Vorwort zum 1ten Theile der ersten Auflage.

Die nächste Veranlassung zu dem Werke, dessen ersten Theil wir jetzt veröffentlichen, ist schon in dem Vorworte zum dritten Theile des Wörterbuchs in Kürze angegeben worden. Zu diesem steht es in engster Beziehung, so dass wir nicht besorgen uns den Vorwurf zuzuziehen, als zersplitterten wir unsere Kräfte und verzögerten oder gefährdeten gar ohne alle Noth dadurch die Vollendung des vor Allem der Vollendung bedürftigen Wörterbuchs. Wenn nämlich der Theil der Literatur, den wir in diesem Werke nach besten Kräften kritisch zu bearbeiten und deutsch wiederzugeben uns bestrebt haben, für das Wörterbuch fruchtbringend sein sollte, so musste eben diese Arbeit unternommen werden. Wäre dieselbe früher gemacht worden, so hätte schon für die erste Hälfte des Wörterbuchs daraus Gewinn gezogen werden können, während sie jetzt erst der zweiten Hälfte zu Gute kommt. Wenn indessen durch die verspätete Bearbeitung der Sprüche das Wörterbuch Schaden erfuhr, so gewann dagegen die Spruchsammlung, da diese ohne den abgeschlossenen Theil des Wörterbuchs, von uns wenigstens, nicht in der Weise hätte bearbeitet werden können. Kamen wir in diesem Werke mehr als ein Mal in den Fall ein Versehen im Wörterbuch anzuerkennen, so werden wir später gewiss auch im Wörterbuch öfters Gelegenheit haben, nicht nur ein Wort, sondern auch einen ganzen Spruch in dieser Sammlung für missverstanden zu erklären.

Für den Zweck, den wir zunächst vor Augen hatten, hätte es genügt, nur solche Sprüche in die Sammlung aufzunehmen, deren Text bis dahin entweder nicht in gehöriger Weise festgestellt, oder falsch[5] übersetzt schien; und von unübersetzten Sprüchen nur diejenigen, deren Text leicht zu einer falschen Auffassung hätte Veranlassung geben können. Um aber der Sammlung auch ein allgemeineres Interesse zu verleihen, erlaubten wir uns die ursprünglich für das Wörterbuch gezogenen Grenzen zu überschreiten und den Umfang derselben bedeutend zu erweitern. Dass wir auch das AMARUÇATAKA und Strophen ähnlichen Inhalts herangezogen haben, wird vielleicht Manchen befremden, möchte aber dadurch gerechtfertigt sein, dass gerade diese Art von Poesie, obgleich sie in mehr als einer Hinsicht Beachtung verdient, bis jetzt ziemlich vernachlässigt worden ist.

Die Sprüche des BHARTRHARI, die im PAŃḰATANTRA, HITOPADEÇA, VIKRAMAḰARITRA und in HAEBERLIN'S Anthology, sowie das AMARUÇATAKA sollten nach unserm Plane vollständig in die Sammlung aufgenommen werden. Wenn nun dessenungeachtet dieser oder jener Spruch aus den eben genannten Büchern in der Sammlung vermisst wird, so ist dieses entweder dem verdorbenen Texte oder der allzugrossen Unklarheit desselben, selten einer blossen Nachlässigkeit zuzuschreiben. Neues kritisches Material, das uns inzwischen zugehen kann, eine abermalige Betrachtung der uns jetzt unverständlichen Sprüche und eine wiederholte Durchmusterung der Quellen wird uns Gelegenheit geben, manchen zurückgelegten oder übersehenen Spruch in einem Supplement nachzutragen.

