§ 10.

[20] Das Wissen ist absolut, was es ist, und weil es ist. Denn erst mit dem Verschmelzen und Verströmen des Separaten, ganz davon abgesehen, was dieses Separate sey, keinesweges aber etwa mit dem Separaten, als solchem, entsteht ein Wissen. Dieses kann nun, als Wissen, nicht aus sich selbst herausgehen, wodurch es ja eben aufhörte, ein Wissen zu seyn; es kann für dasselbe nichts seyn ausser ihm selbst. Es ist daher für sich absolut und ergreift sich selbst und hebt an, als eigentliches formales Wissen, wie es § praec. beschrieben ist, als Lichtzustand und Sehen, nur, inwiefern es absolut ist.

Nun aber ist es, wie gesagt, als Wissen, nur Verströmung und Verschmelzung eines Separaten zur Einheit; und wohlgemerkt, diese Einheit ist in sich selbst, und ihrem Wesen nach, was für andere Einheiten es auch noch sonst geben möchte, Verschmelzung des Separaten, und schlechthin kein anderer Act der Einheit.[20]

Nun hebt alles Wissen mit dieser, also charakterisirten Einheit an, worin ja die Absolutheit seines Wesens besteht; und kann sich derselben nie entledigen, noch aus ihr herausgehen, ohne sich selbst zu vernichten. Soweit sich daher das Wissen erstreckt, erstreckt sich diese Einheit, und das Wissen kann schlechthin nie auf eine Einheit kommen, die etwas Anderes sey, als eine Einheit des Separaten.

Mit anderen Worten: der § 1. factisch gefundene Satz, dass alles Wissen Zusammenfassen des Mannigfaltigen in Einen Blick sey, ist hier abgeleitet; und dazu noch die Unendlichkeit dieser Mannigfaltigkeit, die unendliche Theilbarkeit alles Wissens, über welche wir bloss factisch nichts ausmachen konnten, sondern dazu eines Satzes vom Absoluten bedurften: und zwar ist diese unendliche Theilbarkeit alles Wissens abgeleitet aus dem absoluten Wesen des Wissens, als eines Formalen (§ 9.).

Was du auch auffassen mögest mit deinem Wissen, das ist Einheit, denn nur in der Einheit ist Wissen, und ergreift sich das Wissen. Wie du aber wiederum dieses Wissen ergreifest, zerstiebt dir das Eine in Separate; und wie du wieder irgend einen Theil dieser so Separirten, versteht sich als Einheit, weil du nicht anders kannst, fassest, und sein Wissen fassest, zerstiebt dieser Theil dir wieder in ein Mannigfaltiges; und se wiederum die Theile dieser Theile, so lange du dein Theilen fortsetzen wirst. Setzest du es aber nicht fort, so stehst du eben bei einer Einheit, die dir nur dadurch Einheit bleibt, dass du dich nicht weiter darum kümmerst. Nun wisse nur, dass du diese unendliche Theilbarkeit selbst mit dir bringst, vermittelst der absoluten Form deines Wissens, aus welcher du eben nicht herauskannst, und welche du allemal, freilich ohne dein klares Bewusstseyn, überschauest, so oft du von unendlicher Theilbarkeit sprichst. Du wirst dir daher nicht ferner einfallen lassen, dass sie etwa in einem Dinge an sich begründet sey, welches, wenn es wahr wäre, zuletzt doch nichts weiter hiesse, als dass du den Grund nie erforschen konntest, da sie dir in deinem Wissen selbst, als der einzig möglichen Urquelle, nachgewiesen ist, welches freilich auch nichts mehr heisset, als dass du den Grund davon allerdings[21] wissen und erforschen kannst, wenn du nur dich selbst recht scharf und klar beschauest.

Nun ruht, welches noch wohl zu merken ist, das Wissen keinesweges im Vereinen, noch ruht es im Zerstreuen, sondern es ruht selbst schlechthin im Verschmelzen dieser beiden, in ihrer realen Identität; denn es ist keine Einheit, ausser der der Separaten, und es sind keine Separaten, ausser in der Einheit. Das Wissen kann nicht ausgeben von dem Bewusstseyn der Elemente, die du etwa zusammensetztest, fort zur Einheit; denn alles dein Wissen kommt in Ewigkeit auf keine Elemente; noch kann es ausgehen von der Einheit, die du etwa in beliebige Theile spaltetest, mit dem Bewusstseyn, sie bis ins unendliche spalten zu können; denn du hast gar keine Einheit für sich, sondern nur eine der Separaten. Es schwebt daher innerhalb beider, und ist vernichtet, wenn es nicht innerhalb beider schwebt. Es ist in sich selbst organisch.

Quelle:
Johann Gottlieb Fichtes sämmtliche Werke. Band 2, Berlin 1845/1846, S. 20-22.
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