3. Die vier Gehilfen

[99] Man setze die vier Gehilfen ein und betraue sie mit ihren Ämtern.


a) Der Meister des Unterrichts


Der Meister des Unterrichts (Sï-Tu) hat das Amt des Frühlings5. Er muß das Volk lehren, daß Übertretung der Zeiten ebenso schlimm ist wie Übertretung der Befehle. Die Reifen, Erwachsenen, Kinder, Greise, Kranken, Waisen und Witwen müssen der Zeit entsprechend im ganzen Staat versorgt und beschäftigt werden. Wo immer es Hemmungen des Verkehrs, Störungen, die nicht beseitigt werden, gibt, da wird das Volk mißvergnügt über das Leben und genießt nicht den Vorteil der Nahrung und Kleidung. Was das Volk zurückgelegt und angehäuft hat, das verwende man, um den Göttern der Berge und Flüsse zu opfern, damit sie das Volk segnen und ihm beistehen mit Rat und Hilfe. Beim Fasten muß man ehrfürchtig sein, bei Vorzeichen, die sich zeigen, muß man sich fassen. Der Kalender soll durch Priester gesegnet werden. Man wahre ihn mit Geschicklichkeit. Die Beamten sollen den Befehlen entsprechend ihn durchführen. Beim Bittgebet am Königlichen Neujahrstag flehe man für das Leben des Volkes, der Haustiere, des Korns, der Vögel und Tiere des Waldes, der Kräuter und Bäume.

Zur Zeit des dritten Monats im Frühling wirkt die Wärme belebend und fördernd, und alle Wesen regen sich. In dieser Zeit bringe man die fälligen Opfer dar an die erhabenen Ahnen und Vorfahren. Man berufe zu Hofe acht Waisen6 verdienter Männer, um die Wirkung des Frühlings vollständig zu machen.


b) Der Marschall


Der Marschall (Sï-Ma) hat das Amt des Sommers. Er lehrt die Ritter den Gebrauch der Kriegswagen und Abwehrwaffen. Die Ritter üben sich in der Geschicklichkeit, sie werden nach ihren Leistungen beurteilt, sie üben den Schutz nach allen vier Richtungen, sie stärken Arme und Beine, sie vervollkommnen[99] sich im Bogenschießen und Wagenfahren. Wer kriegerische Begabung, strategische Klugheit, Ordnungskraft und Führerfähigkeiten zeigt, kann als Vorbild gelten. Wer sich darin über die übrigen im Staat hervortut, der kann als Feldherr der Heeresabteilungen dienen. Die wandernden Ritter aus aller Herren Länder und die tüchtigen Leute im eigenen Staat muß man alle besichtigen.

Im dritten Monat des Sommers muß man das Wachstum fördern und alle Lebewesen stärken. Entsprechend der Zeit dient man mit Opfern den erhabenen Ahnen und Vorfahren. Man adelt sieben7 verdienstvolle Ritter, um die Wirkung des Sommers vollständig zu machen.


c) Der Meister des Gerichtswesens


Der Meister des Gerichtswesens (Sï-Kou) hat das Amt des Herbstes, indem er öffentliche und private Prozesse hört, die Unordnungen und Widersetzlichkeiten des Volkes in Ordnung bringt und die Waage hält, um das Volk nach der Mitte hin zu ändern. Alle Unbotmäßigkeit des Volkes entspringt aus untätiger Sicherheit. Daraus erheben sich unehrerbietige Gesinnungen, durch die man die Gutmütigen und Dummen betrügt und belügt. Wenn sich dieses Gebaren dem Hab und Gut, den Haustieren, dem Korn gegenüber betätigt, heißt es Diebstahl. Wenn jemand Haus und Hof eines anderen an sich bringt, heißt es Raub. Wenn sich jemand des Sohns oder der Tochter eines anderen bemächtigt, heißt es Entführung. Wenn jemand die fünf Angriffswaffen, Holz oder Stein benützt, heißt es Raub. Wenn jemand die Verhältnisse des Innern an einen anderen Staat mitteilt, so heißt das in leichten Fällen Spionage, in schweren Fällen Hochverrat. Wenn jemand mit geschickten Worten Verwandte gegeneinander hetzt, heißt es Verleumdung. Wenn jemand durch Geschenke einen Vorgesetzten für sich zu gewinnen sucht, heißt es Bestechung.

