[Philosophische Untersuchungen ...]

[432] Philosophische Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit können teils den richtigen Begriff derselben angehen, indem die Tatsache der Freiheit, so unmittelbar das Gefühl derselben einem jeden eingeprägt ist, doch keineswegs so sehr an der Oberfläche liegt, daß nicht, um sie auch nur in Worten auszudrücken, eine mehr als gewöhnliche Reinheit und Tiefe des Sinns erfordert würde; teils können sie den Zusammenhang dieses Begriffs mit dem Ganzen einer wissenschaftlichen Weltansicht betreffen. Da jedoch kein Begriff einzeln bestimmt werden kann, und die Nachweisung seines Zusammenhangs mit dem Ganzen ihm auch erst die letzte wissenschaftliche Vollendung gibt; welches bei dem Begriff der Freiheit vorzugsweise der Fall sein muß, der, wenn er überhaupt Realität hat, kein bloß untergeordneter oder Nebenbegriff, sondern einer der herrschenden Mittelpunkte des Systems sein muß: so fallen jene beiden Seiten der Untersuchung hier, wie überall, in eins zusammen. Einer alten, jedoch keineswegs verklungenen Sage zufolge soll zwar der Begriff der Freiheit mit dem System überhaupt unverträglich sein, und jede auf Einheit und Ganzheit Anspruch machende Philosophie auf Leugnung der Freiheit hinauslaufen. Gegen allgemeine Versicherungen der Art ist es nicht leicht zu streiten; denn wer weiß, welche beschränkende Vorstellungen schon mit dem Wort System verbunden worden sind, so daß die Behauptung zwar etwas sehr Wahres, aber auch sehr Gewöhnliches aussagt. Oder ist dieses die Meinung, dem Begriff von Freiheit widerstreite der Begriff von System überhaupt und an sich: so ist[432] sonderbar, daß, da die individuelle Freiheit doch auf irgend eine Weise mit dem Weltganzen (gleichviel, ob es realistisch oder idealistisch gedacht werde) zusammenhängt, irgend ein System, wenigstens im göttlichen Verstande, vorhanden sein muß, mit dem die Freiheit zusammenbesteht. Im allgemeinen behaupten, daß dieses System nie zur Einsicht des menschlichen Verstandes gelangen könne, heißt wieder nichts behaupten; indem, je nachdem sie verstanden wird, die Aussage wahr oder falsch sein kann. Es kommt auf die Bestimmung des Prinzips an, mit welchem der Mensch überhaupt erkennt; und es wäre auf die Annahme einer solchen Erkenntnis anzuwenden, was Sextus in bezug auf Empedokles sagt: der Grammatiker und der Unwissende können sie als aus Prahlerei und Erhebung über andere Menschen entspringend vorstellen, Eigenschaften, die jedem, der auch nur eine geringe Übung in der Philosophie hat, fremd sein müssen; wer aber von der physischen Theorie ausgehe und wisse, daß es eine ganz alte Lehre sei, daß Gleiches von Gleichem erkannt werde (welche angeblich von Pythagoras herkomme, aber bei Platon angetroffen werde, weit früher aber von Empedokles ausgesprochen worden sei), werde verstehen, daß der Philosoph eine solche (göttliche) Erkenntnis behaupte, weil er allein, den Verstand rein und unverdunkelt von Bosheit erhaltend, mit dem Gott in sich den Gott außer sich begreife3. Allein es ist bei denen, welche der Wissenschaft abhold sind, einmal herkömmlich, unter dieser eine Erkenntnis zu verstehen, welche, wie die der gewöhnlichen Geometrie, ganz abgezogen und unlebendig ist. Kürzer oder entscheidender wäre, das System auch im Willen oder Verstande des Urwesens zu leugnen; zu sagen, daß es überhaupt nur einzelne Willen gebe, deren jeder einen Mittelpunkt für sich ausmache, und nach Fichtes Ausdruck eines jeden Ich die absolute Substanz sei. Immer jedoch wird die auf Einheit dringende Vernunft, was das auf Freiheit und Persönlichkeit bestehende Gefühl, nur durch einen Machtspruch zurückgewiesen, der eine Weile vorhält, endlich zuschanden wird. So mußte die Fichtesche Lehre[433] ihre Anerkennung der Einheit, wenn auch in der dürftigen Gestalt einer sittlichen Weltordnung, bezeugen, wodurch sie aber unmittelbar in Widersprüche und Unstatthaftigkeiten geriet. Es scheint daher, daß, so viel auch für jene Behauptung von dem bloß historischen Standpunkt, nämlich aus den bisherigen Systemen, sich anführen läßt – (aus dem Wesen der Vernunft und Erkenntnisselbst geschöpfte Gründe haben wir nirgends gefunden) – der Zusammenhang des Begriffs der Freiheit mit dem Ganzen der Weltansicht wohl immer Gegenstand einer notwendigen Aufgabe bleiben werde, ohne deren Auflösung der Begriff der Freiheit selber wankend, die Philosophie aber völlig ohne Wert sein würde. Denn diese große Aufgabe allein ist die unbewußte und unsichtbare Triebfeder alles Strebens nach Erkenntnis von dem niedrigsten bis zum höchsten; ohne den Widerspruch von Notwendigkeit und Freiheit würde nicht Philosophie allein, sondern jedes höhere Wollen des Geistes in den Tod versinken, der jenen Wissenschaften eigen ist, in welchen er keine Anwendung hat. Sich durch Abschwörung der Vernunft aus dem Handel ziehen, scheint aber der Flucht ähnlicher als dem Sieg. Mit dem nämlichen Rechte könnte ein anderer der Freiheit den Rücken wenden, um sich in die Arme der Vernunft und Notwendigkeit zu werfen, ohne daß auf der einen oder der andern Seite eine Ursache zum Triumph wäre.

Bestimmter ausgedrückt wurde die nämliche Meinung in dem Satz: das einzig mögliche System der Vernunft sei Pantheismus, dieser aber unvermeidlich Fatalismus4. Es ist unleugbar eine vortreffliche Erfindung um solche allgemeine Namen, womit ganze Ansichten auf einmal bezeichnet werden. Hat man einmal zu einem System den rechten Namen gefunden, so ergibt sich das übrige von selbst, und man ist der Mühe, sein Eigentümliches genauer zu untersuchen, enthoben. Auch der Unwissende kann,[434] sobald sie ihm nur angegeben sind, mit deren Hilfe über das Gedachtetste aburteilen. Dennoch kommt bei einer so außerordentlichen Behauptung alles auf die nähere Bestimmung des Begriffs an. Denn so möchte wohl nicht zu leugnen sein, daß, wenn Pantheismus weiter nichts als die Lehre von der Immanenz der Dinge in Gott bezeichnete, jede Vernunftansicht in irgend einem Sinn zu dieser Lehre hingezogen werden muß. Aber eben der Sinn macht hier den Unterschied. Daß sich der fatalistische Sinn damit verbinden läßt, ist unleugbar; daß er aber nicht wesentlich damit verbunden sei, erhellt daraus, daß so viele gerade durch das lebendigste Gefühl der Freiheit zu jener Ansicht getrieben wurden. Die meisten, wenn sie aufrichtig wären, würden gestehen, daß, wie ihre Vorstellungen beschaffen sind, die individuelle Freiheit ihnen fast mit allen Eigenschaften eines höchsten Wesens im Widerspruch scheine, z.B. der Allmacht. Durch die Freiheit wird eine dem Prinzip nach unbedingte Macht außer und neben der göttlichen behauptet, welche jenen Begriffen zufolge undenkbar ist. Wie die Sonne am Firmament alle Himmelslichter auslöscht, so und noch viel mehr die unendliche Macht jede endliche. Absolute Kausalität in Einem Wesen läßt allen andern nur unbedingte Passivität übrig. Hierzu kommt die Dependenz aller Weltwesen von Gott, und daß selbst ihre Fortdauer nur eine stets erneute Schöpfung ist, in welcher das endliche Wesen doch nicht als ein unbestimmtes Allgemeines, sondern als dieses bestimmte, einzelne, mit solchen und keinen andern Gedanken, Bestrebungen und Handlungen produziert wird. Sagen, Gott halte seine Allmacht zurück, damit der Mensch handeln könne, oder er lasse die Freiheit zu, erklärt nichts: zöge Gott seine Macht einen Augenblick zurück, so hörte der Mensch auf zu sein. Gibt es gegen diese Argumentation einen andern Ausweg, als den Menschen mit seiner Freiheit, da sie im Gegensatz der Allmacht undenkbar ist, in das göttliche Wesen selbst zu retten, zu sagen, daß der Mensch nicht außer Gott, sondern in Gott sei, und daß seine Tätigkeit selbst mit zum Leben Gottes gehöre? Gerade von diesem Punkt aus sind Mystiker und religiöse Gemüter aller Zeiten zu dem Glauben an die Einheit des Menschen mit Gott gelangt, der dem innigsten Gefühl ebensosehr[435] oder noch mehr als der Vernunft und Spekulation zuzusagen scheint. Ja die Schrift selbst findet eben in dem Bewußtsein der Freiheit das Siegel und Unterpfand des Glaubens, daß wir in Gott leben und sind. Wie kann nun die Lehre notwendig mit der Freiheit streiten, welche so viele in Ansehung des Menschen behauptet haben, gerade um die Freiheit zu retten?

Eine andere, wie man gewöhnlich glaubt näher treffende, Erklärung des Pantheismus ist allerdings die, daß er in einer völligen Identifikation Gottes mit den Dingen, einer Vermischung des Geschöpfs mit dem Schöpfer bestehe, woraus noch eine Menge anderer harter und unerträglicher Behauptungen abgeleitet werden. Allein eine totalere Unterscheidung der Dinge von Gott, als in dem für jene Lehre als klassisch angenommenen Spinoza sich findet, läßt sich kaum denken. Gott ist das, was in sich ist und allein aus sich selbst begriffen wird; das Endliche aber, was notwendig in einem andern ist, und nur aus diesem begriffen werden kann. Offenbar sind dieser Unterscheidung zufolge die Dinge nicht, wie es nach der oberflächlich betrachteten Lehre von den Modifikationen allerdings scheinen könnte, bloß gradweise oder durch ihre Einschränkungen, sondern toto genere von Gott verschieden. Welches auch übrigens ihr Verhältnis zu Gott sein möge, dadurch sind sie absolut von Gott getrennt, daß sie nur in und nach einem Ändern (nämlich Ihm) sein können, daß ihr Begriff ein abgeleiteter ist, der ohne den Begriff Gottes gar nicht möglich wäre; da im Gegenteil dieser der allein selbständige und ursprüngliche, der allein sich selbst bejahende ist, zu dem alles andere nur wie Bejahtes, nur wie Folge zum Grund sich verhalten kann. Bloß unter dieser Voraussetzung gelten andere Eigenschaften der Dinge, z.B. ihre Ewigkeit. Gott ist seiner Natur nach ewig; die Dinge nur mit ihm und als Folge seines Daseins, d.h. abgeleiteterweise. Eben dieses Unterschieds wegen können nicht, wie gewöhnlich vorgegeben wird, alle einzelnen Dinge zusammen Gott ausmachen, indem durch keine Art der Zusammenfassung das seiner Natur nach Abgeleitete in das seiner Natur nach Ursprüngliche übergehen kann, so wenig als die einzelnen Punkte einer Peripherie zusammengenommen[436] diese ausmachen können, da sie als Ganzes ihnen dem Begriff nach notwendig vorangeht. Abgeschmackter noch ist die Folgerung, daß bei Spinoza sogar das einzelne Ding Gott gleich sein müsse. Denn wenn auch der starke Ausdruck, daß jedes Ding ein modifizierter Gott ist, bei ihm sich fände, so sind die Elemente des Begriffs so widersprechend, daß er sich unmittelbar im Zusammenfassen wieder zersetzt. Ein modifizierter, d.h. abgeleiteter, Gott ist nicht Gott im eigentlichen eminenten Sinn; durch diesen einzigen Zusatz tritt das Ding wieder an seine Stelle, durch die es ewig von Gott geschieden ist. Der Grund solcher Mißdeutungen, welche auch andere Systeme in reichem Maß erfahren haben, liegt in dem allgemeinen Mißverständnis des Gesetzes der Identität oder des Sinns der Kopula im Urteil. Ist es gleich einem Kinde begreiflich zu machen, daß in keinem möglichen Satz, der der angenommenen Erklärung zufolge die Identität des Subjekts mit dem Prädikat aussagt, eine Einerleiheit oder auch nur ein unvermittelter Zusammenhang dieser beiden ausgesagt werde – indem z.B. der Satz: dieser Körper ist blau, nicht den Sinn hat, der Körper sei in dem und durch das, worin und wodurch er Körper ist, auch blau, sondern nur den, dasselbe, was dieser Körper ist, sei, obgleich nicht in dem nämlichen Betracht, auch blau: so ist doch diese Voraussetzung, welche eine völlige Unwissenheit über das Wesen der Kopula anzeigt, in bezug auf die höhere Anwendung des Identitätsgesetzes zu unsrer Zeit beständig gemacht worden. Es sei z.B. der Satz aufgestellt: das Vollkommene ist das Unvollkommene, so ist der Sinn der: das Unvollkommene ist nicht dadurch, daß und worin es unvollkommen ist, sondern durch das Vollkommene, das in ihm ist; für unsre Zeit aber hat er diesen Sinn: das Vollkommene und Unvollkommene sind einerlei, alles ist sich gleich, das Schlechteste und das Beste, Torheit und Weisheit. Oder: das Gute ist das Böse, welches so viel sagen will: das Böse hat nicht die Macht, durch sich selbst zu sein; das in ihm Seiende ist das (an und für sich betrachtet) Gute: so wird dies so ausgelegt: der ewige Unterschied von Recht und Unrecht, Tugend und Laster werde geleugnet, beide seien logisch das Nämliche. Oder wenn in einer andern Wendung Notwendiges[437] und Freies als Eins erklärt werden, wovon der Sinn ist: dasselbe (in der letzten Instanz), welches Wesen der sittlichen Welt ist, sei auch Wesen der Natur, so wird dies so verstanden: das Freie sei nichts als Naturkraft, Springfeder, die wie jede andere dem Mechanismus unterworfen ist. Das Nämliche geschieht bei dem Satz, daß die Seele mit dem Leib eins ist; welcher so ausgelegt wird: die Seele sei materiell, Luft, Äther, Nervensaft u. dgl., denn das Umgekehrte, daß der Leib Seele, oder im vorigen Satz, daß das scheinbar Notwendige an sich ein Freies sei, ob es gleich ebensogut aus dem Satze zu nehmen ist, wird wohlbedächtig beiseite gesetzt. Bei solchen Mißverständnissen, die, wenn sie nicht absichtlich sind, einen Grad von dialektischer Unmündigkeit voraussetzen, über welchen die griechische Philosophie fast in ihren ersten Schritten hinaus ist, machen die Empfehlung des gründlichen Studiums der Logik zur dringenden Pflicht. Die alte tiefsinnige Logik unterschied Subjekt und Prädikat als vorangehendes und folgendes (antecedens et consequens), und drückte damit den reellen Sinn des Identitätsgesetzes aus. Selbst in dem tautologischen Satz, wenn er nicht etwa ganz sinnlos sein soll, bleibt dies Verhältnis. Wer da sagt: der Körper ist Körper, denkt bei dem Subjekt des Satzes zuverlässig etwas anderes als bei dem Prädikat; bei jenem nämlich die Einheit, bei diesem die einzelnen im Begriff des Körpers enthaltenen Eigenschaften, die sich zu demselben wie Antecedens zum Consequens verhalten. Eben dies ist der Sinn einer andern älteren Erklärung, nach welcher Subjekt und Prädikat als das Eingewickelte und Entfaltete (implicitum et explicitum) entgegengesetzt wurden5.[438]

Allein, werden nun die Verteidiger der obigen Behauptung sagen, es ist überhaupt beim Pantheismus nicht davon die Rede, daß Gott alles ist (was nach der gewöhnlichen Vorstellung seiner Eigenschaften nicht gut zu vermeiden steht), sondern davon, daß die Dinge nichts sind, daß dieses System alle Individualität aufhebt. Es scheint zwar diese neue Bestimmung mit der vorigen im Widerspruch zu stehen; denn wenn die Dinge nichts sind, wie ist es möglich, Gott mit ihnen zu vermischen? es ist dann überall nichts als reine ungetrübte Gottheit. Oder, wenn außer[439] Gott (nicht bloß extra, sondern auch praeter Deum) nichts ist, wie kann er anders als dem bloßen Wort nach Alles sein; so daß also der ganze Begriff überhaupt sich aufzulösen und in nichts zu verfliegen scheint. Ohnehin fragt sich, ob mit der Auferweckung solcher allgemeinen Namen viel gewonnen sei, die in der Ketzerhistorie zwar in Ehren zu halten sein mögen, für Produktionen des Geistes aber, bei denen, wie in den zartesten Naturerscheinungen, leise Bestimmungen wesentliche Veränderungen verursachen, viel zu grobe Handhaben scheinen. Es ließe sich noch zweifeln, ob sogar auf Spinoza die zuletzt angegebene Bestimmung anwendbar sei. Denn wenn er außer (praeter) der Substanz nichts anerkennt als die bloßen Affektionen derselben, wofür er die Dinge erklärt, so ist freilich dieser Begriff ein rein negativer, der nichts Wesentliches oder Positives ausdrückt. Allein er dient auch bloß zunächst das Verhältnis der Dinge zu Gott zu bestimmen, nicht aber, was sie für sich betrachtet sein mögen. Aus dem Mangel dieser Bestimmung kann aber nicht geschlossen werden, daß sie überall nichts Positives (wenn gleich immer abgeleiteterweise) enthalten. Spinozas härtester Ausdruck ist wohl der: das einzelne Wesen sei die Substanz selbst, in einer ihrer Modifikationen, d.h. Folgen, betrachtet. Setzen wir nun die unendliche Substanz = A, dieselbe in einer ihrer Folgen betrachtet = A/a: so ist das Positive in A/a allerdings A; aber es folgt nicht, daß deswegen A/a = A, d.h. daß die unendliche Substanz in ihrer Folge betrachtet mit der unendlichen Substanz schlechthin betrachtet einerlei sei; oder mit andern Worten, es folgt nicht, daß A/a nicht eine eigne besondere Substanz (wenn gleich Folge von A) sei. Dies steht freilich nicht bei Spinoza; allein erstens ist hier die Rede vom Pantheismus überhaupt; sodann fragt sich nur, ob die gegebene Ansicht mit dem Spinozismus an sich unverträglich sei. Man wird dies schwerlich behaupten, da man zugegeben hat, daß die Monaden des Leibniz, die ganz das sind, was im obigen Ausdruck A/a ist, kein entscheidendes[440] Mittel gegen den Spinozismus sind. Rätselhaft bleiben ohne eine Ergänzung der Art manche Äußerungen des Spinoza, z.B. daß das Wesen der menschlichen Seele ein lebendiger Begriff Gottes sei, der als ewig (nicht als transitorisch) erklärt wird. Wenn daher auch die Substanz in ihren andern Folgen A/b, A/c .... nur vorübergehend wohnte, so würde sie doch in jener Folge, der menschlichen Seele = a, ewig wohnen, und daher als A/a auf eine ewige und unvergängliche Weise von sich selbst als A geschieden sein.

Wollte man nun weitergehend die Leugnung – nicht der Individualität, sondern – der Freiheit als eigentlichen Charakter des Pantheismus erklären, so würden eine Menge von Systemen, die sich doch sonst wesentlich von jenem unterscheiden, mit unter diesen Begriff fallen. Denn bis zur Entdeckung des Idealismus fehlt der eigentliche Begriff der Freiheit in allen neuern Systemen, im Leibnizischen so gut wie im Spinozischen; und eine Freiheit, wie sie viele unter uns gedacht haben, die sich noch dazu des lebendigsten Gefühls derselben rühmen, wonach sie nämlich in der bloßen Herrschaft des intelligenten Prinzips über das sinnliche und die Begierden besteht, eine solche Freiheit ließe sich, nicht zur Not, sondern ganz leicht und sogar bestimmter, auch aus dem Spinoza noch herleiten. Es scheint daher die Leugnung oder Behauptung der Freiheit im allgemeinen auf etwas ganz anderem als der Annahme öder Nichtannahme des Pantheismus (der Immanenz der Dinge in Gott) zu beruhen. Denn wenn es freilich auf den ersten Blick scheint, als ginge die Freiheit, die sich im Gegensatz mit Gott nicht halten konnte, hier in der Identität unter, so kann man doch sagen, dieser Schein sei nur Folge der unvollkommenen und leeren Vorstellung des Identitätsgesetzes. Dieses Prinzip drückt keine Einheit aus, die sich im Kreis der Einerleiheit herumdrehend, nicht progressiv, und darum selbst unempfindlich und unlebendig wäre. Die Einheit dieses Gesetzes ist eine unmittelbar schöpferische. Schon[441] im Verhältnis des Subjekts zum Prädikat haben wir das des Grundes zur Folge aufgezeigt, und das Gesetz des Grundes ist darum ein ebenso ursprüngliches wie das der Identität. Das Ewige muß deswegen unmittelbar, und so wie es in sich selbst ist, auch Grund sein. Das, wovon es durch sein Wesen Grund ist, ist insofern ein Abhängiges und nach der Ansicht der Immanenz auch ein in ihm Begriffenes. Aber Abhängigkeit hebt Selbständigkeit, hebt sogar Freiheit nicht auf. Sie bestimmt nicht das Wesen, und sagt nur, daß das Abhängige, was es auch immer sein möge, nur als Folge von dem sein könne, von dem es abhängig ist; sie sagt nicht, was es sei, und was es nicht sei. Jedes organische Individuum ist als ein Gewordenes nur durch ein anderes, und insofern abhängig dem Werden, aber keineswegs dem Sein nach. Es ist nicht ungereimt, sagt Leibniz, daß der, welcher Gott ist, zugleich gezeugt werde, oder umgekehrt, so wenig es ein Widerspruch ist, daß der, welcher der Sohn eines Menschen ist, selbst Mensch sei. Im Gegenteil, wäre das Abhängige oder Folgende nicht selbständig, so wäre dies vielmehr widersprechend. Es wäre eine Abhängigkeit ohne Abhängiges, eine Folge ohne Folgendes (Consequentia absque Consequente), und daher auch keine wirkliche Folge, d.h. der ganze Begriff höbe sich selber auf. Das Nämliche gilt vom Begriffensein in einem andern. Das einzelne Glied, wie das Auge, ist nur im Ganzen eines Organismus möglich; nichtsdestoweniger hat es ein Leben für sich, ja eine Art von Freiheit, die es offenbar durch die Krankheit beweist, deren es fähig ist. Wäre das in einem indem Begriffene nicht selbst lebendig, so wäre eine Begriffenheit ohne Begriffenes, d.h. es wäre nichts begriffen. Einen viel höheren Standpunkt gewährt die Betrachtung des göttlichen Wesens selbst, dessen Idee eine Folge, die nicht Zeugung, d.h. Setzen eines Selbständigen ist, völlig widersprechen würde. Gott ist nicht ein Gott der Toten, sondern der Lebendigen. Es ist nicht einzusehen, wie das allervollkommenste Wesen auch an der möglich vollkommensten Maschine seine Lust fände. Wie man auch die Art der Folge der Wesen aus Gott sich denken möge, nie kann sie eine mechanische sein, kein bloßes Bewirken[442] oder Hinstellen, wobei das Bewirkte nichts für sich selbst ist; ebensowenig Emanation, wobei das Ausfließende dasselbe bliebe mit dem, wovon es ausgeflossen, also nichts Eignes, Selbständiges. Die Folge der Dinge aus Gott ist eine Selbstoffenbarung Gottes. Gott aber kann nur sich offenbar werden in dem, was ihm ähnlich ist, in freien aus sich selbsthandelnden Wesen; für deren Sein es keinen Grund gibt als Gott, die aber sind, sowie Gott ist. Er spricht, und sie sind da. Wären alle Weltwesen auch nur Gedanken des göttlichen Gemütes, so müßten sie schon eben darum lebendig sein. So werden die Gedanken wohl von der Seele erzeugt; aber der erzeugte Gedanke ist eine unabhängige Macht, für sich fortwirkend, ja, in der menschlichen Seele, so anwachsend, daß er seine eigne Mutter bezwingt und sich unterwirft. Allein die göttliche Imagination, welche die Ursache der Spezifikation der Weltwesen ist, ist nicht wie die menschliche, daß sie ihren Schöpfungen bloß idealische Wirklichkeit erteilt. Die Repräsentationen der Gottheit können nur selbständige Wesen sein; denn was ist das Beschränkende unsrer Vorstellungen als eben, daß wir Unselbständiges sehen? Gott schaut die Dinge an sich an. An sich ist nur das Ewige, auf sich selbst Beruhende, Wille, Freiheit. Der Begriff einer derivierten Absolutheit oder Göttlichkeit ist so wenig widersprechend, daß er vielmehr der Mittelbegriff der ganzen Philosophie ist. Eine solche Göttlichkeit kommt der Natur zu. So wenig widerspricht sich Immanenz in Gott und Freiheit, daß gerade nur das Freie, und soweit es frei ist, in Gott ist, das Unfreie, und soweit es unfrei ist, notwendig außer Gott.

So ungenügend auch für den tiefer sehenden eine so allgemeine Deduktion an sich selbst ist, so erhellt doch so viel aus ihr, daß die Leugnung formeller Freiheit mit dem Pantheismus nicht notwendig verbunden sei. Wir erwarten nicht, daß man uns den Spinozismus entgegensetzen werde. Es gehört nicht wenig Herz zu der Behauptung, das System, wie es in irgend eines Menschen Kopf sich zusammengefügt, sei das Vernunftsystem kat' exochên das ewige unveränderliche. Was versteht man denn unter Spinozismus? Etwa die ganze Lehre, wie sie in den Schriften des Mannes vorliegt, also z.B. auch seine mechanische[443] Physik? Oder nach welchem Prinzip will man hier scheiden und abteilen, wo alles so voll außerordentlicher und einziger Konsequenz sein soll? Es wird immer in der Geschichte deutscher Geistesentwicklung ein auffallendes Phänomen bleiben, daß zu irgend einer Zeit die Behauptung aufgestellt werden konnte: das System, welches Gott mit den Dingen, das Geschöpf mit dem Schöpfer vermengt (so wurde es verstanden) und alles einer blinden gedankenlosen Notwendigkeit unterwirft, sei das einzige der Vernunft mögliche – aus reiner Vernunft zu entwickelnde! Um sie zu begreifen, muß man sich den herrschenden Geist eines früheren Zeitalters vergegenwärtigen. Damals hatte die mechanische Denkweise, die in dem französischen Atheismus den Gipfel ihrer Ruchlosigkeit erstieg, nachgerade alle Köpfe eingenommen; auch in Deutschland fing man an, diese Art zu sehen und zu erklären für die eigentliche und einzige Philosophie zu halten. Da indes ursprünglich deutsches Gemüt nie die Folgen davon mit sich vereinigen konnte, so entstand daher zuerst der für die philosophische Literatur der neueren Zeit charakteristische Zwiespalt von Kopf und Herz: man verabscheute die Folgen, ohne sich von dem Grund der Denkweise selbst befreien oder zu einer bessern erheben zu können. Aussprechen wollte man diese Folgen: und da deutscher Geist die mechanische Philosophie nur bei ihrem (vermeintlich) höchsten Ausdruck fassen konnte, so wurde auf diese Art die schreckliche Wahrheit ausgesprochen: alle Philosophie, schlechthin alle, die nur rein vernunftmäßig ist, ist oder wird Spinozismus! Gewarnt war nun jedermann vor dem Abgrund; er war offen dargelegt vor aller Augen; das einzige noch möglich scheinende Mittel war ergriffen; jenes kühne Wort konnte die Krisis herbeiführen und die Deutschen von der verderblichen Philosophie überhaupt zurückschrecken, sie auf das Herz, das innere Gefühl und den Glauben zurückführen. Heutzutage, da jene Denkweise längst vorüber ist, und das höhere Licht des Idealismus uns leuchtet, würde die nämliche Behauptung weder in gleichem Grade begreiflich sein, noch auch die nämlichen Folgen versprechen6.[444]

Und hier denn ein für allemal unsre bestimmte Meinung über den Spinozismus! Dieses System ist nicht Fatalismus, weil es die Dinge in Gott begriffen sein läßt; denn, wie wir gezeigt haben, der Pantheismus macht wenigstens die formelle Freiheit nicht unmöglich; Spinoza muß also aus einem ganz andern und von jenem unabhängigen Grund Fatalist sein. Der Fehler seines Systems liegt keineswegs darin, daß er die Dinge in Gott setzt, sondern darin, daß es Dinge sind – in dem abstrakten Begriff der Weltwesen, ja der unendlichen Substanz selber, die ihm eben auch ein Ding ist. Daher sind seine Argumente gegen die Freiheit ganz deterministisch, auf keine Weise pantheistisch. Er behandelt auch den Willen als eine Sache, und beweist dann sehr natürlich, daß er in jedem Fall des Wirkens durch eine andere Sache bestimmt sein müsse, die wieder durch eine andere bestimmt ist usf. ins Unendliche. Daher die Leblosigkeit seines Systems, die Gemütlosigkeit der Form, die Dürftigkeit der Begriffe und Ausdrücke, das unerbittlich Herbe der Bestimmungen, das sich mit der abstrakten Betrachtungsweise vortrefflich verträgt; daher auch ganz folgerichtig seine mechanische Naturansicht. Oder zweifelt man, daß schon durch die dynamische Vorstellung der Natur die Grundansichten des Spinozismus wesentlich verändert werden müssen? Wenn die Lehre vom Begriffensein aller Dinge in Gott der Grund des ganzen Systems ist, so muß sie zum wenigsten erst belebt und der Abstraktion entrissen werden, ehe sie zum Prinzip eines Vernunftsystems werden kann. Wie allgemein sind die Ausdrücke, daß die endlichen Wesen Modifikationen oder Folgen von Gott[445] sind; welche Kluft ist hier auszufüllen, welche Fragen sind zu beantworten! Man könnte den Spinozismus in seiner Starrheit wie die Bildsäule des Pygmalion ansehen, die durch warmen Liebeshauch beseelt werden müßte; aber dieser Vergleich ist unvollkommen, da es vielmehr einem nur in den äußersten Umrissen entworfenen Werk gleicht, in dem man, wenn es beseelt wäre, erst noch die vielen fehlenden oder unausgeführten Züge bemerken würde. Eher wäre es den ältesten Bildern der Gottheiten zu vergleichen, die, je weniger individuell-lebendige Züge aus ihnen sprachen, desto geheimnisvoller erschienen. Mit Einem Wort, es ist ein einseitig-realisti sches System, welcher Ausdruck zwar weniger verdammend klingt als Pantheismus, dennoch aber weit richtiger das Eigentümliche desselben bezeichnet, und auch nicht jetzt das erste Mal gebraucht wird. Es würde verdrießlich sein, die vielen Erklärungen zu wiederholen, die sich über diesen Punkt in den ersten Schriften des Verfassers finden. Wechseldurchdringung des Realismus und Idealismus war die ausgesprochene Absicht seiner Bestrebungen. Der Spinozische Grundbegriff, durch das Prinzip des Idealismus vergeistigt (und in Einem wesentlichen Punkte verändert), erhielt in der höheren Betrachtungsweise der Natur und der erkannten Einheit des Dynamischen mit dem Gemütlichen und Geistigen eine lebendige Basis, woraus Naturphilosophie erwuchs, die als bloße Physik zwar für sich bestehen konnte, in bezug auf das Ganze der Philosophie aber jederzeit mir als der eine, nämlich der reelle Teil, derselben betrachtet wurde, der erst durch die Ergänzung mit dem ideellen, in welchem Freiheit herrscht, der Erhebung in das eigentliche Vernunftsystem fähig werde. In dieser (der Freiheit) wurde behauptet, finde sich der letzte potenzierende Akt, wodurch sich die ganze Natur in Empfindung, in Intelligenz, endlich in Willen verkläre. – Es gibt in der letzten und höchsten Instanz gar kein anderes Sein als Wollen. Wollen ist Ursein, und auf dieses allein passen alle Prädikate desselben: Grundlosigkeit, Ewigkeit, Unabhängigkeit von der Zeit, Selbstbejahung. Die ganze Philosophie strebt nur dahin, diesen höchsten Ausdruck zu finden.

Bis zu diesem Punkt ist die Philosophie zu unsrer Zeit durch[446] den Idealismus gehoben worden: und erst bei diesem können wir eigentlich die Untersuchung unsres Gegenstandes aufnehmen, indem es keineswegs unsre Absicht sein konnte, alle diejenigen Schwierigkeiten, die sich aus dem einseitig-realistischen oder dogmatischen System gegen den Begriff der Freiheit erheben lassen und vorlängst erhoben worden sind, zu berücksichtigen. Allein der Idealismus selbst, so hoch wir durch ihn in dieser Hinsicht gestellt sind, und so gewiß es ist, daß wir ihm den ersten vollkommenen Begriff der formellen Freiheit verdanken, ist doch selbst für sich nichts weniger als vollendetes System, und läßt uns, sobald wir in das Genauere und Bestimmtere eingehen wollen, in der Lehre der Freiheit dennoch ratlos. In der ersten Beziehung bemerken wir, daß es in dem zum System gebildeten Idealismus keineswegs hinreicht, zu behaupten, »daß Tätigkeit, Leben und Freiheit allein das wahrhaft Wirkliche seien«, womit auch der subjektive (sich selbst mißverstehende Idealismus Fichtes bestehen kann); es wird vielmehr gefordert, auch umgekehrt zu zeigen, daß alles Wirkliche (die Natur, die Welt der Dinge) Tätigkeit, Leben und Freiheit zum Grund habe, oder im Fichteschen Ausdruck, daß nicht allein die Ichheit alles, sondern auch umgekehrt alles Ichheit sei. Der Gedanke, die Freiheit einmal zum Eins und Alles der Philosophie zu machen, hat den menschlichen Geist überhaupt, nicht bloß in bezug auf sich selbst, in Freiheit gesetzt und der Wissenschaft in allen ihren Teilen einen kräftigem Umschwung gegeben als irgend eine frühere Revolution. Der idealistische Begriff ist die wahre Weihe für die höhere Philosophie unsrer Zeit und besonders den höheren Realismus derselben. Möchten doch die, welche diesen beurteilen oder sich zueignen, bedenken, daß die Freiheit die innerste Voraussetzung desselben ist; in wie ganz anderm Licht würden sie ihn betrachten und auffassen! Nur wer Freiheit gekostet hat, kann das Verlangen empfinden, ihr alles analog zu machen, sie über das ganze Universum zu verbreiten. Wer nicht auf diesem Weg zur Philosophie kommt, folgt und tut bloß andern nach, was sie tun; ohne Gefühl weswegen sie es tun. Es wird aber immer merkwürdig bleiben, daß Kant, nachdem er zuerst Dinge an sich von Erscheinungen nur negativ, durch die[447] Unabhängigkeit von der Zeit, unterschieden, nachher in den metaphysischen Erörterungen seiner Kritik der praktischen Vernunft Unabhängigkeit von der Zeit und Freiheit wirklich als korrelate Begriffe behandelt hatte, nicht zu dem Gedanken fortging, diesen einzig möglichen positiven Begriff des An-sich auch auf die Dinge überzutragen, wodurch er sich unmittelbar zu einem höhern Standpunkt der Betrachtung und über die Negativität erhoben hätte, die der Charakter seiner theoretischen Philosophie ist. Von der andern Seite aber, wenn Freiheit der positive Begriff des An-sich überhaupt ist, wird die Untersuchung über menschliche Freiheit wieder ins Allgemeine zurückgeworfen, indem das Intelligible, auf welches sie allein gegründet worden, auch das Wesen der Dinge an sich ist. Um also die spezifische Differenz, d.h. eben das Bestimmte der menschlichen Freiheit, zu zeigen, reicht der bloße Idealismus nicht hin. Ebenso wäre es ein Irrtum, zu meinen, daß der Pantheismus durch den Idealismus aufgehoben und vernichtet sei; eine Meinung, die nur aus Verwechslung desselben mit einseitigem Realismus entspringen könnte. Denn ob es einzelne Dinge sind, die in einer absoluten Substanz, oder ebenso viele einzelne Willen, die in einem Urwillen begriffen sind, ist für den Pantheismus, als solchen, ganz einerlei. Er ist in dem ersten Falle realistisch, in dem andern idealistisch, der Grundbegriff aber bleibt derselbe. Eben hieraus ist vorläufig zu ersehen, daß die tiefsten Schwierigkeiten, die in dem Begriff der Freiheit liegen, durch den Idealismus für sich genommen so wenig auflösbar sein werden als durch irgend ein anderes partielles System. Der Idealismus gibt nämlich einerseits nur den allgemeinsten, andererseits den bloß formellen Begriff der Freiheit. Der reale und lebendige Begriff aber ist, daß sie ein Vermögen des Guten und des Bösen sei.

