§ 11. Das Geschmacksurteil hat nichts als die Form der Zweckmäßigkeit eines Gegenstandes (oder der Vorstellungsart desselben) zum Grunde

[136] Aller Zweck, wenn er als Grund des Wohlgefallens angesehen wird, führt immer ein Interesse, als Bestimmungsgrund des Urteils über den Gegenstand der Lust, bei sich. Also kann dem Geschmacksurteil kein subjektiver Zweck zum Grunde liegen. Aber auch keine Vorstellung eines objektiven Zwecks, d.i. der Möglichkeit des Gegenstandes selbst nach Prinzipien der Zweckverbindung, mithin kein Begriff des Guten kann das Geschmacksurteil bestimmen; weil es ein ästhetisches und kein Erkenntnisurteil ist, welches also keinen Begriff von der Beschaffenheit und innern oder äußern Möglichkeit des Gegenstandes, durch diese oder jene Ursache, sondern bloß das Verhältnis der Vorstellungskräfte zu einander, sofern sie durch eine Vorstellung bestimmt werden, betrifft.

Nun ist dieses Verhältnis in der Bestimmung eines Gegenstandes, als eines schönen, mit dem Gefühle einer Lust verbunden, die durch das Geschmacksurteil zugleich als für jedermann gültig erklärt wird; folglich kann eben, so wenig eine die Vorstellung begleitende Annehmlichkeit, als die Vorstellung von der Vollkommenheit des Gegenstandes und der Begriff des Guten den Bestimmungsgrund enthalten. Also kann nichts anders als die subjektive Zweckmäßigkeit in der Vorstellung eines Gegenstandes, ohne allen (weder objektiven noch subjektiven) Zweck, folglich die bloße Form der Zweckmäßigkeit in der Vorstellung, wodurch uns ein Gegenstand gegeben wird, sofern wir uns ihrer bewußt sind, das Wohlgefallen, welches wir, ohne Begriff, als allgemein mitteilbar beurteilen, mithin den Bestimmungsgrund des Geschmacksurteils, ausmachen.

Quelle:
Immanuel Kant: Werke in zwölf Bänden. Band 10, Frankfurt am Main 1977, S. 136.
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