Zehntes Capitel

[233] Daß aber dieses theillos sein muß, und keine Ausdehnung haben, wollen wir jetzt zeigen; indem wir zuerst über dasjenige, was diesem vorausgeht, Bestimmungen geben. Hievon aber ist eine, daß nichts Begrenztes eine unbegrenzte Zeit hindurch bewegen kann. Dreierlei nämlich ist: das Bewegte, und das Bewegende, und drittens das worin, die Zeit. Dieß[233] aber ist entweder alles unbegrenzt, oder alles begrenzt, oder einiges, z.B. die zwei, oder das eine. Es sei nun A Bewegendes, das Bewegte B, eine unbegrenzte Zeit C. D nun bewege einen Theil von B, das E. Gewiß nicht in gleicher Zeit mit C. Denn in längerer das Größere. Also ist nicht unbegrenzt die Zeit F. So nun werde ich, zu dem D hinzusetzend, das A aufgehen lassen, und zu dem E, das B. Die Zeit aber werde ich nicht können aufgehen lassen, indem ich stets eine gleiche hinwegnehme; denn sie ist unbegrenzt. Also wird das ganze A das ganze B bewegen in einer begrenzten Zeit C. Nicht also vermag von einem Begrenzten etwas versetzt zu werden in eine unbegrenzte Bewegung. Daß nun also nicht kann das Begrenzte in unbegrenzter Zeit bewegen, ist ersichtlich. Daß aber überhaupt nicht kann einer begrenzten Ausdehnung eine unbegrenzte Kraft sein, erhellt aus diesem. Es sei nämlich die größere Kraft stets diejenige, welche das Gleiche in kürzerer Zeit bewirkt, z.B. wärmt, oder versüßt, oder wirft, oder überhaupt bewegt. Es muß nun auch von dem, was begrenzt ist, aber eine unbegrenzte Kraft hat, leiden etwas das Leidende, und mehr als von einem anderen. Denn eine größere ist die unbegrenzte Kraft. Allein eine Zeit kann dabei nicht verfließen. Wäre nämlich die Zeit A, in welcher die unbegrenzte Kraft wärmte oder stieß; in A B aber eine begrenzte: so werde ich dieser stets eine größere hinzunehmend, einmal auf eine kommen, die in der Zeit A bewegt. Denn indem ich zu der begrenzten stets hinzusetze, werde ich alles Bestimmte überbieten, und indem ich wegnehme, auf gleiche Weise umgekehrt. In gleicher Zeit also wird die begrenzte Kraft bewegen mit der unbegrenzten. Dieß aber ist unmöglich. Nichts Begrenztes also vermag eine unbegrenzte Kraft zu haben. Es kann demnach auch nicht in Unbegrenztem eine begrenzte sein. Und doch kann in einer kleineren Ausdehnung eine größere Kraft[234] sein, aber noch mehr in einer größeren eine größere. Es sei also A B ein Unbegrenztes. B C nun hat eine Kraft, die in einer gewissen Zeit das D bewegt, in der Zeit E F. Wenn ich nun von B C das Doppelte nehme, so wird es in der halben Zeit E F bewegen: denn dieß ist das Verhältniß. Also mag es in der Zeit F H bewegen. Werde ich nun nicht, stets so fortfahrend, A B zwar nie durchgehen, doch aber stets eine kürzere Zeit als die gegebene nehmen? Eine unbegrenzte also wird die Kraft sein: denn sie übertrifft alle begrenzte Kraft. Für alle begrenzte Kraft aber muß auch die Zeit begrenzt sein. Denn wäre die, die so groß ist, in einer Zeit, so wird die größere in einer kürzern zwar, aber doch bestimmten Zeit bewegen, nach umgekehrtem Verhältniße. Unbegrenzt aber ist alle Kraft, so wie auch Menge und Ausdehnung, die jede bestimmte übertrifft. Es läßt sich aber auch so dieses zeigen, wenn wir eine Kraft nehmen, die der Gattung nach dieselbe mit der unbegrenzten Ausdehnung, aber in einer begrenzten Ausdehnung ist, und die ein Maß abgiebt für die begrenzte Kraft in der unbegrenzten. Daß nun nicht sein kann eine unbegrenzte Kraft in einer begrenzten Ausdehnung, noch eine begrenzte in unbegrenzter, erhellt hieraus. Was aber das sich Bewegende betrifft, so ist es wohlgethan, darüber zuförderst einen Zweifel vorzulegen. Wenn nämlich alles Bewegte bewegt wird durch etwas: wie wird unter demjenigen, was nicht sich selber bewegt, Einiges stetig bewegt, ohne daß es mit dem Bewegenden sich berührt; z.B. das Geworfene? Wenn aber zugleich etwas Anderes bewegt der Bewegende, z.B. die Luft, die, bewegt, bewegte: so wäre gleicherweise unmöglich, daß ohne daß der erste berührte noch bewegte, sie sich bewegte; sondern alles müßte zugleich sich bewegen und aufhören, sobald das zuerst Bewegende aufhörte; und wenn es auch thut was der Stein, nämlich bewegt was bewegte. Man muß aber dieß sagen, daß das zuerst Bewegende fähig macht[235] zu