Dieses ist der Punkt der tiefsten Schwierigkeit in der ganzen Lehre von der Freiheit, die von jeher empfunden worden, und die nicht bloß dieses oder jenes System, sondern, mehr oder weniger, alle trifft7: Am auffallendsten allerdings den Begriff der Immanenz;[448] denn entweder wird ein wirkliches Böses zugegeben, so ist es unvermeidlich, das Böse in die unendliche Substanz oder den Urwillen selbst mitzusetzen, wodurch der Begriff eines allervollkommensten Wesens gänzlich zerstört wird; oder es muß auf irgend eine Weise die Realität des Bösen geleugnet werden, womit aber zugleich der reale Begriff von Freiheit verschwindet. Nicht geringer jedoch ist die Schwierigkeit, wenn zwischen Gott und den Weltwesen auch nur der allerweiteste Zusammenhang angenommen wird; denn wird dieser auch auf den bloßen sogenannten concursus, oder auf jene notwendige Mitwirkung Gottes zum Handeln der Kreatur beschränkt, welches vermöge der wesentlichen Abhängigkeit der letzten von Gott angenommen werden muß, wenn auch übrigens Freiheit behauptet wird: so erscheint doch Gott unleugbar als Miturheber des Bösen, indem das Zulassen bei einem ganz und gar dependenten Wesen doch nicht viel besser ist als mitverursachen; oder es muß ebenfalls auf die eine oder die andere Art die Realität des Bösen geleugnet werden. Der Satz, daß alles Positive der Kreatur von Gott kommt, muß auch in diesem System behauptet werden. Wird nun angenommen, es sei in dem Bösen etwas Positives, so kommt auch dies Positive von Gott. Hiergegen kann eingewendet werden: das Positive des Bösen, soweit es positiv ist, sei gut. Damit verschwindet das Böse nicht, ob es gleich auch nicht erklärt wird. Denn wenn das im Bösen Seiende gut ist, woher ist denn das, worin dieses Seiende ist, die Basis, welche eigentlich das Böse ausmacht? Ganz verschieden von dieser Behauptung (obgleich öfters, auch neuerlich, mit ihr verwechselt) ist die, daß im Bösen überall nichts Positives sei, oder anders ausgedrückt, daß es gar nicht (auch nicht mit und an einem andern Positiven) existiere, sondern alle Handlungen mehr oder weniger positiv, und der Unterschied derselben ein bloßes Plus und Minus der Vollkommenheit sei, wodurch kein Gegensatz begründet wird, und also das[449] Böse gänzlich verschwindet Es wäre dies die zweite mögliche Annahme in bezug auf den Satz, daß alles Positive von Gott herkommt. Dann wäre die Kraft, die im Bösen sich zeigt, zwar vergleichungsweise unvollkommener als die welche im Guten, an sich aber, oder außer der Vergleichung betrachtet, doch selbst eine Vollkommenheit, die also, wie jede andere, von Gott abgeleitet werden muß. Das, was wir Böses daran nennen, ist nur der geringere Grad der Perfektion, der aber bloß für unsre Vergleichung als ein Mangel erscheint, in der Natur keiner ist. Es ist nicht zu leugnen, daß dies die wahre Meinung des Spinoza sei. Es könnte jemand versuchen, jenem Dilemma durch die Antwort zu entgehen: das Positive, was von Gott herkommt, sei die Freiheit, die an sich gegen Böses und Gutes indifferent sei. Allein wenn er nur diese Indifferenz nicht bloß negativ denkt, sondern als ein lebendiges positives Vermögen zum Guten und zum Bösen, so ist nicht einzusehen, wie aus Gott, der als lautere Güte betrachtet wird, ein Vermögen zum Bösen folgen könne. Es erhellt hieraus, im Vorbeigehen zu sagen, daß, wenn die Freiheit wirklich das ist, was sie diesem Begriff zufolge sein muß (und sie ist es unfehlbar), daß es alsdann auch mit der oben versuchten Ableitung der Freiheit aus Gott wohl nicht seine Richtigkeit habe; denn ist die Freiheit ein Vermögen zum Bösen, so muß sie eine von Gott unabhängige Wurzel haben. Hierdurch getrieben kann man versucht werden, sich dem Dualismus in die Arme zu werfen. Allein dieses System, wenn es wirklich als die Lehre von zwei absolut verschiedenen und gegenseitig unabhängigen Prinzipien gedacht wird, ist nur ein System der Selbstzerreißung und Verzweiflung der Vernunft. Wird aber das böse Grundwesen in irgend einem Sinn als abhängig von dem guten gedacht, so ist die ganze Schwierigkeit der Abkunft des Bösen von dem Guten zwar auf Ein Wesen konzentriert, aber dadurch eher vermehrt als vermindert. Selbst wenn angenommen wird, daß dieses zweite Wesen anfänglich gut erschaffen worden und durch eigne Schuld vom Urwesen abgefallen sei, so bleibt immer das erste Vermögen zu einer Gottwiderstrebenden Tat in allen bisherigen Systemen unerklärbar. Daher, wenn man auch endlich nicht nur die Identität, sondern jeden Zusammenhang[450] der Weltwesen mit Gott aufheben, ihr ganzes gegenwärtiges Dasein und somit das der Welt als eine Entfernung von Gott ansehen wollte, die Schwierigkeit nur um einen Punkt weiter hinausgerückt, aber nicht aufgehoben wäre. Denn um aus Gott ausfließen zu können, mußten sie schon auf irgend eine Weise dasein, und am wenigsten könnte daher die Emanationslehre dem Pantheismus entgegengesetzt werden, da sie eine ursprüngliche Existenz der Dinge in Gott und somit jenen offenbar voraussetzt. Zur Erklärung jener Entfernung aber könnte nur Folgendes angenommen werden. Sie ist entweder eine unwillkürliche von seiten der Dinge, aber nicht von seifen Gottes: so sind sie durch Gott in den Zustand der Unseligkeit und Bosheit verstoßen, Gott also ist Urheber dieses Zustandes. Oder sie ist unwillkürlich von beiden Seiten, etwa durch Überfluß des Wesens verursacht, wie einige es ausdrücken: eine ganz unhaltbare Vorstellung. Oder sie ist willkürlich von seilen der Dinge, ein Losreißen von Gott, also die Folge einer Schuld, auf die immer tieferes Herabsinken folgt: so ist diese erste Schuld eben schon selbst das Böse, und gewährt daher keine Erklärung seines Ursprungs. Ohne diesen Hilfsgedanken aber, der, wenn er das Böse in der Welt erklärt, dagegen das Gute völlig auslöscht, und anstatt des Pantheismus einen Pandämonismus einführt, verschwindet gerade im System der Emanation jeder eigentliche Gegensatz des Guten und Bösen; das Erste verliert sich durch unendlich viele Zwischenstufen durch allmähliche Abschwächung in das, was keinen Schein des Guten mehr hat, ungefähr so wie Plotinos8 spitzfindig, aber ungenügend den Übergang des ursprünglichen Guten in die Materie und das Böse beschreibt. Nämlich durch eine beständige Unterordnung und Entfernung kommt ein Letztes hervor, über das hinaus nichts mehr werden kann, und dies eben (das zu weiterem Produzieren Unfähige) ist das Böse. Oder: wenn etwas nach dem Ersten ist, so muß auch ein Letztes sein, das nichts mehr von dem Ersten an sich hat, und dies ist die Materie und die Notwendigkeit des Bösen.[451]

Diesen Betrachtungen zufolge scheint es eben nicht billig, die ganze Last dieser Schwierigkeit nur auf Ein System zu werfen, besonders da das angeblich höhere, was ihm entgegengesetzt wird, so wenig Genüge leistet. Auch die Allgemeinheiten des Idealismus können hier keine Hilfe schaffen. Mit solchen abgezogenen Begriffen von Gott als Actus purissimus, dergleichen die ältere Philosophie aufstellte, oder solchen, wie sie die neuere, aus Fürsorge Gott ja recht weit von aller Natur zu entfernen, immer wieder hervorbringt, läßt sich überall nichts ausrichten. Gott ist etwas Realeres als eine bloße moralische Weltordnung, und hat ganz andere und lebendigere Bewegungskräfte in sich, als ihm die dürftige Subtilität abstrakter Idealisten zuschreibt. Der Abscheu gegen alles Reale, der das Geistige durch jede Berührung mit demselben zu verunreinigen meint, muß natürlich auch den Blick für den Ursprung des Bösen blind machen. Der Idealismus, wenn er nicht einen lebendigen Realismus zur Basis erhält, wird ein ebenso leeres und abgezogenes System, als das Leibnizische, Spinozische, oder irgend ein anderes dogmatisches. Die ganz neu-europäische Philosophie seit ihrem Beginn (durch Descartes) hat diesen gemeinschaftlichen Mangel, daß die Natur für sie nicht vorhanden ist, und daß es ihr am lebendigen Grunde fehlt. Spinozas Realismus ist dadurch so abstrakt als der Idealismus des Leibniz. Idealismus ist Seele der Philosophie; Realismus ihr Leib; nur beide zusammen machen ein lebendiges Ganzes aus. Nie kann der letzte das Prinzip hergeben, aber er muß Grund und Mittel sein, worin jener sich verwirklicht, Fleisch und Blut annimmt. Fehlt einer Philosophie dieses lebendige Fundament, welches gewöhnlich ein Zeichen ist, daß auch das ideelle Prinzip in ihr ursprünglich nur schwach wirksam war: so verliert sie sich in jene Systeme, deren abgezogene Begriffe von Aseität, Modifikationen usw. mit der Lebenskraft und Fülle der Wirklichkeit in dem schneidendsten Kontrast stehen. Wo aber das ideelle Prinzip wirklich in höhern Maße kräftig wirkt, aber die versöhnende und vermittelnde Basis nicht finden kann, da erzeugt es einen trüben und wilden Enthusiasmus, der in Selbstzerfleischung, oder, wie bei den Priestern der phrygischen Göttin, in Selbstentmannung ausbricht, welche in der Philosophie[452] durch das Aufgeben von Vernunft und Wissenschaft vollbracht wird.

Es schien nötig, diese Abhandlung mit der Berichtigung wesentlicher Begriffe anzufangen, die von jeher, besonders aber neuerdings, verwirrt worden. Die bisherigen Bemerkungen sind daher als bloße Einleitung zu unsrer eigentlichen Untersuchung zu betrachten. Wir haben es bereits erklärt: nur aus den Grundsätzen einer wahren Naturphilosophie läßt sich diejenige Ansicht entwickeln, welche der hier stattfindenden Aufgabe vollkommen Genüge tut. Wir leugnen darum nicht, daß diese richtige Ansicht nicht schon längst in einzelnen Geistern vorhanden gewesen sei. Aber eben diese waren es auch, die ohne Furcht vor den von jeher gegen alle reelle Philosophie gebräuchlichen Schmähworten, Materialismus, Pantheismus usw., den lebendigen Grund der Natur aufsuchten, und im Gegensatz der Dogmatiker und abstrakten Idealisten, welche sie als Mystiker ausstießen. Naturphilosophen (in beiderlei Verstande) waren.

Die Naturphilosophie unsrer Zeit hat zuerst in der Wissenschaft die Unterscheidung aufgestellt zwischen dem Wesen, sofern es existiert, und dem Wesen, sofern es bloß Grund von Existenz ist. Diese Unterscheidung ist so alt als die erste wissenschaftliche Darstellung derselben9. Unerachtet es eben dieser Punkt ist, bei welchem sie aufs bestimmteste von dem Wege des Spinoza ablenkt, so konnte doch in Deutschland bis auf diese Zeit behauptet werden, ihre metaphysischen Grundsätze seien mit denen des Spinoza einerlei; und obwohl eben jene Unterscheidung es ist, welche zugleich die bestimmteste Unterscheidung der Natur von Gott herbeiführt, so verhinderte dies nicht, sie der Vermischung Gottes mit der Natur anzuklagen. Da es die nämliche Unterscheidung ist, auf welche die gegenwärtige Untersuchung sich gründet, so sei hier Folgendes zu ihrer Erläuterung gesagt.

Da nichts vor oder außer Gott ist, so muß er den Grund seiner Existenz in sich selbst haben. Das sagen alle Philosophen;[453] aber sie reden von diesem Grund als einem bloßen Begriff, ohne ihn zu etwas Reellem und Wirklichem zu machen. Dieser Grund seiner Existenz, den Gott in sich hat, ist nicht Gott absolut betrachtet, d.h. sofern er existiert; denn er ist ja nur der Grund seiner Existenz, Er ist die Natur – in Gott; ein von ihm zwar unabtrennliches, aber doch unterschiedenes Wesen. Analogisch kann dieses Verhältnis durch das der Schwerkraft und des Lichtes in der Natur erläutert werden. Die Schwerkraft geht vor dem Licht her als dessen ewig dunkler Grund, der selbst nicht actu ist, und entflieht in die Nacht, indem das Licht (das Existierende) aufgeht. Selbst das Licht löst das Siegel nicht völlig, unter dem sie beschlossen liegt10. Sie ist eben darum weder das reine Wesen noch auch das aktuale Sein der absoluten Identität, sondern folgt nur aus ihrer Natur11; oder ist sie, nämlich in der bestimmten Potenz betrachtet: denn übrigens gehört auch das, was beziehungsweise auf die Schwerkraft als existierend erscheint, an sich wieder zu dem Grunde, und Natur im Allgemeinen ist daher alles, was jenseits des absoluten Seins der absoluten Identität liegt12. Was übrigens jenes Vorhergehen betrifft, so ist es weder als Vorhergehen der Zeit nach, noch als Priorität des Wesens zu denken. In dem Zirkel, daraus alles wird, ist es kein Widerspruch, daß das, wodurch das Eine erzeugt wird, selbst wieder von ihm gezeugt werde. Es ist hier kein Erstes und kein Letztes, weil alles sich gegenseitig voraussetzt, keins das andere und doch nicht ohne das andere ist. Gott hat in sich einen innern Grund seiner Existenz, der insofern ihm als Existierendem vorangeht; aber ebenso ist Gott wieder das Prius des Grundes, indem der Grund, auch als solcher, nicht sein könnte, wenn Gott nicht actu existierte.

Auf dieselbe Unterscheidung führt die von den Dingen ausgehende Betrachtung. Zuerst ist der Begriff der Immanenz völlig zu beseitigen, inwiefern etwa dadurch ein totes Begriffensein der Dinge in Gott ausgedrückt werden soll. Wir erkennen vielmehr,[454] daß der Begriff des Werdens der einzige der Natur der Dinge angemessene ist. Aber sie können nicht werden in Gott, absolut betrachtet, indem sie toto genere, oder richtiger zu reden, unendlich von ihm verschieden sind. Um von Gott geschieden zu sein, müssen sie in einem von ihm verschiedenen Grunde werden. Da aber doch nichts außer Gott sein kann, so ist dieser Widerspruch nur dadurch aufzulösen, daß die Dinge ihren Grund in dem haben, was in Gott selbst nicht Er Selbst ist13, d.h. in dem, was Grund seiner Existenz ist. Wollen wir uns dieses Wesen menschlich näher bringen, so können wir sagen: es sei die Sehnsucht, die das ewige Eine empfindet, sich selbst zu gebären. Sie ist nicht das Eine selbst, aber doch mit ihm gleich ewig. Sie will Gott, d.h. die unergründliche Einheit, gebären, aber insofern ist in ihr selbst noch nicht die Einheit. Sie ist daher für sich betrachtet auch Wille; aber Wille, in dem kein Verstand ist, und darum auch nicht selbständiger und vollkommener Wille, indem der Verstand eigentlich der Wille in dem Willen ist. Dennoch ist sie ein Willen des Verstandes, nämlich Sehnsucht und Begierde desselben; nicht ein bewußter, sondern ein ahndender Wille, dessen Ahndung der Verstand ist. Wir reden von dem Wesen der Sehnsucht an und für sich betrachtet, das wohl ins Auge gefaßt werden muß, ob es gleich längst durch das Höhere, das sich aus ihm erhoben, verdrängt ist, und obgleich wir es nicht sinnlich, sondern nur mit dem Geiste und den Gedanken erfassen können. Nach der ewigen Tat der Selbstoffenbarung ist nämlich in der Welt, wie wir sie jetzt erblicken, alles Regel, Ordnung und Form; aber immer liegt noch im Grunde das Regellose, als könnte es einmal wieder durchbrochen, und nirgends scheint es, als wären Ordnung und Form das Ursprüngliche, sondern als wäre ein anfänglich Regelloses zur Ordnung gebracht worden. Dieses ist an den Dingen die unergreifliche[455] Basis der Realität, der nie aufgehende Rest, das, was sich mit der größten Anstrengung nicht in Verstand auflösen läßt, sondern ewig im Grunde bleibt. Aus diesem Verstandlosen ist im eigentlichen Sinne der Verstand geboren. Ohne dies vorausgehende Dunkel gibt es keine Realität der Kreatur; Finsternis ist ihr notwendiges Erbteil. Gott allein – Er selbst der Existierende – wohnt im reinen Lichte, denn er allein ist von sich selbst. Der Eigendünkel des Menschen sträubt sich gegen diesen Ursprung aus dem Grunde, und sucht sogar sittliche Gründe dagegen auf. Dennoch wüßten wir nichts, das den Menschen mehr antreiben könnte, aus allen Kräften nach dem Lichte zu streben, als das Bewußtsein der tiefen Nacht, aus der er ans Dasein gehoben worden. Die weibischen Klagen, daß so das Verstandlose zur Wurzel des Verstandes, die Nacht zum Anfang des Lichtes gemacht werde, beruhen zwar zum Teil auf Mißverstand der Sache (indem man nicht begreift, wie mit dieser Ansicht die Priorität des Verstandes und Wesens dem Begriff nach dennoch bestehen kann); aber sie drücken das wahre System heutiger Philosophen aus, die gern fumum ex fulgore machen wollten, wozu aber selbst die gewaltsamste Fichtesche Präzipitation nicht hinreicht. Alle Geburt ist Geburt aus Dunkel ans Licht; das Samenkorn muß in die Erde versenkt werden und in der Finsternis sterben, damit die schönere Lichtgestalt sich erhebe und am Sonnenstrahl sich entfalte. Der Mensch wird im Mutterleibe gebildet; und aus dem Dunkeln des Verstandlosen (aus Gefühl, Sehnsucht, der herrlichen Mutter der Erkenntnis) erwachsen erst die lichten Gedanken. So also müssen wir die ursprüngliche Sehnsucht uns vorstellen, wie sie zwar zu dem Verstande sich richtet, den sie noch nicht erkennt, wie wir in der Sehnsucht nach unbekanntem namenlosem Gut verlangen, und sich ahndend bewegt, als ein wogend wallend Meer, der Materie des Platon gleich, nach dunkelm ungewissem Gesetz, unvermögend etwas Dauerndes für sich zu bilden. Aber entsprechend der Sehnsucht, welche als der noch dunkle Grund die erste Regung göttlichen Daseins ist, erzeugt sich in Gott selbst eine innere reflexive Vorstellung, durch welche, da sie keinen andern Gegenstand haben kann als Gott, Gott sich selbst in einem[456] Ebenbilde erblickt. Diese Vorstellung ist das Erste, worin Gott, absolut betrachtet, verwirklicht ist, obgleich nur in ihm selbst, sie ist im Anfange bei Gott, und der in Gott gezeugte Gott selbst. Diese Vorstellung ist zugleich der Verstand – das Wort jener Sehnsucht14, und der ewige Geist, der das Wort in sich und zugleich die unendliche Sehnsucht empfindet, von der Liebe bewogen, die er selbst ist, spricht das Wort aus, das nun der Verstand mit der Sehnsucht zusammen freischaffender und allmächtiger Wille wird und in der anfänglich regellosen Natur als in seinem Element oder Werkzeuge bildet. Die erste Wirkung des Verstandes in ihr ist die Scheidung der Kräfte, indem er nur dadurch die in ihr unbewußt, als in einem Samen, aber doch notwendig enthaltene Einheit zu entfalten vermag, so wie im Menschen in die dunkle Sehnsucht, etwas zu schaffen, dadurch Licht tritt, daß in dem chaotischen Gemenge der Gedanken, die alle zusammenhängen, jeder aber den andern hindert hervorzutreten, die Gedanken sich scheiden und nun die im Grunde verborgen liegende, alle unter sich befassende Einheit sich erhebt; oder wie in der Pflanze nur im Verhältnis der Entfaltung und Ausbreitung der Kräfte das dunkle Band der Schwere sich löst und die im geschiedenen Stoff verborgene Einheit entwickelt wird. Weil nämlich dieses Wesen (der anfänglichen Natur) nichts anderes ist als der ewige Grund zur Existenz Gottes, so muß es in sich selbst, obwohl verschlossen, das Wesen Gottes gleichsam als einen im Dunkel der Tiefe leuchtenden Lebensblick enthalten. Die Sehnsucht aber, vom Verstande erregt, strebt nunmehr, den in sich ergriffenen Lebensblick zu erhalten, und sich in sich selbst zu verschließen, damit immer ein Grund bleibe. Indem also der Verstand, oder das in die anfängliche Natur gesetzte Licht, die in sich selbst zurückstrebende Sehnsucht zur Scheidung der Kräfte (zum Aufgeben der Dunkelheit) erregt, eben in dieser Scheidung aber die im Geschiedenen verschlossene Einheit, den verborgenen Lichtblick, hervorhebt, so entsteht auf diese Art zuerst etwas Begreifliches und Einzelnes, und zwar[457] nicht durch äußere Vorstellung, sondern durch wahre Ein-Bildung, indem das Entstehende in die Natur hineingebildet wird, oder richtiger noch, durch Erweckung, indem der Verstand die in dem geschiedenen Grund verborgene Einheit oder Idea hervorhebt. Die in dieser Scheidung getrennten (aber nicht völlig auseinandergetretenen) Kräfte sind der Stoff, woraus nachher der Leib konfiguriert wird; das aber in der Scheidung, also aus der Tiefe des natürlichen Grundes, als Mittelpunkt der Kräfte entstehende lebendige Band ist die Seele. Weil der ursprüngliche Verstand die Seele aus einem von ihm unabhängigen Grunde als Inneres hervorhebt, so bleibt sie eben damit selbst unabhängig von ihm, als ein besonderes und für sich bestehendes Wesen.

