Kapitel XXVIII.
De architectura
oder
Von der Baukunst

[110] Es ist kein Zweifel daran, dass die Baukunst, sowohl den gemeinen öffentlichen als Privatgebäuden viel Nutzen und Zierat schaffe, Wände und Dächern, Mühlen und Wagen, Brücken und Schiffe, Tempel und Kirchen, Mauern und allerlei Art Gebäude, mit welcher des Menschen Tun für sich und insgemein kann gezieret werden. Eine Kunst, die sonst an sich selbst zwar sehr nötig und ehrlich ist, wenn sie nicht der Menschen Gemüt zu sehr einnähme und bezauberte, also, dass fast niemand gefunden werde (wenn nur die Mittel nicht ermangelten), der nicht, ob es schon zuvor gebauet, nicht wieder anders zu bauen Lust hätte; und durch diese unersättliche Begierde zu bauen ist es dahin gekommen, dass in dieser Sache kein Ziel, Mass, noch Ende ist gesetzet worden. Dahero sind Berge abgetragen, Täler vollgefüllt, Hügel gleichgemacht, Steinfelsen durchgraben, daher des Meeres aufgetane Vorgebirge, ausgehöhlte Erdenklüfte, ausgegrabene und in das Meer geleitete Flüsse, ausgeschöpfte Seen, ausgetrocknete Sümpfe und Lachen, zusammengebrachte Meere, ersonnene Seetiefen, neuformierte[110] und wieder mit dem Festlande verbundene Insuln am Tag gekommen.

Welches alles, und dergleichen noch vielmehr, ob es wohl mit der Natur selbsten streitet, doch bisweilen der ganzen Welt nicht wenig Nutzen gebracht hat. Aber wir wollen dieses gegen dasjenige halten, welches den Menschen gar keinen Nutzen bringet, und das nur bloss zum Anschauen und zur Verwunderung, oder, wie Plinius saget, zur Pracht und Ostentation, dass einer oder der andere Geld hat, mit grossen Unkosten aufgebauet wird, dergleichen sind der Ägyptier, der Griechen, der Italiener, der Babylonier und anderer Völker übernatürliche und wundersame Gebäude, als die Irrgärten, die Pyramides, Obelisci, Colossi und Mausoläi, des Rhampsinit, Sesostris und Amasis übernatürliche Statuen und der wunderliche Sphynx, in welchem der König Amasis begraben lieget, welcher, wie Plinius saget, von natürlichem Stein ausgehauen, wovon der Umkreis vorn an der Stirne auf hundertundzwei, die Länge hundertdreiundvierzig Fuss gezählet wird. Aber es gibt noch viel grössere Gebäude, als da ist des Memnonis und Semiramidis auf dem Bagisianischen Berge, ein Bild von siebzehn Stadien. Welches Werk doch lange übertroffen hätte derjenige Baumeister, er mag gewest sein, wer er wolle, entweder Stesicrates, wie Plutarchus meinet, oder Dinocrates, wie Vitruvius dafürhält, welcher aus dem Berge Athos des Alexanders Bildnis zu machen versprochen hatte; und Alexander hätte eine Stadt von zehntausend Einwohnern zwischen den Händen gehalten. Wir wollen zu diesen auch rechnen die Babylonische Warte, deren Grund, wie Herodotus bezeuget, auf allen Orten hundertfünf- und zwanzig Schritte in sich begreift; jenen Turm, welcher in der Tiefe des Meeres auf gläsernen Säulen überbauet gewesen. Hierzu kommen die Gordianischen Häuser, die Arcus triumphales, der Götter Tempel, und sonderlich der Dianae zu Epheso, daran ganz Asien zweihundert Jahre gebauet hat, und die in Ägypten bei der latonischen Kirche von einem Stein aufgebaute[111] Kapelle, welche vierzig Ellen lang, und mit einem Steine bedeckt war, auch des Assyrischen Königs Nabuchodonosors Bild aus Gold, welches sechzig Ellen an der Grösse gehalten und kapital gewesen, wer es nicht angebetet; auch noch ein anderes von vier Ellen lang aus einem grossen Topas, zu Ehren einer Ägyptischen Königin gemacht.

Hierher gehören auch unsere stolzen und prächtig aufgebauten Kirchen und Glockentürme, dadurch das geistliche Geld und Almosen verschwendet wird, dadurch viel Arme (Christi wahre Kirche und Gliedmassen) inzwischen hungern, dürsten, frieren, krank sind und Not leiden müssen, welches viel besser wäre, dass diese unterhalten würden.

Aber was auch oftermals für Schaden und Verderbnis diese Kunst dem Menschen zuwege gebracht hat, das weisen die feindlichen Schlösser und Kriegsfestungen aus, und geben uns die Steinhaufen genugsam Zeugnis, und das nicht allein auf der platten Erde, sondern wir sehens auch, dass sie Schiffe wie Schlösser und Läger gebauet haben, mit welchen sie wie Piraten nicht allein auf dem gefährlichen Meere schiffen, sondern auch gar darauf wohnen; und ob wir schon von Natur selbsten in tausenderlei Gefahr auf dem Meere eingewickelt sind, so bringen sie uns doch durch dieses Schiffen in viel grössere Gefahr, indem man eben auf dem Meere so stiehlet, raubet und Krieg führet, wie auf der festen Erde.

Von dieser Baukunst haben geschrieben erstlich Agatharchus, ein Athenienser, hernach Democritus und Anaxagoras; wiederum Silenus, Archimedes, Aristoteles, Theophrastus, Cato, Varro, Plinius, endlich Vitruvius. Von den neusten aber Leo Baptista, Lucas und Albertus Durerius.[112]

Quelle:
Agrippa von Nettesheim: Die Eitelkeit und Unsicherheit der Wissenschaften und die Verteidigungsschrift. München 1913, Band 1, S. 110-113.
Lizenz:
Kategorien: