Erster Abschnitt.
Die Bedingungen.

Ohne Entstehen, auch ohne Vergehen, nicht ewig, auch nicht abgeschnitten,

Nicht eines, auch nicht verschieden, ohne Kommen, auch ohne Gehen –

Wer so das abhängige Entstehen (pratīya-samutpāda) lehren kann, das stille Erlöschen der Entfaltung (prapañca),

Vor ihm, dem Erleuchteten, beuge ich das Haupt, dem Besten der Lehrenden.

Frage: Warum verfaßt man dieses Lehrbuch (śāstra)?

Antwort: Es gibt Leute, die sagen, alle Dinge seien durch den Maheśvara entstanden, andere, durch den Gott Viṣṇu, andere, durch (beider) Zusammenwirken, andere, durch die Zeit (kāla), andere, durch ihre natürliche Anlage (prakṛti), andere, durch Veränderung, andere, durch ihr eigenes Wesen (svabhāva), andere, aus Atomen. [Weil]1 mit solchen Irrtümern behaftet, fallen sie in die falschen Ansichten einer Entstehung ohne Grund, aus unzureichendem (eigentlich »falschem«) Grund, einer Vernichtung, eines Ewigseins usw. Auf verschiedene Weise lehren sie »ich« und »mein«, (und) sie kennen nicht die wahre Lehre (dharma). Da Buddha derartige falsche Ansichten zu vernichten wünscht und die Buddhalehre erkennen lassen will, lehrte er zuerst in dem śrāvaka-dharma die zwölf Bedingungen (nidāna), und dann für denjenigen, der sich schon geübt hat und großen Geist hat, fähig, die tiefe Lehre aufzufassen, lehrt er durch die Mahāyāna-Lehre der Bedingungen (pratyaya) Merkmale: die Dinge, die da vorkommen, sind ohne Entstehen, ohne Vergehen, nicht eines, nicht verschieden usw., vollständig leer und nicht existierend. Wie in der Prajñāpāramitā[1] gelehrt wird: »Buddha verkündet: ›Subhūti, ein Bodhisattva, sich in Meditation versenkend, prüft die zwölf Bedingungen (nidāna), wie der Raum unermeßlich‹.« Nach Buddhas nirvāṇa, nach fünfhundert Jahren im nur nachgeahmten dharma, (nachdem) der Menschen Sinn allmählich stumpf geworden (ist), tief haftend an den dharmas, suchen sie der zwölf Bedingungen (nidāna), fünf Gruppen (skandha), zwölf Gebiete (āyatana), achtzehn Elemente (dhātu) usw. bestimmte Merkmale, erkennen nicht Buddhas Sinn und haften nur am Wort und Schriftzeichen. Die im Mahāyāna-dharma gelehrte absolute Leerheit hörend, erkennen sie nicht den Grund der Leerheit. Dann entsteht der Zweifel: wenn alles absolut leer ist, wie kann man die Folgen des Bösen und Guten unterscheiden? Wenn es aber so ist, dann ist kein Unterschied zwischen weltlicher und absoluter Wahrheit (satya). Unter Annahme dieser Merkmale des Leeren aber entsteht Gier (und) Haften, (und) in der absoluten Leerheit entstehen verschiedenartige Fehler. Nāgārjuna Bodhisattva verfaßte deshalb dieses Madhyamaka-śāstra –

Ohne Entstehen, auch ohne Vergehen, nicht ewig, auch nicht abgeschnitten.

Nicht eines, auch nicht verschieden, ohne Kommen, auch ohne Gehen –

Wer so das abhängige Entstehen lehren kann, das stille Erlöschen der Entfaltung,

Vor ihm, dem Erleuchteten, beuge ich das Haupt, dem Besten der Lehrenden.

In diesen zwei Versen (gāthā) hat er den Buddha gepriesen, dann die Wahrheit des höchsten Sinnes (paramārtha) zusammengefaßt.

Frage: Der dharmas sind unendlich viele; warum werden hier nur diese acht Gegenstände (artha) widerlegt?

Antwort: Obwohl die dharmas unendlich sind, so werden hier kurz acht Gegenstände gelehrt; dann (unter ihnen) zusammengefaßt alle dharmas widerlegt als nichtentstanden usw. Die śāstra-Lehrer2 lehren auf verschiedene Weise die Beschaffenheit des Entstehens. Teils sagen sie, Ursache und Folge seien eines; teils sagen sie, Ursache und Folge seien verschieden; teils sagen sie, in der Ursache sei schon vorher die Folge enthalten; teils sagen[2] sie, in der Ursache sei die Folge vorher nicht enthalten; teils sagen sie, (die Dinge) entstehen von selbst; teils sagen sie, sie entstehen aus einem anderen; teils sagen sie, sie entstehen aus beidem; teils sagen sie, das Entstehen ist, teils sagen sie, das Entstehen ist nicht. Das so gelehrte Entstehen ist ausnahmslos nicht richtig. Dieser Gegenstand wird später ausführlicher gelehrt werden. Da das Entstehen in absolutem Sinne nicht zu erreichen ist, (heißt es:) ohne Entstehen. Ohne Vergehen: wenn das Entstehen nicht ist, wie ist dann das Vergehen möglich? Da Entstehen und Vergehen nicht sind, so sind auch die übrigen sechs Prädikate (eigentlich »Gegenstände«) nicht (vorhanden).

Frage: Unter dem Nicht-Entstehen und Nicht-Vergehen zusammengefaßt werden alle dharmas widerlegt. Warum werden nochmals sechs Prädikate gelehrt?

Antwort: Um die Bedeutung des Nicht-Entstehens und Nicht-Vergehens zu erreichen, nehmen einige ein Nicht-Entstehen und Nicht-Vergehen nicht an, sondern glauben an Nicht-Ewig und Nicht-Abgeschnitten. Wenn, tief nachgeforscht, (etwas) nicht-ewig und nicht-abgeschnitten ist, dann ist das ohne Entstehen und ohne Vergehen. Weshalb? Wenn ein dharma tatsächlich ist, dann kann er nicht nicht-sein. Vorher war er, jetzt ist er nicht: das heißt »Abschneiden« (uccheda); wenn das Frühere wesenhaft ist, so heißt dies »ewig«. Deshalb wird gelehrt: nicht ewig, nicht abgeschnitten. Und so tritt der Sinn des Nicht-Entstehens und Nicht-Vergehens ein. Obwohl manche Leute die vierfache Widerlegung der dharmas hören, erreichen sie doch durch die vier (übrigen) Tore die (Realität der) dharmas. Dies auch ist nicht richtig. Wenn (nur) Eines (ist), dann gibt es keine Bedingungen (pratyaya); wenn Verschiedenes, dann gibt es keinen Seinszusammenhang, (wie) später auf verschiedene Weise erörtert werden wird. Deswegen wird ausdrücklich gelehrt: nicht eines, nicht verschieden. Es gibt Leute, die, obwohl sie die sechsfache Widerlegung der dharmas hören, doch durch (die Begriffe) des Kommens und Gehens die dharmas erreichen. »Kommen« bedeutet: die dharmas kommen aus dem Herrn (īśvara), durch ihre eigene Natur, aus Atomen usw. »Gehen« (bedeutet): (ein dharma) erreicht wieder seinen ursprünglichen Ort.

Ferner: die Dinge entstehen nicht. Warum? Weil es in der Welt offenbar so gesehen wird. Wie in der Welt beobachtet wird, wird zu Beginn des Weltalters (kalpa) Korn nicht erzeugt. Weshalb?[3] Getrennt von Korn zu Beginn des kalpa ist das jetzige Korn nicht zu erreichen. Wenn ohne das Korn zu Beginn des kalpa das jetzige Korn zu erreichen wäre, dann könnte ein Entstehen sein; aber tatsächlich ist es nicht so. Daher gibt es kein Entstehen.

Frage: Wenn es kein Entstehen gibt, so könnte doch ein Vergehen sein?

