Kapitel XXXV.
De chiromantia
oder
Von Weissagung aus den Händen

[140] Die Chiromantie erdichtet sieben Berge, nach der Zahl der Planeten, in der flachen Hand des Menschen und aus den Linien, welche da gesehen werden, judiziert sie, was der Mensch von Complexion sei, was er für Affekten habe, ob er glückselig sei; das alles, sagen die Chiromantici, könnte man erkennen durch die Korrespondenz der Lineamenten, gleich als durch himmlische Zeichen, welche Gott und die Natur in uns gepflanzet, und welche Gott, wie Hiob spricht: posuit in manibus hominum, ut inde noscat unusquisque opera sua. Oder: gesetzet hat in die Hände der Menschen, dass daraus ein jedweder seine Werke erkennen kann; obgleich der Prophet daselbst nicht von der Chiromantischen Eitelkeit, sondern von der Libertät und freien Willen geredet hat. Überdieses so bescheinigen diese Wahrsager ihr Tun, und sagen, ob sie gleich nicht nach den wahren Ursachen urteilten, so judizierten sie doch nach den Signis und nach der Bedeutung, die aus solchen entstünden, und die mit ihnen überein kämen, der Sachen Effekt und Ausgang und geben vor, diese Kunst hätte vor Zeiten der[140] Pythagoras gebrauchet, welcher der Knaben Sitte, Natur und ihr Ingenium aus der Beschaffenheit ihres Mundes, ihres Gesichtes und Gestalt des ganzen Leibes hätte judizieren können, und welchen er also dann geschickt befunden, den hätte er zu seinem Diszipul angenommen. Dieses hätte auch der König Pharao, wie Philostratus erzählet, im Gebrauch gehabt. Aber dem Irrtum dieser Kunst können wir nicht mit besserer Vernunft widerstehen, als dass wir sagen, dass sie aus keiner Vernunft bestehe.

Hiervon haben geschrieben von den Alten viel wackere Leute, als Galenus, Avicenna, Julianus, Maternus, Loxius, Philemon, Palämon, Constantinus und Africanus. Aus den vornehmsten Römern ist L. Sylla und Cäsar Dictator in dieser Kunst curieus gewesen. Aus den Neuesten aber ist Petrus Apponensis, Albertus Teutonicus, Michaël Scotus, Antiochus, Bartholomäus, Michael Savonarola, Antonius Cermisonus, Petrus de Arca, Andreas Corvus, Tricassus Mantuanus, Johannes de Indagine und viel andere vornehme Medici. Aber alle diese insgesamt halaen uns nichts anders hinterlassen als blosse Konjekturen und einige Ungewisse Observationes. Dass aber aus diesen allen keine gewisse Reguln gemachet werden können, erhellet daraus, weil dergleichen Gedichte aus ihrem eigenen Willen herrühren, und über welche auch die Vornehmsten unter ihnen nicht einig sind. Dahero sind sie recht närrisch und irren diejenigen alle miteinander, welche durch diese Signa über des Menschen Komplexion und natürliche Disposition, über dessen Sitten und Affekten des Glückes und des Gemütes etwas wollen zuvor sagen, welches bei dem Iudicio des Zopyri von dem Sokrates gnugsam bewiesen ist. Noch kann uns zu einigem Glauben bewegendes Appioni hinterlassene Schrift, welcher berichtet, dass ein gewisser Alexander so ähnliche Bildnisse gemalet habe, dass der Wahrsager aus ihnen die Zeit des eingetretenen oder des zukünftigen Todes hätte judizieren können, welches nicht sowohl unglaublich als unmöglich ist.[141]

Aber es pfleget diese tandhändlerische Art dieser Leute auf Anregung des bösen Feindes so närrisch zu tun, dass sie aus dem Irrtum zur Superstition, und aus der Superstition zu dem schädlichen Unglauben geführet werden.[142]

Quelle:
Agrippa von Nettesheim: Die Eitelkeit und Unsicherheit der Wissenschaften und die Verteidigungsschrift. München 1913, Band 1, S. 140-143.
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