Über den Yoga

[209] »So ist die Methode: Beschränkung des Atmens, Zurückziehung der Sinnesorgane, Kontemplation, Festlegung des Denkorgans, Selbstprüfung, Versenkung, das sind die sechs Teile, die man Yoga nennt. Durch ihn, so sagt man, geschieht es, daß einer, sehend geworden, den Goldfarbigen, Schöpfer, Herrn, Geist, den Quell des Brahman erblickt und, zur Kenntnis gekommen, dann jenseits von Gut und Böse alles zur Einheit in dem Höchsten, dem Unvergänglichen macht. ›Wie auf einem flammenden Berg Tiere und Vögel nicht verbleiben, so bleiben die Sünden nicht in denen, die das Brahman kennen.‹

Und anderwärts heißt es: ›Wenn einer, der kundig ist, von außen den Geist zurückhält, die Sinnesgegenstände in dem Prâna1 aufgehen läßt und dann ohne Wollen verharrt, der wird, weil aus dem Nicht-prâna hier die Prâna genannte Einzelseele hervorgegangen ist, seinen eigenen Prâna in dem Prâna, den man die höchste Geistigkeit nennt2, bewahren. So sagt man: auf das vom Denken freie, in der Mitte des Denkens sich Befindende, Unausdenkbare, Geheimnisvolle, Höchste soll er sein Denken richten und sein (auf die Außenwelt nicht sich stützendes) Eigenwesen3.‹

Und anderwärts heißt es: ›Es gibt noch eine höhere Festlegung‹. Wer die Spitze der Zunge gegen den Gaumen[209] drückt und Stimme, Manas, Prâna hemmt, erblickt vermittels prüfender Erwägung das Brahman. Wenn er nach dem Schwund des Manas durch sein Selbst das Selbst sieht, das feiner als das Feine ist und hell leuchtet, dann nach Erblickung des Selbst durch sein Selbst wird er frei von seinem eigenen Selbst, und infolge der Befreiung ist er als unerwägbar und ursprunglos zu denken. ›Merkmal der Erlösung‹, so nennt man dieses höchste Geheimnis. So sagt man: ›Durch Frieden des Geistes vernichtet er alles Karman, sei es gut oder böse. Wer friedevollen Geistes in sich (im Âtman) verharrt, erlangt unendliches Glück.‹

Und anderwärts heißt es: ›Eine Ader, Sushumna genannt, steigt empor. In ihr bewegt sich der Prâna. Sie ist vom Gaumen unterbrochen. Auf ihr, die mit Prâna, Omlaut und Manas verbunden ist, soll er emporsteigen. Wenn er die Zunge gegen den Gaumen umgebogen und seine Sinne von der Außenwelt abgelenkt hat, sieht er als Größe die Größe und gelangt zur Befreiung von seinem eigenen Selbst. Weil er von seinem eigenen Selbst befreit ist, nimmt er an Freude und Schmerz nicht teil; er gelangt zum Unbedingten.‹«


(6,18)

1

Statt prâno lies Loc. prâne; Prashna-Up. 3, 9: indriyair manasi sampadyamânaiḥ.

2

prâno als Nom. unverständlich. – Wörtlich: ›in dem, was man das Vierte nennt‹. Es ist, um Deussens Erklärung zu geben, ›der höchste Zustand reiner Geistigkeit‹, das keinen Worten und Begriffen mehr erreichbare ›Vierte‹.

3

Zu dieser Übersetzung von linga ist die Rechtfertigung bei Garbe, Sânkhya, S. 265, 266; 2328 zu lesen.

Quelle:
Upanishaden. Altindische Weisheit aus Brâhmanas und Upanishaden. Düsseldorf/Köln 1958, S. 209-210.
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