Antwort: Es gibt kein Vergehen. Weshalb? Weil es in der Welt so beobachtet wird. Wie in der Welt beobachtet wird, wird zu Anfang des kalpa (bestehendes) Korn nicht vernichtet. Wenn es vernichtet würde, so könnte jetzt nicht Korn sein. Aber tatsächlich ist Korn. Daher gibt es kein Vergehen.

Frage: Wenn es kein Vergehen gibt, so ist (doch) Ewigkeit.

Antwort: Es gibt keine Ewigkeit. Weshalb? Weil es so in der Welt beobachtet wird. Wie in der Welt beobachtet wird, sind die Dinge nicht ewig. Wie zur Zeit des Keimens von Korn der Same alsdann verändert (und) vernichtet wird. Daher ist keine Ewigkeit.

Frage: Wenn es keine Ewigkeit gibt, so gibt es (doch) ein Abschneiden.

Antwort: Es gibt kein Abschneiden. Weshalb? Weil es so in der Welt beobachtet wird. Wie in der Welt beobachtet wird, sind die Dinge nicht abgeschnitten; wie durch das Korn der Sproß ist. Daher (gibt es) kein Abschneiden. Wenn es ein Abschneiden gäbe, so wäre kein Zusammenhang des Geschehens.

Frage: Wenn es so ist, dann sind alle Dinge eines.

Antwort: (Sie sind) nicht eines. Weshalb? Weil es so in der Weit beobachtet wird. Wie in der Welt beobachtet wird, sind die Dinge nicht eines. Wie z.B. das Korn nicht Sproß ist (eig. »wird«), und der Sproß nicht Korn ist. Wenn das Korn Sproß und der Sproß Korn wäre, so wäre dies eines. Aber tatsächlich ist es nicht so. Daher ist nicht Eines.

Frage: Wenn es nicht Eines gibt, so ist (doch) Verschiedenes.

Antwort: Es gibt nicht Verschiedenes. Warum? Weil es so in der Welt beobachtet wird. Wie in der Welt beobachtet wird, sind, die Dinge nicht verschieden. Wenn sie verschieden sind, weshalb unterscheidet man Kornkeim, Kornstengel, Kornblatt und bezeichnet sie nicht als Baumsproß, Baumstamm, Baumblatt? Daher ist nicht Verschiedenes.[4]

Frage: Wenn nicht Verschiedenes ist, so würde doch ein Kommen sein.

Antwort: Es ist kein Kommen. Weshalb? Weil es so in der Welt beobachtet wird. Wie in der Welt beobachtet wird, kommen die Dinge nicht. Wie in dem Samen der Sproß nicht ist, der kommen könnte. Wenn Hervorgehen wäre, so müßte der Sproß aus einem anderen Ort hervorgehen, wie ein im Baum sitzender Vogel hervorkommt. Aber in Wirklichkeit ist es nicht so. Deshalb ist kein Kommen.

Frage: Wenn es kein Kommen gibt, so könnte doch ein Gehen sein.

Antwort: Es gibt kein Gehen. Weshalb? Weil es so in der Welt beobachtet wird. Wie in der Welt beobachtet wird, gehen die Dinge nicht weg. Wenn ein Weggehen wäre, so würde man sehen, wie der Sproß durch das Korn weggeht; wie eine Schlange durch ihr Loch weggeht. Aber tatsächlich ist es nicht so. Deshalb ist kein Gehen.

Frage: Obwohl ihr die Bedeutung des Nicht-Entstehens, Nicht-Vergehens (usw.) erklärt, so wünsche ich (doch) das verfaßte śāstra hören, das (ihr) lehrt.

Antwort:

Die dharmas entstehen nicht von selbst, auch nicht aus anderem, nicht aus beidem, nicht grundlos: deshalb wird Nicht-Entstehen erkannt. (I. 1.)

»Nicht von selbst«: die Dinge entstehen nicht durch ihr eigenes Wesen, sondern sie warten die Bedingungen ab. Ferner: wenn ein Von-selbst-Entstehen wäre, so hätte ein dharma zwei Wesenheiten, erstens das Entstehen, zweitens das Entstehen-lassen. Wenn ohne die übrigen Bedingungen (etwas) aus sich selbst entstände, so hätte es keinen Grund (hetu) und keine Bedingung (pratyaya). Auch hätte das Entstehen dann ein weiteres Entstehen – das Entstehen wäre dann unerschöpflich (anavasthā). Da von selbst (Entstehen) nicht ist, ist auch nicht (Entstehen) von anderem. Weshalb? Weil »selbst« ist, ist »anderes«. Wenn kein Entstehen von selbst ist, auch kein Entstehen aus anderem ist, so ist das Entstehen aus beidem zusammen mit zwei Fehlern (behaftet): weil es (zugleich) von selbst entsteht und aus anderem entsteht. Wenn aber ohne Grund alle Dinge sind, so bedeutet das: sie sind ewig. Diese Sache ist nicht richtig. Ist kein Grund,[5] so ist keine Folge. Wenn ohne Grund die Folge ist, so werden Almosengeben (dāna), Beachten der Vorschriften (śīla) usw. zur Hölle (naraka) führen, die zehn Sünden3 und die fünf mit unmittelbarer Folge begleiteten Vergehen4 werden den Himmel (svarga) hervorbringen, weil sie kein Grund sind. Ferner:

Wie der dharmas Eigensein sich nicht in den Bedingungen befindet, so ist, da eigenes Wesen nicht existiert, auch nicht Entstehen aus anderem.5 (I. 2.)

Der dharmas Wesen befindet sich nicht in den Bedingungen; nur wegen der Bedingungen Vereintheit erhält man die Bezeichnung »Eigensein«. Denn dieses Substantielle hat kein Eigensein in den Bedingungen. Da es ein Eigensein nicht gibt, so gibt es kein Entstehen von selbst; da es ein Eigensein nicht gibt, gibt es auch nicht ein Anderssein. Weshalb? Mit Beziehung auf eigenes Sein ist Anderssein. Anderssein ist (nämlich) im anderen auch Eigensein. Wenn Eigensein widerlegt wird, so wird auch Anderssein widerlegt. Deshalb ist es nicht möglich, (daß etwas) aus Anderssein entsteht. Wenn eigenes und anderes Sein widerlegt sind, dann ist auch beides zusammen widerlegt. (Ein Entstehen) ohne Grund ist ein großer Fehler. »Mit Grund» dürfte zu widerlegen sein, um so mehr »ohne Grund«. In den vier Bedingungen6 wird Entstehen nicht erreicht; deshalb gibt es kein Entstehen.

Frage: Der Anhänger des Abhidharma sagt: »Die dharmas entstehen durch vier Bedingungen (pratyaya).« Wie sagt man: »Es gibt kein Entstehen«? Wie heißen die vier Bedingungen?

Grundbedingung (hetu), Reihenfolgebedingung (anantara), Abhängigkeitsbedingung (ālambana), beherrschende Bedingung (adhipati): vier Bedingungen bringen die dharmas hervor, außerdem gibt es keine fünfte Bedingung. (I. 3.)

Alle Bedingungen, die es gibt, zusammengefaßt, sind vier Bedingungen. Durch diese vier Bedingungen erreichen alle Dinge ihr Entstehen. »Grundbedingung« heißen alle gewirkten (saṃskṛta) dharmas. »Reihenfolgebedingung«: mit Ausnahme der vergangenen und gegenwärtigen letzten Gedanken (citta) und gedankenartigen[6] (caitasika) Zustände (dharma) eines arhant alle übrigen vergangenen und gedankenartigen Zustände. Abhängigkeits- und beherrschende Bedingungen sind alle dharmas.

Antwort:

Die Wirkung ist entweder aus Bedingungen entstanden, oder sie ist aus Nicht-Bedingungen entstanden: diese Bedingungen haben entweder Wirkung, oder diese Bedingungen haben keine Wirkung. (I. 4.)

