sie aber mit ihren spöttischen Reden aufhören, so haben sie bei einem rechtschaffenen Werke nicht mehr getan als kleine Tierlein, welche in engen Klunzen sich aufhalten und nicht auf das platte Feld kommen. Also scheuen sie das Feld, ihre Winkelzüge sind lauter Schwachheiten, welche nicht weit laufen können, sondern bald auf die Knie fallen. So fürchten sich auch diese Weltbetrüger, für Mitschreibern und mit Büchern zu streiten;[62] mit Geschrei, das nicht haften bleibt, mit der Kraft der Zunge streiten sie, nicht aber mit der Feder, damit es die Ohren bald vergessen möchten, und meinen, es sei nichts daran gelegen, ob man die Vernunft zu Rate ziehe, wenn man nur eine Instanz geben kann. Man hätte sich nicht darum zu bekümmern, was einer meinte oder redete, wenn es nur geplaudert und wacker gestritten ist, denn wer der Schwatzhaftigste ist, der ist unter ihnen der Gelehrteste. Mit diesen Gauklereien gehen sie nach den Schulen, Gassen und Strassen und suchen ihre Gegner; die bitten sie, dass sie möchten zusammenkommen, da bringen sie ungewöhnliche Sachen vor, machen viel Umschweife, als wenn man in einem grossen Irrgarten wäre; wenn aber einer nicht will oder hat Verdruss, sich mit ihnen einzulassen und zu streiten, so kommen sie mit einer betrügerischen Frage aufgezogen und wollen ihn, wenn er antwortet, so unversehens eines Irrtums bezichtigen, oder wenn er was negiert, so lachen sie ihn aus und wollen auf allen Seiten die Ehre ihrer Wissenschaft sich beimessen. Aber lasset uns doch sehn, was wir in der Kirche Christi für Früchte aus der Dialectica und von ihren Weisheitskünstlern haben und erlangen können. Denn indem sie nicht eins sind, was uns dieselbe lehrt, so wollen sie uns mit ihren betrügerischen und verführerischen Rationibus konfundieren, durch welche wir ihnen gar zu viel Glauben beimessen, von dem Licht der Wahrheit abweichen, in die Finsternissen geraten und darinnen so verwickelt und verblendet werden, dass sie Meister und Führer der Blinden werden, und mit ihren falschen Beweistümern viel in die Hölle hineinführen, und schweben also kontinuierlich auf der Tiefe der Unwissenheit und auf dem Meer des Irrtums herum, und verführen nach Art der Schlange die ungelehrten simpeln Leute mit ihren betrügerischen Worten, dass sie ihren erdichteten Sachen Glauben geben müssen und erheben diese oftermals so hoch,[63] dass die Leute überredet werden, als ob die heilige Theologie ohne die Logica und Dialectica oder ohne diese zänkischen Weltkünstlereien nicht bestehen könnte.

Ich muss zwar gestehen, dass die Dialectica zur Schriftgelehrsamkeit viel tut, aber ich sehe nicht, was sie zur Theologie nützlich sei, denn es besteht ihr ganzes Tun und Wesen in einer zierlichen Rede. Denn Christus hat uns nicht vergebens versprochen, wenn er sagt: Bittet, so werdet ihr nehmen. Derohalben ehe und bevor diese zänkischen Schriftgelehrten die Dialectica lernen, so erlangen die Rechtgläubigen Christi von ihrem Meister selbst die Wahrheit. Überdieses so können wir durch die Dialectica nicht höher kommen, als endlich durch viele Umschweife zu der Philosophie. Aber durch ein gläubiges und andächtiges Gebet kommen wir durch den rechten und wahren Weg zur höchsten Weisheit geistlicher und weltlicher Dinge. Dahero irren diejenigen sehr, die da statuieren, die Dialectica sei unter allen das stärkste Werkzeug, die Ketzer auszurotten; da sie doch vielmehr ein Schutz ist aller Ketzer. Auf diese Kunst haben sich schon längst verlassen Arius und Nestorius, die Ketzer, und sind so leichtfertig närrisch gewesen, dass jener etliche und durch gewisse Gradus und Zeiten unterschiedene Substantias in der Dreifaltigkeit geglaubt; dieser aber, dass Maria die Jungfer Theotokos gewesen, geleugnet, weil sie mit ihren betrüglichen Reden die göttlichen Sachen verkehret und mehr den Aristotelischen Schwärmereien Glauben beigemessen haben.

Denn aller Ketzer Lehren, spricht Hieronymus, hat unter des Aristotelis und Crysippi Dornbusch Sitz und Ruhe genommen. Dahero sagt Eunomius, was aufgekommen ist, das ist nicht gewesen, ehe es ist geboren worden. Auch Manichaeus, damit er Gott liberierte von Stiftung des Bösen, so hat er einen andern Erschaffer[64] des Bösen eingeführt, und Novatianus gibt keine Verzeihung zu, damit er die Besserung nicht statuieren dürfe, und von diesen Brunnen entspringen alle der Ketzer Lehren; denn es wird nichts gesagt, das nicht eine Gegenrede annimmt, noch findet sich ein Beweis, der nicht durch einen andern könnte abgelehnt werden; dahero kommt's, dass die Menschen durch die Sophisterei zu keiner Endschaft einer rechten Wissenschaft und zu keiner Erkenntnis der Wahrheit kommen können, sondern wie es vielen widerfahren, dass sie von der Wahrheit in eine Ketzerei gefallen sind, indem sie geglaubt, dass sie durch falsche logistische Beweistümer den Schein der rechten Wahrheit gefunden hätten. Dahero hat Plato selbst dafürgehalten, dass man durch diese Kunst allzu spät zur Wahrheit, indem sie auf beiden Achseln trägt, kommen könnte. Und dieses sei von der Dialectica geredet.[65]

Quelle:
Agrippa von Nettesheim: Die Eitelkeit und Unsicherheit der Wissenschaften und die Verteidigungsschrift. München 1913, Band 1, S. 61-66.
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