Ausser den eben genannten haben noch folgende Bücher zu unserer Sammlung beigesteuert: MANU'S und JÂĢŃAVALKJA'S Gesetzbücher, MAHÂBHÂRATA, RÂMÂJANA, KÂMANDAKÎJANÎTISÂRA, einige Dramen, KATHÂSARITSÂGARA, RÂĢATARAMGINÎ, PRABODHAḰANDRODAJA, ÇRÑGÂRATILAKA, ÇICUPÂLAVADHA, ÇUKASAPTATI, KÂVJAPRAKÂÇA, SÂHITJADARPANA, die Scholien zu DAÇARÛPA, KUVALAJÂNANDA, ÇÂRÑGADHARA'S PADDHATI, ÇABDAKALPADRUMA und einige andere. Wenn es uns gelungen war, zu einem von GALANOS in's Griechische übersetzten und in die unter dem Specialtitel ΠΟΛΙΤΙΚΑ, ΟΙΚΟΝΟΜΙΚΑ ΚΑΙ ΗΘΙΚΑ ΕΚ ΔΙΑΦΟΡΩΝ ΠΟΙΗΤΩΝ (den langen Haupttitel für das ganze Werk findet man bei GILD. Bibl. 63 verzeichnet) zusammengestellte Sammlung aufgenommenen Spruch das indische Original aufzufinden, so haben wir es nicht unterlassen auf diese griechische Uebersetzung (= GALAN. Varr.) zu verweisen.[6]

Ein Spruch, der in verschiedenen Büchern vorkommt, wurde wo möglich in der Gestalt gegeben, welche er in dem aller Wahrscheinlichkeit nach ältern Buche hat. Konnte die ursprüngliche Fassung eines häufig vorkommenden Spruchs nicht mit einiger Sicherheit festgestellt werden, so nahmen wir keinen Anstand, denselben in zwei und auch mehr Redactionen aufzuführen.

Zur Conjectural-Kritik haben wir öfters unsere Zuflucht nehmen müssen. Alle uns bekannten Varianten, sogar unbedeutende Schreibfehler, so wie die von uns vorgenommenen Aenderungen haben wir bei jedem Spruch gewissenhaft verzeichnet.

Bei der Uebersetzung haben wir uns vor Allem der Treue zu befleissigen gesucht. Um jedoch auch dem der Sprache des Originals unkundigen Leser möglichst gerecht zu werden, haben wir die Uebersetzung vor dem Abdruck einem Freunde, dem das Sanskrit fremd ist, vorgelegt und auf dessen Rath Manches geändert. Die griechische Uebersetzung einiger deutsch nicht gut wiederzugebender Sprüche verdanken wir unserm Freunde und Collegen A. NAUCK.

Eine Anordnung der Sprüche nach ihrem Inhalt wäre überaus schwierig und in vielen Fällen doch mehr oder weniger willkührlich gewesen. Den Mängeln, die der alphabetischen Anordnung anhaften, wird man durch gute Indices abhelfen können. Diese werden zugleich die Auffindung eines Spruchs, dessen Inhalt schon bekannt ist, bedeutend erleichtern.

Mit der sonstigen Einrichtung des Buchs wird man hoffentlich zufrieden sein. Der Leser findet bei jedem Spruch auf derselben Seite alle Stellen angegeben, an denen wir ihn angetroffen haben, ferner den ganzen kritischen Apparat und endlich die Uebersetzung. Wir sind überzeugt, dass Viele gerade in Folge dieser bequemen Uebersicht das Buch sogar in einer Mussestunde zur Hand nehmen und sich aufgefordert fühlen werden, über diesen oder jenen Spruch, dessen Fassung oder Uebersetzung ihnen nicht zusagt, weiter nachzudenken. Die Sache selbst kann dadurch nur gewinnen und wir werden Jedem, der öffentlich oder brieflich uns eines Bessern belehrt, dankbar sein. Alle der Berücksichtigung werthen Bemerkungen, die zu unserer Kenntniss gelangen, sollen am Schluss des Werkes mitgetheilt werden.


St. Petersburg, den 1/13 März 1863.

O. B.[7]

Quelle:
Indische Sprüche. Osnabrück/Wiesbaden 1966. Bd. 1, S. V5-VIII8.
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