Wenn man sagt: »Die Wirkung ist«, so ist diese Wirkung entweder aus Bedingungen entstanden, oder sie ist aus Nicht-Bedingungen entstanden. Wenn man sagt: »Die Bedingungen sind«, so sind diese Bedingungen mit Wirkung oder ohne Wirkung. Alles beide ist nicht richtig. Weshalb?

Durch diesen dharma entsteht eine Wirkung: dieser dharma wird Bedingung genannt. Wenn diese Wirkung noch nicht entstanden ist, warum heißt er dann nicht »Nicht-Bedingung«? (I. 5.)

Die Bedingungen sind nicht absolut wahr. Weshalb? Wenn die Wirkung noch nicht entstanden ist, zu dieser Zeit heißen sie nicht »Bedingungen«. Nur weil dem Augenscheine nach durch die Bedingungen die Wirkung entsteht, deshalb heißen sie »Bedingungen«; die Bedingungen werden erreicht abhängig von der Wirkung. Da die Wirkung später, die Bedingung früher ist: wenn die Wirkung noch nicht ist, wie ist es möglich, sie »Bedingung« zu nennen? Wie ein Krug durch die Vereinigung von Wasser und Erde zum Krug wird. Durch die Wahrnehmung des Kruges erkennt man: »Wasser, Erde usw. sind die Bedingungen des Kruges.« Wenn der Krug noch nicht entstanden ist, warum heißt es dann nicht: »Wasser, Erde usw. werden betrachtet als Nicht-Bedingungen.« Daher entsteht die Wirkung nicht aus Bedingungen. Die Bedingungen entstehen also wohl nicht, um so mehr aber doch (nicht) die Nicht-Bedingungen. Ferner:

Der Wirkungen vorheriges Sein und Nichtsein in den Bedingungen: beides ist nicht möglich. Wenn sie vorher nicht sind, wozu gibt es (dann) Bedingungen? wenn sie vorher schon sind, wozu braucht man dann Bedingungen? (I. 6.)

In den Bedingungen ist vorher weder die Wirkung, noch[7] keine Wirkung. Wenn vorher (schon) die Wirkung ist, so heißt es nicht »Bedingung«, da die Wirkung vorher (schon) da ist. Wenn die Wirkung vorher nicht ist, auch dann heißt es nicht »Bedingung«, weil sie die übrigen Dinge nicht hervorbringt.

Frage: Zusammengefaßt sind alle Bedingungen widerlegt; jetzt möchte ich die Widerlegung der Bedingungen im einzelnen hören.

Antwort:

Wenn die Wirkung nicht mit Entstehen behaftet, auch ferner nicht ohne Entstehen ist, auch nicht mit und ohne Entstehen, wie kann man sagen: »Es gibt Bedingungen?« (I. 7.)

Wenn die Bedingungen die Wirkung erzeugen können, so sind drei Möglichkeiten: entweder sie ist, oder sie ist nicht, oder sie ist und ist nicht. Wenn, wie in den früheren ślokas gezeigt wurde, in den Bedingungen vorher schon die Wirkung ist, so kann man nicht sagen: »sie entsteht«; weil sie schon vorher da ist. Wenn die Wirkung vorher nicht ist, so kann man nicht sagen: »sie entsteht«; weil sie vorher nicht da ist. Auch weil Bedingung und Nicht-Bedingung vereinigt sind, entsteht auch Sein-und-Nichtsein nicht. Sein-und-Nichtsein heißt: halb ist es, halb ist es nicht. Beides zusammen ist fehlerhaft. Überdies ist Sein-und-Nichtsein ein Widerspruch, Nichtsein-und-Sein ist ein Widerspruch. Wie können in einem dharma zwei Eigenschaften (lakṣaṇa) sein? Weil so auf drei Weisen gesucht, eine Entstehung der Wirkung nicht zu erreichen ist, wie kann man sagen: »Es ist die Grundbedingung (hetu-pratyaya)«?

Die Folgebedingung (anantara-pratyaya):

Wenn die Wirkung noch nicht entstanden ist, dann kann sie nicht vergehen; ein vernichteter dharma: wie kann er sich beziehen? Deshalb ist keine Folgebedingung. (I. 8.)

