§ 8. Real-Erklärung oder Beschreibung des absoluten Wissens

[15] Zuvörderst, die Realerklärung des absoluten Wissens kann nichts Anderes seyn, als die Nachweisung dieses Wissens in unmittelbarer Anschauung. Es lässt sich nicht etwa durch Denken schliessen, welches dieses absolute Wissen seyn werde; denn da es eben das absolute seyn soll, so kann es kein höheres, würde heissen, kein noch absoluteres Datum des Wissens geben, aus welchem und von welchem aus durch ein Denken geschlossen würde Das absolute Wissen müsste daher durch eine gleichfalls absolute Anschauung seiner selbst erfasst werden.

Ferner ist klar, dass es eine solche absolute Anschauung des absoluten Wissens geben und dem zufolge die angekündigte Realerklärung des letzteren möglich seyn muss, wenn es überhaupt eine Wissenschaftslehre geben soll. Denn in der Anschauung, in welcher diese besteht, soll die Vernunft, oder das Wissen durchaus mit Einem Blicke aufgefasst werden. Aber das besondere Wissen lässt sich nicht mit Einem, sondern nur mit besonderen, und unter sich verschiedenen Blicken auffassen. Sonach müsste das Wissen, sowie es schlechthin Eins und sich selbst gleich ist, d.h. das absolute Wissen, aufgefasst werden.

In der Beschreibung selbst bedienen wir uns folgender Hinleitung. Denke sich der Leser zuvörderst das Absolute, schlechthin als solches, sowie oben sein Begriff bestimmt worden. Er wird finden, behaupten wir, dass er es nur unter folgenden zwei Merkmalen denken könne, theils, dass es sey schlechthin, was es sey, auf und in sich selbst ruhe durchaus ohne Wandel und Wanken, fest, vollendet und in sich geschlossen, theils, dass es sey, was es sey, schlechthin weil es sey, von sich selbst, und durch sich selbst, ohne allen fremden Einfluss, indem neben dem Absoluten gar kein Fremdes übrig bleibt, sondern alles, was nicht das Absolute selbst ist, verschwindet. (Es kann seyn, dass diese Duplicität der Merkmale, mit welcher wir das Absolute fassen, und es anders gar nicht fassen[16] können, welche dem Absoluten gegenüber allerdings sonderbar scheint, selbst Resultat unseres Denkens, also eben eines Wissens ist, welches wir vorläufig unentschieden lassen müssen.)

Wir können das erstere absolutes Bestehen, ruhendes Seyn u.s.w. nennen; das letztere absolutes Werden oder Freiheit. Beide Ausdrücke sollen, wie sich dies von einem ehrlichen und gründlichen Vortrage versteht, nichts mehr bezeichnen, als was in der bei dem Leser vorausgesetzten Anschauung der beiden Merkmale des Absoluten wirklich liegt.

Nun soll das Wissen absolut seyn, als Eins, eben als sich selbst gleiches, und ewig gleich bleibendes Wissen, als Einheit einer und eben der höchsten Anschauung, als blosse absolute Qualität. Im Wissen sonach müssten die beiden oben unterschiedenen Merkmale des Absoluten schlechthin in einander fallen und verschmelzen, so dass beide gar nicht mehr unterscheidbar wären; und eben in dieser absoluten Verschmelzung würde das Wesen des Wissens, als solchen, oder das absolute Wissen bestehen.

Ich sage, in dem zu einer untrennbaren Einheit Verschmelzen, und im innigsten sich Durchdringen beider, so dass beide ihren Charakter der Unterscheidung in der Vereinung gänzlich aufgeben und verlieren, und als Ein Wesen, und ein durchaus neues Wesen dastehen, also in einer eigentlich realen Vereinung, und wahren Organisation: keinesweges aber in einem blossen Nebeneinander sich verhalten, wodurch niemand begreift, wie sie denn doch neben einander bestehen, und lediglich eine formale und negative Einheit, eine Nichtverschiedenheit entsteht, die man doch auch nur, Gott weiss aus welchem Grunde, behaupten, keinesweges aber nachweisen kann. – Nicht etwa: in irgend ein, somit schon vorausgesetztes, Wissen tritt ein das ruhende Seyn, und tritt ein die Freiheit, und diese beiden treten nun in diesem Wissen zusammen, und machen in dieser ihrer Vereinigung das absolute Wissen, wodurch noch ein Wissen ausser dem absoluten Wissen, und dieses innerhalb des ersten gesetzt würde; sondern: jenseits alles Wissens, nach unserer gegenwärtigen Darstellung, treten Freiheit und Seyn zusammen, und durchdringen sich, und diese innige[17] Durchdringung und Identificirung beider zu einem neuen Wesen giebt nun erst das Wissen, eben als Wissen, als ein absolutes Tale. Von der Einsicht in diesen Punct hängt alles ab, und die Vernachlässigung desselben hat die neuesten Misverständnisse veranlasst.

Wie nun wir unseres Orts, die wir ohne Zweifel doch auch nur wissend sind, dazu kommen, scheinbar über alles Wissen hinauszugeben, und das Wissen selbst aus einem Nichtwissen zu componiren; oder mit anderen Worten, wie es mit der in unserer gegenwärtigen Beschreibung dem Leser ohne Zweifel angemutheten Anschauung des absoluten Wissens selbst, die doch wohl auch nur ein Wissen seyn kann, sich verhalte, und wie dieselbe möglich sey – eine Möglichkeit, die schon oben als Bedingung der Möglichkeit der Wissenschaftslehre sich zeigte, – ferner, wie wir dazu kommen, diese Anschauung oder dieses Wissen wieder als ein Nichtwissen zu setzen, wie wir doch gleichfalls gethan haben, wird in der Folge sich ergeben. Dieses Verweisen auf die Folge aber liegt in der § 4. 7. beschriebenen eigenthümlichen Methode der Wissenschaftslehre. Es mangelt hier an einer Klarheit, die erst das zweite Glied über das erste zu verbreiten hat.


Uebrigens ist noch zu bemerken, dass das absolute Wissen hier lediglich seiner Materie nach geschildert ist. Seyn und Freiheit, sagten wir, treten zusammen; sie also sind das Thätige, inwiefern hier nach einem Thätigen gefragt werden sollte, und sind thätig, inwiefern sie eben noch nicht Wissen, sondern Seyn und Freiheit sind. Wie sie sich aber durchdringen, ihre separaten Naturen aufgeben, um zu einer einigen, zu einem Wissen sich zu vereinigen, sind sie eben gegenseitig durch einander gebunden; denn sie sind ja nur in dieser Gebundenheit Wissen, ausser derselben aber separates Seyn und Freiheit, und sind nun in einem ruhigen Bestehen. Dieses nennen wir nun die Materie des absoluten Wissens oder die absolute Materie des Wissens. Es könnte seyn, dass diese zur absoluten Form desselben Wissens sich gerade so verhielte, wie ruhendes Seyn zur Freiheit in der absoluten Materie selbst.

Quelle:
Johann Gottlieb Fichtes sämmtliche Werke. Band 2, Berlin 1845/1846, S. 15-18.
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