bewegen, sei es diese Luft, oder das Wasser, oder etwas anderes dergleichen, welches die Bestimmung hat zu bewegen und bewegt zu werden. Aber nicht zugleich hört es auf zu bewegen und bewegt zu werden: sondern bewegt zu werden zugleich, wenn der Bewegende aufhört zu bewegen: bewegend aber bleibt es noch. Darum bewegt es etwas anderes, was daran stößt. Und von diesem gilt dasselbe. Es läßt aber nach, wenn geringer wird die Kraft zu bewegen in dem Daranstoßenden. Gänzlich aber hört es auf, wenn nicht mehr thätig ist das vorher Bewegende, und nur noch bewegt wird. Dieß aber muß zugleich aufhören, das eine zu bewegen, das andere bewegt zu werden, und die ganze Bewegung. – Diese Bewegung nun geschieht in demjenigen, was fähig ist, bald sich zu bewegen, bald zu ruhen. Und nicht eine stetige, sondern nur dem Scheine nach. Denn entweder von der Reihe nach Folgendem, oder von Berührendem ist sie. Nicht Eins nämlich ist das Bewegende, sondern sie stoßen an einander. Darum geschieht auch in Luft und in Wasser eine solche Bewegung. Von dieser sagen Einige, sie sei gegenseitiger Ortwechsel.- Es kann aber nicht auf andere Weise der aufgeworfene Zweifel gelöst werden, als auf die angegebene. Der gegenseitige Ortwechsel läßt Alles zugleich bewegt werden und bewegen; also auch aufhören. So aber erscheint Eines nur als stetig sich bewegend. Von etwas also: denn doch nicht von sich selbst. Da aber in dem was ist, immer eine stetige Bewegung sein muß, diese aber eine einige ist; die einige aber von irgend einer Ausdehnung sein muß (denn nicht bewegt sich, was keine Ausdehnung hat): so muß sie auch Bewegung eines Einen und von Einem erregt sein: denn sonst wäre sie nicht stetig, sondern bloß anstoßend die eine an die andere, und getrennt. Das Bewegende nun, wenn es Eines ist, bewegt entweder, indem es selbst bewegt, oder indem es unbeweglich ist. Ist es nun selbst bewegt, so[236] wird es das Bewegte begleiten müssen, und selbst mit in die Veränderung eingehen, und zugleich bewegt werden von etwas. Also wird man stehen bleiben bei, und kommen auf ein Bewegtwerden von Unbeweglichem. Dieses nämlich braucht nicht in die Veränderung mit einzugehen, sondern es wird stets etwas bewegen können. Denn mühelos ist dieses Bewegen, und gleichmäßig diese Bewegung, entweder allein, oder vorzüglich. Denn nicht erleidet irgend eine Veränderung das Bewegende. Es darf aber auch nicht das Bewegte in Bezug auf jenes eine Veränderung erleiden, damit gleichförmig ist die Bewegung. Es muß aber entweder in der Mitte, oder im Kreise sein. Denn dieß sind die Anfänge. Aber am schnellsten bewegt sich, was am nächsten ist dem Bewegenden. Eine solche aber ist die Bewegung des Ganzen. Dort also ist das Bewegende. – Es leidet aber einen Zweifel, ob etwas Bewegtes stetig bewegen kann, und nicht vielmehr, wie das Stoßende, in Absätzen, und auch durch die Folge in der Reihe die Bewegung stetig ist. Entweder nämlich muß es stoßen oder ziehen, oder beides, oder etwas anderes, indem es selbst Verschiedenes von Verschiedenem erfährt, wie zuvor gesagt ward von dem, was geworfen wird. Wenn aber die Luft oder das Wasser, die theilbar sind, bewegen, nicht aber als würden sie stets bewegt: so kann in beiden Fällen die Bewegung nicht Eine sein, sondern nur eine angrenzende. Allein also stetig ist, welche das Unbewegliche erregt. Denn indem es sich stets gleich verhält, wird es auch gegen das Bewegte immer gleich sich verhalten und stetig. – Nach diesen Bestimmungen nun ist ersichtlich, daß nicht kann das zuerst Bewegende und Unbewegliche eine Ausdehnung haben. Denn hat es eine Ausdehnung, so muß es entweder begrenzt sein, oder unbegrenzt. Daß nun unbegrenzt keine Ausdehnung sein kann, ist zuvor gezeigt worden in den naturwissenschaftlichen Betrachtungen.[237] Daß aber das Begrenzte keine unbegrenzte Kraft haben kann, und daß nichts von etwas Begrenztem in unbegrenzter Zeit bewegt werden kann, ist jetzt gezeigt worden. Das zuerst Bewegende aber erregt doch eine ewige Bewegung, und eine unbegrenzte Zeit hindurch. Ersichtlich also ist, daß es untrennbar ist und theillos, und daß es keine Ausdehnung hat.[238]

Quelle:
Aristoteles: Physik. Leipzig 1829.
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