Es ist leicht einzusehen, daß bei dem Widerstreben der Sehnsucht, welches notwendig ist zur vollkommenen Geburt, das allerinnerste Band der Kräfte nur in einer stufenweise geschehenden Entfaltung sich löst, und bei jedem Grade der Scheidung der Kräfte ein neues Wesen aus der Natur entsteht, dessen Seele um so vollkommener sein muß, je mehr es das, was in den andern noch ungeschieden ist, geschieden enthält. Zu zeigen, wie jeder folgende Prozeß dem Wesen der Natur näher tritt, bis in der höchsten Scheidung der Kräfte das allerinnerste Zentrum aufgeht, ist die Aufgabe einer vollständigen Naturphilosophie. Für den gegenwärtigen Zweck ist nur Folgendes wesentlich. Jedes der auf die angezeigte Art in der Natur entstandenen Wesen hat ein doppeltes Prinzip in sich, das jedoch im Grunde nur ein und das nämliche ist, von den beiden möglichen Seiten betrachtet. Das erste Prinzip ist das, wodurch sie von Gott geschieden, oder wodurch sie im bloßen Grunde sind; da aber zwischen dem, was im Grunde, und dem, was im Verstande vorgebildet ist, doch eine ursprüngliche Einheit stattfindet, und der Prozeß der Schöpfung nur auf eine innere Transmutation oder Verklärung des anfänglich dunkeln Prinzips in das Licht geht (weil der Verstand oder das in die Natur gesetzte Licht in dem Grunde eigentlich nur das ihm verwandte, nach ihnen gekehrte Licht sucht): so ist das seiner Natur nach dunkle Prinzip eben dasjenige, welches zugleich in Licht verklärt wird, und beide[458] sind, obwohl nur in bestimmtem Grade, eins in jedem Naturwesen. Das Prinzip, sofern es aus dem Grunde stammt und dunkel ist, ist der Eigenwille der Kreatur, der aber, sofern er noch nicht zur vollkommenen Einheit mit dem Licht (als Prinzip des Verstandes) erhoben ist (es nicht faßt), bloße Sucht oder Begierde, d.h. blinder Wille ist. Diesem Eigenwillen der Kreatur steht der Verstand als Universalwille entgegen, der jenen gebraucht und als bloßes Werkzeug sich unterordnet. Wenn aber endlich durch fortschreitende Umwandlung und Scheidung aller Kräfte der Innerste und tiefste Punkt der anfänglichen Dunkelheit in einem Wesen ganz in Licht verklärt ist, so ist der Wille desselben Wesens zwar, inwiefern es ein Einzelnes ist, ebenfalls ein Partikularwille, an sich aber, oder als das Zentrum aller andern Partikularwillen, mit dem Urwillen oder dem Verstande eins, so daß aus beiden jetzt ein einiges Ganzes wird. Diese Erhebung des allertiefsten Zentri in Licht geschieht in keiner der uns sichtbaren Kreaturen außer im Menschen. Im Menschen ist die ganze Macht des finstern Prinzips und in ebendemselben zugleich die ganze Kraft des Lichts. In ihm ist der tiefste Abgrund und der höchste Himmel, oder beide Zentra. Der Wille des Menschen ist der in der ewigen Sehnsucht verborgene Keim des nur noch im Grunde vorhandenen Gottes; der in der Tiefe verschlossene göttliche Lebensblick, den Gott ersah, als er den Willen zur Natur faßte. In ihm (im Menschen) allein hat Gott die Welt geliebt; und eben dies Ebenbild Gottes hat die Sehnsucht im Zentro ergriffen, als sie mit dem Licht in Gegensatz trat. Der Mensch hat dadurch, daß er aus dem Grunde entspringt (kreatürlich ist), ein relativ auf Gott unabhängiges Prinzip in sich; aber dadurch, daß eben dieses Prinzip – ohne daß es deshalb aufhörte dem Grunde nach dunkel zu sein – in Licht verklärt ist, geht zugleich ein Höheres in ihm auf, der Geist. Denn der ewige Geist spricht die Einheit oder das Wort aus in die Natur. Das ausgesprochene (reale) Wort aber ist nur in der Einheit von Licht und Dunkel (Selbstlauter und Mitlauter). Nun sind zwar in allen Dingen die beiden Prinzipien, aber ohne völlige Konsonanz wegen der Mangelhaftigkeit des aus dem Grunde Erhobenen. Erst im Menschen also wird das in allen andern Dingen noch zurückgehaltene[459] und unvollständige Wort völlig ausgesprochen. Aber indem ausgesprochenen Wort offenbart sich der Geist, d.h. Gott als actu existierend. Indem nun die Seele lebendige Identität beider Prinzipien ist, ist sie Geist; und Geist ist in Gott. Wäre nun im Geist des Menschen die Identität beider Prinzipien ebenso unauflöslich als in Gott, so wäre kein Unterschied, d.h. Gott als Geist würde nicht offenbar. Diejenige Einheit, die in Gott unzertrennlich ist, muß also im Menschen zertrennlich sein, – und dieses ist die Möglichkeit des Guten und des Bösen.

Wir sagen ausdrücklich: die Möglichkeit des Bösen, und suchen vorerst auch nur die Zertrennlichkeit der Prinzipien begreiflich zu machen. Die Wirklichkeit des Bösen ist Gegenstand einer ganz andern Untersuchung. Das aus dem Grunde der Natur emporgehobene Prinzip, wodurch der Mensch von Gott geschieden ist, ist die Selbstheit in ihm, die aber durch ihre Einheit mit dem idealen Prinzip Geist wird. Die Selbstheit als solche ist Geist, oder der Mensch ist Geist als ein selbstisches, besonderes (von Gott geschiedenes) Wesen, welche Verbindung eben die Persönlichkeit ausmacht. Dadurch aber, daß die Selbstheit Geist ist, ist sie zugleich aus dem Kreatürlichen ins Überkreatürliche gehoben, sie ist Wille, der sich selbst in der völligen Freiheit erblickt, nicht mehr Werkzeug des in der Natur schaffenden Universalwillens, sondern über und außer aller Natur ist. Der Geist ist über dem Licht, wie er sich in der Natur über der Einheit des Lichts und des dunkeln Prinzips erhebt. Dadurch, daß sie Geist ist, ist also die Selbstheit frei von beiden Prinzipien. Nun ist aber diese oder der Eigenwille nur dadurch Geist, und demnach frei oder über der Natur, daß er wirklich in den Urwillen (das Licht) umgewandelt ist, so daß er zwar (als Eigenwille) im Grunde noch bleibt (weil immer ein Grund sein muß) – so wie im durchsichtigen Körper die zur Identität mit dem Licht erhobene Materie deshalb nicht aufhört Materie (finsteres Prinzip) zu sein – aber bloß als Träger und gleichsam Behälter des höheren Prinzips des Lichts. Dadurch aber, daß sie den Geist hat (weil dieser über Licht und Finsternis herrscht) – wenn er nämlich nicht der Geist der ewigen Liebe[460] ist – kann die Selbstheit sich trennen von dem Licht, oder der Eigenwille kann streben, das, was er nur in der Identität mit dem Universalwillen ist, als Partikularwille zu sein, das, was er nur ist, inwiefern er im Zentro bleibt (so wie der ruhige Wille im stillen Grunde der Natur eben darum auch Universalwille ist, weil er im Grunde bleibt), auch in der Peripherie oder als Geschöpf zu sein (denn der Wille der Kreaturen ist freilich außer dem Grunde; aber er ist dann auch bloßer Partikularwille, nicht frei, sondern gebunden). Dadurch also entsteht im Willen des Menschen eine Trennung der geistig gewordenen Selbstheit (da der Geist über dem Lichte steht) von dem Licht, d.h. eine Auflösung der in Gott unauflöslichen Prinzipien. Wenn im Gegenteil der Eigenwille des Menschen als Zentralwille im Grunde bleibt, so daß das göttliche Verhältnis der Prinzipien besteht (wie nämlich der Wille im Zentro der Natur nie über das Licht sich erhebt, sondern unter demselben als Basis im Grunde bleibt), und wenn statt des Geistes der Zwietracht, der das eigne Prinzip vom allgemeinen scheiden will, der Geist der Liebe in ihm waltet, so ist der Wille in göttlicher Art und Ordnung. – Daß aber eben jene Erhebung des Eigenwillens das Böse ist, erhellt aus Folgendem. Der Wille, der aus seiner Übernatürlichkeit heraustritt, um sich als allgemeinen Willen zugleich partikular und kreatürlich zu machen, strebt das Verhältnis der Prinzipien umzukehren, den Grund über die Ursache zu erheben, den Geist, den er nur für das Zentrum erhalten, außer demselben und gegen die Kreatur zu gebrauchen, woraus Zerrüttung in ihm selbst und außer ihm erfolgt. Der Wille des Menschen ist anzusehen als ein Band von lebendigen Kräften; solange nun er selbst in seiner Einheit mit dem Universalwillen bleibt, so bestehen auch jene Kräfte in göttlichem Maß und Gleichgewicht. Kaum aber ist der Eigenwille selbst aus dem Zentro als seiner Stelle gewichen, so ist auch das Band der Kräfte gewichen; statt desselben herrscht ein bloßer Partikularwille, der die Kräfte nicht mehr unter sich, wie der ursprüngliche, vereinigen kann, und der daher streben muß, aus den voneinander gewichenen Kräften, dem empörten Heer der Begierden und Lüste (indem jede einzelne Kraft auch eine Sucht und Lust ist) ein[461] eignes und absonderliches Leben zu formieren oder zusammenzusetzen, welches insofern möglich ist, als selbst im Bösen das erste Band der Kräfte, der Grund der Natur, immer noch fortbesteht. Da es aber doch kein wahres Leben sein kann, als welches nur in dem ursprünglichen Verhältnis bestehen konnte, so entsteht zwar ein eignes, aber ein falsches Leben, ein Leben der Lüge, ein Gewächs der Unruhe und der Verderbnis. Das treffendste Gleichnis bietet hier die Krankheit dar, welche als die durch den Mißbrauch der Freiheit in die Natur gekommene Unordnung das wahre Gegenbild des Bösen oder der Sünde ist. Universalkrankheit ist nie, ohne daß die verborgenen Kräfte des Grundes sich auftun: sie entsteht, wenn das irritable Prinzip, das in der Stille der Tiefe als das innerste Band der Kräfte walten sollte, sich selbst aktuiert, oder der aufgereizte Archäus seine ruhige Wohnung im Zentro verläßt und in den Umkreis tritt. So wie dagegen alle ursprüngliche Heilung in der Wiederherstellung des Verhältnisses der Peripherie zum Zentro besteht, und der Übergang von Krankheit zur Gesundheit eigentlich nur durch das Entgegengesetzte, nämlich Wiederaufnahme des getrennten und einzelnen Lebens in den innern Lichtblick des Wesens, geschehen kann, aus welcher die Scheidung (Krisis) wieder erfolgt. Auch die Partikularkrankheit entsteht nur dadurch, daß das, was seine Freiheit oder sein Leben nur dafür hat, daß es im Ganzen bleibe, für sich zu sein strebt. Wie die Krankheit freilich nichts Wesenhaftes und eigentlich nur ein Scheinbild des Lebens und bloß meteorische Erscheinung desselben – ein Schwanken zwischen Sein und Nichtsein – ist, nichtsdestoweniger aber dem Gefühl sich als etwas sehr Reelles ankündigt, ebenso verhält es sich mit dem Bösen.

Diesen allein richtigen Begriff des Bösen, nach welchem es auf einer positiven Verkehrtheit oder Umkehrung der Prinzipien beruht, hat in neueren Zeiten besonders Franz Baader wieder hervorgehoben und durch tiefsinnige physische Analogien, namentlich die der Krankheit, erläutert15. Alle andern Erklärungen des[462] Bösen lassen den Verstand und das sittliche Bewußtsein gleich unbefriedigt. Sie beruhen im Grunde sämtlich auf der Vernichtung des Bösen als positiven Gegensatzes und der Reduktion desselben auf das sogenannte malum metaphysicum oder dem verneinenden Begriff der Unvollkommenheit der Kreatur. Es war unmöglich, sagt Leibniz, daß Gott dem Menschen alle Vollkommenheit mitteilte, ohne ihn selbst zum Gott zu machen; das Nämliche gilt von den geschaffenen Wesen überhaupt; es mußten darum verschiedene Grade der Vollkommenheit und alle Arten der Einschränkung derselben stattfinden. Fragt man, woher das Böse kommt, so ist die Antwort: aus der idealen Natur der Kreatur, sofern sie von den ewigen Wahrheiten, die im göttlichen Verstande enthalten sind, nicht aber von dem Willen Gottes abhängt. Die Region der ewigen Wahrheiten ist die ideelle Ursache des Bösen und Guten, und muß[463] an die Stelle der Materie der Alten gesetzt werden16. Es gibt, sagt er an einer andern Stelle, allerdings zwei Prinzipien, aber beide in Gott, diese sind der Verstand und der Wille. Der Verstand gibt das Prinzip des Bösen her, ob er schon dadurch nicht selbst böse wird; denn er stellt die Naturen so vor, wie sie nach den ewigen Wahrheiten sind; er enthält in sich den Grund der Zulassung des Bösen, aber der Wille geht allein auf das Gute17. Diese einzige Möglichkeit hat Gott nicht gemacht, da der Verstand nicht seine eigne Ursache ist18. Wenn diese Unterscheidung des Verstandes und Willens als zweier Prinzipien in Gott, wodurch die erste Möglichkeit des Bösen vom göttlichen Willen unabhängig gemacht wird, der sinnreichen Art dieses Mannes gemäß ist, und wenn auch die Vorstellung des Verstandes (der göttlichen Weisheit) als etwas, worin sich Gott selbst eher leidend als tätig verhält, auf etwas Tieferes hindeutet, so läuft das Böse, was aus jenem lediglich idealen Grunde abstammen kann, dagegen auch wieder auf etwas bloß Passives, auf Einschränkung, Mangel, Beraubung hinaus, Begriffe, die der eigentlichen Natur des Bösen völlig widerstreiten. Denn schon die einfache Überlegung, daß es der Mensch, die vollkommenste aller sichtbaren Kreaturen ist, der des Bösen allein fähig ist, zeigt, daß der Grund desselben keineswegs in Mangel oder Beraubung liegen könne. Der Teufel nach der christlichen Ansicht war nicht die limitierteste Kreatur, sondern vielmehr die illimitierteste19. Unvollkommenheiten im allgemeinen metaphysischen[464] Sinn ist nicht der gewöhnliche Charakter des Bösen, da es sich oft mit einer Vortrefflichkeit der einzelnen Kräfte vereinigt zeigt, die viel seltener das Gute begleitet. Der Grund des Bösen muß also nicht nur in etwas Positivem überhaupt, sondern eher in dem höchsten Positiven liegen, das die Natur enthält, wie es nach unserer Ansicht allerdings der Fall ist, da er in dem offenbar gewordenen Zentrum oder Urwillen des ersten Grundes liegt. Leibniz versucht auf jede Weise begreiflich zu machen, wie aus einem natürlichen Mangel das Böse entstehen könne. Der Wille, sagt er, strebt nach dem Guten im Allgemeinen und muß nach Vollkommenheit verlangen, deren höchstes Maß in Gott ist; wenn er aber in den Wollüsten der Sinne mit Verlust höherer Güter verstrickt bleibt, so ist eben dieser Mangel des Weiterstrebens die Privation, in welcher das Böse besteht. Sonst, meint er, das Böse bedürfe so wenig eines besonderen Prinzips als die Kälte oder Finsternis. Was im Bösen Bejahendes sei, komme nur begleitungsweise in dasselbe, wie Kraft und Wirksamkeit in die Kälte; frierendes Wasser zersprenge das stärkste einschließende Gefäß und doch bestehe Kälte eigentlich in einer Verminderung von Bewegung20. Weil indes die Beraubung für sich gar nichts ist, und, selbst um bemerklich zu werden, eines Positiven bedarf, an dem sie erscheint, so entsteht nun die Schwierigkeit, das Positive zu erklären, welches dennoch im Bösen angenommen werden muß. Da Leibniz dasselbe nur von Gott herleiten kann, so sieht er sich genötigt, Gott zur Ursache des Materialen der Sünde zu machen, und nur das Formelle derselben der ursprünglichen Einschränkung der Kreatur zuzuschreiben. Er sucht dies Verhältnis durch den von Kepler gefundenen Begriff der natürlichen Trägheitskraft der Materie zu erläutern. Es sei diese, sagt er, das vollkommene Bild einer ursprünglichen (allem Handeln vorangehenden) Einschränkung der Kreatur. Wenn durch den nämlichen Antrieb zwei verschiedene Körper von ungleicher Masse mit ungleichen Geschwindigkeiten bewegt werden, so liegt der[465] Grund der Langsamkeit der Bewegung des einen nicht in dem Antrieb, sondern in dem der Materie angeborenen und eigentümlichen Hang zur Trägheit, d.h. in der innern Limitation oder Unvollkommenheit der Materie21. Hierbei ist aber zu bemerken, daß die Trägheit selbst als keine bloße Beraubung gedacht werden kann, sondern allerdings etwas Positives ist, nämlich Ausdruck der innern Selbstheit des Körpers, der Kraft, wodurch er sich in der Selbständigkeit zu behaupten sucht. Wir leugnen nicht, daß auf diese Art die metaphysische Endlichkeit sich begreiflich machen lasse; aber wir leugnen, daß die Endlichkeit für sich selbst das Böse sei22.

Es entspringt diese Erklärungsart überhaupt aus dem unlebendigen Begriff des Positiven, nach welchem ihm nur die Beraubung entgegenstehen kann. Allein es gibt noch einen mittleren Begriff, der einen reellen Gegensatz desselben bildet und von dem Begriff des bloß Verneinten weit absteht. Dieser entspringt aus dem Verhältnis des Ganzen zum Einzelnen, der Einheit zur Vielheit, oder wie man es ausdrücken will. Das Positive ist immer das Ganze oder die Einheit; das ihm Entgegenstehende ist Zertrennung des Ganzen, Disharmonie, Ataxie, der Kräfte. In dem zertrennten Ganzen sind die nämlichen Elemente, die in dem einigen Ganzen waren; das Materiale in beiden ist dasselbe (von dieser Seite ist das Böse nicht limitierter oder schlechter als das Gute), aber das Formale in beiden ist ganz verschieden, dieses Formale aber kommt eben von dem Wesen oder Positiven selber her. Daher notwendig im Bösen, wie im Guten, ein Wesen sein muß, aber in jenem ein dem Guten entgegengesetztes, das die in ihm enthaltene Temperatur in Distemperatur verkehrt. Dieses Wesen zu erkennen, ist der dogmatischen Philosophie unmöglich, weil sie keinen Begriff der Persönlichkeit, d.h. der zur Geistigkeit erhobenen Selbstheit, sondern nur die abgezogenen[466] Begriffe des Endlichen und des Unendlichen hat. Wollte daher jemand erwidern, daß ja eben die Disharmonie eine Privation sei, nämlich eine Beraubung der Einheit, so wäre, wenn selbst im allgemeinen Begriff der Beraubung der von Aufhebung oder Trennung der Einheit enthalten wäre, der Begriff dennoch an sich ungenügend. Denn es ist nicht die Trennung der Kräfte an sich Disharmonie, sondern die falsche Einheit derselben, die nur beziehungsweise auf die wahre eine Trennung heißen kann. Wird die Einheit ganz aufgehoben, so wird eben damit der Widerstreit aufgehoben. Krankheit wird durch den Tod geendigt, und kein einzelner Ton für sich macht eine Disharmonie aus. Aber eben jene falsche Einheit zu erklären, bedarf es etwas Positives, welches sonach im Bösen notwendig angenommen werden muß, aber so lange unerklärbar bleiben wird, als nicht eine Wurzel der Freiheit in dem unabhängigen Grunde der Natur erkannt ist.

Von der Platonischen Ansicht, soweit wir sie beurteilen können, wird besser bei der Frage der Wirklichkeit des Bösen die Rede sein. Die Vorstellungen unseres über diesen Punkt bei weitem leichteren und den Philanthropismus bis zur Leugnung des Bösen treibenden Zeitalters stehen mit solchen Ideen nicht in der entferntesten Verbindung. Jenen zufolge liegt der einzige Grund des Bösen in der Sinnlichkeit, oder in der Animalität, oder dem irdischen Prinzip, indem sie dem Himmel nicht, wie sich gebührte, die Hölle, sondern die Erde entgegensetzen. Diese Vorstellung ist eine natürliche Folge der Lehre, nach welcher die Freiheit in der bloßen Herrschaft des intelligenten Prinzips über die sinnlichen Begierden und Neigungen besteht, und das Gute aus reiner Vernunft kommt, wonach es begreiflicherweise für das Böse keine Freiheit gibt (indem hier die sinnlichen Neigungen vorherrschen); richtiger zu reden aber das Böse völlig aufgehoben wird. Denn die Schwäche oder Nichtwirksamkeit des verständigen Prinzips kann zwar ein Grund des Mangels guter und tugendhafter Handlungen sein, nicht aber ein Grund positiv-böser und tugendwidriger. Gesetzt aber, die Sinnlichkeit oder das leidende Verhalten gegen äußere Eindrücke brächte[467] mit einer Art von Notwendigkeit böse Handlungen hervor, so wäre der Mensch in diesen doch selbst nur leidend, d.h. das Böse hätte in Ansehung seiner, also subjektiv, keine Bedeutung, und da das, was aus einer Bestimmung der Natur folgt, objektiv auch nicht böse sein kann, hätte es überhaupt keine Bedeutung. Daß aber gesagt wird, das vernünftige Prinzip sei im Bösen unwirksam, ist auch an sich kein Grund. Denn warum übt es denn seine Macht nicht aus? Will es unwirksam sein, so liegt der Grund des Bösen in diesem Willen, und nicht in der Sinnlichkeit. Oder kann es die widerstrebende Macht der letzten auf keine Art überwinden, so ist hier bloß Schwäche und Mangel, aber nirgends ein Böses. Es gibt daher nach dieser Erklärung nur Einen Willen (wenn er anders so heißen kann), keinen zweifachen, und man könnte in dieser Hinsicht die Anhänger derselben, nachdem bereits die Namen der Arianer u. a. mit Glück in die philosophische Kritik eingeführt sind, mit einem ebenfalls aus der Kirchengeschichte, jedoch in einem andern Sinne genommenen, Namen die Monotheleten nennen. Wie es aber keineswegs das intelligente oder Lichtprinzip an sich, sondern das mit Selbstheit verbundene, d.h. zu Geist erhobene, ist, was im Guten wirkt, ebenso folgt das Böse nicht aus dem Prinzip der Endlichkeit für sich, sondern aus dem zur Intimität mit dem Zentro gebrachten finstern oder selbstischen Prinzip; und wie es einen Enthusiasmus zum Guten gibt, ebenso gibt es eine Begeisterung des Bösen. Im Tier, wie in jedem andern Naturwesen, ist zwar auch jenes dunkle Prinzip wirksam; aber es ist in ihm noch nicht ins Licht geboren, wie im Menschen, es ist nicht Geist und Verstand, sondern blinde Sucht und Begierde; kurz, es ist hier kein Abfall möglich, keine Trennung der Prinzipien, wo noch keine absolute oder persönliche Einheit ist. Bewußtloses und Bewußtes sind im tierischen Instinkt nur auf eine gewisse und bestimmte Weise vereinigt, die eben darum inalterabel ist. Denn gerade deshalb, weil sie nur relative Ausdrücke der Einheit sind, stehen sie unter dieser, und es erhält die im Grunde wirkende Kraft die ihnen zukommende Einheit der Prinzipien in immer gleichem Verhältnis. Nie kann das Tier aus der Einheit heraustreten, anstatt daß der[468] Mensch das ewige Band der Kräfte willkürlich zerreißen kann. Daher Fr. Baader mit Recht sagt, es wäre zu wünschen, daß die Verderbtheit im Menschen nur bis zur Tierwerdung ginge; leider aber könne der Mensch nur unter oder über dem Tiere stehen23.

Wir haben den Begriff und die Möglichkeit des Bösen aus den ersten Gründen herzuleiten und das allgemeine Fundament dieser Lehre aufzudecken gesucht, das in der Unterscheidung liegt zwischen dem Existierenden und dem, was Grund von Existenz ist24. Aber die Möglichkeit schließt noch nicht die Wirklichkeit ein, und diese eigentlich ist der größte Gegenstand der Frage. Und zwar ist zu erklären nicht etwa, wie das Böse nur im einzelnen Menschen wirklich werde, sondern seine universelle Wirksamkeit, oder wie es als ein unverkennbar allgemeines, mit dem Guten überall im Kampf liegendes Prinzip aus der Schöpfung habe hervorbrechen können. Da es unleugbar, wenigstens als allgemeiner Gegensatz, wirklich ist, so kann zwar zum voraus kein Zweifel sein, daß es zur Offenbarung Gottes notwendig gewesen; eben dieses ergibt sich auch aus dem früher Gesagten. Denn wenn Gott als Geist die unzertrennliche Einheit beider Prinzipien ist, und dieselbe Einheit nur im Geist des Menschen wirklich ist, so würde, wenn sie in diesem ebenso unauflöslich wäre als in Gott, der Mensch von Gott gar nicht unterschieden sein; er ginge in Gott auf, und es wäre keine Offenbarung und Beweglichkeit der Liebe. Denn jedes Wesen kann nur in seinem Gegenteil offenbar werden, Liebe nur in Haß, Einheit in Streit. Wäre keine Zertrennung der Prinzipien, so könnte die Einheit[469] ihre Allmacht nicht erweisen; wäre nicht Zwietracht, so könnte die Liebe nicht wirklich werden. Der Mensch ist auf jenen Gipfel gestellt, wo er die Selbstbewegungsquelle zum Guten und Bösen gleicherweise in sich hat: das Band der Prinzipien in ihm ist kein notwendiges, sondern ein freies. Er steht am Scheidepunkt; was er auch wähle, es wird seine Tat sein, aber er kann nicht in der Unentschiedenheit bleiben, weil Gott notwendig sich offenbaren muß, und weil in der Schöpfung überhaupt nichts Zweideutiges bleiben kann. Dennoch scheint es, er könne auch nicht aus seiner Unentschiedenheit heraustreten, eben weil sie dies ist. Es muß daher ein allgemeiner Grund der Sollizitation, der Versuchung zum Bösen sein, wäre es auch nur, um die beiden Prinzipien in ihm lebendig, d.h. um ihn ihrer bewußt zu machen. Nun scheint die Sollizitation zum Bösen selbst nur von einem bösen Grundwesen herkommen zu können, und die Annahme eines solchen dennoch unvermeidlich, auch ganz richtig jene Auslegung der Platonischen Materie zu sein, nach welcher sie ein ursprünglich Gott widerstrebendes und darum an sich böses Wesen ist. Solange dieser Teil der Platonischen Lehre im bisherigen Dunkel liegt25, ist ein bestimmtes Urteil über den angegebenen Punkt zwar unmöglich. In welchem Sinne jedoch von dem irrationalen Prinzip gesagt werden könne, daß es dem Verstande oder der Einheit und Ordnung widerstrebe, ohne es deswegen als böses Grundwesen anzunehmen, ist aus den früheren Betrachtungen einleuchtend. So läßt sich auch das Platonische Wort wohl erklären, das Böse komme aus der alten Natur; denn alles Böse strebt in das Chaos, d.h. in jenen Zustand zurück, wo das anfängliche Zentrum noch nicht dem Licht untergeordnet war, und ist ein Aufwallen des Zentri der noch verstandlosen Sehnsucht. Allein wir haben ein für allemal bewiesen, daß das Böse, als solches, nur in der Kreatur entspringen könne, indem nur in dieser Licht und Finsternis oder die beiden Prinzipien[470] auf zertrennliche Weise vereinigt sein können. Das anfängliche Grundwesen kann nie an sich böse sein, da in ihm keine Zweiheit der Prinzipien ist. Wir können aber auch nicht etwa einen geschaffenen Geist voraussetzen, der, selbst abgefallen, den Menschen zum Abfall sollizitierte; denn eben wie zuerst das Böse in einer Kreatur entsprungen, ist hier die Frage. Es ist uns daher auch zur Erklärung des Bösen nichts gegeben außer den beiden Prinzipien in Gott. Gott als Geist (das ewige Band beider) ist die reinste Liebe, in der Liebe aber kann nie ein Willen zum Bösen sein: ebensowenig auch in dem idealen Prinzip. Aber Gott selbst, damit er sein kann, bedarf eines Grundes, nur daß dieser nicht außer ihm, sondern in ihm ist, und hat in sich eine Natur, die, obgleich zu ihm selbst gehörig, doch von ihm verschieden ist. Der Wille der Liebe und der Wille des Grundes sind zwei verschiedene Willen, deren jeder für sich ist; aber der Wille der Liebe kann dem Willen des Grundes nicht widerstehen, noch ihn aufheben, weil er sonst sich selbst widerstreben müßte. Denn der Grund muß wirken, damit die Liebe sein könne, und er muß unabhängig von ihr wirken, damit sie reell existiere. Wollte nun die Liebe den Willen des Grundes zerbrechen, so würde sie gegen sich selbst streiten, mit sich selbst uneins sein, und wäre nicht mehr die Liebe. Dieses Wirkenlassen des Grundes ist der einzig denkbare Begriff der Zulassung, welcher in der gewöhnlichen Beziehung auf den Menschen völlig unstatthaft ist. So kann freilich der Wille des Grundes auch die Liebe nicht zerbrechen, noch verlangt er dieses, ob es gleich oft so scheint; denn er muß, von der Liebe abgewandt, ein eigner und besonderer Wille sein, damit nun die Liebe, wenn sie dennoch durch ihn wie das Licht durch die Finsternis hindurchbricht, in ihrer Allmacht erscheine. Der Grund ist nur ein Willen zur Offenbarung, aber eben, damit diese sei, muß er die Eigenheit und den Gegensatz hervorrufen. Der Wille der Liebe und der des Grundes werden also gerade dadurch eins, daß sie geschieden sind, und vor Anbeginn jeder für sich wirkt. Daher der Wille des Grundes gleich in der ersten Schöpfung den Eigenwillen der Kreatur mit erregt, damit, wenn nun der Geist als der Wille der Liebe aufgeht,[471] dieser ein Widerstrebendes finde, darin er sich verwirklichen könne.

