1. Einleitung.

[191] 2. Es begab sich, dass ein König mit Namen Bṛihadratha, nachdem er seinen Sohn in die Herrschaft eingesetzt hatte, in der Erkenntnis,[191] dass dieser Leib vergänglich ist, sich der Entsagung zuwandte und in den Wald hinauszog. Dort gab er sich der höchsten Kasteiung hin, indem er, in die Sonne schauend und mit emporgereckten Armen, dastand. Nach Ablauf von eintausend Tagen nahte sich ihm, [leidenschaftslos] gleichwie eine Flamme ohne Rauch und durch seine Glut gleichsam versengend, der des Âtman kundige verehrungswürdige Çâkâyanya. »Stehe auf, stehe auf und wähle dir einen Wunsch!« so sprach er zu dem Könige. Der bezeugte ihm seine Verehrung und sprach: »O Ehrwürdiger! ich bin nicht des Âtman kundig. Du kennst seine Wesenheit, wie wir vernommen, diese wollest du uns erklären!« – »Ach, das ist vormals gewesen; es ist schwer tunlich, diese Frage [zu beantworten]; wähle dir, o Nachkomme des Ikshvâku, andre Wünsche!« so sprach Çâkâyanya. – Da neigte sich der König mit seinem Haupte bis auf die Füsse desselben und rezitierte folgende Litanei:

3. »O Ehrwürdiger!

In diesem aus Knochen, Haut, Sehnen, Mark, Fleisch, Same, Blut, Schleim, Tränen, Augenbutter, Kot, Harn, Galle und Phlegma zusammengeschütteten, übelriechenden, kernlosen Leibe, – wie mag man nur Freude geniessen!

In diesem mit Leidenschaft, Zorn, Begierde, Wahn, Furcht, Verzagtheit, Neid, Trennung[192] von Liebem, Bindung an Unliebes, Hunger, Durst, Alter, Tod, Krankheit, Kummer und dergleichen behafteten Leibe, – wie mag man nur Freude geniessen!

4. Auch sehen wir, dass diese ganze Welt vergänglich ist so wie diese Bremsen, Stechfliegen und dergleichen, diese Kräuter und Bäume, welche entstehen und wieder verfallen.

Aber, was rede ich von diesen! Gibt es doch andre, grössere, – mächtige Kriegshelden, einige von ihnen Welteroberer, auch Könige wie Marutta und Bharata, – sie alle mussten, vor den Augen ihrer Verwandtenschar, ihre grosse Herrlichkeit aufgeben und aus dieser Welt in jene Welt hinüberwandern.

Aber, was rede ich von diesen! Gibt es doch andre, grössere, – Gandharven, Dämonen, Halbgötter, Kobolde, Geisterscharen, Unholde, Schlangen, böse Genien und dergleichen, deren Ausrottung wir sehen.

Aber, was rede ich von diesen! Gibt es doch noch andre Dinge, – Vertrocknung grosser Meere, Einstürzen der Berge, Wanken des Polarsterns, Reissen der Windseile [welche die Sternbilder an den Polarstern binden], Versinken der Erde, Stürzung der Götter aus ihrer Stelle, – in einem Weltlaufe, wo derartiges vorkommt, wie mag man da nur Freude geniessen! Zumal auch, wer ihrer satt ist, doch immer wieder und wieder zurückkehren muss!

Darum errette mich! Denn ich fühle mich[193] in diesem Weltlaufe wie der Frosch in einem blinden [wasserlosen] Brunnenloche. Du, o Ehrwürdiger, bist unsre Zuflucht, – du bist unsre Zuflucht!«

Quelle:
Die Geheimlehre des Veda. Leipzig 1919, S. 191-194.
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