§ 65

[140] Meines Eigentums kann ich mich entäußern, da es das meinige nur ist, insofern ich meinen Willen darein lege, – so daß ich meine Sache überhaupt von mir als herrenlos lasse (derelinquiere) oder sie dem Willen eines anderen zum Besitzen überlasse, – aber nur insofern die Sache ihrer Natur nach ein Äußerliches ist.


§ 66

[140] Unveräußerlich sind daher diejenigen Güter oder vielmehr substantiellen Bestimmungen, sowie das Recht an sie unverjährbar, welche meine eigenste Person und das allgemeine Wesen meines Selbstbewußtseins ausmachen, wie meine Persönlichkeit überhaupt, meine allgemeine Willensfreiheit, Sittlichkeit, Religion.

Daß das, was der Geist seinem Begriffe nach oder an sich ist, auch im Dasein und für sich sei (somit Person, des Eigentums[141] fähig sei, Sittlichkeit, Religion habe) – diese Idee ist selbst sein Begriff (als causa sui, d. i. als freie Ursache, ist er solches, cuius natura non potest concipi nisi existens; Spinoza, Ethik I, Def. 1.). In eben diesem Begriffe, nur durch sich selbst und als unendliche Rückkehr in sich aus der natürlichen Unmittelbarkeit seines Daseins das zu sein, was er ist, liegt die Möglichkeit des Gegensatzes zwischen dem, was er nur an sich und nicht auch für sich ist (§ 57), sowie umgekehrt zwischen dem, was er nur für sich, nicht an sich ist (im Willen das Böse), – und hierin die Möglichkeit der Entäußerung der Persönlichkeit und seines substantiellen Seins, diese Entäußerung geschehe auf eine bewußtlose oder ausdrückliche Weise. – Beispiele von Entäußerung der Persönlichkeit sind die Sklaverei, Leibeigenschaft, Unfähigkeit Eigentum zu besitzen, die Unfreiheit desselben usf.; Entäußerung der intelligenten Vernünftigkeit, Moralität, Sittlichkeit, Religion kommt vor im Aberglauben, in der anderen eingeräumten Autorität und Vollmacht, mir, was ich für Handlungen begehen solle (wenn einer sich ausdrücklich zum Raube, Morde usf. oder zur Möglichkeit von Verbrechen verdingt), mir, was Gewissenspflicht, religiöse Wahrheit sei usf., zu bestimmen und vorzuschreiben. – Das Recht an solches Unveräußerliche ist unverjährbar, denn der Akt, wodurch ich von meiner Persönlichkeit und substantiellem Wesen Besitz nehme, mich zu einem Rechts- und Zurechnungsfähigen, Moralischen, Religiösen mache, entnimmt diese Bestimmungen eben der Äußerlichkeit, die allein ihnen die Fähigkeit gab, im Besitz eines anderen zu sein. Mit diesem Aufheben der Äußerlichkeit fällt die Zeitbestimmung und alle Gründe weg, die aus meinem früheren Konsens oder Gefallenlassen genommen werden können. Diese Rückkehr meiner in mich selbst, wodurch Ich mich als Idee, als rechtliche und moralische Person existierend[142] mache, hebt das bisherige Verhältnis und das Unrecht auf, das Ich und der andere meinem Begriff und Vernunft angetan hat, die unendliche Existenz des Selbstbewußtseins als ein Äußerliches behandeln [zu] lassen und behandelt zu haben. – Diese Rückkehr in mich deckt den Widerspruch auf, anderen meine Rechtsfähigkeit, Sittlichkeit, Religiosität in Besitz gegeben zu haben, was ich selbst nicht besaß und was, sobald ich es besitze, eben wesentlich nur als das Meinige und nicht als ein Äußerliches existiert.
[143]


§ 67

Von meinen besonderen, körperlichen und geistigen Geschicklichkeiten und Möglichkeiten der Tätigkeit kann ich einzelne Produktionen und einen in der Zeit beschränkten Gebrauch von einem anderen veräußern, weil sie nach dieser Beschränkung ein äußerliches Verhältnis zu meiner Totalität und Allgemeinheit erhalten. Durch die Veräußerung meiner [144] ganzen durch die Arbeit konkreten Zeit und der Totalität meiner Produktion würde ich das Substantielle derselben, meine allgemeine Tätigkeit und Wirklichkeit, meine Persönlichkeit zum Eigentum eines anderen machen.

Es ist dasselbe Verhältnis wie oben, § 61, zwischen der Substanz der Sache und ihrer Benutzung; wie diese, nur insofern sie beschränkt ist, von jener verschieden ist, so ist auch der Gebrauch meiner Kräfte von ihnen selbst und damit von mir nur unterschieden, insofern er quantitativ beschränkt ist; – die Totalität der Äußerungen einer Kraft ist die Kraft selbst, – der Akzidenzen die Substanz, – der Besonderungen das Allgemeine.


