Vorrede.

[73] Alle Die, welche von der Natur, als einer bereits erkannten Sache, zu sprechen gewagt haben, sei es aus Ueberzeugung oder aus Eitelkeit und handwerksmässiger Gewohnheit geschehen, haben der Philosophie und den Wissenschaften den grössten Schaden gethan. Denn so weit sie Glauben fanden, haben sie die Forschung unterdrückt und abgebrochen, und ihre eigene Kraft konnte[73] nicht so viel nützen, als sie durch die Verderbniss und Zerstörung fremder Kraft geschadet haben.

Die aber, welche den entgegengesetzten Weg einschlugen und behaupteten, dass man überhaupt nichts wissen könne, sei es, dass sie die alten Philosophen hassten oder in sich selbst schwankten oder aus einem Uebermaass von Gelehrsamkeit auf diese Ansicht gerathen waren, haben zwar beachtenswerthe Gründe dafür beigebracht; allein trotzdem haben sie ihre Ansicht nicht aus den wahren Grundlagen abgeleitet, und ihr Eifer und ihre Anmassung haben sie das rechte Maass überschreiten lassen.

Die älteren Griechen, deren Schriften verloren gegangen sind, haben die kluge Mitte zwischen voreiligem Behaupten und verzagtem Enthalten des Urtheils gewählt. Sie klagen allerdings oft über die Schwierigkeit der Untersuchung und die Dunkelheit der Gegenstände; sie beissen vor Unwillen gleichsam in die Zügel; aber sie lassen doch von ihrem Vorsatze nicht ab, bleiben bei der Natur und halten es für besser, den Satz, ob man etwas wissen könne, nicht zu erörtern, sondern zu erproben. Und doch haben selbst sie diese Regel nicht festgehalten; sie folgten zu sehr den Antrieben des Verstandes und suchten Alles nur durch eifriges Nachdenken und ein fortwährendes Drehen und Wenden der Gedanken zu erreichen.

Mein Verfahren ist dagegen ebenso schwer auszuführen, wie leicht zu beschreiben. Es stellt die Grade der Gewissheit fest, schützt die Sinne, indem es ihnen Schranken setzt, verwirft meist das den Sinnen nachfolgende Werk des Verstandes, aber eröffnet und bahnt dem Geiste einen neuen und sichern Weg, der von den sinnlichen Wahrnehmungen ausgeht.

Dies haben sicherlich auch Die bemerkt, welche der Dialektik eine so grosse Rolle zugetheilt haben; man sieht, dass sie Hülfe für den Verstand gesucht und dem natürlichen und von selbst geschehenden Bewegungen des Verstandes nicht getraut haben. Aber für eine verlorene Sache kommt das Mittel zu spät; der Geist ist bereits aus täglicher Gewohnheit mitverderbten Aussprüchen und Lehren angefüllt und von den eitelsten Einbildungen besessen. Indem diese dialektische Kunst, wie erwähnt, mit[74] ihrer Fürsorge zu spät kommt, kann sie die Sache nicht wieder herstellen und hat mehr zur Ausbildung des Irrthums als zur Offenbarung der Wahrheit beigetragen.

Das Heil und Wohl liegt jetzt allein darin, dass man das Werk des Geistes ganz von Neuem beginne, und dass der Geist gleich vom Anfang ab sich nicht selbst überlassen bleibe, sondern stets geleitet werde, und somit das Geschäft wie durch eine Maschine verrichtet werde.

Fürwahr! Hätte man die mechanischen Werke mit den blossen Händen ohne die Kraft und Hülfe von Werkzeugen begonnen, wie man ohne Bedenken die geistigen Werke beinahe mit den blossen Kräften des Geistes unternommen hat, so würde man nur Geringes haben in Bewegung setzen und überwinden können, wenn auch Alle sich angestrengt und ihre Kräfte vereinigt hätten.

Wenn wir hier ein Wenig verweilen und auf ein Beispiel wie auf einen Spiegel schauen, so frage ich, ob, wenn etwa ein grosser Obelisk zur Zierde eines Triumphes oder einer andern Feierlichkeit herbeigeschafft werden sollte, und die Leute dies mit ihren blossen Händen versuchten, ob nicht jeder vernünftige Zuschauer dies für eine grosse Thorheit erklären würde? Wenn man nun die Zahl der Arbeitsleute vermehrte und damit die Sache zu vollbringen meinte, würde das nicht um so schlimmer sein? Wollte man aber eine Auswahl treffen, die Schwachen entfernen und nur die Starken und Kräftigen benutzen, und hoffte man so den Wunsch erreichen zu können, würde man sie dann nicht für noch thörichter halten? Ja, wenn man, damit nicht zufrieden, die Kunst der Athleten zu Hülfe nähme und Allen aufgäbe, mit ihren kunstgemäss gesalbten und vorbereiteten Händen, Armen und Nerven zuzugreifen, würde der Zuschauer nicht ausrufen, dass man sich mühe, um mit Verstand und Klugheit toll zu sein?

Dennoch stürzen die Menschen sich mit ähnlichem[75] verkehrtem Ungestüm und nutzlosen Verschwörungen auf die Werke des Geistes und hoffen bald von der Menge und Uebereinstimmung der Geister, bald von der Vorzüglichkeit und Schärfe derselben Grosses. Man stärkt auch mittelst der Dialektik, die für eine Athletenkunst gelten kann, die Nerven des Geistes; aber immer hört man dabei trotz allen Eifers und Anstrengens, bei Lichte besehen, nicht auf, mit dem blossen Verstände zu arbeiten. Es ist aber unzweifelhaft, dass bei jedem grossen Werke, was die Hand des Menschen schafft, ohne Werkzeuge und Maschinen die Kraft des Einzelnen weder angespannt, noch die Kräfte Aller vereinigt werden können.

So folgere ich aus diesen Sätzen, dass die Menschen ermahnt werden müssen, auf Zweierlei zu achten, damit es ihnen nicht entgehe und vorbeieile. Erstens muss, wenn die Widersprüche und der Uebermuth in den Geistern vertilgt und vertrieben werden sollen, den Alten, wie in Folge einer guten Bestimmung des Schicksals, ihre Ehre und Hochachtung unverletzt und unverändert verbleiben, da wir trotzdem unsere Aufgabe erfüllen und die Frucht unserer Bescheidenheit geniessen können. Denn wenn ich erkläre, dass ich etwas Besseres als die Alten bringe, und zwar auf demselben von ihnen betretenen Wege erlangt, so vermag keine Kunst des Ausdruckes es zu hindern, dass dann in Bezug auf Geist oder Auszeichnung oder Anlage ein Wetteifer sich erhebt und Vergleichungen angestellt werden. Es wäre dies zwar nichts Neues und unrechtes; denn was kann ich für mein Recht, und haben nicht Alle dasselbe Recht, wenn sie bei den Alten etwas schlecht gefasst und ausgedrückt finden, dies bemerkbar zu machen und zu tadeln? Dies wäre also sicherlich erlaubt und recht; aber dennoch wäre wegen des Maasses meiner Kräfte dieser Wettstreit vielleicht nicht an der Stelle gewesen.

Da ich indess jetzt die Absicht habe, dem Geiste einen neuen Weg zu eröffnen, den die Alten nicht versucht und gekannt haben, so ist die Lage dadurch verändert; der Eifer und die Rolle hört auf, und es bleibt mir nur das[76] Amt eines Souffleurs, was wenig bedeutet und mehr des guten Glückes, als ausgezeichneter Fähigkeiten bedarf. Diese Erinnerung betraf die Personen; die zweite betrifft die Sache selbst.

Ich bemühe mich keinesweges, die Philosophie, wie sie jetzt in Blüthe steht, oder eine andere, die jetzt oder später besser und vollständiger als diese ist, zu stören. Ich will nicht hindern, dass diese hergebrachte Philosophie und ihre Schwestern die Streitigkeiten unterhalten, die Reden schmücken und zur Erlangung der gelehrten Würden und Bequemlichkeiten des bürgerlichen Lebens benutzt werden; und ich erkläre offen, dass die Philosophie, welche ich herbeibringe, dazu wenig nützen wird. Denn sie ist nicht gleich fertig zur Hand, sie kann nicht im Vorbeigehen erfasst werden, sie schmeichelt dem Geist nicht mit blendenden Begriffen und macht sich der Menge nur durch ihren Nutzen und ihre Wirkungen verständlich.

Deshalb mögen zum Frommen beider Theile zwei Ausflüsse und Vertheilungen der Lehre und ebenso zwei Stämme oder Geschlechter von Betrachtenden oder Philosophen bestehen, und Beide sollen keinesweges Feinde und Fremde gegen einander sein, sondern zu gegenseitiger Hülfe verbundene Genossen. Es möge endlich eine Weise, die Wissenschaft zu pflegen, und eine andere, sie zu erfinden, bestehen.

Wem die erste lieber und willkommener ist, sei es, dass er Eile hat, oder auf das bürgerliche Leben Rücksicht nimmt, oder weil er die andere Weise wegen seines schwachen Geistes nicht fassen und umfassen kann, was bei den Meisten der Fall ist, dem wünsche ich alles Glück und das Gelingen seiner Wünsche; möge er erreichen, was er verfolgt.

Liegt aber Einem der Sterblichen am Herzen, nicht blos bei dem bereits Entdeckten stehen zu bleiben und[77] dies zu benutzen, sondern weiter vorzudringen; will er nicht mit Gegnern streiten, sondern die Natur durch die That besiegen; will er nicht blos schöne und wahrscheinliche Meinungen haben, sondern eine sichere und erweisbare Erkenntnis erlangen, so ist ein Solcher der rechte Sohn der Wissenschaft. Ein Solcher mag sich mir anschliessen, damit wir endlich aus den von Zahllosen betretenen Vorhöfen den Zugang zu dem Innern eröffnen.

Um besser verstanden zu werden und meinen Zweck durch besondere Namen geläufiger zu bezeichnen, möchte ich die eine Art und Weise das Vorgreifen des Geistes, die andere die Erklärung der Natur nennen.

Auch danach habe ich gestrebt, überlegt und gesorgt, dass das, was ich lehre, nicht blos wahr sei, sondern auch den Menschen nicht zu unbequem und schwer begreiflich erscheine, obgleich sie in wunderbarer Weise eingenommen und verschlossen sind. Indess kann ich bei einer so grossen Erneuerung der Lehren und Wissenschaften auch die billige Forderung stellen, dass, wenn Jemand über meine Arbeit nach seinem Sinn oder nach der Menge der Autoritäten oder nach den Formen der Begründung, die jetzt gleichsam die Kraft von bindenden Gesetzen erlangt haben, ein Urtheil fällen will, er nicht glaube, dies im Vorbeigehen und neben andern Dingen[78] abmachen zu können; sondern er muss, um die Sache kennen zu lernen, den von mir beschriebenen und gebahnten Weg selbst ein Wenig versuchen. Er muss sich mit der Feinheit der Dinge, die bei Versuchen heraustritt, bekannt machen; er muss die schlechten und tief eingewurzelten Gewohnheiten des Denkens durch ein gemessenes und berechtigtes Zögern verbessern. Dann endlich, wenn er dies Alles erreicht haben wird, möge er, wenn es ihm beliebt, sein Urtheil fällen.[79]

Quelle:
Franz Bacon's Neues Organon. Berlin 1870, S. 73-81.
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