Für jeden, der die Verbote des Himmelssohns übertritt, sind Strafen ausgesetzt, und er wird festgenommen, um die Unbotmäßigkeit des Volkes gegen die Belehrung der Oberen zu ahnden. Doch gibt es in den gewöhnlichen Familien, in denen drei Männer draußen auf dem Felde arbeiten und drei[100] Frauen8 zu Hause für das Essen sorgen, in Freud und Leid in der Regel keine Prozesse.

Im dritten Monat des Herbstes bringt man die Ernte ein zur rechten Zeit und opfert zur Zeit von den Erstlingsfrüchten den erhabenen Ahnen und Vorfahren. Man ernährt neun Bauern, um die Wirkung des Herbstes vollständig zu machen9.


d) Der Meister der Arbeiten


Der Meister der Arbeiten (Sï-Kung) hat das Amt des Winters, indem er die Maße und die Erde zurechtbringt. Er läßt die Bergwälder ausmessen und die gutbewässerten Gegenden einteilen10. Er dämmt das Wasser ein und gibt ihm das nötige Gefälle zur Bewässerung, um die Arbeiten der vier Jahreszeiten zu regeln. Er ordnet die Erde fern und nah, indem er die Kraft des Volkes dafür in Anspruch nimmt, um die Arbeiten des Volkes zu regeln.


e) Mißstände der Arbeitsverteilung


Im Altertum sorgte man dafür, daß die kräftigen Männer genügend zu essen hatten und daß die Greise nicht zu viel zu arbeiten hatten.«

Der Herzog sprach: »Wurde auf diese Weise nicht zuwenig Arbeit geleistet und zuviel Nahrung verbraucht?«

Der Meister sprach: »Im Altertum pflegte das Volk die Greise bis ins hohe Alter: das war die Ernährung; heute vergilt man ihnen, indem man sie sterben läßt: das ist die Arbeit.

Im Altertum gab es keine müßigen Leute. Das Essen hatte sein Maß, die Arbeit ihre Zeit. Die Leute lebten alle friedlich an ihrem Ort und freuten sich ihrer Wohnung. Sie taten ihre Arbeit und vertrauten den Oberen. Obere und Untere vertrauten einander gegenseitig, und wenn ein Fürst sein Land wechseln mußte, so wanderte das Volk mit.

Heutzutage ist die Ordnung der Oberen nicht gerecht, die Ordnung des Volkes nicht harmonisch. Die Leute leben nicht friedlich an ihrem Ort und freuen sich nicht ihrer Wohnung. Die Alten sind geizig auf Besitz bedacht, die Starken sind hinterlistig auf (Ersparnis ihrer) Kraft bedacht; so gibt es[101] müßiges Volk, dürftige Arbeit, Mangel an Nahrung. So kommt das Volk in Not.

Im Altertum enthielten die Volkszählungslisten die Namen aller erwachsenen Männer und Frauen. Sie wurden dem Fürsten am Tor seines Palastes feierlich überreicht. Auf diese Weise war es möglich, die Nahrung zu regeln, die Arbeit nach der Zeit zu richten und das Volk zu Leistungen anzuhalten. Im Sommer war das Volk bei seinen Diensten für den Fürsten nicht der Hitzeplage ausgesetzt. Im Winter war es bei seinen Diensten für den Fürsten nicht der Kälteplage ausgesetzt. Wenn daher auch eine Mißernte eintrat und der Himmel ein Hungerjahr schickte, so gab es doch auf den Straßen keine Hungerssterbenden.

Heutzutage sind Männer und Frauen zerstreut. Ihre Namen kommen nicht ans Tor des Fürsten. Darum wird die Nahrung nicht geregelt, und die Arbeiten werden nicht (nach der Zeit gerichtet ... Wenn eine) Mißernte eintritt und der Himmel eine Hungersnot schickt, so werden die Leute weggeworfen und erreichen es nicht, an einer Krankheit zu sterben (sondern gehen an Hunger und Kälte zugrunde).


f) Die verschiedenen Menschenarten


Darum soll man für die Leute einen Wohnort bereiten in den besten Gegenden der mittleren Reiche, wo ein Ausgleich von Kälte und Hitze ist, wo die sechs Haustiere gedeihen und die fünf Feldfrüchte gut wachsen. Man verteile Leichtes und Schweres, man gleiche Hartes und Weiches aus, man harmonisiere die fünf Geschmacksarten, um das Essen zu regeln, und ordne die Dienste nach der Zeit.

Das Volk in den östlichen Außenbezirken heißt I. Sie sind schlau und verschlagen. Weit in der Ferne gibt es solche, die keine gekochten Speisen kennen. Das Volk in den südlichen Außenbezirken heißt Man. Sie sind ehrlich und einfach. Weit in der Ferne gibt es solche, die keine gekochten Speisen kennen. Das Volk in den westlichen Außenbezirken heißt Jung. Sie sind stark und hart. Weit in der Ferne gibt es solche, die keine gekochten Speisen kennen. Das Volk in den nördlichen Außenbezirken heißt Di. Sie sind fett und roh. Weit in der Ferne gibt es solche, die keine gekochten Speisen kennen.[102]

Das Volk der mittleren Staaten heißt das Volk der fünf Himmelsrichtungen. Sie haben alle sichere Wohnungen, und die Speisen sind wohlschmeckend zubereitet; alle haben sie brauchbare, scharfe Geräte. Man muß für gegenseitige Verständigung sorgen, man muß ihnen Zutrauen einflößen zu den Anordnungen. Dann mißt man ein Gebiet aus unter Berücksichtigung der geplanten Niederlassung. Man baut Mauern und Tortürme. Man errichtet Tempel und Marktplätze und plant Städte. Die Städte dienen zur Ansiedlung des Volkes. In Betracht der Sicherheit oder Gefahr macht man sie neun oder fünfzig Meilen im Umfang und bedenkt zum voraus ihre dauernde Befestigung. Auf die Befestigung vertrauend, kann man sie verteidigen; wenn man Gräben zieht, kann man sie dauernd halten.


g) Der Meister der Arbeiten (Schluß)


Wenn man die Arbeiten der vier Jahreszeiten zu regeln imstande ist, so kommen Reif und Tau zu ihrer Zeit hernieder. Im dritten Monat des Winters fallen die Blätter von Kraut und Baum, und die Wälder bergen ihre Bewohner. Die fünf Feldfrüchte werden allesamt in die Scheunen gebracht. Zu dieser Zeit bringt man Opfer dar an die erhabenen Ahnen und Vorfahren. Man setzt sechs11 Volksälteste zur Ruhe, um die Wirkung des Winters vollständig zu machen.

Wenn so das ganze Volk weiß, daß die Waisen und Witwen nicht verlassen sind, wenn sie alle wissen, daß ein großes Verdienst Beförderung findet, wenn sie alle wissen, daß Mühe und Arbeit zur Zeit ihre Ruhe finden, dann mag man sie veranlassen, durch Feuer und Wasser zu gehen. Sie werden es tun, ohne sich umzusehen. Wie erst, wenn ein starker, seiner Aufgabe gewachsener Führer an der Spitze steht und sie lenkt!«

Der Fürst sprach: »Das ist wahrlich gut!«

5

Die Landesfürsten haben keinen Dsung Bo (Oberpriester), daher übt seine Funktion der Kultus- bzw. Unterrrichtsminister mit aus. Sein Wirken äußert sich hauptsächlich auf die Jugend, daher ist sein Amt dem Frühling zugeordnet.

6

Drei und Acht sind die Zahlen des Holzes, unter dessen Einfluß der Frühling steht.

7

Zwei und Sieben sind die Zahlen des Feuers, unter dessen Einfluß der Sommer steht.

8

nämlich Großvater, Vater und Sohn und deren Frauen

9

Vier und Neun sind die Zahlen des Metalls, unter dessen Einfluß der Herbst steht.

10

Je nach dem Ertrag werden die Felder in neun Stufen eingeteilt.

11

Eins und Sechs sind die Zahlen des Wassers, unter dessen Einfluß der Winter steht.

Quelle:
Li Gi. Düsseldorf/Köln 1981, S. 99-103.
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