§ 68

Das Eigentümliche an der geistigen Produktion kann durch die Art und Weise der Äußerung unmittelbar in solche Äußerlichkeit einer Sache umschlagen, die nun ebenso von anderen produziert werden kann; so daß mit deren Erwerb der nunmehrige Eigentümer, außerdem daß er damit sich die mitgeteilten Gedanken oder die technische Erfindung zu eigen machen kann, welche Möglichkeit zum Teil (bei schriftstellerischen Werken) die einzige Bestimmung und den Wert des Erwerbs ausmacht, zugleich in den Besitz der allgemeinen Art und Weise, sich so zu äußern und solche Sachen vielfältig hervorzubringen, kommt.

Bei Kunstwerken ist die den Gedanken in einem äußerlichen Material verbildlichende Form als Ding so sehr das Eigentümliche des produzierenden Individuums, daß ein Nachmachen derselben wesentlich das Produkt der eigenen[145] geistigen und technischen Geschicklichkeit ist. Bei einem schriftstellerischen Werke ist die Form, wodurch es eine äußerliche Sache ist, so wie bei der Erfindung einer technischen Vorrichtung, mechanischer Art – dort, weil der Gedanke nur in einer Reihe vereinzelter abstrakter Zeichen, nicht in konkreter Bildnerei dargestellt wird, hier, weil er überhaupt einen mechanischen Inhalt hat –, und die Art und Weise, solche Sachen als Sachen zu produzieren, gehört unter die gewöhnlichen Fertigkeiten. – Zwischen den Extremen des Kunstwerks und der handwerksmäßigen Produktion gibt es übrigens Übergänge, die bald mehr, bald weniger von dem einen oder dem anderen an sich haben.


§ 69

Indem der Erwerber eines solchen Produkts an dem Exemplar als einzelnem den vollen Gebrauch und Wert desselben besitzt, so ist er vollkommener und freier Eigentümer desselben als eines einzelnen, obgleich der Verfasser der Schrift[146] oder der Erfinder der technischen Vorrichtung Eigentümer der allgemeinen Art und Weise bleibt, dergleichen Produkte und Sachen zu vervielfältigen, als welche allgemeine Art und Weise er nicht unmittelbar veräußert hat, sondern sich dieselbe als eigentümliche Äußerung vorbehalten kann.