Alle Gedanken (citta) und gedankenhaften (caitasika) Zustände (dharma) in den drei Zeiten (adhvan) entstehen hintereinander. Die gegenwärtigen (Gedanken und)7 gedankenhaften Zustände vergehen, so daß sie in der Zukunft Folgebedingungen (anantara-pratyaya) werden. Die zukünftigen dharmas sind noch[8] nicht entstanden. Für wen sollten sie Folgebedingungen werden? Wenn ein zukünftiger dharma schon da ist, welchen Nutzen für dessen Entstehen hat dann die Folgebedingung? Gegenwärtige Gedanken und gedankenhaften Zustände sind ohne Dauer. Wenn sie nicht dauern, wie können sie Folgebedingungen heißen? Wenn sie dauern, dann sind sie nicht gewirkte (saṃskṛta) dharmas. Warum? Weil alle gewirkten dharmas immer zum vernichtet werden vereigenschaftet sind. Wenn (schon) vernichtet, dann können sie nicht Folgebedingung bewirken. Wenn man sagt: »Das Vernichten ist doch«, dann ist dieses ewig; wenn ewig, dann gibt es nicht Böses und Gutes usw. Wenn man sagt: »Das Vernichtet-werdende kann die Folgebedingung bewirken«, so ist das Vernichtet-werdende halb vernichtet, halb nicht-vernichtet; außerdem ist kein dritter dharma, der heißen könnte: »vernichtet-werdend«. Überdies lehrt Buddha: »Alle gewirkten Dinge werden in jedem Moment vernichtet; es ist nicht in einem Momente Verharren«. Wie kann man sagen: »In gegenwärtig existierenden dharmas ist ein Wollen der Vernichtung und ein Noch-nicht-Wollen der Vernichtung«? Wenn du sagst: »In einem Moment ist nicht dieses Wollen der Vernichtung und Noch-nicht-Wollen der Vernichtung«, dann wird der eigene dharma widerlegt. Ihr lehrt im Abhidharma: »Es ist Vernichtung, es ist Nicht-Vernichtung, es ist Vernichtung-wollen, es ist Nicht-Vernichtung-wollen«. Vernichtung-wollen ist der gegenwärtigen dharmas sofortige Vernichtung wollen. Ein noch nicht Vernichtung wollendes8: mit Ausnahme des gegenwärtigen sofort Vernichtung wollenden alle übrigen gegenwärtigen, sowie vergangenen und zukünftigen nicht-gewirkten (asaṃskṛta) dharmas: diese heißen »nicht-Vernichtung-wollend«. Deshalb ist keine Folgebedingung.

Abhängigkeitsbedingung (ālambana-pratyaya): –

Wie von den Buddhas gelehrt wird, ist der dharma (Objekt) seinem Wesen nach äußerst fein. In diesem dharma ohne Bedingungen (pratyaya): wie sollte es da eine Abhängigkeitsbedingung geben? (I. 9.)

Buddha lehrt (im) Mahāyāna die dharmas entweder mit Form (rūpa), [oder] ohne Form, mit Gestalt (ākāra), ohne Gestalt, mit Ausfluß (āsrava), ohne Ausfluß, gewirkt (saṃskṛta), nicht-gewirkt[9] usw. Alle diese dharma-Merkmale (lakṣaṇa) gehen ein in der dharmas Wesen. Sie alle sind leer, ohne Eigenschaft (lakṣaṇa), ohne Bedingung (pratyaya); z.B. wie die Flüsse, eingehend in das Meer, alle ein Geschmack werden. Wahre dharmas darf man glauben; sie werden dem Herkommen gemäß gelehrt, aber nicht als absolute Wahrheit. Daher ist keine Abhängigkeitsbedingung (ālambana-pratyaya).

Herrschende Bedingung (adhipati-pratyaya): –

Da die dharmas kein eigenes Wesen haben, so haben sie keine Seinseigenschaft (bhāva-lakṣaṇa); zu lehren: »Dieses Dinges halber ist jenes Ding«, das ist nicht richtig. (I. 10.)

