Gespräch des Yâjñavalkya mit Maitreyî.

[30] Bṛihadâraṇyaka-Upanishad 2,4.


Mit Erkenntnis des Âtman ist alles erkannt; er ist das objektlose Subjekt des Erkennens.


1. »Maitreyî!«, so sprach Yâjñavalkya, »ich werde nun diesen Stand [des Hausvaters] aufgeben; wohlan! so will ich zwischen dir und der Kâtyâyanî da Teilung halten.« –[30]

2. Da sprach Maitreyî: »Wenn mir nun, o Herr, diese ganze Erde mit allem ihrem Reichtum angehörte, würde ich wohl dadurch unsterblich sein?« – »Mit nichten!« sprach Yâjñavalkya, »sondern wie das Leben der Wohlhabenden, also würde dein Leben sein; auf Unsterblichkeit aber ist keine Hoffnung durch Reichtum.« –

3. Da sprach Maitreyî: »Wodurch ich nicht unsterblich werde, was soll ich damit tun? Teile mir lieber, o Herr, das Wissen mit, welches du besitzest.« –

4. Yâjñavalkya sprach: »Lieb, fürwahr, bist du uns, und Liebes redest du; komm, setze dich, ich werde es dir erklären, du aber merke auf das, was ich dir sage.«

5a. Und er sprach: »Fürwahr, nicht um des Gatten willen ist der Gatte lieb, sondern um des Selbstes willen ist der Gatte lieb; fürwahr, nicht um der Gattin willen ist die Gattin lieb, sondern um des Selbstes willen ist die Gattin lieb; fürwahr, nicht um der Söhne willen sind die Söhne lieb, sondern um des Selbstes Willen sind die Söhne lieb; fürwahr, nicht um des Reichtums willen ist der Reichtum lieb, sondern um des Selbstes willen ist der Reichtum lieb; fürwahr, nicht um des Brahmanenstandes willen ist der Brahmanenstand lieb, sondern um des Selbstes willen ist der Brahmanenstand lieb; fürwahr, nicht um des Kriegerstandes willen ist der Kriegerstand[31] lieb, sondern um des Selbstes willen ist der Kriegerstand lieb; fürwahr, nicht um der Welträume willen sind die Welträume lieb, sondern um des Selbstes willen sind die Welträume lieb; fürwahr, nicht um der Götter willen sind die Götter lieb, sondern um des Selbstes willen sind die Götter lieb; fürwahr, nicht um der Wesen willen sind die Wesen lieb, sondern um des Selbstes willen sind die Wesen lieb; fürwahr, nicht um des Weltalls willen ist das Weltall lieb, sondern um des Selbstes willen ist das Weltall lieb.

5b. Das Selbst, fürwahr, soll man sehen, soll man hören, soll man verstehen, soll man überdenken, o Maitreyî; fürwahr, wer das Selbst gesehen, gehört, verstanden und erkannt hat, von dem wird diese ganze Welt gewusst.

6. Der Brahmanenstand wird den preisgeben, der den Brahmanenstand ausserhalb des Selbstes weiss; der Kriegerstand wird den preisgeben, der den Kriegerstand ausserhalb des Selbstes weiss; die Welträume werden den preisgeben, der die Welträume ausserhalb des Selbstes weiss; die Götter werden den preisgeben, der die Götter ausserhalb des Selbstes weiss; die Wesen werden den preisgeben, der die Wesen ausserhalb des Selbstes weiss; das Weltall wird den preisgeben, der das Weltall ausserhalb des Selbstes weiss. Dieses ist der Brahmanenstand, dieses der Kriegerstand, dieses[32] die Welträume, dieses die Götter, dieses die Wesen, dieses das Weltall, was dieses Selbst (diese Seele) ist.

7. Mit diesem ist es, wie, wenn eine Trommel gerührt wird, man die Töne da draussen nicht greifen kann; hat man aber die Trommel gegriffen oder auch den Trommelschläger, so hat man [auch] den Ton gegriffen.

8. Mit diesem ist es, wie, wenn eine Muschel geblasen wird, man die Töne da draussen nicht greifen kann; hat man aber die Muschel gegriffen oder auch den Muschelbläser, so hat man [auch] den Ton gegriffen.

9. Mit diesem ist es, wie, wenn eine Laute gespielt wird, man die Töne da draussen nicht greifen kann; hat man aber die Laute gegriffen oder auch den Lautenspieler, so hat man [auch] den Ton gegriffen.

10. Mit diesem ist es, wie, wenn man ein Feuer mit feuchtem Holze anlegt, die Rauchwolken sich rings umher verbreiten; ebenso, fürwahr, ist aus diesem grossen Wesen ausgehaucht worden der Ṛigveda, der Yajurveda, der Sâmaveda, die [Lieder] der Atharvan's und der A giras', die Erzählungen, die Geschichten, die Wissenschaften, die Geheimlehren, die Verse, die Sinnsprüche, die Auseinandersetzungen und Erklärungen, – alle diese sind aus ihm ausgehaucht worden.

11. Dieses ist, – gleichwie der Einigungsort aller Gewässer der Ozean ist, – ebenso[33] der Einigungsort aller Tastempfindungen als Haut, und ebenso der Einigungsort aller Geschmacksempfindungen als Zunge, und ebenso der Einigungsort aller Gerüche als Nase, und ebenso der Einigungsort aller Gestalten als Auge, und ebenso der Einigungsort aller Töne als Ohr, und ebenso der Einigungsort aller Strebungen als Manas, und ebenso der Einigungsort aller Erinnerungen als Herz, und ebenso der Einigungsort aller Werke als die Hände, und ebenso der Einigungsort aller Lüste als die Scham, und ebenso der Einigungsort aller Entleerungen als der After, und ebenso der Einigungsort aller Gänge als die Füsse, und ebenso der Einigungsort aller Wissenschaften als die Rede.

12. Mit diesem ist es wie mit einem Salzklumpen, der, ins Wasser geworfen, sich in dem Wasser auflöst, also dass es nicht möglich ist, ihn wieder herauszunehmen, woher man aber immer schöpfen mag, überall ist es salzig; – also, fürwahr, geschieht es auch, dass dieses grosse, endlose, uferlose, aus lauter Erkenntnis bestehende Wesen aus diesen Elementen [Erde, Wasser, Feuer, Luft, Äther] sich erhebt und in sie wieder mit [dem Leibe] untergeht; nach dem Tode ist kein Bewusstsein, so, fürwahr, sage ich.« – Also sprach Yâjñavalkya.

13. Da sprach Maitreyî: »Damit, o Herr, hast du mich verwirrt, dass du sagst, nach[34] dem Tode sei kein Bewusstsein.« – Aber Yâjñavalkya sprach: »Nicht Verwirrung, wahrlich, rede ich; was ich gesagt, genügt zum Verständnisse:

14. denn wo eine Zweiheit gleichsam ist, da siehet einer den andern, da riecht einer den andern, da hört einer den andern, da redet einer den andern an, da versteht einer den andern, da erkennt einer den andern; wo aber einem alles zum eigenen Selbste geworden ist, wie sollte er da irgendwen riechen, wie sollte er da irgendwen sehen, wie sollte er da irgendwen hören, wie sollte er da irgendwen anreden, wie sollte er da irgendwen verstehen, wie sollte er da irgendwen erkennen? Durch welchen er dieses alles erkennt, wie sollte er den erkennen, wie sollte er doch den Erkenner erkennen?« –

Quelle:
Die Geheimlehre des Veda. Leipzig 1919, S. 30-35.
Lizenz: