Der Ursprung der Welt und der höchste Gott

[175] Einige Weise sprechen von der Natur, andere irrig von der Zeit. Es ist aber die Macht Gottes in der Welt, durch die das Brahmarad bewegt wird.

Der Kundige (jna), von dem stets dieses All umhüllt ist, schafft die Zeiten, enthält die guten Eigenschaften und besitzt alles Wissen. Von ihm beherrscht, breitet das Werk sich aus, als Erde, Wasser, Feuer, Wind, Äther zu denken.

Hat er sein Werk getan, so zieht er es wieder ein und geht in die Einheit mit der Wahrheit der Wahrheit ein, mit einem, zwei, drei oder acht Bestandteilen der Prakriti (?), mit der Zeit und den feinen Eigenschaften seiner selbst ...1

Den Höchsten der Herrscher, den großen Herrscher, die höchste Gottheit unter den Göttern, den höchsten Herrn der Herren jenseits, den wollen wir finden, den über die Welten gebietenden, verehrungswürdigen Gott.

Nicht findet man an ihm Wirkung oder Organe, nicht sieht man einen seinesgleichen, noch einen ihm Überlegenen. Vielfach, hört man, ist seine höchste Kraft und das seiner Natur innewohnende Handeln durch die Kraft des Wissens.

Nicht hat er einen Herrn und Gebieter in der Welt, nicht hat er ein besonderes Zeichen. Er ist die Ursache, er ist der oberste Herr der Sinnesorgane. Nicht hat er einen Vater noch Meister.

Der als einziger Gott wie eine Spinne mit den aus dem Urstoff stammenden Fäden nach seiner Natur sich einhüllt, der gebe uns das ewige Brahman.

Der einzige Gott ist in allen Wesen verborgen, durchdringt alles und wohnt als Seele in allen Wesen; er wacht über die Werke, wohnt über allen Wesen, ist Zeuge, Wächter, ganz für sich allein und frei von den Grundbestandteilen (den drei Gunas).

Er ist der einzige Herr über die vielen Seelen, der den einen[176] Samen vielfach macht. Die Weisen, die den in ihnen Wohnenden erschauen, genießen, haben ewiges Glück, nicht die anderen.

Wer den Gott, der als unvergänglich unter den Unvergänglichen, als Geistiger unter den Geistigen (cetana) allein die Wünsche vieler erfüllt, die Ursache, die man durch Sânkhya und Yoga erreicht, erkannt hat, der wird von allen Fesseln frei.

Dort scheint nicht Sonne, Mond, noch Stern, noch Blitz, geschweige denn Feuer. Von ihm, der allein glänzt, borgt alles seinen Glanz. Durch seinen Glanz erglänzt dies alles.

Als einziger Flamingo wohnt er inmitten der Welt, als Feuer inmitten der Flut. Wer ihn erkannt hat, schreitet über den Tod hinweg. Nicht kann man einen anderen Weg gehen.

Er schafft alles, kennt alles, stammt aus seinem eigenen Schoß, ist Intellekt, Zeitenschöpfer, besitzt die Gunas und alles Wissen, ist Herr über die Materie und die Einzelseele, gebietet über die Bestandteile (drei Gunas), ist Ursache der Befreiung vom Kreislauf und der Fessel des Beharrens darin.

[Er enthält die feinsten Stoffe2, ist unsterblich, beharrt in Gott, ist der Kundige, durchwandelt alles und ist Hüter der Welt. Er herrscht immer über diese Welt. Kein anderer Grund ist für die Herrschaft gefunden.]

Ich nehme Erlösung suchend meine Zuflucht zu dem Gott, der zuerst Gott Brahman schafft und für ihn die Veden entsendet, dessen Licht seine eigene Vernunft ist;

zu ihm, der ohne Teile, ohne Handeln, voll innerer Ruhe, ohne Tadel, ohne Flecken ist, der die höchste Brücke bildet zur Unsterblichkeit und dem Feuer gleicht, dessen Brennholz verzehrt ist.

Erst wenn die Menschen die Luft wie ein Fell zusammenwickeln werden, wird, ohne daß man Gott erkennt, der Schmerz zu Ende sein.[177]

Durch die Kraft der Buße und Gottes Gnade hat Shvetâshvatara, der Kundige, das Brahman, das höchste Mittel der Läuterung, dem Kreise der Propheten willkommen, für die, die die Âshramas überwunden haben, in richtiger Weise verkündet.

Im Vedânta ward vor Zeiten das höchste Geheimnis verkündet. Nicht soll man es einem innerlich Friedlosen, einem Kinder-, einem Schülerlosen überliefern.

Wer die innigste Liebe zu Gott und wie zu Gott zu seinem Lehrer hegt, dem Hochgesinnten leuchten hell die Lehren, die hier verkündet sind, leuchten sie hell.


(VI)

1

Ich habe viel Zeit darauf verwendet, die folgenden, hier ausgelassenen Verse zu bearbeiten, bin aber doch an den Zweifeln über die Richtigkeit des Textes und einzelnen Schwierigkeiten gescheitert.

2

Ich setze tanmaya = tanmâtramaya.

Quelle:
Upanishaden. Altindische Weisheit aus Brâhmanas und Upanishaden. Düsseldorf/Köln 1958, S. 175-178.
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