a. Die moralische Weltanschauung

[442] Das Selbstbewußtsein weiß die Pflicht als das absolute Wesen; es ist nur durch sie gebunden, und diese Substanz ist sein eigenes reines Bewußtsein; die Pflicht kann nicht die Form eines Fremden für es erhalten. So aber in sich selbst beschlossen ist das moralische Selbstbewußtsein noch nicht als Bewußtsein gesetzt und betrachtet. Der Gegenstand ist[442] unmittelbares Wissen, und so rein von dem Selbst durchdrungen ist er nicht Gegenstand. Aber wesentlich die Vermittlung und Negativität, hat es in seinem Begriffe die Beziehung auf ein Anderssein und ist Bewußtsein. Dies Anderssein ist einerseits, weil die Pflicht seinen einzigen wesentlichen Zweck und Gegenstand ausmacht, für es eine völlig bedeutungslose Wirklichkeit. Weil dies Bewußtsein aber so vollkommen in sich beschlossen ist, so verhält es sich gegen dies Anderssein vollkommen frei und gleichgültig, und das Dasein ist daher andererseits ein vom Selbstbewußtsein völlig freigelassenes, sich ebenso nur auf sich beziehendes Dasein; je freier das Selbstbewußtsein wird, desto freier auch der negative Gegenstand seines Bewußtseins. Er ist hierdurch eine zur eigenen Individualität in sich vollendete Welt, ein selbständiges Ganzes eigentümlicher Gesetze sowie ein selbständiger Gang und freie Verwirklichung derselben, – eine Natur überhaupt, deren Gesetze wie ihr Tun ihr selbst angehören, als einem Wesen, das unbekümmert um das moralische Selbstbewußtsein ist, wie dieses um sie.

Von dieser Bestimmung an bildet sich eine moralische Weltanschauung aus, die in der Beziehung des moralischen Anundfürsichseins und des natürlichen Anundfürsichseins besteht. Dieser Beziehung liegt zum Grunde sowohl die völlige Gleichgültigkeit und eigene Selbständigkeit der Natur und der moralischen Zwecke und Tätigkeit gegeneinander als auf der ändern Seite das Bewußtsein der alleinigen Wesenheit der Pflicht und der völligen Unselbständigkeit und Unwesenheit der Natur. Die moralische Weltanschauung enthält die Entwicklung der Momente, die in dieser Beziehung so ganz widerstreitender Voraussetzungen vorhanden sind.

Zuerst also ist das moralische Bewußtsein überhaupt vorausgesetzt; die Pflicht gilt ihm als das Wesen, ihm, das wirklich und tätig ist und in seiner Wirklichkeit und Tat die Pflicht erfüllt. Für dies moralische Bewußtsein ist aber zugleich die vorausgesetzte Freiheit der Natur, oder es erfährt, daß die Natur unbekümmert darum ist, ihm das Bewußtsein der[443] Einheit seiner Wirklichkeit mit der ihrigen zu geben, und es also vielleicht glücklich werden läßt, vielleicht auch nicht. Das unmoralische Bewußtsein dagegen findet vielleicht zufälligerweise seine Verwirklichung, wo das moralische nur Veranlassung zum Handeln, aber durch dasselbe nicht das Glück der Ausführung und des Genusses der Vollbringung ihm zuteil werden sieht. Es findet daher vielmehr Grund zu Klagen über solchen Zustand der Unangemessenheit seiner und des Daseins [den] und der Ungerechtigkeit, die es darauf einschränkt, seinen Gegenstand nur als reine Pflicht zu haben, aber ihm denselben und sich verwirklicht zu sehen versagt.

Das moralische Bewußtsein kann nicht auf die Glückseligkeit Verzicht tun und dies Moment aus seinem absoluten Zwecke weglassen. Der Zweck, der als reine Pflicht ausgesprochen wird, hat wesentlich dies an ihm, dies einzelne Selbstbewußtsein zu enthalten; die individuelle Überzeugung und das Wissen von ihr machten ein absolutes Moment der Moralität aus. Dieses Moment an dem gegenständlich gewordenen Zwecke, an der erfüllten Pflicht, ist das sich als verwirklicht anschauende einzelne Bewußtsein oder der Genuß, der hiermit im Begriffe, zwar nicht unmittelbar der Moralität, als Gesinnung betrachtet, liegt, allein im Begriffe der Verwirklichung derselben. Hierdurch aber liegt er auch in ihr als Gesinnung; denn diese geht darauf, nicht Gesinnung im Gegensatze des Handelns zu bleiben, sondern zu handeln oder sich zu verwirklichen. Der Zweck als das Ganze mit dem Bewußtsein seiner Momente ausgesprochen, ist also dies, daß die erfüllte Pflicht ebensowohl rein moralische Handlung als realisierte Individualität sei und die Natur, als die Seite der Einzelheit gegen den abstrakten Zweck, eins sei mit diesem. – So notwendig die Erfahrung von der Disharmonie beider Seiten ist, weil die Natur frei ist, ebenso ist auch die Pflicht allein das Wesentliche und die Natur gegen sie das Selbstlose. Jener ganze Zweck, den die Harmonie ausmacht, enthält die Wirklichkeit selbst in sich. Er ist zugleich[444] der Gedanke der Wirklichkeit. Die Harmonie der Moralität und der Natur oder – indem die Natur nur insofern in Betracht kommt, als das Bewußtsein ihre Einheit mit ihm erfährt – die Harmonie der Moralität und der Glückseligkeit ist gedacht als notwendig seiend, oder sie ist postuliert. Denn Fordern drückt aus, daß etwas seiend gedacht wird, das noch nicht wirklich ist; eine Notwendigkeit nicht des Begriffs als Begriffs, sondern des Seins. Aber die Notwendigkeit ist zugleich wesentlich die Beziehung durch den Begriff. Das geforderte Sein gehört also nicht dem Vorstellen des zufälligen Bewußtseins an, sondern es liegt im Begriffe der Moralität selbst, dessen wahrer Inhalt die Einheit des reinen und einzelnen Bewußtseins ist; dem letzteren gehört dies an, daß diese Einheit für es als eine Wirklichkeit sei, was im Inhalte des Zwecks Glückseligkeit, in seiner Form aber Dasein überhaupt ist. – Dies geforderte Dasein oder die Einheit beider ist darum nicht ein Wunsch oder, als Zweck betrachtet, nicht ein solcher, dessen Erreichung noch ungewiß wäre, sondern er ist eine Forderung der Vernunft oder unmittelbare Gewißheit und Voraussetzung derselben.