Das Substantielle des Rechts des Schriftstellers und Erfinders ist zunächst nicht darin zu suchen, daß er bei der Entäußerung des einzelnen Exemplars es willkürlich zur Bedingung macht, daß die damit in den Besitz des anderen kommende Möglichkeit, solche Produkte nunmehr als Sachen gleichfalls hervorzubringen, nicht Eigentum des anderen werde, sondern Eigentum des Erfinders bleibe. Die erste Frage ist, ob eine solche Trennung des Eigentums der Sache von der mit ihr gegebenen Möglichkeit, sie gleichfalls zu produzieren, im Begriffe zulässig ist und das volle, freie Eigentum (§ 62) nicht aufhebt, – worauf es erst in die Willkür des ersten geistigen Produzenten kommt, diese Möglichkeit für sich zu behalten oder als einen Wert zu veräußern oder für sich keinen Wert darauf zu legen und mit der einzelnen Sache auch sie preiszugeben. Diese Möglichkeit hat nämlich das Eigene, an der Sache die Seite zu sein, wonach diese nicht nur eine Besitzung, sondern ein Vermögen ist (s. unten § 170 ff.), so daß dies in der besonderen Art und Weise des äußeren Gebrauchs liegt, der von der Sache gemacht wird und von dem Gebrauche, zu welchem die Sache unmittelbar bestimmt ist, verschieden und trennbar ist (er ist nicht, wie man es heißt, eine solche accessio naturalis wie die foetura). Da nun der Unterschied in das seiner Natur nach Teilbare, in den äußerlichen Gebrauch fällt, so ist die Zurückbehaltung des einen Teils bei Veräußerung des anderen Teils des Gebrauchs nicht der Vorbehalt einer Herrenschaft ohne utile. – Die bloß negative, aber allererste Beförderung der Wissenschaften und Künste ist, diejenigen, die darin arbeiten, gegen Diebstahl zu sichern und ihnen den Schutz ihres Eigentums angedeihen zu lassen; wie die[147] allererste und wichtigste Beförderung des Handels und der Industrie war, sie gegen die Räuberei auf den Landstraßen sicherzustellen. – Indem übrigens das Geistesprodukt die Bestimmung hat, von anderen Individuen aufgefaßt und ihrer Vorstellung, Gedächtnis, Denken usf. zu eigen gemacht zu werden [, so hat] ihre Äußerung, wodurch sie das Gelernte (denn Lernen heißt nicht nur, mit dem Gedächtnis die Worte auswendig lernen – die Gedanken anderer können nur durch Denken aufgefaßt werden, und dies Nach-denken ist auch Lernen) gleichfalls zu einer veräußerbaren Sache machen, immer leicht irgendeine eigentümliche Form, so daß sie das daraus erwachsende Vermögen als ihr Eigentum betrachten und für sich das Recht solcher Produktion daraus behaupten können. Die Fortpflanzung der Wissenschaften überhaupt und das bestimmte Lehrgeschäft insbesondere ist, seiner Bestimmung und Pflicht nach, am bestimmtesten bei positiven Wissenschaften, der Lehre einer Kirche, der Jurisprudenz usf., die Repetition festgesetzter, überhaupt schon geäußerter und von außen aufgenommener Gedanken, somit auch in Schriften, welche dies Lehrgeschäft und die Fortpflanzung und Verbreitung der Wissenschaften zum Zweck haben. Inwiefern nun die in der wiederholenden Äußerung sich ergebende Form den vorhandenen wissenschaftlichen Schatz und insbesondere die Gedanken solcher anderer, die noch im äußerlichen Eigentum ihrer Geistesprodukte sind, in ein spezielles geistiges Eigentum des reproduzierenden Individuums verwandle und ihm hiermit das Recht, sie auch zu seinem äußerlichen Eigentum zu machen, gebe oder inwiefern nicht, – inwiefern solche Wiederholung in einem schriftstellerischen Werke ein Plagiat werde, läßt sich nicht durch eine genaue Bestimmung[148] angeben und hiermit nicht rechtlich und gesetzlich festsetzen. Das Plagiat müßte daher eine Sache der Ehre sein und von dieser zurückgehalten werden. – Gesetze gegen den Nachdruck erfüllen daher ihren Zweck, das Eigentum der Schriftsteller und der Verleger rechtlich zu sichern, zwar in dem bestimmten, aber sehr beschränkten Umfange. Die Leichtigkeit, absichtlich an der Form etwas zu andern oder ein Modifikatiönchen an einer großen Wissenschaft, an einer umfassenden Theorie, welche das Werk eines anderen ist, zu erfinden, oder schon die Unmöglichkeit, im Vortrage des Aufgefaßten bei den Worten des Urhebers zu bleiben, führen für sich außer den besonderen Zwecken, für welche eine solche Wiederholung nötig wird, die unendliche Vielfachheit von Veränderungen herbei, die dem fremden Eigentum den mehr oder weniger oberflächlichen Stempel des seinigen aufdrücken; wie die hundert und aberhundert Kompendien, Auszüge, Sammlungen usf., Rechenbücher, Geometrien, Erbauungsschriften usf. zeigen, wie jeder Einfall einer kritischen Zeitschrift, Musenalmanachs, Konversationslexikons usf. sogleich ebenfalls unter demselben oder einem veränderten Titel wiederholt, aber als etwas Eigentümliches behauptet werden kann, – wodurch denn leicht dem Schriftsteller oder erfindenden Unternehmer der Gewinn, den ihm sein Werk oder Einfall versprach, zunichte gemacht oder gegenseitig heruntergebracht oder allein ruiniert wird. – Was aber die Wirkung der Ehre gegen das Plagiat betrifft, so ist dabei dies auffallend, daß der Ausdruck Plagiat oder gar gelehrter Diebstahl nicht mehr gehört wird – es sei entweder, daß die Ehre ihre Wirkung getan, das Plagiat zu verdrängen, oder daß es aufgehört hat, gegen die Ehre zu sein, und das Gefühl hierüber verschwunden ist, oder daß ein Einfällchen und Veränderung einer äußeren Form sich als Originalität und selbstdenkendes Produzieren so hoch anschlägt, um den Gedanken an ein Plagiat gar nicht in sich aufkommen zu lassen.
[149]


§ 70

Die umfassende Totalität der äußerlichen Tätigkeit, das Leben, ist gegen die Persönlichkeit, als welche selbst diese und unmittelbar ist, kein Äußerliches. Die Entäußerung oder Aufopferung desselben ist vielmehr das Gegenteil, als das Dasein dieser Persönlichkeit. Ich habe daher zu jener Entäußerung überhaupt kein Recht, und nur eine sittliche Idee, als in welcher diese unmittelbar einzelne Persönlichkeit an sich untergegangen und die deren wirkliche Macht ist, hat ein Recht darauf, so daß zugleich, wie das Leben als solches unmittelbar, auch der Tod die unmittelbare Negativität desselben ist, daher er von außen, als eine Natursache oder, im Dienste der Idee, von fremder Hand empfangen werden muß.[151]

Quelle:
Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Werke. Band 7, Frankfurt a. M. 1979, S. 140-152.
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