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Karl Beck: »›Lieder vom armen Mann‹, oder die Poesie des wahren Sozialismus«

[207] Die »Lieder vom armen Mann« beginnen mit einem Liede an ein reiches Haus.


An das Haus Rothschild

Um Mißverständnissen vorzubeugen, redet der Dichter Gott mit »HERR« und das Haus Rothschild mit Herr an.

Gleich in der Ouvertüre konstatiert er seine kleinbürgerliche Illusion, daß das Gold nach Rothschilds »Launen herrscht«; eine Illusion, die eine ganze Reihe von Einbildungen über die Macht des Hauses Rothschild nach sich zieht.

Nicht die Vernichtung der wirklichen Macht Rothschilds, der gesellschaftlichen Zustände, worauf sie beruht, droht der Dichter; er wünscht nur ihre menschenfreundliche Anwendung. Er jammert, daß die Bankiers keine sozialistischen Philanthropen sind, keine Schwärmer, keine Menschheitsbeglücker, sondern eben Bankiers. Beck besingt die feige kleinbürgerliche Misère, den »armen Mann«, den pauvre honteux mit seinen armen, frommen und inkonsequenten Wünschen, den »kleinen Mann« in allen seinen Formen, nicht den stolzen, drohenden und revolutionären Proletarier. Die Drohungen und Vorwürfe, womit Beck das Haus Rothschild überschüttet, wirken allem guten Willen zum Trotz noch burlesker auf den Leser als eine Kapuzinerpredigt. Sie beruhen auf der kindlichsten Illusion über die Macht[207] der Rothschilde, auf einer gänzlichen Unkenntnis des Zusammenhangs dieser Macht mit den bestehenden Zuständen, auf einer vollkommenen Täuschung über die Mittel, welche die Rothschilde anwenden mußten, um eine Macht zu werden und um eine Macht zu bleiben. Der Kleinmut und der Unverstand, die weibliche Sentimentalität, die jämmerliche, prosaisch-nüchterne Kleinbürgerlichkeit, welche die Musen dieser Leier sind, tun sich vergebens Gewalt an, um fürchterlich zu werden. Sie werden nur lächerlich. Ihr forcierter Baß schlägt beständig in ein komisches Falsett um, ihre dramatische Darstellung des gigantischen Ringens eines Enceladus bringt es nur zu den possierlichen Gliederverrenkungen eines Hampelmanns.


Nach deinen Launen herrscht das Gold

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

O wär' dein Werk so schön! O wäre

Dein Herz so groß wie deine Macht! p. 4.


Es ist schade, daß Rothschild die Macht und unser Dichter das Herz hat. »Wären sie beide vereint, wär's für die Erde zuviel.« (Herr Ludwig von Baierland.)

Die erste Gestalt, die Rothschild gegenübergestellt wird, ist natürlich der Sänger selbst, und zwar der deutsche Sänger, der in »hohen, heiligen Mansarden« wohnt.


Es tönt von Recht und Licht und Freiheit,

Vom echten GOTT in seiner Dreiheit,

Die liedergesegnete Laute der Barden:

Da folgt das horchende Menschenkind

Den Geistern. p. 5.


Dieser dem Motto der »Leipziger Allgemeinen Zeitung« entlehnte »GOTT«, der auf den Juden Rothschild, schon weil er dreieinig ist, keinen Effekt macht, übt dagegen auf die deutsche Jugend ganz magische Wirkungen aus.


Es mahnt die wiedergenesene Jugend

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Und der Begeisterung zeugender Samen

Geht auf in hundert herrlichen Namen. p. 6.


Rothschild urteilt anders über die deutschen Poeten:


Das Lied, was uns die Geister geboten,

Du nennst es Hunger nach Ruhm und Broten. [p. 6.]


Trotzdem, daß die Jugend mahnt und ihre hundert herrlichen Namen aufgehen, deren Herrlichkeit eben darin besteht, daß sie bei der bloßen Begeisterung[208] stehenbleiben, trotzdem, daß »mutig zum Kampf die Hörner blasen«, daß »das Herz so laut in der Nacht pocht«.


Das törichte Herz, es fühlt die Bedrängnis

Von einer göttlichen Empfängnis. p. 7.


Dies törichte Herz, diese Jungfrau Maria! – trotzdem, daß


Die Jugend, ein finstrer Saul (von Karl Beck,

Leipzig bei Engelmann 1840),

Mit GOTT und mit sich selber grollt [p. 8],


trotz alledem und alledem hält Rothschild den bewaffneten Frieden aufrecht, der nach Becks Glauben von ihm allein abhängt.

Die Zeitungsnachricht, daß der heilige Kirchenstaat Rothschild den Erlöserorden geschickt hat, bietet unserem Dichter Gelegenheit nachzuweisen, daß Rothschild kein Erlöser ist, wie sie ebensogut zu dem gleich interessanten Beweis Anlaß geben konnte, daß Christus zwar ein Erlöser, aber dennoch kein Ritter des Erlöserordens war.


Du ein Erlöser? p. 11.


Und er beweist ihm nun, daß er nicht in bitterer Nacht, wie Christus, rang, daß er nie hingeopfert habe die stolze, die irdische Macht


Für eine milde, beglückende Sendung,

Vom großen GEIST dir anvertraut. p. 11.


Man muß dem großen GEIST nachsagen, daß er nicht viel Geist in der Auswahl seiner Missionäre beweist und sich wegen milden Stiftungen an den unrechten Mann adressiert. Das einzig Große an ihm sind die Buchstaben.

Das wenige Talent Rothschilds zum Erlöser wird ihm nun an drei Fällen ausführlich nachgewiesen: an seinem Benehmen gegenüber der Julirevolution, den Polen und den Juden.


Auf stand das mutige Frankenkind, p. 12,


mit einem Wort, die Julirevolution brach aus.


Warst du bereit? Erklang dein Gold

Wie Lerchengezwitscher jubelnd und hold

Zum Lenz, der in der Welt sich rührte?

Der, was ansehnlichen Wünschen tief

In unsrer Brust verschüttet schlief,

Verjüngt zurück ins Leben führte? p. 12.[209]


Der Lenz, der sich rührte, war der Lenz der Bourgeois, dem allerdings das Gold, Rothschilds Gold so gut wie jedes andere, wie Lerchengezwitscher jubelnd und hold erklingt. Allerdings, die Wünsche, die während der Restauration nicht nur in der Brust, sondern auch in den Carbonari-Venten verschüttet schliefen, wurden damals verjüngt ins Leben geführt, und Becks armer Mann hatte das Nachsehen. Sobald übrigens Rothschild von den soliden Basen der neuen Regierung sich überzeugt hatte, ließ er unbedenklich seine Lerchen zwitschern – gegen übliche Zinsen – versteht sich.

Becks gänzliche Befangenheit in den kleinbürgerlichen Illusionen beweist die Apotheose Laffittes gegenüber Rothschild:


Dicht rankt sich an deine beneideten Hallen

Ein heiliggesprochenes Bürgerhaus, p. 13,


nämlich das Laffittes. Der begeisterte Kleinbürger ist stolz auf die Bürgerlichkeit seines Hauses gegenüber den beneideten Hallen des Hotel Rothschild. Sein Ideal, der Laffitte seiner Einbildung, muß natürlich auch recht einfach bürgerlich wohnen; das Hotel Laffitte schrumpft zusammen zu einem deutschen Bürgerhaus. Laffitte selbst wird geschildert als ein segnend Waltender, Herzensreiner, wird verglichen mit Mucius Scävola, soll sein Vermögen geopfert haben, um den Menschen und das Jahrhundert (denkt Beck vielleicht an den Pariser »Siècle«?) auf den Strumpf zu bringen. Ein schwärmender Knabe wird er genannt, schließlich ein Bettler. Sein Begräbnis wird rührend geschildert:


Es ging im Leichenzuge mit

Gedämpften Schritts die Marseillaise. p. 14.


Neben der Marseillaise marschierten die Wagen der königlichen Familie und dicht hinter ihnen Herr Sauzet, Herr Duchâtel und sämtliche ventrus und loups-cerviers der Deputiertenkammer.

Wie aber muß die Marseillaise erst ihren Schritt gedämpft haben, als Laffitte nach der Julirevolution seinen Kompère, den Herzog von Orléans, im Triumph auf das Hôtel de Ville führte und das frappante Wort aussprach, daß von nun an die Bankiers herrschen würden?

Bei den Polen beschränken sich die Vorwürfe ganz darauf, daß Rothschild nicht wohltätig genug gegen die Emigration gewesen sei. Hier wird der Angriff auf Rothschild zu einer ganz kleinstädtischen Anekdote und verliert allen Schein eines Angriffs auf die in Rothschild repräsentierte Geldmacht[210] überhaupt. Die Bourgeois haben bekanntlich überall, wo sie herrschen, die Polen sehr liebreich und sogar enthusiastisch empfangen.

Ein Beispiel des Katzenjammers: Ein Pole tritt auf, bettelt und betet. Rothschild gibt ihm einen Silberling, der Pole


Nimmt freudezitternd das Silberstück

Und segnet dich und deinen Samen [p. 16],


eine Lage, wovor das Polen-Comité in Paris die Polen bisher im ganzen sichergestellt hat. Der ganze Auftritt mit den Polen dient unserm Poeten nur dazu, sich selbst in Positur zu werfen:


Ich aber schleudre des Bettlers Glück

Verächtlich in deinen Beutel zurück,

In der beleidigten Menschheit Namen! p. 16,


zu welchem Treffer in den Beutel große Übung und Geschicklichkeit im Werfen gehört. Schließlich stellt sich Beck von einer Klage wegen Realinjurie sicher, indem er nicht im eigenen Namen, sondern in dem der Menschheit funktioniert.

Schon p. 9 wurde Rothschild aufgemutzt, daß er den Bürgerbrief aus Österreichs fetter Kaiserstadt angenommen hat,


Wo dein gehetzter Glaubensgenosse

Sein Licht und seine Luft bezahlt.


Ja, Beck glaubt, daß Rothschild mit diesem Wiener Bürgerbrief der Freien Glück erworben hat.

Jetzt wird p. 19 die Frage an ihn gestellt:


Hast du den eignen Stamm befreit,

Der ewig hofft und ewig duldet?


Rothschild hätte also der Erlöser der Juden werden sollen. Und wie sollte Rothschild dies anfangen? Die Juden hatten ihn zum König gewählt, weil er das schwerste Gold besaß. Er hätte sie lehren sollen, wie man das Gold verachtet, »wie man fürs Wohl der Welt entbehrt«. p. 21.

Er hätte die Eigenliebe, die List und den Wucher aus ihrem Gedächtnis streichen, mit einem Wort, er hätte als Moral- und Bußprediger im Sack und in der Asche auftreten sollen. Die brave Forderung unseres Poeten ist dieselbe, als wenn er von Louis-Philippe verlangte, er solle den Bourgeois der Julirevolution lehren, das Eigentum abzuschaffen. Wenn beide so verrückt wären, so würden sie alsbald ihre Macht verlieren, aber weder die Juden den[211] Schacher, noch die Bourgeois das Eigentum sich aus dem Gedächtnis streichen.

p. 24 wird dem Rothschild vorgeworfen, daß er des Bürgers Mark aussaugt, als wäre es nicht wünschenswert, daß dem Bürger das Mark ausgesogen wird.

p. 25 soll er die Fürsten verführt haben. Sollen sie nicht verführt werden?

Wir haben schon Beweise genug gehabt von der märchenhaften Macht, die Beck dem Rothschild andichtet. Aber es geht immer crescendo. Nachdem er sich p. 26 in Phantasien ergangen hat, was er (Beck) nicht alles tun würde, wenn er Propriétaire der Sonne wäre, nämlich noch nicht den hundertsten Teil von dem, was die Sonne ohne ihn tut – fällt ihm plötzlich ein, daß Rothschild nicht allein der Sünder ist, sondern neben ihm auch noch andere Reiche existieren. Allein:


Du saßest beredt im Lehrerstuhle,

Es lernten die Reichen in deiner Schule;

Du mußtest sie führen ins Leben hinein,

Du konntest ihr Gewissen sein.

Sie sind verwildert – du hast es geduldet,

Sie sind verworfen – du hast es verschuldet. p, 27.


Also die Entwickelung des Handels und der Industrie, die Konkurrenz, die Konzentration des Eigentums, die Staatsschulden und Agiotage, kurz die ganze Entwickelung der modernen bürgerlichen Gesellschaft hätte Herr von Rothschild verhindern können, wenn er nur etwas gewissenhafter gewesen wäre. Es gehört wirklich toute la désolante naiveté de la poésie allemande dazu, um zu wagen, solche Ammenmärchen drucken zu lassen. Rothschild wird förmlich in Aladdin verwandelt.

Noch nicht zufrieden, verleiht Beck dem Rothschild


Der Sendung schwindelnde Größe,

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Zu lindern der Welt gesamte Leiden [p. 28],


eine Sendung, welche alle Kapitalisten der ganzen Welt zusammen nicht im entferntesten zu erfüllen vermögen. Sieht unser Dichter denn nicht, daß er um so lächerlicher wird, je erhabener und gewaltiger er wer den will? daß alle seine Vorwürfe gegen Rothschild in die hündischsten Schmeicheleien umschlagen? daß er die Macht Rothschilds auf eine Weise feiert, wie sie der[212] durchtriebenste Panegyriker nicht feiern könnte? Rothschild muß sich selbst Beifall zuklatschen, wenn er sieht, als welche gigantische Schreckgestalt seine kleine Persönlichkeit im Hirn eines deutschen Poeten sich widerspiegelt.

Nachdem unser Poet sich bisher die romanhaften und unwissenden Phantasien eines deutschen Kleinbürgers über die Macht eines großen Kapitalisten, wenn er nur guten Willen hätte, versifiziert hat, nachdem er die Phantasie dieser Macht aufs Höchste geschwindelt hat in seiner Sendung schwindelnder Größe, spricht er die moralische Entrüstung des Kleinbürgers über den Abstand zwischen Ideal und Wirklichkeit in einem pathetischen Paroxysmus aus, der sogar die Lachmuskeln eines pennsylvanischen Quäkers in krampfhafte Aktion setzen würde:


Weh mir, wenn ich in langer Nacht (21. Dezember)

Mit heißer Stirn es durchgedacht

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Dann hob sich bäumend meine Locke,

Mir war's, als riß ich an GOTTES Herzen,

Ein Glöckner an der Feuerglocke p. 28,


was dem alten Mann gewiß der letzte Nagel an seinem Sarge war. Er glaubt, die »Geister der Geschichte« hätten ihm da Gedanken anvertraut, die er noch leise noch laut sagen dürfe. Ja, er kommt zu dem verzweifelten Entschluß, in seinem Grabe noch den Cancan zu tanzen:


Doch einst im modernden Leichentuch

Wird wonnig schaudern mein Gerippe,

Wenn nieder zu mir (dem Gerippe) die Kunde taucht,

Daß auf den Altären das Opfer raucht. p. 29.


Der Knabe Karl fängt an, mir fürchterlich zu werden.

Der Gesang über das Haus Rothschild wäre geschlossen. Folgt nun, wie gewöhnlich bei den modernen Lyrikern, eine gereimte Reflektion über diesen Gesang und die Rolle, die der Dichter in ihm gespielt hat.


Ich weiß, es kann

Dein mächtiger Arm mich blutig schlagen p. 30,


d.h. ihm fünfzig aufzählen lassen. Der Österreicher vergißt den Haselstock nie. Dieser Gefahr gegenüber stärkt ihn das Hochgefühl:


Wie's GOTT befahl und sonder Zagen,

So sang ich offen, was ich sann. [p. 30.][213]


Der deutsche Poet singt immer auf Befehl. Natürlich, der Herr ist verantwortlich, nicht der Knecht, und so hat Rothschild es mit GOTT zu tun, nicht mit Beck, seinem Knecht. Es ist überhaupt die Methode der modernen Lyriker:

1. mit der Gefahr zu renommieren, der sie sich in ihren harmlosen Gesängen auszusetzen glauben;

2. Prügel zu bekommen und sich dann Gott zu befehlen.

Das Lied »An das Haus Rothschild« schließt mit einigen Hochgefühlen über eben dasselbe Lied, dem hier verleumderisch nachgesagt wird:


Frei ist's und stolz, es darf dich meistern,

Dir sagen, worauf es gläubig schwört p. 32,


nämlich auf seine eigene, in diesem Schluß nachgewiesene Vortrefflichkeit. Wir fürchten, daß Rothschild den Beck nicht wegen des Liedes, sondern wegen dieses Meineides den Gerichten denunzieren wird.


O, streutet Ihr den goldenen Segen!

Die Reichen werden aufgefordert, dem Dürftigen eine Unterstützung angedeihen zu lassen,


Bis dir der Fleiß ein sicheres Habe

Für Weib und Kind gewann. [p. 35.]


Und alles dies geschehe:


Daß du gut verbleiben könnest,

Ein Bürger und ein Mann, [p. 35]


also summa summarum ein guter Bürgersmann. Beck ist hiermit auf sein Ideal reduziert.


Knecht und Magd

Der Poet besingt zwei gottgefällige Seelen, die, wie höchst langweilig beschrieben wird, erst nach vieljährigem Knickern und moralischem Lebenswandel dazu kommen, ein keusches Ehebett zu besteigen.


Sich küssen? sie täten es schämig! Sich necken? sie täten es leise!

Ach, Blumen waren es wohl, doch waren es Blumen im Eise;[214]

Ein Tanz auf Krücken, o Gott! ein armer verspäteter Falter,

Der halb ein blühendes Kind und halb ein verwelkender Alter. [p. 50.]


Statt mit dieser einzigen guten Strophe im ganzen Gedicht zu schließen, läßt er sie hinterher noch jauchzen und beben, und zwar aus Freude am kleinen Eigentum, daß »am eigenen Herd die eigenen Pfühle sich heben«, eine Phrase, die nicht ironisch, sondern mit ernsten Wehmutstränen ausgesprochen wird. Aber auch damit noch nicht:


Nur Gott ist ihr Herr, der die Sterne beruft, zu leuchten, wenn's nachtet,

Den Knecht, der die Kette zerbricht, mit seligem Auge betrachtet. [p. 50.]


Somit wäre denn alle Pointe glücklich abgebrochen. Der Kleinmut und die Unsicherheit Becks verraten sich immer darin, daß er jedes Gedicht möglichst lang ausspinnt und nie enden kann, bis er durch eine Sentimentalität seine Kleinbürgerei dokumentiert hat. Die Kleistschen Hexameter scheinen absichtlich gewählt zu sein, um den Leser dieselbe Langeweile ertragen zu lassen, die die beiden Liebenden während ihrer langen Prüfungszeit sich durch ihre feige Moralität zuziehen.


Der Trödeljude

In der Beschreibung des Trödeljuden finden sich einige naive, nette Sachen, z.B.:


Die Woche flieht, die Woche bietet

Nur fünf der Tage deinem Fleiß.

O, spute dich, du Atemloser,

Wirb, wirb um deinen Tagelohn.

Am Samstag will es nicht der Vater,

Am Sonntag will es nicht der Sohn. [p. 55.]


Später aber verfällt Beck ganz in den liberal-jungdeutschen Judensabbel. Die Poesie hört so sehr auf, daß man glauben könnte, eine skrofulöse Rede der skrofulösen sächsischen Stände-Kammer zu hören: Du kannst nicht Handwerker werden, nicht »Krämermeister«, nicht Ackerbauer, nicht Professor, aber die medizinische Karriere steht dir frei. Dies wird poetisch so ausgedrückt:


Sie gönnen dir kein Handgewerke,

Sie gönnen dir kein Ackerfeld.

Du darfst ja nicht zur Jugend sprechen

Von eines Lehrers hohem Pfühl;

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Du darfst im Lande die Kranken heilen. [p. 57.][215]


Könnte man in dieser Weise nicht die preußische Gesetzsammlung in Verse setzen und Herrn Ludewigs von Baierland Verse in Musik?

Nachdem der Jude seinem Sohn vordeklamiert:


Du mußt ja schaffen, mußt erraffen

In steter Gier nach Gut und Geld, [p. 57]


tröstet er ihn:


Doch ehrlich bleibst du fort und fort. [p. 58.]


Lorelei

Diese Lorelei ist niemand anders als das Gold.


Da trat in des Gemütes Reinheit

Mit breiten Wogen die Gemeinheit,

Und jedes Heil ertrank. [p. 64.]


In dieser Gemütssündflut und dem Ertrinken des Heils liegt eine höchst niederschlagende Mischung von Plattheit und Bombast. Folgen triviale Tiraden über die Verwerflichkeit und Immoralität des Geldes.


Sie (die Minne) späht nach Talern, nach Juwelen,

Nach Herzen nicht und gleichen Seelen,

Und eines Hüttleins Raum. [p. 67.]


Hätte das Geld nicht mehr getan, als das deutsche Spähen nach Herzen und gleichen Seelen und der Schillerschen kleinsten Hütte, in der für ein glücklich liebend Paar Raum ist, um den Kredit zu bringen, so wären seine revolutionären Wirkungen schon anzuerkennen.


Trommellied

In diesem Gedicht zeigt unser sozialistischer Poet wieder, wie er durch seine Befangenheit in der deutschen Kleinbürgermisère fortwährend gezwungen wird, den wenigen Effekt zu verderben, den er hervorbringt.

Es zieht ein Regiment mit klingendem Spiele aus. Das Volk fordert die Soldaten auf, mit ihm gemeinschaftliche Sache zu machen. Man freut sich, daß der Dichter endlich Mut faßt. Aber, o weh, schließlich erfährt man, daß es sich bloß um Kaisers Namenstag handelt und die Anrede des Volks nur die träumerische, verheimlichte Improvisation eines Jünglings bei der Parade ist. Wahrscheinlich eines Gymnasiasten:


So träumt ein Jüngling, dem's Herze brennt. [p. 76.][216]


Während derselbe Stoff mit derselben Pointe, von Heine behandelt, die bitterste Satire auf das deutsche Volk enthalten würde, kommt bei Beck nur eine Satire auf den Dichter selbst heraus, der sich selbst mit dem ohnmächtig schwärmenden Jüngling identifiziert. Bei Heine werden die Schwärmereien des Bürgers absichtlich in die Höhe geschraubt, um sie nachher ebenso absichtlich in die Wirklichkeit herabfallen zu lassen, bei Beck ist es der Dichter selbst, der sich diesen Phantasien assoziiert und natürlich auch den Schaden mit trägt, wenn er in die Wirklichkeit herunterstürzt. Bei dem einen fühlt sich der Bürger empört über die Keckheit des Dichters, bei dem andern beruhigt durch seine Seelenverwandtschaft mit ihm. Die Prager Insurrektion bot ihm übrigens Gelegenheit, ganz andere Dinge als diese Farce zu reproduzieren.


Der Auswanderer

Ich brach den Zweig vom Stamme,

Der Förster gab Rapport,

Da band der Herr mich stramme

Und schlug mir diese Schramme. [p. 86.]


Fehlt nur noch, daß auch der Rapport in ähnlichen Versen vorgetragen wird.


Der Stelzfuß

Hier sucht der Dichter zu erzählen und scheitert auf eine wirklich jämmerliche Weise. Diese vollendete Ohnmacht zu erzählen und darzustellen, die sich in dem ganzen Buch zeigt, ist charakteristisch für die Poesie des wahren Sozialismus. Der wahre Sozialismus bietet in seiner Unbestimmtheit keine Gelegenheit, einzelne zu erzählende Fakta an allgemeine Verhältnisse anzuknüpfen und ihnen dadurch die frappante, bedeutende Seite abzugewinnen. Die wahren Sozialisten hüten sich deshalb auch in ihrer Prosa sehr vor der Geschichte. Wo sie ihr nicht entgehen können, begnügen sie sich damit, entweder philosophisch zu konstruieren oder einzelne Unglücksfälle und soziale Casus in ein trockenes und langweiliges Register einzutragen. Auch geht ihnen allen in Prosa und Poesie das zum Erzählen nötige Talent ab, was mit der Unbestimmtheit ihrer ganzen Anschauungsweise zusammenhängt.


Die Kartoffel

[217] Melodie: »Morgenrot, Morgenrot!«

Heilig Brot!

Daß du kamst für unsre Not,


Daß du kamst um Himmels Willen

In die Welt, das Volk zu stillen –

Fahre wohl, du bist nun tot! [p. 105.]


In der zweiten Strophe heißt er die Kartoffel:


. . . den kleinen Rest,

Der aus Eden uns geblieben,


und charakterisiert die Kartoffelkrankheit:


Unter Engeln tobt die Pest!


In der dritten Strophe rät Beck dem armen Mann, Trauer anzulegen:


Armer Mann!

Gehe hin, leg Trauer an.

Völlig bist du nun gerichtet,

Ach, dein Letztes ist vernichtet.

Weine, wer noch weinen kann!


Tot im Sand

Liegt dein Gott, du trauernd Land.

Laß jedoch den Trost dir sagen:

Kein Erlöser ward erschlagen,

Der nicht wieder auferstand! [p. 106.]


Weine, wer da weinen kann, mit dem Dichter! Wäre er nicht so arm an Energie, wie sein armer Mann an gesunden Kartoffeln, so würde er sich über den Stoff gefreut haben, den die Kartoffel, dieser Bourgeoisgott, einer der Pivots der bestehenden bürgerlichen Gesellschaft, vorigen Herbst erhielt. Die Grundbesitzer und Bürgersleute Deutschlands hätten dies Gedicht ohne Schaden in den Kirchen absingen lassen können.

Beck verdient für diesen Effort einen Kranz von Kartoffelblüten.


Die alte Jungfer

Wir gehen auf dies Gedicht nicht näher ein, da es gar kein Ende nimmt und sich in unsäglich langweiliger Breite über volle neunzig Seiten ausdehnt.[218] Die alte Jungfer, die in zivilisierten Ländern meist nur nominell vorkommt, ist in Deutschland allerdings ein bedeutender »sozialer Casus«.

Die allergewöhnlichste Manier, sozialistisch-selbstgefällig zu reflektieren, besteht darin, zu sagen, es sei alles gut, wenn nur nicht auf der andern Seite die Armen wären. Bei jedem beliebigen Stoff kann diese Reflexion angestellt werden. Der eigentliche Gehalt dieser Reflexion ist die philanthropisch-heuchlerische Kleinbürgerlichkeit, die mit den positiven Seiten der bestehenden Gesellschaft vollkommen einverstanden ist und nur darüber jammert, daß auch die negative Seite der Armut daneben besteht, die über und über in der gegenwärtigen Gesellschaft befangen ist und nur wünscht, daß diese Gesellschaft ohne ihre Existenzbedingungen fortexistieren möge.

Beck stellt in diesem Gedicht diese Reflexion oft möglichst trivial an, z.B. bei Gelegenheit des Christfestes:


O Zeit, die mild des Menschen Herz erbaut,

Du wärest milder und doppelt traut –

Wenn nicht in der Brust des armen Buben,

Der elternlos in die festlichen Stuben

Des reichen Spielgenossen schaut,

Der Neid mit seiner ersten Sünde

Bei wüster Gotteslästerung stünde!

Ja . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . süßer, klänge beim Weihnachtslicht

Der Kinder Jubel in meinem Gehöre,

Wenn nur in feuchten Höhlen nicht

Auf schlechter Streu das Elend fröre. [p. 149.]


Es finden sich übrigens schöne Einzelheiten in diesem formlosen und endlosen Gedicht, z.B. die Darstellung des Lumpenproletariats:


Was täglich und unverdrossen

Nach Kehricht sucht in verpesteten Gossen;

Was wie der Spatz nach Futter schweift,

Was Töpfe flickt und Scheren schleift,

Was starren Fingers die Wäsche steift,

Was keuchend schiebt des Karrens Wucht,

Beladen mit kaum gereifter Frucht,

Und weinerlich singt: Wer kauft, wer kauft?

Was um den Heller im Schmutze rauft;

Was täglich an den Steinen der Ecken

Den Gott besingt, an den es glaubt,

Kaum wagt die Hände hinzustrecken,[219]

Dieweil das Betteln nicht erlaubt;

Was tauben Ohrs in Hungers Nöten

Die Harfen spielt und bläst die Flöten,

Jahraus, jahrein denselben Chor –

Vor allen Fenstern, an jedem Tor –

Die Kindermagd zum Tanze stimmt,

Doch selber nicht das Lied vernimmt;

Was nachts die große Stadt erhellt

Und selbst kein Licht im Hause hat;

Was Lasten trägt, was Holz zerspellt,

Was herrenlos, was herrensatt;

Was beten und kuppeln und stehlen läuft,

Den Rest des Gewissens wüst versäuft. [p. 158-160.]


Beck erhebt sich hier zum ersten Male über die gewöhnliche deutschbürgerliche Moralität, indem er diese Verse einem alten Bettler in den Mund legt, dessen Tochter seine Einwilligung zu einem Rendezvous mit einem Offizier verlangt. Er gibt ihr darauf in obigen Versen eine erbitterte Schilderung der Klassen, wozu ihr Kind dann gehören würde, greift seine Einwendungen aus ihrer unmittelbaren Lebenslage und hält ihr keine Moralpredigt, was anzuerkennen ist.


Du sollst nicht stehlen

Der moralische Bediente eines Russen, den der Bediente selbst als braven Gebieter qualifiziert, bestiehlt seinen scheinbar schlummernden Herrn in der Nacht, um seinen alten Vater zu unterstützen. Der Russe schleicht ihm nach und sieht über seine Schultern, da er eben das nachfolgende Brieflein an denselbigen Alten richtet:


Nimm das Geld! Ich hab' gestohlen!

Vater, bete zum Erlöser,

Daß er mir von seinem Throne

Einst Verzeihung senden möge!

Schaffen will ich und verdienen,

Von der Streu den Schlummer hetzen,

Bis ich meinem braven Gebieter

Das Geraubte kann ersetzen. [p. 241.]


Der brave Gebieter des moralischen Dienstboten ist so gerührt über diese furchtbaren Entdeckungen, daß er nicht sprechen kann, jedoch segnend seine Hand auf das Haupt des Knechtes legt.[220]


Aber der ist eine Leiche –

Und es brach sein Herz im Schrecken. [p. 242.]


Kann man etwas Komischeres schreiben? Beck sinkt hier unter Kotzebue und Iffland herab, die Bediententragödie übertrifft noch das bürgerliche Trauerspiel.


Neue Götter und alte Leiden

In diesem Gedicht werden Ronge, die Lichtfreunde, die Neujuden, der Barbier, die Wäscherin, der Leipziger Bürger mit seiner gelinden Freiheit oft treffend verhöhnt. Zum Schluß verteidigt sich der Poet gegen die Philister, die ihn deshalb anklagen werden, obgleich auch er


Das Lied vom Licht

In Sturm und Nacht hinausgesungen. [p. 298.]


Er trägt dann selbst eine sozialistisch modifizierte, auf eine Art von Naturdeismus begründete Lehre der Bruderliebe und praktischen Religion vor und macht so eine Seite seiner Gegner gegen die andere geltend. So kann Beck nie enden, bis er sich selbst wieder verdorben hat, weil er selbst zu sehr in der deutschen Misère befangen ist und zuviel auf sich, auf den Dichter in seinem Dichten reflektiert. Der Sänger ist überhaupt wieder eine fabelhaft zugestutzte, abenteuerlich sich aufspreizende Figur bei den modernen Lyrikern. Er ist keine aktive, in der wirklichen Gesellschaft stehende Person, welche dichtet, sondern »der Dichter«, der in den Wolken schwebt, welche Wolken aber nichts anderes sind als die nebelhaften Phantasien des deutschen Bürgers. – Beck fällt immer vom abenteuerlichsten Bombast in die allernüchternste Bürgerprosa und von einem kleinen kriegerischen Humor gegen die bestehenden Zustände in ein sentimentales Abfinden mit ihnen. Jeden Augenblick ertappt er sich, daß er selbst es ist, de quo fabula narratur. Seine Lieder wirken daher nicht revolutionär, sondern wie


Drei Brausepülverchen,

Das Blut zu stillen. [p. 293.]


Den Schluß des ganzen Bandes bildet daher auch ganz passend der folgende schlaffe Jammer der Resignation:


Wann soll es auf der Erden,

O Gott, erträglich werden?[221]

Ich bin an Sehnsucht doppelt frisch,

Drum an Geduld ein doppelt Müder. [p. 324.]


Beck hat unstreitig mehr Talent und ursprünglich auch mehr Energie als die Mehrzahl des deutschen Li teratenpacks. Sein einziges Leiden ist die deutsche Misère, zu deren theoretischen Formen auch der pomphaftweinerliche Sozialismus und die jungdeutschen Reminiszenzen Becks gehören. Ehe nicht in Deutschland die gesellschaftlichen Gegensätze eine schärfere Form erhalten haben durch eine bestimmtere Sonderung der Klassen und momentane Eroberung der politischen Herrschaft durch [die] Bourgeoisie, ist für einen deutschen Poeten in Deutschland selbst wenig zu hoffen. Einerseits ist es ihm in der deutschen Gesellschaft unmöglich, revolutionär aufzutreten, weil die revolutionären Elemente selbst noch zu unentwickelt sind, andererseits wirkt die ihn von allen Seiten umgebende chronische Misère zu erschlaffend, als daß er sich darüber erheben, sich frei zu ihr verhalten und sie verspotten könnte, ohne selbst wieder in sie zurückzufallen. Einstweilen kann man allen deutschen Poeten, die noch einiges Talent haben, nichts raten, als auszuwandern in zivilisierte Länder.

Quelle:
Karl Marx, Friedrich Engels: Werke. Berlin 1959, Band 4, S. 207-222.
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