Kapitel XXII.
De optica vel perspectiva
oder
Von der Perspectivkunst

[98] Auf die Geometrie ist die nächste die Perspektivkunst, hernach die Weltmesskunst. Aber von der Art zu sehen, sind viel und unterschiedene Meinungen. Plato hält dafür, dass das Licht, das aus den Augen strömt, dem Lichte begegnet, das von dem Körper ausgeht, und so das Sehen zustande kommt. Galenus ist mit dem Platone einig; Hipparchus aber spricht, dass die Strahlen der Augen, so auf sichtbare Dinge eingerichtet, gleichsam als wenn sie sie betastet hätten, sie zu dem Gesicht zurückbringen.

Dahero dienet diese Wissenschaft, wenn man begreifet den Unterscheid, die Distanz, die Grösse und Bewegung der corporischen Sachen, die über uns sind. Sie hilft auch den Baumeistern im Abmessen der Häuser, am nächsten aber gibt sie viel Zierat der Malerei und Perspektivkunst, ohne welche diese nicht können exerzieret werden. Denn sie weiset, mit was für einer Art die Ungestalt in Bildern vermieden werden kann.[98]

Quelle:
Agrippa von Nettesheim: Die Eitelkeit und Unsicherheit der Wissenschaften und die Verteidigungsschrift. München 1913, Band 1, S. 98-99.
Lizenz:
Kategorien: