5. Seele. Weiterleben nach dem Tod

[278] Dsai Wo sprach: »Ich habe zwar den Namen der Dämonen und Geister (Gui Schen) gehört, aber ich weiß nicht, was damit gemeint ist.«

Der Meister sprach: »Der Atem (Ki) ist die Verwirklichung des Geistes. Die Körperseele (Po) ist die Verwirklichung des Dämonischen. Die Vereinigung des Dämonischen und des Geistigen ist das Ziel der BildungA1.

Alles, was geboren ist, muß sterben. Was beim Sterben zur Erde zurückkehren muß, wird das Dämonische (Gui) genannt. Knochen und Fleisch verwesen da unten und werden im Dunklen zur Ackererde. Der Atem steigt nach oben und beginnt klar zu leuchten. Das geruchartig Wirkende, das Scheu Erweckende ist die Samenessenz aller Lebewesen, ist die Offenbarung des Geistigen. Diese Samenessenz der Lebewesen wurde als etwas Letztes betrachtet und mit der begrifflich klaren Bezeichnung Dämonen und Geister belegt, um dadurch ein Gesetz zu schaffen für das schwarzköpfige Volk1. So wurden die Massen in Scheu erhalten, so wurde alles Volk im Gehorsam gehalten.«

Aber die Heiligen ließen es dabei noch nicht bewenden. Sie[278] bauten Tempel und Heiligtümer; sie richteten Ahnenopfer ein, wobei sie die Näherstehenden und Fernerstehenden, die zeitlicher Ferne und zeitlicher Nähe Angehörigen unterschieden. Dadurch wurden die Menschen erzogen, sich zum Altertum zurückzuwenden und den Zusammenhang mit ihrem Ursprung zu wahren und nicht zu vergessen, woher sie entstanden waren. Indem alle sich diesen Lehren unterwarfen, gehorchten sie rasch und willig.

Nachdem die beiden Prinzipien (Atemseele und Körperseele) aufgestellt waren, bezeugte man seine Dankbarkeit durch zweierlei heilige Sitten. Es wurde das Frühopfer eingerichtet. Es bestand darin, daß man das Fett des Opfertieres verbrannte, um durch den Duft der Flamme der Atemseele zu danken (die im Luftraum weilte). Auf diese Weise erzog man das Volk zur Rückwendung zu seinem Ursprung. Dann wurde das Speiseopfer eingerichtet. Es bestand aus Hirse und der Darbringung von Leber, Lunge, Kopf und Herz des Opfertieres, zusammen mit zwei Flaschen Wein und aromatischen Tränken, um der Körperseele zu danken. Auf diese Weise erzog man das Volk zur gegenseitigen Liebe und einem Gefühl der Zuneigung zwischen hoch und niedrig. Das ist das höchste Ziel der heiligen Sitten.

A1

Tschong Dsi sagt: »Die Dämonen und Geister sind die wirkenden Kräfte der Natur, die Spuren der Schöpfertätigkeit.« Dschang Dsi sagt: »Die Dämonen und Geister sind die ursprünglichen Auswirkungen der beiden Grundkräfte.«

Dschu Dsi sagt: »Vom dualistischen Standpunkt aus sind die Dämonen das Lebendig-Wirkende (Ling) des dunklen Prinzips (Yin), die Geister das Lebendig-Wirkende des lichten Prinzips (Yang). Vom monistischen Standpunkt aus ist das nach außen gewandt sich Ausdehnende der Geist (Schen), das nach rückwärts gewandt sich Einziehende der Dämon (Gui). In Wirklichkeit handelt es sich um dasselbe Ding.«

Tschen Schi sagt: »Das Aus- und Einziehen der Luft durch Mund und Nase ist der Atem (Ki); das Lebendig-Wirksame dabei gehört zum Animus (Hun, die höhere spirituelle Seele, Pneuma). Was sieht und hört, das ist der Körper (Ti); das Bewußt-Rezeptive dabei gehört zur Anima (Po, Körperseele, Psyche).«

Fang Schi sagt: »Die Atemseele (Hun Ki) kehrt zum Himmel zurück, die Körperseele (Hing Po) kehrt zur Erde zurück. Darum besteht das Ziel der höchsten Bildung darin, diese beiden zu einer Einheit zu verschmelzen« (und zwar ist dabei in erster Linie an die beiden Seelenelemente der Toten gedacht).

1

Diese Bezeichnung kommt erst wieder in der Tsinzeit auf, nach den schwarzen Kopftüchern, die man damals trug.

Quelle:
Li Gi. Düsseldorf/Köln 1981, S. 278-279.
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