Drei Priester von einem Bettler an Weisheit übertroffen.

[70] Chândogya-Upanishad 1,10–11.


1. In dem von Hagelschlag betroffenen Lande der Kuru's wohnte, mit seiner Gattin Âṭikî, Ushasti Câkrâyaṇa, indem er sich im[70] Dorfe eines reichen Mannes in Armut umhertrieb.

2. Da sah er den reichen Mann, wie er ein Gericht Bohnen ass, und bettelte ihn an. Der erwiderte ihm: »Es ist nicht mehr davon da, als was man mir hier vorgesetzt hat.«

3. »So gib mir von denen«, bat er, und jener gab ihm davon. »Da ist auch ein Trunk dazu«, fügte er hinzu. Aber der andre sprach: »Dann würde ich ja den Überrest eines andern trinken« [welches verunreinigt].

4. »Aber diese [von dir angenommenen Bohnen] hier sind doch auch ein Überrest.« – »Wenn ich die nicht ässe, so könnte ich nicht leben«, versetzte er, »aber Wasser zu trinken, steht in meinem Belieben.«

5. Nachdem er gegessen, brachte er die übrig gebliebenen seinem Weibe. Die aber hatte schon vorher reichlich zu essen gefunden, nahm jene in Empfang und verwahrte sie.

6. Am andern Morgen sprang er auf und rief: »Wüsste ich nur an Essen zu kommen [mich für die Wanderung zu stärken], so wüsste ich auch an einiges Geld zu kommen. Der Râjâ so und so ist im Begriff, ein Opfer vollbringen zu lassen; der würde mich zu allen Priesterämtern wählen.«

7. Sein Weib sprach: »Nun, da sind ja noch die Bohnen, Mann!« – Da ass er sie und ging zu jenem bereits angegangenen Opfer hin.

8. Da kam er zu den Udgâtar's wie sie[71] gerade auf dem dazu bestimmten Platze das Stotram anstimmen wollten und setzte sich zu ihnen hin. Und er sprach zum Prastotar:

9. »Prastotar! die Gottheit, welche an dem Prastâva beteiligt ist, wenn du, ohne die zu wissen, den Prastâva singen wirst, so muss dein Kopf zerspringen.«

10. Ebenso sprach er zum Udgâtar: »Udgâtar! die Gottheit, welche an dem Udgîtha beteiligt ist, wenn du, ohne die zu wissen, den Udgîtha singen wirst, so muss dein Kopf zerspringen.«

11. Ebenso sprach er zum Pratihartar: »Pratihartar! die Gottheit, welche an dem Pratihâra beteiligt ist, wenn du, ohne die zu wissen, den Pratihâra singen wirst, so muss dein Kopf zerspringen.«

– Da liessen sie ab und sassen schweigend da.


11,1. Da sprach der Veranstalter des Opfers zu ihm: »Herr, ich wünsche zu wissen, wer du bist.« – Er sprach: »Ushasti Câkrâyaṇa bin ich.«

2. Und jener sprach: »Dich, o Herr, habe ich ringsherum gesucht, um dich mit allen diesen Priesterämtern zu betrauen; und nur, weil ich dich nicht finden konnte, habe ich andre gewählt.

3. Jetzt bist du mir, o Herr, zuteil geworden für alle Priesterämter.« – »So sei es«, sprach er, »doch mögen immerhin diese da[72] mit zugelassen werden, das Stotram zu singen. Nur musst du [da ich nicht mit ihnen teilen mag] mir ebensoviel Lohn geben, wie du ihnen [zusammen] geben wirst.«

4. Da näherte sich ihm der Prastotar und sprach: »Du sagtest zu mir, o Herr: ›Prastotar, die Gottheit, welche an dem Prastâva beteiligt ist, wenn du, ohne die zu wissen, den Prastâva singen wirst, so muss dein Kopf zerspringen.‹ So sage: welches ist diese Gottheit?«

5. »Der Odem«, so antwortete er. »Denn alle diese Geschöpfe ziehen mit dem Odem ein und mit dem Odem ziehen sie wieder aus [aus dem Leibe]. Das ist die Gottheit, die an dem Prastâva beteiligt ist. Hättest du, ohne diese au wissen, den Prastâva gesungen, so wäre dein Kopf zersprungen, nachdem du also von mir gewarnt worden.«

6. Da näherte sich ihm der Udgâtar und sprach: »Du sagtest zu mir, o Herr: ›Udgâtar, die Gottheit, welche an dem Udgîtha beteiligt ist, wenn du, ohne die zu wissen, den Udgîtha singen wirst, so muss dein Kopf zerspringen.‹ So sage: welches ist diese Gottheit?«

7. »Die Sonne«, so antwortete er. »Denn alle diese Geschöpfe singen (gâyanti) die hoch (uccaiḥ) gestiegene Sonne an. Das ist die Gottheit, die an dem Udgîtha beteiligt ist. Hättest du, ohne diese zu wissen, den Udgîtha gesungen, so wäre dein Kopf zersprungen, nachdem du also von mir gewarnt worden.«[73]

8. Da näherte sich ihm der Pratihartar und sprach: »Du sagtest zu mir, o Herr: ›Pratihartar, die Gottheit, welche an dem Pratihâra beteiligt ist, wenn du, ohne die zu wissen, den Pratihâra singen wirst, so muss dein Kopf zerspringen.‹ So sage: welches ist diese Gottheit?«

9. »Die Nahrung«, so antwortete er. »Denn alle diese Geschöpfe leben, indem sie Nahrung zu sich nehmen (pratiharamâṇâni). Das ist die Gottheit, die an dem Pratihâra beteiligt ist. Hättest du, ohne diese zu wissen, den Pratihâra gesungen, so wäre dein Kopf zersprungen, nachdem du also von mir gewarnt worden, – also von mir gewarnt worden.«

Quelle:
Die Geheimlehre des Veda. Leipzig 1919, S. 70-74.
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