Kapitel XXII.
De geometria
oder
Von der Feldmesskunst

[95] Die Geometrie, welche Philo Judaeus die vornehmste und Mutter aller Disziplinen nennet, hat für andern dieses Lob, dass weil unter den Sekten oder Disziplinen immer ein grosser und unzähliger Streit entstanden, so sind doch die Erfahrenen dieser Wissenschaft noch ziemlich eins miteinander und erwecken keinen sonderlichen Streit, es müsste denn der sein, dass sie von Punkten und Linien miteinander disputierten, ob diese zu teilen oder nicht zu teilen; wegen der Doctrin aber an sich selber sind sie nicht streitig, und suchet einer den andern mit neuen und subtilen Erfindungen, welche niemals keiner hat ersonnen, zu übertreffen; doch hat noch keiner unter ihnen die Quadratura des Zirkels, noch die den Bogen gleiche Linien erfunden, und obgleich Archimedes, dass er solche erfunden hätte, in denen Gedanken gestanden, auch viel Nachkommen bis auf diese unsere Zeiten, solches aber vergebens sich unterstanden, ob sie schon nahe dazu gekommen sind; so ist doch ihr Ehrgeiz so gross, dass sie bei den alten Traditionen nicht bleiben, sondern dass sie mehr, als ihre Lehrmeister erfunden[95] hätten, sich gerühmet und sich damit so närrisch gebärden, dass in der ganzen Welt nicht Niesewurz genug wäre, sie zu purgieren.

Aus dieser Kunst kommen her alle Handwerksinstrumenta, Maschinen, die zum Kriege und andern Nutzen gebrauchet können werden, als da sind die Mauerbrecher, die Schilde und Schanzkörbe, Feuermörser, Armbruste, bewegliche Brücken, Geschütze, Sturmleitern, die Türme auf Rädern, Schanzen, Schiffbrücken, Mühlen, wie auch viel andere Instrumenta mehr, womit man mit wenig Kraft grosse Lasten an sich ziehen und in die Höhe bringen kann, überdieses auch alles, was mit Gewichten, Wasser, Luft und andern dergleichen arbeitet, als wie die Uhren, welche durch das Gewicht fortgetrieben werden, oder was durch den Wind ein Getöne gibet, oder durch Wasser getrieben oder Wasser bewegt, wie Pumpen, Mühlen, oder auch was sonst aus diesen zur Lust und Ergötzlichkeit oder Verwunderung gemachet wird, als springende Bälle, künstliche Laternen, die ihren Docht von selbst in die Höhe ziehen, Kürbse so von sich selber brennen, und was Politianus von einem Tier gedenket, das, indem man es auf der Tafel aufgeschnitten, so hat es geseufzt und geschrien und getan, als wenn es lebendig wäre.

Durch diese Kunst, erzählet Mercurius, hätten die Ägypter die Bildnisse ihrer Götter so artig verfertiget, dass sie reden und fortgehen können. Auch der Archytas Tarentinus, der hat auf solche Art eine hölzerne Taube gemacht, dass sie sich in die Höhe geschwungen und weggeflogen ist. Ja wir lesen, dass der Archimedes, so einen künstlichen ehernen Himmel gemacht habe, dass der Lauf aller Planeten hat können vollkommen wahrgenommen werden, dergleichen Werk wir noch für wenig Tagen gesehen haben. Von dieser Kunst kommen her unterschiedene Arten Geschütze und Büchsen, Raketen und andere feuerspeiende Instrumenta, von welchen ich neulich unter dem Titel Pyrographia ein absonderlich Buch geschrieben habe,[96] welches mich aber nun gereuet, weil es nichts anders als ein schädlich Meisterstück in sich hält. Endlich, was da ist künstlich im Malen, im Weltmessen, im Ackerbau, in der Kriegswissenschaft, Baukunst, Töpferkunst, Bergwerkkunst und andern Sachen, das kommt meistenteils von der Geometrie her.[97]

Quelle:
Agrippa von Nettesheim: Die Eitelkeit und Unsicherheit der Wissenschaften und die Verteidigungsschrift. München 1913, Band 1, S. 95-98.
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