8. Verkehr der Geschlechter II

[326] Die Sitte zwischen Gatten will es, daß sie erst, wenn sie siebzig Jahre alt sind, ihre Kleider zusammen ohne Trennung aufbewahren dürfen. Die Nebenfrauen müssen auch noch in älteren Jahren, solange sie die fünfzig nicht erreicht haben, bei den alle fünf Tage stattfindenden Aufwartungen zugegen sein. Wenn sie zur Aufwartung kommen, so fasten sie zuerst, spülen sich den Mund aus, waschen sich, kleiden sich sorgfältig, machen ihre Haare, wie es die Sitte (vgl. Abschnitt 1) vorschreibt, und knüpfen ihre Schuhbänder. Auch die Lieblingsfrauen werden an Kleidung und Nahrung den älteren nicht gleichgesetzt. Wenn die Hauptfrau abwesend oder gestorben ist, wagen es die Nebenfrauen nicht, ihren Abend zu besetzen4.

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Diese Regeln gelten für den Harem eines Landesfürsten. Ein solcher heiratete gleichzeitig neun Frauen, nämlich die Gemahlin und zwei Konsorten, von denen jede eine jüngere Schwester oder Nichte mitbrachte. Für diese sechs waren drei Nächte. Dann gibt es zwei Konsorten des nächsten Rangs, die sich in eine Nacht teilen mußten, und eine Gemahlin nächsten Rangs, die eine Nacht für sich hatte. So konnte der ganze Turnus in fünf Tagen erledigt werden, wobei sich der Fürst jeweils vorbehielt, wen von den Aufwartenden er für die Nacht besuchen wollte. Beim Himmelssohn war das System noch weiter ausgebaut: Er hatte an Hofdamen 81, die neun Abende Aufwartung hatten, an Adelsdamen 27, die drei Abende Aufwartung hatten; zum Neunerkranz gehörten weitere neun, die einen Abend Aufwartung hatten, an Königinnen zweiten Rangs drei, die einen Abend für sich hatten, und die regierende Königin, die einen Abend für sich hatte. So konnte der ganze Turnus in fünfzehn Tagen erledigt werden. Auf dieser strengen Teilung der Pflichten, die keine Übergriffe duldete, beruhte das friedliche Zusammenleben der Haremsdamen. Natürlich erklären sich von hier aus auch die vielen lyrischen Gedichte über Haremsschmerz; denn man kann sich denken, daß jede einzelne der 81 Hofdamen höchst selten, oft in ihrem ganzen Leben nie der Gunst des kaiserlichen Besuches sich erfreuen durfte. Es kam da viel auf Zufall und Neigung an. Darüber durfte aber die Regelmäßigkeit der Abendaufwartung nicht versäumt werden. Die weibliche Umgebung des Herrschers entsprach an Zahl und Rang den höchsten Hofbeamten. Während die Ministeraudienzen vor Tagesanbruch stattfanden, waren die Abendunterhaltungen nach Sonnenuntergang: auch hier das Gegenstück von Yin und Yang.

Das alles bezog sich aber nur auf die Herrscher, die ja auch in Europa stets – allerdings nach ungeschriebenen Regeln und vollkommen ungeordnet – polygam lebten. Der Mann aus dem Volk lebt in China ebensowenig polygam wie in Europa. Mann und Frau aus dem Volk hießen Pi Fu, das heißt der »gepaarte« Mann, die »gepaarte« Frau, woraus die Paarung (Monogamie) schon deutlich hervorgeht.

Wenn namentlich von seiten der Mission gegen die heidnische Vielweiberei in China aus propagandistischen Gründen immer wieder abgeurteilt wird, so ist das nichts weiter als pharisäische Heuchelei. Dieselben Geistlichen, die in Europa – wo sich Gelegenheit bot – stets vom Einfluß der fürstlichen Mätressen für ihre kirchlichen Zwecke gerne Gebrauch gemacht haben, sprechen über die weit kultiviertere Einrichtung Chinas als finsteres Heidentum. Im modernen China ist übrigens die starke Tendenz vorhanden, die europäische Form der Ehe zu übernehmen, zumal da es ja keine Kaiser und Fürsten mehr gibt.

Quelle:
Li Gi. Düsseldorf/Köln 1981, S. 326.
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