Jene erste Erfahrung und dies Postulat ist nicht das einzige, sondern es tut sich ein ganzer Kreis von Postulaten auf. Die Natur ist nämlich nicht nur diese ganz freie äußerliche Weise, in welcher als einem reinen Gegenstande das Bewußtsein seinen Zweck zu realisieren hätte. Dieses ist an ihm selbst wesentlich ein solches, für welches dies andere freie Wirkliche ist, d.h. es ist selbst ein Zufälliges und Natürliches. Diese Natur, die ihm die seinige ist, ist die Sinnlichkeit, die in der Gestalt des Wollens, als Triebe und Neigungen, für sich eigene bestimmte Wesenheit oder einzelne Zwecke hat, also dem reinen Willen und seinem reinen Zwecke entgegengesetzt ist. Gegen diese Entgegensetzung aber ist dem reinen Bewußtsein vielmehr die Beziehung der Sinnlichkeit auf es, ihre absolute Einheit mit ihm das Wesen. Beides, das reine Denken und die Sinnlichkeit des Bewußtseins, sind an sich ein Bewußtsein, und das reine Denken ist eben dieses,[445] für welches und in welchem diese reine Einheit ist; für es aber als Bewußtsein ist der Gegensatz seiner selbst und der Triebe. In diesem Widerstreit der Vernunft und der Sinnlichkeit ist für jene dies das Wesen, daß er sich auflöse und als Resultat die Einheit beider hervorgehe, die nicht jene ursprüngliche, daß beide in einem Individuum sind, sondern eine solche ist, die aus dem gewußten Gegensatze beider hervorgeht. Solche Einheit erst ist die wirkliche Moralität, denn in ihr ist der Gegensatz, wodurch das Selbst Bewußtsein oder erst wirkliches und in der Tat Selbst und zugleich Allgemeines ist, enthalten; oder es ist diejenige Vermittlung darin ausgedruckt, welche der Moralität, wie wir sehen, wesentlich ist. – Indem unter den beiden Momenten des Gegensatzes die Sinnlichkeit schlechthin das Anderssein oder das Negative, hingegen das reine Denken der Pflicht das Wesen ist, von welchem nichts aufgegeben werden kann, so scheint die hervorgebrachte Einheit nur durch das Aufheben der Sinnlichkeit zustande kommen zu können. Da sie aber selbst Moment dieses Werdens, das Moment der Wirklichkeit ist, so wird man sich für die Einheit zunächst mit dem Ausdrucke begnügen müssen, daß die Sinnlichkeit der Moralität gemäß sei. – Diese Einheit ist gleichfalls ein postuliertes Sein, sie ist nicht da; denn was da ist, ist das Bewußtsein oder der Gegensatz der Sinnlichkeit und des reinen Bewußtseins. Sie ist aber zugleich nicht ein Ansich wie das erste Postulat, worin die freie Natur eine Seite ausmacht und die Harmonie derselben mit dem moralischen Bewußtsein daher außer diesem fällt; sondern die Natur ist hier diejenige, welche an ihm selbst [ist], und es ist hier um die Moralität als solche zu tun, um eine Harmonie, welche die eigene des tuenden Selbsts ist; das Bewußtsein hat sie daher selbst zustande zu bringen und in der Moralität immer Fortschritte zu machen. Die Vollendung derselben aber ist ins Unendliche hinauszuschieben; denn wenn sie wirklich einträte, so höbe sich das moralische Bewußtsein auf. Denn die Moralität ist nur moralisches Bewußtsein als[446] das negative Wesen, für dessen reine Pflicht die Sinnlichkeit nur eine negative Bedeutung, nur nicht gemäß ist. In der Harmonie aber verschwindet die Moralität als Bewußtsein oder ihre Wirklichkeit, wie in dem moralischen Bewußtsein oder der Wirklichkeit ihre Harmonie verschwindet. Die Vollendung ist darum nicht wirklich zu erreichen, sondern nur als eine absolute Aufgabe zu denken, d.h. als eine solche, welche schlechthin Aufgabe bleibt. Zugleich ist jedoch ihr Inhalt als ein solcher zu denken, der schlechthin sein müsse und nicht Aufgabe bleibe; es sei nun, daß man sich in diesem Ziele das Bewußtsein ganz aufgehoben, oder auch nicht, vorstelle; wie es eigentlich damit zu halten, läßt sich in der dunklen Ferne der Unendlichkeit, wohin eben deswegen die Erreichung des Ziels zu schieben ist, nicht mehr deutlich unterscheiden. Es wird eigentlich gesagt werden müssen, daß die bestimmte Vorstellung nicht interessieren und nicht gesucht werden soll, weil dies auf Widersprüche führt, – einer Aufgabe, die Aufgabe bleiben und doch erfüllt werden, einer Moralität, die nicht Bewußtsein, nicht wirklich mehr sein soll. Durch die Betrachtung aber, daß die vollendete Moralität einen Widerspruch enthielte, würde die Heiligkeit der moralischen Wesenheit leiden und die absolute Pflicht als etwas Unwirkliches erscheinen.

Das erste Postulat war die Harmonie der Moralität und der gegenständlichen Natur, der Endzweck der Welt, das andere die Harmonie der Moralität und des sinnlichen Willens, der Endzweck des Selbstbewußtseins als solchen; das erste also die Harmonie in der Form des Ansich-, das andere in der Form des Fürsichseins. Was aber diese beiden extremen Endzwecke, die gedacht sind, als Mitte verbindet, ist die Bewegung des wirklichen Handelns selbst. Sie sind Harmonien, deren Momente in ihrer abstrakten Unterschiedenheit noch nicht zum Gegenstande geworden; dies geschieht in der Wirklichkeit, worin die Seiten im eigentlichen Bewußtsein, jede als die andere der anderen auftritt. Die hierdurch entstehenden Postulate enthalten, wie vorher nur die getrennten [447] an sich und für sich seiende Harmonien [enthielten], jetzt an und für sich seiende.

Das moralische Bewußtsein ist als das einfache Wissen und Wollen der reinen Pflicht im Handeln auf den seiner Einfachheit entgegengesetzten Gegenstand, auf die Wirklichkeit des mannigfaltigen Falles bezogen und hat dadurch ein mannigfaltiges moralisches Verhältnis. Es entstehen hier dem Inhalte nach die vielen Gesetze überhaupt und der Form nach die widersprechenden Mächte des wissenden Bewußtseins und des Bewußtlosen. – Was fürs erste die vielen Pflichten betrifft, so gilt dem moralischen Bewußtsein überhaupt nur die reine Pflicht in ihnen; die vielen Pflichten als viele sind bestimmte und daher als solche für das moralische Bewußtsein nichts Heiliges. Zugleich aber durch den Begriff des Handelns, das eine mannigfaltige Wirklichkeit und daher eine mannigfaltige moralische Beziehung in sich schließt, notwendig, müssen sie als an und für sich seiend betrachtet werden. Da sie ferner nur in einem moralischen Bewußtsein sein können, sind sie zugleich in einem anderen als jenem, dem nur die reine Pflicht als die reine an und für sich und heilig ist.

Es ist also postuliert, daß ein anderes Bewußtsein sei, welches sie heiligt oder welches sie als Pflichten weiß und will. Das erste erhält die reine Pflicht gleichgültig gegen allen bestimmten Inhalt, und die Pflicht ist nur diese Gleichgültigkeit gegen ihn. Das andere aber enthält die ebenso wesentliche Beziehung auf das Handeln und die Notwendigkeit des bestimmten Inhalts; indem ihm die Pflichten als bestimmte Pflichten gelten, so ist ihm damit der Inhalt als solcher ebenso wesentlich als die Form, wodurch er Pflicht ist. Dies Bewußtsein ist hierdurch ein solches, worin das Allgemeine und das Besondere schlechthin eins ist, sein Begriff also derselbe als der Begriff der Harmonie der Moralität und Glückseligkeit. Denn dieser Gegensatz drückt ebenso die Trennung des sich selbst gleichen moralischen Bewußtseins von der Wirklichkeit aus, die als das vielfache Sein dem einfachen[448] Wesen der Pflicht widerstreitet. Wenn aber das erste Postulat nur die seiende Harmonie der Moralität und der Natur ausdrückt, weil die Natur darin dies Negative des Selbstbewußtseins, das Moment des Seins ist, so ist hingegen jetzt dies Ansich wesentlich als Bewußtsein gesetzt. Denn das Seiende hat nun die Form des Inhalts der Pflicht oder ist die Bestimmtheit an der bestimmten Pflicht. Das Ansich ist also die Einheit solcher, welche als einfache Wesenheiten, Wesenheiten des Denkens und daher nur in einem Bewußtsein sind. Dieses ist also nunmehr ein Herr und Beherrscher der Welt, der die Harmonie der Moralität und der Glückseligkeit hervorbringt und zugleich die Pflichten als viele heiligt. Das letztere heißt soviel, daß dem Bewußtsein der reinen Pflicht die bestimmte nicht unmittelbar heilig sein kann; weil sie aber um des wirklichen Handelns [willen], das ein bestimmtes ist, gleichfalls notwendig ist, so fällt ihre Notwendigkeit außer jenem Bewußtsein in ein anderes, das somit das vermittelnde der bestimmten und reinen Pflicht und der Grund ist, daß jene auch gilt.

In der wirklichen Handlung aber verhält sich das Bewußtsein als dieses Selbst, als ein vollkommen einzelnes; es ist auf die Wirklichkeit als solche gerichtet und hat sie zum Zwecke; denn es will vollbringen. Es fällt also die Pflicht überhaupt außer es in ein anderes Wesen, das Bewußtsein und der heilige Gesetzgeber der reinen Pflicht ist. Dem handelnden, eben weil es handelndes ist, gilt das Andere der reinen Pflicht unmittelbar; diese ist also Inhalt eines anderen Bewußtseins und nur mittelbar, nämlich in diesem, jenem heilig.

Weil es hiermit gesetzt ist, daß das Gelten der Pflicht als des an und. für sich Heiligen außerhalb des wirklichen Bewußtseins fällt, so steht dieses hierdurch überhaupt als das unvollkommene moralische Bewußtsein auf der einen Seite. Sowohl seinem Wissen nach weiß es sich also als ein solches, dessen Wissen und Überzeugung unvollständig und zufällig ist; ebenso seinem Wollen nach als ein solches, dessen Zwecke[449] mit Sinnlichkeit affiziert sind. Um seiner Unwürdigkeit willen kann es daher die Glückseligkeit nicht notwendig, sondern als etwas Zufälliges ansehen und sie nur aus Gnade erwarten.

Ob aber schon seine Wirklichkeit unvollkommen ist, so gilt doch seinem reinen Willen und Wissen die Pflicht als das Wesen; im Begriffe, insofern er der Realität entgegengesetzt ist, oder im Denken ist es also vollkommen. Das absolute Wesen aber ist eben dies Gedachte und jenseits der Wirklichkeit Postulierte; es ist daher der Gedanke, in welchem das moralisch unvollkommene Wissen und Wollen für vollkommen gilt, hiermit auch, indem es dasselbe für vollwichtig nimmt, die Glückseligkeit nach der Würdigkeit, nämlich nach dem ihm zugeschriebenen Verdienst erteilt.

Die Weltanschauung ist hierin vollendet; denn in dem Begriffe des moralischen Selbstbewußtseins sind die beiden Seiten, reine Pflicht und Wirklichkeit, in einer Einheit gesetzt und dadurch die eine wie [die] andere nicht als an und für sich seiend, sondern als Moment oder als aufgehoben. Dies wird in dem letzten Teile der moralischen Weltanschauung für das Bewußtsein; die reine Pflicht nämlich setzt es in ein anderes Wesen, als es selbst ist, d.h. es setzt sie teils als ein Vorgestelltes, teils als ein solches, das nicht das ist, was an und für sich gilt, sondern das Nichtmoralische gilt vielmehr als vollkommen. Ebenso sich selbst setzt es als ein solches, dessen Wirklichkeit, die der Pflicht unangemessen ist, aufgehoben [ist] und, als aufgehobene oder in der Vorstellung des absoluten Wesens, der Moralität nicht mehr widerspricht.

Für das moralische Bewußtsein selbst hat jedoch seine moralische Weltanschauung nicht die Bedeutung, daß es in ihr seinen eigenen Begriff entwickelt und ihn sich zum Gegenstande macht; es hat weder ein Bewußtsein über diesen Gegensatz der Form noch auch über den Gegensatz dem Inhalte nach, dessen Teile es nicht untereinander bezieht und vergleicht, sondern in seiner Entwicklung sich, ohne der zusammenhaltende [450] Begriff der Momente zu sein, fortwälzt. Denn es weiß nur das reine Wesen oder den Gegenstand, insofern er Pflicht, insofern er abstrakter Gegenstand seines reinen Bewußtseins ist, als reines Wissen oder als sich selbst. Es verhält sich also nur denkend, nicht begreifend. Daher ist ihm der Gegenstand seines wirklichen Bewußtseins noch nicht durchsichtig; es ist nicht der absolute Begriff, der allein das Anderssein als solches oder sein absolutes Gegenteil als sich selbst erfaßt. Seine eigene Wirklichkeit sowie alle gegenständliche Wirklichkeit gilt ihm zwar als das Unwesentliche; aber seine Freiheit ist die Freiheit des reinen Denkens, welcher darum zugleich die Natur gegenüber als ein ebenso Freies entstanden ist. Weil beides auf gleiche Weise in ihm ist, die Freiheit des Seins und das Eingeschlossensein desselben in das Bewußtsein, so wird sein Gegenstand als ein seiender, der zugleich nur gedacht [ist]; in dem letzten Teile seiner Anschauung wird der Inhalt wesentlich so gesetzt, daß sein Sein ein vorgestelltes ist, und diese Verbindung des Seins und des Denkens als das ausgesprochen, was sie in der Tat ist, das Vorstellen.

Indem wir die moralische Weltanschauung so betrachten, daß diese gegenständliche Weise nichts anderes ist als der Begriff des moralischen Selbstbewußtseins selbst, den es sich gegenständlich macht, so ergibt sich durch dies Bewußtsein über die Form ihres Ursprungs eine andere Gestalt ihrer Darstellung. – Das erste nämlich, wovon ausgegangen wird, ist das wirkliche moralische Selbstbewußtsein oder, daß es ein solches gibt. Denn der Begriff setzt es in der Bestimmung, daß ihm alle Wirklichkeit überhaupt Wesen nur insofern hat, als sie der Pflicht gemäß ist, und er setzt dies Wesen als Wissen, d.h. in unmittelbarer Einheit mit dem wirklichen Selbst; diese Einheit ist somit selbst wirklich, sie ist ein moralisches wirkliches Bewußtsein. – Dieses nun als Bewußtsein stellt sich seinen Inhalt als Gegenstand vor, nämlich als Endzweck der Welt, als Harmonie der Moralität und aller Wirklichkeit. Indem es aber diese Einheit als Gegenstand[451] vorstellt und noch nicht der Begriff ist, der die Macht über den Gegenstand als solchen hat, so ist sie ihm ein Negatives des Selbstbewußtseins, oder sie fällt außer ihm, als ein Jenseits seiner Wirklichkeit, aber zugleich als ein solches, das auch als seiend, aber nur gedacht wird.

Was ihm, das als Selbstbewußtsein ein Anderes denn der Gegenstand ist, hiermit übrigbleibt, ist die Nichtharmonie des Pflichtbewußtseins und der Wirklichkeit, und zwar seiner eigenen. Der Satz lautet hiermit jetzt so: es gibt kein moralisch vollendetes wirkliches Selbstbewußtsein; und da das Moralische überhaupt nur ist, insofern es vollendet ist – denn die Pflicht ist das reine unvermischte Ansich, und die Moralität besteht nur in der Angemessenheit zu diesem Reinen –, so heißt der zweite Satz überhaupt so, daß es kein moralisch Wirkliches gibt.

Indem es aber drittens ein Selbst ist, so ist es an sich die Einheit der Pflicht und der Wirklichkeit; diese Einheit wird ihm also Gegenstand, als die vollendete Moralität, – aber als ein Jenseits seiner Wirklichkeit, – aber das doch wirklich sein soll.

In diesem Ziele der synthetischen Einheit der beiden ersten Sätze ist die selbstbewußte Wirklichkeit sowohl als die Pflicht nur als aufgehobenes Moment gesetzt; denn keines ist einzeln, aber sie, in deren wesentlicher Bestimmung ist, frei von dem anderen zu sein, sind somit jedes in der Einheit nicht mehr frei von dem anderen, also jedes aufgehoben, und somit werden sie dem Inhalt nach als solche Gegenstand, deren jedes für das andere gilt, und der Form nach so, daß diese Austauschung derselben zugleich nur vorgestellt ist. – Oder das wirklich nicht Moralische, weil es ebenso reines Denken und über seine Wirklichkeit erhaben ist, ist in der Vorstellung doch moralisch und wird für vollgültig genommen. Es wird hierdurch der erste Satz, daß es ein moralisches Selbstbewußtsein gibt, hergestellt, aber verbunden mit dem zweiten, daß es keines gibt, nämlich es gibt eines, aber nur in der Vorstellung; oder es gibt zwar keines, aber es wird von einem anderen doch dafür gelten gelassen.[452]

Quelle:
Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Werke. Band 3, Frankfurt a. M. 1979, S. 442-453.
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