Der Anblick der ganzen Natur überzeugt uns von dieser geschehenen Erregung, durch welche alles Leben erst den letzten Grad der Schärfe und der Bestimmtheit erlangt hat. Das Irrationale und Zufällige, das in der Formation der Wesen, besonders der organischen, mit dem Notwendigen sich verbunden zeigt, beweist, daß es nicht bloß eine geometrische Notwendigkeit ist, die hier gewirkt hat, sondern daß Freiheit, Geist und Eigenwille mit im Spiel waren. Zwar überall, wo Lust und Begierde, ist schon an sich eine Art der Freiheit, und niemand wird glauben, daß die Begierde, die den Grund jedes besondern Naturlebens ausmacht, und der Trieb, sich nicht nur überhaupt, sondern in diesem bestimmten Dasein zu erhalten, zu dem schon erschaffenen Geschöpf erst hinzugekommen sei, sondern vielmehr, daß sie das Schaffende selber gewesen. Auch der durch Empirie aufgefundene Begriff der Basis, der eine bedeutende Rolle für die ganze Naturwissenschaft übernehmen wird, muß, wissenschaftlich gewürdigt, auf den Begriff der Selbstheit und Ichheit führen. Aber es sind in der Natur zufällige Bestimmungen, die nur aus einer gleich in der ersten Schöpfung geschehenen Erregung des irrationalen oder finstern Prinzips der Kreatur – nur aus aktivierter Selbstheit erklärlich sind. Woher in der Natur, neben den präformierten sittlichen Verhältnissen, unverkennbare Vorzeichen des Bösen, wenn doch die Macht desselben erst durch den Menschen erregt worden; woher Erscheinungen, die auch ohne Rücksicht auf ihre Gefährlichkeit für den Menschen dennoch einen allgemeinen Abscheu erregen.26 Daß alle organischen Wesen der[472] Auflösung entgegengehen, kann durchaus als keine ursprüngliche Notwendigkeit erscheinen; das Band der Kräfte, welche das Leben ausmachen, könnte seiner Natur nach ebensowohl unauflöslich sein, und wenn irgend etwas, scheint ein Geschöpf, welches das fehlerhaft Gewordene in sich durch eigne Kräfte wieder ergänzt, dazu bestimmt, ein Perpetuum mobile zu sein. Das Böse inzwischen kündigt sich in der Natur nur durch seine Wirkung an; es selbst, in seiner unmittelbaren Erscheinung, kann erst am Ziel der Natur hervorbrechen. Denn wie in der anfänglichen Schöpfung, welche nichts anderes als die Geburt des Lichts ist, das finstere Prinzip als Grund sein mußte, damit das Licht aus ihm (als aus der bloßen Potenz zum Aktus) erhoben werden könnte: so muß ein anderer Grund der Geburt des Geistes, und daher ein zweites Prinzip der Finsternis sein, das um so viel höher sein muß, als der Geist höher ist denn das Licht. Dieses Prinzip ist eben der in der Schöpfung durch Erregung des finstern Naturgrundes erweckte Geist des Bösen, d.h. der Entzweiung von Licht und Finsternis, welchem der Geist der Liebe, wie vormals der regellosen Bewegung der anfänglichen Natur das Licht, so jetzt ein höheres Ideales entgegensetzt. Denn wie die Selbstheit im Bösen das Licht oder Wort sich eigen gemacht hat, und darum eben als ein höherer Grund der Finsternis erscheint: so muß das im Gegensatz mit dem Bösen in die Welt gesprochene Wort die Menschheit oder Selbstheit annehmen, und selber persönlich werden. Dies geschieht allein durch die Offenbarung, im bestimmtesten Sinne des Worts, welche die nämlichen Stufen haben muß wie die erste Manifestation in der Natur, so nämlich, daß auch hier der höchste Gipfel der Offenbarung, der Mensch, aber der urbildliche und göttliche Mensch ist, derjenige, der im Anfang bei Gott war, und in dem alle anderen Dinge und der Mensch selbst geschaffen sind. Die Geburt des Geistes ist das Reich der Geschichte, wie die Geburt des Lichtes das Reich der Natur ist. Dieselben Perioden der Schöpfung, die in diesem[473] sind, sind auch in jenem; und eines ist des anderen Gleichnis und Erklärung. Das nämliche Prinzip, das in der ersten Schöpfung der Grund war, nur in einer höheren Gestalt, ist auch hier wieder Keim und Samen, aus dem eine höhere Welt entwickelt wird. Denn das Böse ist ja nichts anderes als der Urgrund zur Existenz, inwiefern er im erschaffenen Wesen zur Aktualisierung strebt, und also in der Tat nur die höhere Potenz des in der Natur wirkenden Grundes. Wie aber dieser ewig nur Grund ist, ohne selbst zu sein, ebenso kann das Böse nie zur Verwirklichung gelangen, und dient bloß als Grund, damit aus ihm das Gute durch eigne Kraft sich herausbildend, ein durch seinen Grund von Gott Unabhängiges und Geschiedenes sei, in dem dieser sich selbst habe und erkenne, und das als ein solches (als ein Unabhängiges) in ihm sei. Wie aber die ungeteilte Macht des anfänglichen Grundes erst im Menschen als Inneres (Basis oder Zentrum) eines Einzelnen erkannt wird, so bleibt auch in der Geschichte das Böse anfangs noch im Grunde verborgen, und dem Zeitalter der Schuld und Sünde geht eine Zeit der Unschuld oder der Bewußtlosigkeit über die Sünde voran. Auf dieselbe Art nämlich, wie der anfängliche Grund der Natur vielleicht lange zuvor allein wirkte und mit den göttlichen in ihm enthaltenen Kräften eine Schöpfung für sich versuchte, die aber immer wieder (weil das Band der Liebe fehlte) zuletzt in das Chaos zurücksank (wohin vielleicht die vor der jetzigen Schöpfung untergegangenen und nicht wiedergekommenen Reihen von Geschlechtern deuten), bis das Wort der Liebe erging, und mit ihm die dauernde Schöpfung ihren Anfang nahm: so hat sich auch in der Geschichte der Geist der Liebe nicht alsbald geoffenbaret; sondern weil Gott den Willen des Grundes als den Willen zu seiner Offenbarung empfand, und nach seiner Fürsehung erkannte, daß ein von ihm (als Geist) unabhängiger Grund zu seiner Existenz sein müsse, ließ er den Grund in seiner Independenz wirken, oder, anders zu reden, Er selbst bewegte sich nur nach seiner Natur und nicht nach seinem Herzen oder der Liebe. Weil nun der Grund auch in sich das ganze göttliche Wesen, nur nicht als Einheit, enthielt, so konnten es nur einzelne göttliche[474] Wesen sein, die in diesem für-sich-Wirken des Grundes walteten. Diese uralte Zeit fängt daher mit dem goldnen Weltalter an, von welchem dem jetzigen Menschengeschlecht nur in der Sage die schwache Erinnerung geblieben, einer Zeit seliger Unentschiedenheit, wo weder Gutes noch Böses war; dann folgte die Zeit der waltenden Götter und Heroen, oder der Allmacht der Natur, in welcher der Grund zeigte, was er für sich vermöchte. Damals kam den Menschen Verstand und Weisheit allein aus der Tiefe; die Macht erdentquollener Orakel leitete und bildete ihr Leben; alle göttlichen Kräfte des Grundes herrschten auf der Erde und saßen als mächtige Fürsten auf sichern Thronen. Es erschien die Zeit der höchsten Verherrlichung der Natur in der sichtbaren Schönheit der Götter und allem Glanz der Kunst und sinnreicher Wissenschaft, bis das im Grunde wirkende Prinzip endlich als welteroberndes Prinzip hervortrat, sich alles zu unterwerfen und ein festes und dauerndes Welt reich zu gründen. Weil aber das Wesen des Grundes für sich nie die wahre und vollkommene Einheit erzeugen kann, so kommt die Zeit, wo alle diese Herrlichkeit sich auflöst, und wie durch schreckliche Krankheit der schöne Leib der bisherigen Welt zerfällt, endlich das Chaos wieder eintritt. Schon zuvor, und ehe noch der gänzliche Zerfall da ist, nehmen die in jenem Ganzen waltenden Mächte die Natur böser Geister an, wie die nämlichen Kräfte, die zur Zeit der Gesundheit wohltätige Schutzgeister des Lebens waren, bei herannahender Auflösung bösartiger und giftiger Natur werden: der Glaube an Götter verschwindet, und eine falsche Magie samt Beschwörungen und theurgischen Formeln strebt die entfliehenden zurückzurufen, die bösen Geister zu besänftigen. Immer bestimmter zeigt sich das Anziehen des Grundes, der, das kommende Licht vorempfindend, schon zum voraus alle Kräfte aus der Unentschiedenheit setzt, um ihm in vollem Widerstreit zu begegnen. Wie das Gewitter mittelbar durch die Sonne, unmittelbar aber durch eine gegenwirkende Kraft der Erde erregt wird, so der Geist des Bösen (dessen meteorische Natur wir schon früher erklärt haben) durch die Annäherung des Guten, nicht vermöge einer Mitteilung, sondern vielmehr durch Verteilung der Kräfte. Daher erst mit der entschiedenen Hervortretung des Guten auch[475] das Böse ganz entschieden und als dieses hervortritt (nicht als entstünde es erst, sondern weil nun erst der Gegensatz gegeben ist in dem es allein ganz und als solches erscheinen kann); wie hinwiederum eben der Moment, wo die Erde zum zweitenmal wüst und leer wird, der Moment der Geburt des höheren Lichts des Geistes wird, das von Anbeginn in der Welt war, aber unbegriffen von der für sich wirkenden Finsternis und in annoch verschlossener und eingeschränkter Offenbarung; und zwar erscheint es, um dem persönlichen und geistigen Bösen entgegenzutreten, ebenfalls in persönlicher, menschlicher Gestalt und als Mittler, um den Rapport der Schöpfung mit Gott auf der höchsten Stufe wiederherzustellen. Denn nur Persönliches kann Persönliches heilen, und Gott muß Mensch werden, damit der Mensch wieder zu Gott komme. Mit der hergestellten Beziehung des Grundes auf Gott ist erst die Möglichkeit der Heilung (des Heils) wiedergegeben. Ihr Anfang ist ein Zustand des Hellsehens, der durch göttliches Verhängnis auf einzelne Menschen (als hierzu auserwählte Organe) fällt, eine Zeit der Zeichen und Wunder, in welcher göttliche Kräfte den überall hervortretenden dämonischen, die besänftigende Einheit der Verteilung der Kräfte entgegenwirkt. Endlich erfolgte die Krisis in der Turba gentium, die den Grund der alten Welt überströmen, wie einst die Wasser des Anfangs die Schöpfungen der Urzeit wieder bedeckten, um eine zweite Schöpfung möglich zu machen – eine neue Scheidung der Völker und Zungen, ein neues Reich, in welchem das lebendige Wort als ein festes und beständiges Zentrum im Kampf gegen das Chaos eintritt, und ein erklärter, bis zum Ende der jetzigen Zeit fortdauernder Streit des Guten und des Bösen anfängt, in welchem eben Gott als Geist, d.h. als actu wirklich sich offenbart27.

Es gibt daher ein allgemeines, wenn gleich nicht anfängliches, sondern erst in der Offenbarung Gottes von Anfang,[476] durch Reaktion des Grundes, erwecktes Böses, das zwar nie zur Verwirklichung kommt, aber beständig dahin strebt. Erst nach Erkenntnis des allgemeinen Bösen ist es möglich, Gutes und Böses auch im Menschen zu begreifen. Wenn nämlich bereits in der ersten Schöpfung das Böse mit erregt und durch das für-sich-Wirken des Grundes endlich zum allgemeinen Prinzip entwickelt worden, so scheint ein natürlicher Hang des Menschen zum Bösen schon dadurch erklärbar, weil die einmal durch Erweckung des Eigenwillens in der Kreatur eingetretene Unordnung der Kräfte ihm schon in der Geburt sich mitteilt. Allein es wirkt der Grund auch im einzelnen Menschen unablässig fort und erregt die Eigenheit und den besonderen Willen, eben damit im Gegensatz mit ihm der Wille der Liebe aufgehen könne. Gottes Wille ist, alles zu universalisieren, zur Einheit mit dem Licht zu erheben, oder darin zu erhalten; der Wille des Grundes aber, alles zu partikularisieren oder kreatürlich zu machen. Er will die Ungleichheit allein, damit die Gleichheit sich und ihm selbst empfindlich werde. Darum reagiert er notwendig gegen die Freiheit als das Überkreatürliche und erweckt in ihr die Lust zum Kreatürlichen, wie den, welchen auf einem hohen und jähen Gipfel Schwindel erfaßt, gleichsam eine geheime Stimme zu rufen scheint, daß er herabstürze, oder wie nach der alten Fabel unwiderstehlicher Sirenengesang aus der Tiefe erschallt, um den Hindurchschiffenden in den Strudel hinabzuziehen. Schon an sich scheint die Verbindung des allgemeinen Willens mit einem besondern Willen im Menschen ein Widerspruch, dessen Vereinigung schwer, wenn nicht unmöglich ist. Die Angst des Lebens selbst treibt den Menschen aus dem Zentrum, in das er erschaffen worden; denn dieses als das lauterste Wesen alles Willens ist für jeden besondern Willen verzehrendes Feuer; um in ihm leben zu können, muß der Mensch aller Eigenheit absterben, weshalb es ein fast notwendiger Versuch ist, aus diesem in die Peripherie herauszutreten, um da eine Ruhe seiner Selbstheit zu suchen. Daher die allgemeine Notwendigkeit der Sünde und des Todes, als des wirklichen Absterbens der Eigenheit, durch welches aller menschlicher Wille als ein Feuer hindurchgehen muß, um geläutert zu werden. Dieser allgemeinen Notwendigkeit unerachtet[477] bleibt das Böse immer die eigne Wahl des Menschen; das Böse, als solches, kann der Grund nicht machen, und jede Kreatur fällt durch ihre eigne Schuld. Aber eben wie nun im einzelnen Menschen die Entscheidung für Böses oder Gutes vorgehe, dies ist noch in gänzliches Dunkel gehüllt, und scheint eine besondere Untersuchung zu erfordern.

Wir haben überhaupt bis jetzt das formelle Wesen der Freiheit weniger ins Auge gefaßt, obgleich die Einsicht in dasselbe mit nicht geringeren Schwierigkeiten verbunden scheint als die Erklärung ihres realen Begriffs.

Denn der gewöhnliche Begriff der Freiheit, nach welchem sie in ein völlig unbestimmtes Vermögen gesetzt wird, von zwei kontradiktorisch Entgegengesetzten, ohne bestimmende Gründe, das eine oder das andere zu wollen, schlechthin bloß, weil es gewollt wird, hat zwar die ursprüngliche Unentschiedenheit des menschlichen Wesens in der Idee für sich, führt aber, angewendet auf die einzelne Handlung, zu den größten Ungereimtheiten. Sich ohne alle bewegende Gründe für A oder – A entscheiden zu können, wäre, die Wahrheit zu sagen, nur ein Vorrecht, ganz unvernünftig zu handeln, und würde den Menschen von dem bekannten Tier des Buridan, das nach der Meinung der Verteidiger dieses Begriffes der Willkür zwischen zwei Haufen Heu von gleicher Entfernung, Größe und Beschaffenheit verhungern müßte (weil es nämlich jenes Vorrecht der Willkür nicht hat), eben nicht auf die vorzüglichste Weise unterscheiden. Der einzige Beweis für diesen Begriff besteht in dem Berufen auf die Tatsache, indem es z.B. jeder in seiner Gewalt habe, seinen Arm jetzt anzuziehen oder auszustrecken, ohne weitem Grund; denn wenn man sage, er strecke ihn, eben um seine Willkür zu beweisen, so könnte er ja dies ebensogut, indem er ihn anzöge; das Interesse, den Satz zu beweisen, könne ihn nur bestimmen, eins von beiden zu tun; hier sei also das Gleichgewicht handgreiflich usw.; eine überall schlechte Beweisart, indem sie von dem Nichtwissen des bestimmenden Grundes auf das Nichtdasein schließt, die aber hier gerade umgekehrt anwendbar wäre; denn eben, wo das Nichtwissen eintritt, findet um so gewisser das[478] Bestimmtwerden statt. Die Hauptsache ist, daß dieser Begriff eine gänzliche Zufälligkeit der einzelnen Handlungen einführt und in diesem Betracht sehr richtig mit der zufälligen Abweichung der Atomen verglichen worden ist, die Epikurus in der Physik in gleicher Absicht ersann, nämlich dem Fatum zu entgehen. Zufall aber ist unmöglich, widerstreitet der Vernunft wie der notwendigen Einheit des Ganzen; und wenn Freiheit nicht anders als mit der gänzlichen Zufälligkeit der Handlungen zu retten ist, so ist sie überhaupt nicht zu retten. Es setzt sich diesem System des Gleichgewichts der Willkür, und zwar mit vollem Fug, der Determinismus (oder nach Kant Prädeterminismus) entgegen, indem er die empirische Notwendigkeit aller Handlungen aus dem Grunde behauptet, weil jede derselben durch Vorstellungen oder andere Ursachen bestimmt sei, die in einer vergangenen Zeit liegen, und die bei der Handlung selbst nicht mehr in unserer Gewalt stehen. Beide Systeme gehören dem nämlichen Standpunkt an; nur daß, wenn es einmal keinen höheren gäbe, das letzte unleugbar den Vorzug verdiente. Beiden gleich unbekannt ist jene höhere Notwendigkeit, die gleichweit entfernt ist von Zufall als Zwang oder äußerem Bestimmtwerden, die vielmehr eine innere, aus dem Wesen des Handelnden selbst quellende Notwendigkeit ist. Alle Verbesserungen aber, die man bei dem Determinismus anzubringen suchte, z.B. die Leibnizische, daß die bewegenden Ursachen den Willen doch nur inklinieren, aber nicht bestimmen, helfen in der Hauptsache gar nichts.

Überhaupt erst der Idealismus hat die Lehre von der Freiheit in dasjenige Gebiet erhoben, wo sie allein verständlich ist. Das intelligible Wesen jedes Dings, und vorzüglich des Menschen, ist diesem zufolge außer allem Kausalzusammenhang, wie außer oder über aller Zeit. Es kann daher nie durch irgend etwas Vorhergehendes bestimmt sein, indem es selbst vielmehr allem andern, das in ihm ist oder wird, nicht sowohl der Zeit, als dem Begriff nach als absolute Einheit vorangeht, die immer schon ganz und vollendet da sein muß, damit die einzelne Handlung oder Bestimmung in ihr möglich sei. Wir drücken nämlich[479] den Kantischen Begriff nicht eben genau mit seinen Worten, aber doch so aus, wie wir glauben, daß er, um verständlich zu sein, ausgedrückt werden müsse. Wird aber dieser Begriff angenommen, so scheint auch Folgendes richtig geschlossen zu werden. Die freie Handlung folgt unmittelbar aus dem Intelligibeln des Menschen. Aber sie ist notwendig eine bestimmte Handlung, z.B. um das Nächste anzuführen, eine gute oder böse. Vom absolut-Unbestimmten zum Bestimmten gibt es aber keinen Übergang. Das etwa das intelligible Wesen aus purer lauterer Unbestimmtheit heraus ohne allen Grund sich selbst bestimmen sollte, führt auf das obige System der Gleichgültigkeit der Willkür zurück. Um sich selbst bestimmen zu können, müßte es in sich schon bestimmt sein, nicht von außen freilich, welches seiner Natur widerspricht, auch nicht von innen durch irgend eine bloß zufällige oder empirische Notwendigkeit, indem dies alles (das Psychologische so gut wie das Physische) unter ihm liegt; sondern es selber als sein Wesen, d.h. seine eigne Natur, müßte ihm Bestimmung sein. Es ist ja kein unbestimmtes Allgemeines, sondern bestimmt das intelligible Wesen dieses Menschen; von einer solchen Bestimmtheit gilt der Spruch: Determinato est negatio, keineswegs, indem sie mit der Position und dem Begriff des Wesens selber eins, also eigentlich das Wesen in dem Wesen ist. Das intelligible Wesen kann daher, so gewiß es schlechthin frei und absolut handelt, so gewiß nur seiner eignen innern Natur gemäß handeln, oder die Handlung kann aus seinem Innern nur nach dem Gesetz der Identität und mit absoluter Notwendigkeit folgen, welche allein auch die absolute Freiheit ist; denn frei ist, was nur den Gesetzen seines eignen Wesens gemäß handelt und von nichts anderem weder in noch außer ihm bestimmt ist.

Es ist mit dieser Vorstellung der Sache wenigstens Eines gewonnen, daß die Ungereimtheit des Zufälligen der einzelnen Handlung entfernt ist. Dies muß feststehen, auch in jeder höheren Ansicht, daß die einzelne Handlung aus innerer Notwendigkeit des freien Wesens, und demnach selbst mit Notwendigkeit erfolgt, die nur nicht, wie noch immer geschieht, mit der empirischen auf Zwang beruhenden (die aber selber nur verhüllte Zufälligkeit[480] ist) verwechselt werden muß. Aber was ist denn jene innere Notwendigkeit des Wesens selber? Hier liegt der Punkt, bei welchem Notwendigkeit und Freiheit vereinigt werden müssen, wenn sie überhaupt vereinbar sind. Wäre jenes Wesen ein totes Sein und in Ansehung des Menschen ein ihm bloß gegebenes, so wäre, da die Handlung aus ihm nur mit Notwendigkeit folgen kann, die Zurechnungsfähigkeit und alle Freiheit aufgehoben. Aber eben jene innere Notwendigkeit ist selber die Freiheit, das Wesen des Menschen ist wesentlich seine eigne Tat; Notwendigkeit und Freiheit stehen ineinander, als Ein Wesen, das nur von verschiedenen Seiten betrachtet als das eine oder andere erscheint, an sich Freiheit, formell Notwendigkeit ist. Das Ich, sagte Fichte, ist seine eigne Tat; Bewußtsein ist Selbstsetzen – aber das Ich ist nichts von diesem Verschiedenes, sondern eben das Selbstsetzen selber. Dieses Bewußtsein aber, inwiefern es bloß als selbst-Erfassen oder Erkennen des Ich gedacht wird, ist nicht einmal das Erste, und setzt wie alles bloße Erkennen das eigentliche Sein schon voraus. Dieses vor dem Erkennen vermutete Sein ist aber kein Sein, wenn es gleich kein Erkennen ist; es ist reales Selbstsetzen, es ist ein Ur- und Grundwollen, das sich selbst zu etwas macht und der Grund und die Basis aller Wesenheit ist.

