Kapitel XXVII.
De cosmimetria
oder
Von der Weltbeschreibung

[106] Hierauf wollen wir nun von der Weltbeschreibung ein wenig reden, welche an sich selbst geteilet wird in Cosmographiam und Geographiam; beide teilen die Welt auf gewisse Masse ab. Aber die erste nach Lage der Sterne, sie misset nach derselben Distinktion der Erde Umkreis, und was für Orte in derselben zu finden, mit gewissen Graden und Minuten, und erweiset den Unterschied der Klimatum, Tag und Nacht, der Gestirne Aufgang und Untergang, Elevation des Poli, den Schatten der Uhr und andere Sachen mehr, welche sie mit mathematischen Gründen und Ursachen beweiset. Die andere aber misset der Welt Umkreis durch gewisse Meilen und Stadien, durch Berge, Wälder, Flüsse, Meer und Ufer, und weiset uns die Völker, Königreiche, Länder und Städte und was sonsten hierbei denkwürdig ist, nach dem Vers:


Ac patrios omnes cultus habitusque locorum,

Et quid quaeque ferat regio, et quid ferre recuset.


Das ist: Die gewöhnlichen Trachten und Sitten eines jedweden Orts, auch was eine jegliche Landschaft vor Beschaffenheit und was allda zu befinden[106] sei oder nicht. Sie zeigt uns, wie der Maler, nach geometrischer und perspektivischer Art die ganze Welt auf einem Globo oder auf einer ebenen Tabella repräsentieret:


Pingens in parvo totum volumine mundun.


Das ist: Auf einer kleinen Tafel wird die ganze Welt vorgestellet. Unter diese Art wird von vielen gezählt die Beschreibung eines Landes insonderheit und deren Örter.


Ornatu vario partes distincta per omnes

Vitibus et sylvis, pratorum fontibus agris

Aequora, quaeque rigent humentia flumina, corpus.

Inque humiles premitur valles, ubi surgit in altum,

Verticibus celsis tollens ad sidera montes.


Das ist: Es wird vorgestellet, was an einem jeden Orte absonderlich vor Trachten, was vor Weingewächse, Wälder und Wiesen, auch was vor Ströme und Wasserflüsse allda sind, ingleichen, was überall vor tiefe Täler und hohe Berge zu befinden. Dieses alles und was wir jetzo gesagt haben, verspricht uns die Weltbeschreibung; aber die uns solche lehren sollen, unter denen entstehet mancher Streit, sie streiten von Grenzen, von den Längen, von den Breiten, von der Grösse, von Mass und Distanz der Climatum und derselben Bewohnung, welche anders Eratosthenes, anders Strabo, anders Marinus, anders Ptolomäus, anders Dionysius, anders die jetzigen Neuen auslegen. So sind sie auch nicht einig wegen des Centri der Erden, welches Ptolomäus in den Aequinoctialzirkul setzet, Strabo aber hat dafürgehalten, dass solches auf dem Berg Parnasso in Griechenland anzutreffen sei, welchem Plutarchus und Lactantius beipflichten, die dafürgehalten, dass zur Zeit der Sündflut dieser zum Unterschied zwischen den Himmel und Wasser wäre gemachet worden, wie Lucanus dieses beschreibt:


Hoc solum fluctu terras mergente cacumen

Emicuit, pontoque fuit discrimen in astris.


Das ist: Dessen Spitze hat in der Sündflut allein hervorgeraget und ist der Unterscheid zwischen dem[107] Himmel und Wasser gewesen. Wenn aber diese Ratio gelten sollte und genug wäre, so wäre ja das Mittel der Erden nicht auf dem Berge Parnasso, sondern auf dem Gordico, einem Berge in Armenien anzutreffen, welcher, wie Berosus Zeuge ist, der erste gewesen, welcher bei der Sündflut hervorgestossen und die Archa Noae zu sich genommen hat. Andere bringen andere Sachen für und sagen, wie durch den Flug des Adlers das Mittel der Erden sei erfunden worden; so sind auch Theologi, welche sich darum bekümmern und wollen, dass zu Jerusalem das Mittel der Erde zu finden sei, weil durch den Propheten geschrieben ist: Deus operatus est salutem in medio terrae. Gott hat das Heil zuwege gebracht im Mittel der Erden.

Dieser Meinung pflichten bei Lucretius, Lactantius und Augustinus, welche die Antipodas beständig negieren, und die, welche geleugnet haben, dass ausser Europa, Asia und Afrika noch eine bewohnte Welt zu finden sei, welches wir aber durch der Spanier und Portugieser Schiffahrten anders erfahren haben, die auch den ganzen Umkreis der Welt, wider der Poeten Geschwätze und des Aristotelis falscher Meinung, uns als bewohnt gewiesen haben. Andere Irrtümer dieser Wissenschaft betreffend haben wir eben bei der Historienbeschreibung erzählet; aber indem diese Kunst die ganze Erde und das unerforschliche Meer, die Gelegenheit und Grenze der Insuln und Länder, unzähliger Völker ungewisse Ursprünge, Sitten und Arten uns zu lernen sich unterstehet, so haben wir keinen andern Nutzen davon, als dass wir, indem wir begierig sind, fremde Sachen zu erforschen, uns selbst nicht lernen erkennen. Wie Augustinus in seinen Confessionibus saget: Eunt homines admirari alta montium, et ingentes fluctus maris, et latissimos lapsus fluminum, et Oceani ambitum, et gyros siderum, et relinquunt seipsos. Das ist: Die Menschen verwundern sich über die Höhe der Berge, über die erschrecklichen Meereswellen, über den Abfall der Ströme, über den Umfang des weiten Ozeanischen Meeres und über den[108] Kreis und Umlauf der Gestirne, vergessen aber hierüber ihrer selbsten.

Es saget auch Plinius: Insaniam esse metiri terram, quam dum metimur saepissime mensuram egredimur. Das ist: Es sei eine Torheit, die Erde zu messen, weil wir, indem wir sie messen, oftmals das Mass überschreiten.[109]

Quelle:
Agrippa von Nettesheim: Die Eitelkeit und Unsicherheit der Wissenschaften und die Verteidigungsschrift. München 1913, Band 1, S. 106-110.
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