27. Kapitel
TOU HU / Pfeilwerfen

[303] Dieses Kapitel ist ein hinterlassener Abschnitt aus alten Urkunden. Es behandelt die Sitte des Pfeilwerfens, eines alten Spiels, das nach den Mahlzeiten ausgeführt zu werden pflegte. Das Kapitel zerfällt in zwei ungleichwertige Teile. Abschnitt 1-8 enthält den eigentlichen Text. Abschnitt 9 enthält zerstreute Notizen aus einem alten Kommentar, die zum Teil sehr stark korrupt sind.


1. Die Sitte des Pfeilwerfens bestimmte, daß der Wirt die Pfeile reichte, der Schießmeister das Gefäß1 zum Abrechnen reichte und ein Diener den Krug reichte.

2. Der Wirt lud ein und sprach: »Ich habe ein paar krumme Pfeile und einen schiefen Krug, darf ich die Gäste bitten, sich zu vergnügen?« Der Gast sprach: »Ihr habt uns bewirtet mit starkem Wein und schönen Speisen, und nun wollt Ihr uns dazuhin noch dieses Vergnügen machen? Ich erlaube mir abzulehnen.«

Der Wirt sprach: »Diese krummen Pfeile und der schiefe Krug sind nicht würdig, abgelehnt zu werden. Ich erlaube mir nochmals zu bitten.« Der Gast sprach: »Ihr habt uns bewirtet mit starkem Wein und schönen Speisen, und nun wollt Ihr uns dazuhin noch dieses Vergnügen machen? Ich erlaube mir wirklich abzulehnen.« Der Wirt sprach: »Diese krummen Pfeile und der schiefe Krug sind nicht würdig, abgelehnt zu werden. Ich erlaube mir nochmals wirklich zu bitten.« Da erhob sich der Gast und sprach: »Da es mir nicht gelingt abzulehnen, dürfte ich es da wagen, Eurem Befehl nicht ehrerbietig nachzukommen?« Darauf verneigte sich der Gast zweimal, um die Pfeile zu empfangen. Der Wirt wandte sich zur Seite und sprach: »Es kommt mir nicht zu.« Darauf verneigte sich der Wirt zweimal oberhalb der Oststufen, um die Pfeile dem Gast zu überreichen. Der Gast wandte sich zur Seite und sprach: »Es kommt mir nicht zu.«

3. Sich verneigend nahm der Gast die Pfeile (und auch der Hausherr nahm welche). Darauf trat der Wirt zwischen die[303] beiden Säulen (wo gespielt wurde). Dann zog er sich an seinen Platz zurück und lud mit einer Verbeugung den Gast ein, auf die Matte zu treten.

4. Der Schießmeister schritt dann die Entfernung des Kruges ab, dann kehrte er zu seinem Platze zurück und stellte das Gefäß zum Abrechnen auf und nahm acht Marken2. Darauf bat er den Gast und sprach: »Darf ich die Regeln des Pfeilwerfens bekanntmachen. Jeder richtig geworfene Pfeil zählt als getroffen. Für falsch geworfene Pfeile3 wird keine Marke aufgenommen. Der Siegende darf den Besiegten trinken lassen.« Während der Becher hergerichtet wurde, bat er, für den Sieger ein Pferd4 aufzustellen; wer drei Pferde stehen hatte, den beglückwünschte er zu seinen vielen Pferden und bat den Wirt, ebenso zu tun.

5. Darauf befahl er den Saitenspielern und sprach: »Bitte das Lied vom Fuchskopf zu spielen und die Abschnitte (zwischen den fünf Versen) wie einen (zu spielen).« Der Musikmeister sprach: »Ja«.

6. Nachdem die beiden Spieler links und rechts erklärt hatten, daß die Pfeile alle geworfen seien, bat (der Schießmeister) noch einmal (abwechselnd) zu werfen. Wenn ein Pfeil in den Krug geworfen war, so bückte sich der Schießmeister nieder und nahm eine Marke heraus. Die Partei des Gastes stand zur Rechten, die Partei des Wirts zur Linken.

7. Nach Beendigung des Werfens nahm der Schießmeister die übrigen Marken in die Hand und sprach: »Nachdem die Parteien rechts und links fertig geworfen haben, bitte ich zählen zu dürfen. Zwei Marken zählen ein Paar, ein Paar wird zusammen genommen, eine Marke zählt als Ungerade.« Wenn eine Partei gesiegt hatte, so nannte der Schießmeister den Überschuß (an Marken, die sie aufzuweisen hatte) und verkündigte: »Die Partei A ist besser als die Partei B um soundso viele Paar.« Wenn es sich dazuhin um Ungerade handelte, so wurden auch die Ungeraden genannt. Wenn beide Parteien gleich waren, so sprach er: »Rechts und Links sind gleich.«

8. Darauf erhob er die Hand und sprach: »Ich bitte die Jünger des Siegers, für den Besiegten Wein einzugießen.« Die Eingießenden sprachen: »Ja.« Darauf gossen sie ein und baten, die Weinbecher zu erheben. Die trinken mußten, knieten[304] darauf alle nieder, nahmen die Becher und sprachen: »Ihr habt uns einen Erfrischungstrunk gewährt.« Darauf knieten die Sieger nieder und sprachen: »Zum Wohl.«

9. Zerstreute alte Kommentare, die in Siau Dai Li Gi z.T. bedeutend abweichen.

ad 4, letzter Satz: Der Spielmeister sprach: »Während der Becher hergerichtet wird, bitte ich, für den Sieger ein Pferd aufzustellen.« Darauf setzte jeder seine Marken. Ein Pferd wurde dem gegeben, der zwei Pferde hatte, als Gratulation. Die Glückwunschsitte hieß, wenn drei Pferde dastanden: »Bitte, ihn zu seinen vielen Pferden zu beglückwünschen.« Gast und Wirt sprachen beide: »Ja.« Während der bereitete Becher kreiste, bat man, die Pferde wieder wegzunehmen. Wenn die Reihe beendet war, fing man von neuem zu zählen an.