Aber in viel bestimmterem als diesem allgemeinen Sinne gelten jene Wahrheiten in der unmittelbaren Beziehung auf den Menschen. Der Mensch ist in der ursprünglichen Schöpfung, wie gezeigt, ein unentschiedenes Wesen – (welches mythisch als ein diesem Leben vorausgegangener Zustand der Unschuld und anfänglichen Seligkeit dargestellt werden mag) –; nur er selbst kann sich entscheiden. Aber diese Entscheidung kann nicht in die Zeit fallen; sie fällt außer aller Zeit und daher mit der ersten Schöpfung (wenn gleich als eine von ihr verschiedene Tat) zusammen. Der Mensch, wenn er auch in der Zeit geboren wird, ist doch in den Anfang der Schöpfung (das Zentrum) erschaffen. Die Tat, wodurch sein Leben in der Zelt bestimmt ist, gehört selbst nicht der Zeit, sondern der Ewigkeit an: sie geht dem Leben auch nicht der Zeit nach voran, sondern durch die Zeit (unergriffen[481] von ihr) hindurch als eine der Natur nach ewige Tat. Durch sie reicht das Leben des Menschen bis an den Anfang der Schöpfung; daher er durch sie auch außer dem Erschaffenen, frei und selbst ewiger Anfang ist. So unfaßlich diese Idee der gemeinen Denkweise vorkommen mag, so ist doch in jedem Menschen ein mit derselben übereinstimmendes Gefühl, als sei er, was er ist, von aller Ewigkeit schon gewesen und keineswegs in der Zeit erst geworden. Daher, unerachtet der unleugbaren Notwendigkeit aller Handlungen, und obgleich jeder, wenn er auf sich aufmerksam ist, sich gestehen muß, daß er keineswegs zufällig oder willkürlich böse oder gut ist, der Böse z.B. sich doch nichts weniger als gezwungen vorkommt (weil Zwang nur im Werden, nicht im Sein empfunden werden kann), sondern seine Handlungen mit Willen, nicht gegen seinen Willen tut. Daß Judas ein Verräter Christi wurde, konnte weder er selbst noch eine Kreatur andern, und dennoch verriet er Christum nicht gezwungen, sondern willig und mit völliger Freiheit28. Ebenso verhält es sich mit dem Guten, daß er nämlich nicht zufällig oder willkürlich gut, und dennoch so wenig gezwungen ist, daß vielmehr kein Zwang, ja selbst die Pforten der Hölle nicht imstande wären, seine Gesinnung zu überwältigen. In dem Bewußtsein, sofern es bloßes Selbsterfassen und nur idealisch ist, kann jene freie Tat, die zur Notwendigkeit wird, freilich nicht vorkommen, da sie ihm, wie dem Wesen, vorangeht, es erst macht; aber sie ist darum doch keine Tat, von der dem Menschen überall kein Bewußtsein geblichen; indem derjenige, welcher etwa, um eine unrechte Handlung zu entschuldigen, sagt: so bin ich nun einmal, doch sich wohl bewußt ist, daß er durch seine Schuld so ist, so sehr er auch Recht hat, daß es ihm unmöglich gewesen anders zu handeln. Wie oft geschieht es, daß ein Mensch von Kindheit an, zu einer Zeit, da wir ihm, empirisch betrachtet, kaum Freiheit und Überlegung zutrauen können, einen Hang zum Bösen zeigt, von dem vorauszusehen ist, daß er keiner[482] Zucht und Lehre weichen werde, und der in der Folge wirklich die argen Früchte zur Reife bringt, die wir im Keime vorausgesehen hatten; und daß gleichwohl niemand die Zurechnungsfähigkeit derselben bezweifelt, und von der Schuld dieses Menschen so überzeugt ist, als es nur immer sein könnte, wenn jede einzelne Handlung in seiner Gewalt gestanden hätte. Diese allgemeine Beurteilung eines seinem Ursprung nach ganz bewußtlosen und sogar unwiderstehlichen Hangs zum Bösen als eines Aktus der Freiheit weist auf eine Tat, und also auf ein Leben vor diesem Leben hin, nur daß es nicht eben der Zeit nach vorangehend gedacht werde, indem das Intelligible überhaupt außer der Zeit ist. Weil in der Schöpfung der höchste Zusammenklang und nichts so getrennt und nacheinander ist, wie wir es darstellen müssen, sondern im Früheren auch schon das Spätere mitwirkt und alles in Einem magischen Schlage zugleich geschieht, so hat der Mensch, der hier entschieden und bestimmt erscheint, in der ersten Schöpfung sich in bestimmter Gestalt ergriffen, und wird als solcher, der er von Ewigkeit ist, geboren, indem durch jene Tat sogar die Art und Beschaffenheit seiner Korporisation bestimmt ist. Von jeher war die angenommene Zufälligkeit der menschlichen Handlungen im Verhältnis zu der im göttlichen Verstände zuvor entworfenen Einheit des Weltganzen, der größte Anstoß in der Lehre der Freiheit. Daher denn, indem weder die Präszienz Gottes noch die eigentliche Fürsehung aufgegeben werden konnte, die Annahme der Prädestination. Die Urheber derselben empfanden, daß die Handlungen des Menschen von Ewigkeit bestimmt sein müßten; aber sie suchten diese Bestimmung nicht in der ewigen, mit der Schöpfung gleichzeitigen, Handlung, die das Wesen des Menschen selbst ausmacht, sondern in einem absoluten, d.h. völlig grundlosen, Ratschluß Gottes, durch welchen der eine zur Verdammnis, der andere zur Seligkeit vorherbestimmt worden, und hoben damit die Wurzel der Freiheit auf. Auch wir behaupten eine Prädestination, aber in ganz anderm Sinne, nämlich in diesem: wie der Mensch hier handelt, so hat er von Ewigkeit und schon im Anfang der Schöpfung gehandelt. Sein Handeln wird nicht, wie er selbst als sittliches Wesen nicht wird, sondern der Natur nach ewig[483] ist. Es fällt damit auch jene oft gehörte peinliche Frage hinweg: warum ist eben dieser bestimmt, böse und ruchlos, jener andere dagegen fromm und gerecht zu handeln? denn sie setzt voraus, daß der Mensch nicht schon anfänglich Handlung und Tat sei, und daß er als geistiges Wesen ein Sein vor und unabhängig von seinem Willen habe, welches, wie gezeigt worden, unmöglich ist.

Nachdem einmal in der Schöpfung, durch Reaktion des Grundes zur Offenbarung, das Böse allgemein erregt worden, so hat der Mensch sich von Ewigkeit in der Eigenheit und Selbstsucht ergriffen, und alle, die geboren werden, werden mit dem anhängenden finstern Prinzip des Bösen geboren, wenn gleich dieses Böse zu seinem Selbstbewußtsein erst durch das Eintreten des Gegensatzes erhoben wird. Nur aus diesem finstern Prinzip kann, wie der Mensch jetzt ist, durch göttliche Transmutation, das Gute als das Licht herausgebildet werden. Dieses ursprüngliche Böse im Menschen, das nur derjenige in Abrede ziehen kann, der den Menschen in sich und außer sich nur oberflächlich kennen gelernt hat, ist, obgleich in bezug auf das jetzige empirische Leben ganz von der Freiheit unabhängig, doch in seinem Ursprung eigne Tat, und darum allein ursprüngliche Sünde, was von jener, freilich ebenfalls unleugbaren, nach eingetretener Zerrüttung als Kontagium fortgepflanzten Unordnung der Kräfte nicht gesagt werden kann. Denn nicht die Leidenschaften an sich sind das Böse, noch haben wir allein mit Fleisch und Blut, sondern mit einem Bösen in und außer uns zu kämpfen, das Geist ist. Nur jenes durch eigne Tat, aber von der Geburt, zugezogene Böse kann daher das radikale Böse heißen, und bemerkenswert ist, wie Kant, der sich zu einer transzendentalen alles menschliche Sein bestimmenden Tat in der Theorie nicht erhoben hatte, durch bloße treue Beobachtung der Phänomene des sittlichen Urteils in späteren Untersuchungen auf die Anerkennung eines, wie er sich ausdrückt, subjektiven, aller in die Sinne fallenden Tat vorangehenden Grundes der menschlichen Handlungen, der doch selbst wiederum ein Aktus der Freiheit sein müsse, geleitet wurde; indes Fichte, der den Begriff einer solchen Tat in der Spekulation erfaßt hatte, in der Sittenlehre[484] wieder dem herrschenden Philanthropismus zufiel und jenes allem empirischen Handeln vorangehende Böse nur in der Trägheit der menschlichen Natur finden wollte.

Es scheint nur Ein Grund zu sein, der gegen diese Ansicht angeführt werden könnte: dieser, daß sie alle Umwendung des Menschen vom Bösen zum Guten, und umgekehrt, für dieses Leben wenigstens abschneide. Allein es sei nun, daß menschliche oder göttliche Hilfe – (einer Hilfe bedarf der Mensch immer) – ihn zu der Umwandlung ins Gute bestimme, so liegt doch dies, daß er dem guten Geist jene Einwirkung verstattet, sich ihm nicht positiv verschließt, ebenfalls schon in jener anfänglichen Handlung, durch welche er dieser und kein anderer ist. Daher in dem Menschen, in welchem jene Transmutation noch nicht vorgegangen, aber auch nicht das gute Prinzip völlig erstorben ist, die innere Stimme seines eignen, in bezug auf ihn, wie er jetzt ist, besseren Wesens, nie aufhört ihn dazu aufzufordern, so wie er erst durch die wirkliche und entschiedene Umwendung den Frieden in seinem eignen Innern, und, als wäre erst jetzt der anfänglichen Idea Genüge getan, sich als versöhnt mit seinem Schutzgeist findet. Es ist im strengsten Verstande wahr, daß, wie der Mensch überhaupt beschaffen ist, nicht er selbst, sondern entweder der gute oder der böse Geist in ihm handelt; und dennoch tut dies der Freiheit keinen Eintrag. Denn eben das in-sich-handeln-Lassen des guten oder bösen Prinzips ist die Folge der intelligiblen Tat, wodurch sein Wesen und Leben bestimmt ist.

Nachdem wir also Anfang und Entstehung des Bösen bis zur Wirklichwerdung im einzelnen Menschen dargetan haben, so scheint nichts übrig, als seine Erscheinung im Menschen zu beschreiben.

Die allgemeine Möglichkeit des Bösen besteht, wie gezeigt, darin, daß der Mensch seine Selbstheit, anstatt sie zur Basis, zum Organ zu machen, vielmehr zum Herrschenden und zum Allwillen zu erheben, dagegen das Geistige in sich zum Mittel zu machen streben kann. Ist in dem Menschen das finstere Prinzip der Selbstheit und des Eigenwillens ganz vom Licht durchdrungen und mit ihm eins, so ist Gott, als die ewige Liebe,[485] oder als wirklich existierend, das Band der Kräfte in ihm. Sind aber die beiden Prinzipien in Zwietracht, so schwingt sich ein anderer Geist an die Stelle, da Gott sein sollte; der umgekehrte Gott nämlich; jenes durch die Offenbarung Gottes zur Aktualisierung erregte Wesen, das nie aus der Potenz zum Aktus gelangen kann, das zwar nie ist, aber immer sein will, und daher, wie die Materie der Alten, nicht mit dem vollkommenen Verstande, sondern nur durch falsche Imagination (logismô nothô29) – welche eben die Sünde ist – als wirklich erfaßt (aktualisiert) werden kann; weshalb es durch spiegelhafte Vorstellungen, indem es, selbst nicht seiend, den Schein von dem wahren Sein, wie die Schlange die Farben vom Licht, entlehnt, den Menschen zur Sinnlosigkeit zu bringen strebt, in der es allein von ihm aufgenommen und begriffen werden kann. Es wird daher mit Recht nicht nur als ein Feind aller Kreatur (weil diese nur durch das Band der Liebe besteht) und vorzüglich des Menschen, sondern auch als Verführer desselben vorgestellt, der ihn zur falschen Lust und Aufnahme des Nichtseienden in seine Imagination lockt, worin es von der eignen bösen Neigung des Menschen unterstützt wird, dessen Auge, unvermögend, auf den Glanz des Göttlichen und der Wahrheit hinschauend, standzuhalten, immer auf das Nichtseiende hinblickt. So ist denn der Anfang der Sünde, daß der Mensch aus dem eigentlichen Sein in das Nichtsein, aus der Wahrheit in die Lüge, aus dem Licht in die Finsternis übertritt, um selbstschaffender Grund zu werden, und mit der Macht des Zentri, das er in sich hat, über alle Dinge zu herrschen. Denn es bleibt auch dem aus dem Zentro gewichenen immer noch das Gefühl, daß er alle Dinge gewesen ist, nämlich in und mit Gott; darum strebt er wieder dahin, aber für sich, nicht wo er es sein könnte, nämlich in Gott. Hieraus entsteht der Hunger der Selbstsucht, die in dem Maß, als sie vom Ganzen und von der Einheit sich lossagt, immer dürftiger, ärmer, aber eben darum begieriger, hungriger, giftiger wird. Es ist im Bösen der sich selbst aufzehrende und immer vernichtende Widerspruch, daß es[486] kreatürlich zu werden strebt, eben indem es das Band der Kreatürlichkeit vernichtet, und aus Übermut, alles zu sein, ins Nichtsein fällt. Übrigens erfüllt die offenbare Sünde nicht wie bloße Schwäche und Unvermögen mit Bedauern, sondern mit Schrecken und Horror, ein Gefühl, das nur daher erklärbar ist, daß sie das Wort zu brechen, den Grund der Schöpfung anzutasten und das Mysterium zu profanieren strebt. Allein auch dieses sollte offenbar werden, denn nur im Gegensatz der Sünde offenbart sich jenes Innerste Band der Abhängigkeit der Dinge und das Wesen Gottes, das gleichsam vor aller Existenz (noch nicht durch sie gemildert), und darum schrecklich ist. Denn Gott selbst überkleidet dieses Prinzip in der Kreatur und bedeckt es mit Liebe, indem er es zum Grund und gleichsam zum Träger der Wesen macht. Wer es nun durch Mißbrauch des zum Selbstsein erhobenen Eigenwillens aufreizt, für den und gegen den wird es aktuell. Denn weil Gott in seiner Existenz doch nicht gestört, noch weniger aufgehoben werden kann, so wird nach der notwendigen Korrespondenz, die zwischen Gott und seiner Basis stattfindet, eben jener in der Tiefe des Dunkels auch in jedem einzelnen Menschen leuchtende Lebensblick dem Sünder zum verzehrenden Feuer entflammt, so wie im lebendigen Organismus das einzelne Glied oder System, sobald es aus dem Ganzen gewichen ist, die Einheit und Konspiration selbst, der es sich entgegensetzt, als Feuer (= Fieber) empfindet und von innerer Glut entzündet wird.

Wir haben gesehen, wie durch falsche Einbildung und nach dem Nichtseienden sich richtende Erkenntnis der Geist des Menschen dem Geist der Lüge und Falschheit sich öffnet, und bald von ihm fasziniert der anfänglichen Freiheit verlustig wird. Hieraus folgt, daß im Gegenteil das wahre Gute nur durch eine göttliche Magie bewirkt werden könne, nämlich durch die unmittelbare Gegenwart des Seienden im Bewußtsein und der Erkenntnis. Ein willkürliches Gutes ist so unmöglich als ein willkürliches Böses. Die wahre Freiheit ist im Einklang mit einer heiligen Notwendigkeit, dergleichen wir in der wesentlichen Erkenntnis empfinden, da Geist und Herz, nur durch ihr eignes Gesetz gebunden, freiwillig[487] bejahen, was notwendig ist Wenn das Böse in einer Zwietracht der beiden Prinzipien besteht, so kann das Gute nur in der vollkommenen Eintracht derselben bestehen, und das Band, das beide vereinigt, muß ein göttliches sein, indem sie nicht auf bedingte, sondern auf vollkommene und unbedingte Weise eins sind. Das Verhältnis beider läßt sich daher nicht als selbstbeliebige, oder aus Selbstbestimmung hervorgegangene Sittlichkeit vorstellen. Der letzte Begriff setzte voraus, daß sie nicht an sich eins seien; wie sollen sie aber eins werden, wenn sie es nicht sind? außerdem führt er zu dem ungereimten System des Gleichgewichts der Willkür zurück. Das Verhältnis beider Prinzipien ist das einer Gebundenheit des finstern Prinzips (der Selbstheit) an das Licht. Es sei uns erlaubt, dies, der ursprünglichen Wortbedeutung nach, durch Religiosität auszudrücken. Wir verstehen darunter nicht, was ein krankhaftes Zeitalter so nennt, müßiges Brüten, andächtelndes Ahnden, oder Fühlen-wollen des Göttlichen. Denn Gott ist in uns die klare Erkenntnis oder das geistige Licht selber, in welchem erst alles andere klar wird, weit entfernt, daß es selbst unklar sein sollte; und in wem diese Erkenntnis ist, den läßt sie wahrlich nicht müßig sein oder feiern. Sie ist, wo sie ist, etwas viel Substantielleres, als unsere Empfindungsphilosophen meinen. Wir verstellen Religiosität in der ursprünglichen, praktischen Bedeutung des Worts. Sie ist Gewissenhaftigkeit, oder daß man handle, wie man weiß, und nicht dem Licht der Erkenntnis in seinem Tun widerspreche. Einen Menschen, dem dies nicht auf eine menschliche, physische oder psychologische, sondern auf eine göttliche Weise unmöglich ist, nennt man religiös, gewissenhaft im höchsten Sinne des Worts. Derjenige ist nicht gewissenhaft, der sich im vorkommenden Fall noch erst das Pflichtgebot vorhalten muß, um sich durch Achtung für dasselbe zum Rechttun zu entscheiden. Schon der Wortbedeutung nach läßt Religiosität keine Wahl zwischen Entgegengesetzten zu, kein aequilibrium arbitrii (die Pest aller Moral), sondern nur die höchste Entschiedenheit für das Rechte, ohne alle Wahl. Gewissenhaftigkeit erscheint nicht eben notwendig und immer als Enthusiasmus oder als außerordentliche Erhebung über sich selbst, wozu, wenn der Dünkel selbstbeliebiger Sittlichkeit[488] niedergeschlagen ist, ein anderer und noch viel schlimmerer Hochmutsgeist gerne auch diese machen möchte. Sie kann ganz formell, in strenger Pflichterfüllung, erscheinen, wo ihr sogar der Charakter der Härte und Herbheit beigemischt ist, wie in der Seele des M. Cato, dem ein Alter jene innere und fast göttliche Notwendigkeit des Handelns zuschreibt, indem er sagt, er sei der Tugend am ähnlichsten gewesen, indem er nie recht gehandelt, damit er so handelte (aus Achtung für das Gebot), sondern weil er gar nicht anders habe handeln können. Diese Strenge der Gesinnung ist, wie die Strenge des Lebens in der Natur, der Keim, aus welchem erst wahre Anmut und Göttlichkeit als Blüte hervorgeht; aber die vermeintlich vornehmere Moralität, welche diesen Kern verschmähen zu dürfen glaubt, ist einer tauben Blüte gleich, die keine Frucht erzeugt30. Das Höchste ist, eben darum weil es dies ist, nicht immer das Allgemeingültige; und wer das Geschlecht geistiger Wollüstlinge kennen gelernt, dem gerade das Höchste der Wissenschaft wie des Gefühls zur ausgelassensten Geistes-Un-Zucht und Erhebung über die sogenannte gemeine Pflichtmäßigkeit dienen muß, wird sich wohl bedenken, es als solches auszusprechen. Schon ist vorauszusehen, daß auf dem Wege, wo jeder früher eine schöne Seele als eine vernünftige sein, und lieber edel heißen als gerecht sein will, die Sittenlehre noch auf den allgemeinen Begriff des Geschmacks zurückgeführt werden wird, wonach sodann das Laster nur noch in einem schlechten oder verdorbenen Geschmack bestehen würde.31 Wenn in der ernsten Gesinnung das göttliche Prinzip derselben, als solches, durchschlägt, so erscheint Tugend als Enthusiasmus; als Heroismus[489] (im Kampf gegen das Böse), als der schöne freie Mut des Menschen, zu handeln, wie der Gott ihn unterrichtet, und nicht im Handeln abzufallen von dem was er im Wissen erkannt hat; als Glaube, nicht im Sinn eines Fürwahrhaltens, das gar als verdienstlich angesehen wird, oder dem zur Gewißheit etwas abgeht – eine Bedeutung, die sich diesem Wort durch den Gebrauch für gemeine Dinge angehängt hat –, sondern in seiner ursprünglichen Bedeutung als Zutrauen, Zuversicht auf das Göttliche, die alle Wahl ausschließt. Wenn endlich in den unverbrüchlichen Ernst der Gesinnung, der aber immer vorausgesetzt wird, ein Strahl göttlicher Liebe sich senkt, so entsteht die höchste Verklärung des sittlichen Lebens in Anmut und göttliche Schönheit.

