Drittes Capitel

[150] Es muß aber auch dasjenige Jetzt, was nicht in Bezug auf anderes, sondern an sich unmittelbar so genannt wird, untheilbar, und in aller Zeit als solches vorhanden sein. Denn es giebt ein Letztes der Vergangenheit, innerhalb dessen nichts von der Zukunft, und umgekehrt der Zukunft, innerhalb dessen nichts von der Vergangenheit ist: was wir denn nannten als von beiden die Grenze. Sollte nun von diesem gezeigt werden, daß es ein solches ist an und für sich und als das nämliche, so wird zugleich erhellen, auch daß es untheilbar ist. Es muß aber das nämliche sein das Jetzt das letzte beider Zeiten. Denn wäre es ein anderes; so könnte der Reihe nach nicht das eine auf das andere folgen, weil nichts Stetiges aus Untheilbarem ist. Soll aber beides getrennt sein, so giebt es dazwischen eine Zeit. Denn alles Stetige ist ein solches, was etwas Gleichartiges zwischen seinen Grenzen hat. Allein füllt die Zeit das Dazwischen aus, so wird sie theilbar sein; denn es ist gezeigt worden, daß alle Zeit theilbar ist. Wenn aber theilbar ist das Jetzt, so wird etwas von der Vergangenheit in der Zukunft, und von der Zukunft in der Vergangenheit sein. Denn an welcher Stelle es auch getheilt[150] werde, so wird diese scheiden die vergangene und die zukünftige Zeit. Zugleich aber wäre auch nicht für sich das Jetzt, sondern für Anderes; denn die Theilung kommt nicht dem was für sich ist zu. Ueberdieß wird von dem Jetzt ein Theil Vergangenes sein, ein Theil Zukünftiges, und nicht stets das Nämliche Vergangenes oder Zukünftiges; noch auch selbst das Jetzt das nämliche; denn auf vielfache Weise theilbar ist die Zeit. Also wenn dieß nicht stattfinden kann bei dem Jetzt, so muß das nämliche sein in beiden Zeiten das Jetzt. Aber wenn das nämliche, offenbar auch untheilbar. Denn wäre es theilbar, so würde sogleich dasselbe folgen, wie in dem Vorhergehenden.

Daß es nun etwas in der Zeit Untheilbares giebt, welches wir das Jetzt nennen, erhellt aus dem Gesagten. Daß aber nichts in dem Jetzt sich bewegt, ergiebt sich aus Folgendem. Sollte es nämlich, so müßte es auch sowohl schneller darin sich bewegen können, als auch langsamer. Es sei nun das Jetzt N. Und es bewege sich in ihm das Schnellere die A B. Wird nun nicht das Langsamere in ihm eine geringere Bewegung als die A B erfahren, etwa die A C? Da aber das Langsamere in dem ganzen Jetzt die Bewegung A C erfährt, so wird das Schnellere in Geringerem sie erfahren. Also wird getheilt das Jetzt. Aber es war untheilbar. Nicht also findet Bewegung statt in dem Jetzt. Allein auch nicht Ruhe. Ruhend nämlich nannten wir, was, bestimmt sich zu bewegen, nicht sich bewegt, wann und wo und wie es sollte. Also da in dem Jetzt nichts die Bestimmung hat, sich zu bewegen, so offenbar auch nicht, zu ruhen. Ferner, wenn das nämliche ist das Jetzt in beiden Zeiten, sich denken läßt aber, daß in der einen durchaus Bewegung, in der andern durchaus Ruhe stattfinde; was aber die ganze Zeit hindurch sich bewegt, auch in jedem ihrer Theile sich bewegen muß, auf welche Weise seine[151] Bewegung bestimmt, und ebenso auch das Ruhende ruhen: so folgt, daß das Nämliche zugleich ruhen und sich bewegen wird. Denn das Nämliche ist Letztes von beiden Zeiten: das Jetzt. Ferner nennen wir ruhend, was auf gleiche Weise sich verhält, sowohl es selbst als auch seine Theile, jetzt und zuvor. In dem Jetzt aber giebt es kein Zuvor; also auch keine Ruhe. Nothwendig also bewegt sich, was sich bewegt, in der Zeit, und ruht, was ruht, in ihr.

Quelle:
Aristoteles: Physik. Leipzig 1829, S. 150-152.
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