Verschiedene Einzelerklärungen:


Beim Berechnen der Anzahl sah man auf die getroffen habenden Pfeile.

Man benützte acht Pfeile. Wenn man in der Halle spielte, waren die Pfeile sieben Fu lang; wenn man im Innern des Saals spielte, waren sie fünf Fu lang; wenn man unten im Hof spielte, waren sie neun Fu lang. Die Marken waren ein Fuß und zwei Zoll lang.

Unterhalb der Halle waren der Spielmeister, der Schießmeister, der Hofälteste und die Hutträger (Jünglinge), die da standen, alle zur Partei der Gäste gehörig. Die Musiker, die Knaben, die Diener alle zur Partei des Wirtes gehörig.

Das mit einer Verbeugung Herabsteigen des Wirts auf der Osttreppe und die Musikaufführungen waren alle nach denselben Regeln wie beim Gauschießen.

In den Krug tat man kleine Bohnen, damit die Pfeile steckenblieben und nicht wieder heraussprangen.

Der Krug hatte von der Matte die Entfernung von zweieinhalb Pfeilen.

Die Pfeile waren aus Maulbeer- oder Jujubenholz, dem man die Rinde nicht entfernt hatte. Ihre Größe waren sieben Linien ...5.[305]

Der Hals des Kruges war sieben Zoll lang, der Durchmesser der Öffnung war zwei Zoll, der Krug war einen Fuß, zwei Zoll hoch und faßte ein Dou und fünf Scheng; der Bauch des Kruges war fünf Zoll lang.


(Im Text folgt nun nach den Angaben des Kommentars noch einmal ein Stück von dem Lied vom Fuchskopf. Darauf werden die Titel der Lieder aus den Weihgesängen des Liederbuchs angegeben, die bei diesen Spielen gesungen werden. Merkwürdigerweise stimmen die genannten Gesänge mit dem Schi Ging nicht überein, weshalb der Kommentator Kung annimmt, daß es sich um irrtümliche Angaben aus der Hanzeit handle. Darauf folgt die Angabe einiger Lieder, die verloren seien und nicht mehr gesungen werden könnten. Zum Abschluß ein Mahnvers, der in Lu die Knaben gelehrt wurde, und noch ein Lied von der Rache des Königs an ungehorsamen Fürsten. Siau Dai Li Gi hat einen abweichenden, aber auch nicht sehr viel besseren Text; die unverständlichen Partien sind dort zum großen Teil weggelassen.


a) Das Lied aus Lu lautet:

In Lu lehrte man die Schüler folgende Verse:


»Seid nicht frech und nicht unverschämt,

Beugt euch nicht vor und redet nicht drein,

Sonst werdet ihr stets bestraft mit einem Becher Wein.«


b) Das letzte Lied heißt etwa (Nachdem man beim Wettschießen am Königshof einen Fuchskopf als Zielscheibe gemalt hatte, der die nicht erschienenen Fürsten darstellte, wurde beim Schießen das Fuchskopflied gespielt):


»O ihr unruhigen Vasallen,

Warum seid ihr nicht gekommen zu des Königs Hallen!

Damit seid ihr in Verrat gefallen,

Und jetzt schießen wir nach euch allen.

Wir essen, essen eurer Urenkel Fürstenfamilie

Hundertfältig Glück.«


Auch dieses Lied läßt sich nur ungefähr übersetzen. In Kau Gung Gi z.B. lautet der Text wesentlich anders, doch ist der allgemeine Sinn derselbe.)

1

Das Gefäß hatte bei Großwürdenträgern die Form eines liegenden Nashorns, bei Staatsmännern die eines liegenden Hirsches. Es war aus Holz, der Rücken war vertieft, um die Rechenmarken aufzunehmen. Es wurde oberhalb der westlichen Treppe in der Richtung nach Norden aufgestellt.

2

Jeder der Spielenden hatte vier Pfeile. Die Entfernung des Kruges betrug nach Siau Dai Li Gi 21/2 Pfeillängen = etwa 1,75 Meter.

3

Der Pfeil muß mit dem hinteren Ende zuerst in den Topf fallen.

4

Ein »Pferd« wird aufgestellt für jedes gewonnene Spiel, eine Marke wird in das Gefäß geworfen für jeden Pfeil, der getroffen hat.

5

Dieser Satz ist vollkommen unverständlich und widerspricht den übrigen Angaben. Das, was im Text folgt, soll nach dem Kommentar das Lied vom Fuchskopf sein, das beim Pfeilwerfen gespielt wurde. Auch dieser Text ist aber unverständlich, so daß eine Übersetzung nicht möglich ist.

Quelle:
Li Gi. Düsseldorf/Köln 1981, S. 303-306.
Lizenz:

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