(Wenn) im sūtra die zwölf Bedingungen (nidāna) gelehrt werden, und daß, wenn dieses Ding ist, jenes ist, so ist diese (Behauptung) nicht richtig. Warum? Die Dinge (dharma), da sie durch die Bedingungen (pratyaya) entstehen, sind selbst nicht in absolutem Sinne. Da sie selbst in absolutem Sinne nicht sind, sind sie nicht Seins-vereigenschaftet (bhāva-lakṣaṇa). Da sie nicht Seins-vereigenschaftet sind, wie kann man sagen: »Da dieses Ding ist, ist jenes Ding.« Deshalb ist nicht herrschende Bedingung (adhipati-pratyaya). Da Buddha der gewöhnlichen Leute Unterscheidungen zwischen Sein und Nichtsein folgt, lehrt er [die Bedingungen (pratyaya)].9 Ferner:

In den zusammengefaßten und getrennten Bedingungen gesucht, ist die Wirkung nicht zu erreichen. Wenn sie in den Bedingungen nicht ist, wie geht sie aus den Bedingungen hervor? (I. 11.)

»Zusammengefaßt«, d.h. in den vereinigten Bedingungen ist die Wirkung nicht; »getrennt«, d.h. in jeder einzelnen Bedingung ist auch nicht die Wirkung. Wenn in den zusammengefaßten und getrennten Bedingungen die Wirkung nicht ist, wie sagt man: »Die Wirkung geht aus den Bedingungen hervor«? Ferner:

Wenn man sagt: »Die Bedingungen haben nicht Wirkung, aber aus den Bedingungen geht die Wirkung hervor«, warum geht die Wirkung nicht aus Nicht-Bedingungen hervor? (I. 12.)[10]

Wenn in den Bedingungen gesucht die Wirkung nicht erreichbar ist, warum geht sie nicht aus Nicht-Bedingungen hervor? Wie der im Lehm nicht seiende Krug: warum geht er nicht aus der Milch hervor? Ferner:

Wenn die Wirkung aus den Bedingungen entsteht, so haben diese Bedingungen kein eigenes Wesen. Aus Nichtsein entsteht eigenes Wesen: wie erreicht man aus Bedingungen Entstehen? (I. 13.)

Die Wirkung entsteht nicht aus Bedingungen10, entsteht nicht aus Nicht-Bedingungen; weil die Wirkung nicht ist, sind auch die Bedingungen und Nicht-Bedingungen nicht. (I. 14.)

Die Wirkung entsteht aus den Bedingungen: diese Bedingungen sind nicht an sich seiend. Wenn sie nicht an sich seiend sind, dann sind es nicht dharmas.11 (Aber) wie kann ein nicht-dharma entstehen? Deshalb entsteht die Wirkung nicht aus den Bedingungen und entsteht nicht aus Nicht-Bedingungen. Da so die Bedingungen widerlegt sind, lehrt er: »Die Nicht-Bedingungen sind in Wirklichkeit nicht Nicht-Bedingungen [-dharmas].« Deshalb ist kein Entstehen aus Nicht-Bedingungen. Wenn aus beiden kein Entstehen ist, dann ist keine Wirkung; da keine Wirkung ist, ist auch nicht Bedingung und Nicht-Bedingung.

1

Zusatz von TE.

2

Nach TE.

3

Vgl. Mahāvyutpatti 91.

4

Vgl. Mahāvyutpatti 122.

5

TE.: »auch nicht anderes Wesen«.

6

TE.: »in den vier Sätzen«.

7

Fehlt KE.

8

TE.: »Ein noch nicht Vernichtung wollender dharma«.

9

Fehlt TE.

10

In der Übersetzung der tibetischen Version (p. 14 1. 6) ist »nicht« zu tilgen.

11

Chin. fa steht hier für ssk. bhāva (Sein).

Quelle:
Die mittlere Lehre des Nāgārjuna. Heidelberg 1912, S. 1-11,14-15.
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