Die Entstehung des Gegensatzes von Gut und Bös, und wie beides in der Schöpfung durcheinander wirkt, haben wir nun soviel möglich untersucht; aber noch ist die höchste Frage dieser ganzen Untersuchung zurück. Gott ist bis jetzt bloß betrachtet worden als sich selbst offenbarendes Wesen. Aber wie verhält er sich denn zu dieser Offenbarung als sittliches Wesen? Ist sie eine Handlung, die mit blinder und bewußtloser Notwendigkeit erfolgt, oder ist sie eine freie und bewußte Tat? Und wenn sie das letzte ist, wie verhält sich Gott als sittliches Wesen zu dem Bösen, dessen Möglichkeit und Wirklichkeit von der Selbstoffenbarung abhängt? Hat er, wenn er diese gewollt, auch das Böse gewollt, und wie ist dieses Wollen mit der Heiligkeit und höchsten Vollkommenheit in ihm zu reimen, oder im gewöhnlichen Ausdruck, wie ist Gott wegen des Bösen zu rechtfertigen?

Die vorläufige Frage wegen der Freiheit Gottes in der Selbstoffenbarung scheint zwar durch das Vorgehende entschieden. Wäre uns Gott ein bloß logisches Abstraktum, so müßte dann auch alles aus ihm mit logischer Notwendigkeit folgen; er selbst wäre gleichsam nur das höchste Gesetz, von dem alles ausfließt, aber ohne Personalität und Bewußtsein davon. Allein wir haben Gott erklärt als lebendige Einheit von Kräften; und wenn Persönlichkeit nach unserer früheren Erklärung auf der Verbindung eines Selbständigen mit einer von ihm unabhängigen Basis beruht, so nämlich, daß diese beiden sich ganz durchdringen und nur Ein[490] Wesen sind, so ist Gott durch die Verbindung des idealen Prinzips in ihm mit dem (relativ auf dieses) unabhängigen Grunde, da Basis und Existierendes in ihm sich notwendig zu Einer absoluten Existenz vereinigen, die höchste Persönlichkeit; der auch, wenn die lebendige Einheit beider Geist ist, so ist Gott, als das absolute Band derselben, Geist im eminenten und absoluten Verstände. So gewiß ist es, daß nur durch das Band Gottes mit der Natur die Personalität in ihm begründet ist, da im Gegenteil der Gott des reinen Idealismus, so gut wie der des reinen Realismus, notwendig ein unpersönliches Wesen ist, wovon der Fichtesche und Spinozische Begriff die klarsten Beweise sind. Allein weil in Gott ein unabhängiger Grund von Realität und daher zwei gleich ewige Anfänge der Selbstoffenbarung sind, so muß auch Gott nach seiner Freiheit in Beziehung auf beide betrachtet werden. Der erste Anfang zur Schöpfung ist die Sehnsucht des Einen, sich selbst zu gebären, oder der Wille des Grundes. Der zweite ist der Wille der Liebe, wodurch das Wort in die Natur ausgesprochen wird, und durch den Gott sich erst persönlich macht. Der Wille des Grundes kann daher nicht frei sein in dem Sinne, in welchem es der Wille der Liebe ist. Er ist kein bewußter oder mit Reflexion verbundener Wille, obgleich Mich kein völlig bewußtloser, der nach blinder mechanischer Notwendigkeit sich bewegte, sondern mittlerer Natur, wie Begierde oder Lust, und am ehesten dem schönen Drang einer werdenden Natur vergleichbar, die sich zu entfalten strebt, und deren innere Bewegungen unwillkürlich sind (nicht unterlassen werden können), ohne daß sie doch sich in ihnen gezwungen fühlte. Schlechthin freier und bewußter Wille aber ist der Wille der Liebe, eben weil er dies ist; die aus ihm folgende Offenbarung ist Handlung und Tat. Die ganze Natur sagt uns, daß sie keineswegs vermöge einer bloß geometrischen Notwendigkeit da ist; es ist nicht lautere reine Vernunft in ihr, sondern Persönlichkeit und Geist (wie wir den vernünftigen Autor vom geistreichen wohl unterscheiden); sonst hätte der geometrische Verstand, der so lange geherrscht hat, sie längst durchdringen und sein Idol allgemeiner und ewiger Naturgesetze mehr bewahrheiten müssen, als es bis jetzt geschehen[491] ist, da er vielmehr das irrationale Verhältnis der Natur zu sich täglich mehr erkennen muß. Die Schöpfung ist keine Begebenheit, sondern eine Tat. Es gibt keine Erfolge aus allgemeinen Gesetzen, sondern Gott, d.h. die Person Gottes, ist das allgemeine Gesetz, und alles, was geschieht, geschieht vermöge der Persönlichkeit Gottes; nicht nach einer abstrakten Notwendigkeit, die wir im Handeln nicht ertragen würden, geschweige Gott. In der nur zu sehr vom Geist der Abstraktion beherrschten Leibnizischen Philosophie ist die Anerkennung der Naturgesetze als sittlich-, nicht aber geometrisch-notwendiger, und ebensowenig willkürlicher Gesetze, eine der erfreulichsten Seiten. »Ich habe gefunden,« sagt Leibniz, »daß die in der Natur wirklich nachzuweisenden Gesetze doch nicht absolut demonstrabel sind, was aber auch nicht notwendig ist. Zwar können sie auf verschiedene Art bewiesen werden; aber immer muß etwas vorausgesetzt werden, das nicht ganz geometrisch notwendig ist. Daher sind diese Gesetze der Beweis eines höchsten, intelligenten und freien Wesens gegen das System absoluter Notwendigkeit. Sie sind weder ganz notwendig (in jenem abstrakten Verstande), noch ganz willkürlich, sondern stehen in der Mitte als Gesetze, die von einer über alles vollkommenen Weisheit abstammen«32. Das höchste Streben der dynamischen Erklärungsart ist kein anderes als diese Reduktion der Naturgesetze auf Gemüt, Geist und Willen.

Um jedoch das Verhältnis Gottes als moralischen Wesens zur Welt zu bestimmen, reicht die allgemeine Erkenntnis der Freiheit in der Schöpfung nicht hin; es fragt sich noch außerdem, ob die Tat der Selbstoffenbarung in dem Sinne frei gewesen, daß alle Folgen derselben in Gott vorgesehen worden. Auch dieses aber ist notwendig zu bejahen; denn es würde der Wille zur Offenbarung selbst nicht lebendig sein, wenn ihm nicht ein anderer auf das Innere des Wesens zurückgehender Wille entgegenstünde; aber in diesem an-sich-Halten entsteht ein reflexives Bild alles dessen, was in dem Wesen implicite enthalten ist, in welchem Gott sich ideal verwirklicht, oder, was dasselbe ist,[492] sich in seiner Verwirklichung zuvor erkennt. So muß also doch, da eine dem Willen zur Offenbarung entgegenwirkende Tendenz in Gott ist, Liebe und Güte oder das Communicativum sui überwiegen, damit eine Offenbarung sei; und dieses, die Entscheidung, vollendet erst eigentlich den Begriff derselben als einer bewußten und sittlich-freien Tat.

Unerachtet dieses Begriffs, und obwohl die Handlung der Offenbarung in Gott nur sittlich- oder beziehungsweise auf Güte und Liebe notwendig ist, bleibt die Vorstellung einer Beratschlagung Gottes mit sich selbst, oder einer Wahl zwischen mehreren möglichen Welten eine grundlose und unhaltbare Vorstellung. Im Gegenteil, sobald nur die nähere Bestimmung einer sittlichen Notwendigkeit hinzugefügt wird, ist ganz unleugbar der Satz: daß aus der göttlichen Natur alles mit absoluter Notwendigkeit folgt, daß alles, was kraft derselben möglich ist, auch wirklich sein muß, und was nicht wirklich ist, auch sittlich-unmöglich sein muß. Der Spinozismus fehlt keineswegs durch die Behauptung einer solchen unverbrüchlichen Notwendigkeit in Gott, sondern dadurch, daß er dieselbe unlebendig und unpersönlich nimmt. Denn da dieses System von dem Absoluten überhaupt nur die eine Seite begreift – nämlich die reale oder inwiefern Gott nur im Grunde wirkt, so führen jene Sätze allerdings auf eine blinde und verstandlose Notwendigkeit. Wenn aber Gott wesentlich Liebe und Güte ist, so folgt auch das, was in ihm sittlich-notwendig ist, mit einer wahrhaft metaphysischen Notwendigkeit. Würde zur vollkommenen Freiheit in Gott die Wahl im eigentlichsten Verstände erfordert, so müßte dann noch weitergegangen werden. Denn eine perfekte Freiheit der Wahl würde erst dann gewesen sein, wenn Gott auch eine weniger vollkommene Welt, als nach allen Bedingungen möglich war, hätte erschaffen können, wie denn, da nichts so ungereimt ist, das nicht einmal vorgebracht worden, von einigen auch wirklich und im Ernst – nicht bloß wie von dem Kastillanischen König Alphonsus, dessen bekannte Äußerung nur das damals herrschende Ptolomäische System traf – behauptet worden: Gott hätte, wenn er gewollt, eine bessere Welt als diese erschaffen können. So sind auch die Gründe gegen die Einheit der Möglichkeit und Wirklichkeit in Gott von dem[493] ganz formellen Begriff der Möglichkeit hergenommen, daß alles möglich ist, was sich nicht widerspricht; z.B. in der bekannten Einrede, daß dann alle verständig erfundenen Romane wirkliche Begebenheiten sein müssen. Einen solchen bloß formalen Begriff hatte selbst Spinoza nicht; alle Möglichkeit gilt bei ihm mir beziehungsweise auf die göttliche Vollkommenheit, und Leibniz nimmt diesen Begriff offenbar bloß an, um eine Wahl in Gott herauszubringen, und sich dadurch so weit als möglich von Spinoza zu entfernen. »Gott wählt,« sagt er, »zwischen Möglichkeiten, und wählt darum frei, ohne Nezessitierung: dann erst wäre keine Wahl, keine Freiheit, wenn nur Eines möglich wäre.« Wenn zur Freiheit nichts weiter als eine solche leere Möglichkeit fehlt, so kann zugegeben werden, daß formell, oder ohne auf die göttliche Wesenheit zu sehen, Unendliches möglich war und noch ist; allein dies heißt die göttliche Freiheit durch einen Begriff behaupten wollen, der an sich falsch ist, und der bloß in unserem Verstand, aber nicht in Gott möglich ist, in welchem ein Absehen von seinem Wesen oder seinen Vollkommenheiten wohl nicht gedacht werden kann. Was die Pluralität möglicher Welten betrifft, so scheint ein an sich Regelloses, dergleichen nach unserer Erklärung die ursprüngliche Bewegung des Grundes ist, wie ein noch nicht geformter, aber aller Formen empfänglicher Stoff, allerdings eine Unendlichkeit von Möglichkeiten darzubieten, und wenn etwa darauf die Möglichkeit mehrerer Welten gegründet werden sollte, so wäre nur zu bemerken, daß daraus doch keine solche Möglichkeit in Ansehung Gottes folgen würde, indem der Grund nicht Gott zu nennen ist, und Gott nach seiner Vollkommenheit nur Eines wollen kann. Allein es ist auch jene Regellosigkeit keineswegs so zu denken, als wäre nacht in dem Grunde doch der Urtypus der nach dem Wesen Gottes allein möglichen Welt enthalten, welcher in der wirklichen Schöpfung nur durch Scheidung, Regulierung der Kräfte und Ausschließung des ihn hemmenden oder verdunkelnden Regellosen aus der Potenz zum Aktus erhoben wird. In dem göttlichen Verstände selbst aber, als in uranfänglicher Weisheit, worin sich Gott ideal oder urbildlich verwirklicht, ist, wie nur Ein Gott ist, so auch nur Eine mögliche Welt.[494]

In dem göttlichen Verstande ist ein System, aber Gott selbst ist kein System, sondern ein Leben, und darin liegt auch allein die Antwort auf die Frage, um deren willen dies vorausgeschickt worden, wegen der Möglichkeit des Bösen in bezug auf Gott. Alle Existenz fordert eine Bedingung, damit sie wirkliche, nämlich persönliche Existenz werde. Auch Gottes Existenz könnte ohne eine solche nicht persönlich sein, nur daß er diese Bedingung in sich, nicht außer sich hat. Er kann die Bedingung nicht aufheben, indem er sonst sich selbst aufheben müßte; er kann sie nur durch Liebe bewältigen und sich zu seiner Verherrlichung unterordnen. Auch in Gott wäre ein Grund der Dunkelheit, wenn er die Bedingung nicht zu sich machte, sich mit ihr als eins und zur absoluten Persönlichkeit verbände. Der Mensch bekommt die Bedingung nie in seine Gewalt, ob er gleich im Bösen danach strebt; sie ist eine ihm nur geliehene, von ihm unabhängige; daher sich seine Persönlichkeit und Selbstheit nie zum vollkommenen Aktus erheben kann. Dies ist die allem endlichen Leben anklebende Traurigkeit, und wenn auch in Gott eine wenigstens beziehungsweise unabhängige Bedingung ist, so ist in ihm selber ein Quell der Traurigkeit, die aber nie zur Wirklichkeit kommt, sondern nur zur ewigen Freude der Überwindung dient. Daher der Schleier der Schwermut, der über die ganze Natur ausgebreitet ist, die tiefe unzerstörliche Melancholie alles Lebens. Freude muß Leid haben, Leid in Freude verklärt werden. Was daher aus der bloßen Bedingung oder dem Gründe kommt, kommt nicht von Gott, wenn es gleich zu seiner Existenz notwendig ist. Aber es kann auch nicht gesagt werden, daß das Böse aus dem Grunde komme, oder daß der Wille des Grundes Urheber desselben sei. Denn das Böse kann immer nur entstehen im Innersten Willen des eignen Herzens und wird nie ohne eigne Tat vollbracht. Die Sollizitation des Grundes oder die Reaktion gegen das Überkreatürliche erweckt nur die Lust zum Kreatürlichen oder den eignen Willen, aber sie erweckt ihn nur, damit ein unabhängiger Grund des Guten da sei, und damit er vom Guten überwältiget und durchdrungen werde. Denn nicht die erregte Selbstheit an sich ist das Böse, sondern nur sofern sie sich gänzlich von ihrem Gegensatz, dem Licht oder dem Universalwissen,[495] losgerissen hat. Aber eben dieses Lossagen vom Guten ist erst die Sünde. Die aktivierte Selbstheit ist notwendig zur Schärfe des Lebens; ohne sie wäre völliger Tod, ein Einschlummern des Guten; denn wo nicht Kampf ist, da ist nicht Leben. Nur die Erweckung des Lebens also ist der Wille des Grundes, nicht das Böse unmittelbar und an sich. Schließt der Wille des Menschen die aktivierte Selbstheit mit der Liebe ein und ordnet sie dem Licht als dem allgemeinen Willen unter, so entsteht daraus erst die aktuelle, durch die in ihm befindliche Schärfe empfindlich gewordene Güte. Im Guten also ist die Reaktion des Grundes eine Wirkung zum Guten, im Bösen eine Wirkung zum Bösen, wie die Schrift sagt: in den Frommen bist du fromm, und in den Verkehrten verkehrt. Ein Gutes ohne wirksame Selbstheit ist selbst ein unwirksames Gutes. Dasselbe, was durch den Willen der Kreatur böse wird (wenn es sich ganz losreißt, um für sich zu sein), ist an sich selbst das Gute, solang es nämlich im Guten verschlungen und im Grunde bleibt. Nur die überwundene, also aus der Aktivität zur Potentialität zurückgebrachte Selbstheit ist das Gute, und der Potenz nach, als überwältigt durch dasselbe, bleibt es im Guten auch immerfort bestehen. Wäre im Körper nicht eine Wurzel der Kälte, so könnte die Wärme nicht fühlbar sein. Eine attrahierende und eine repellierende Kraft für sich zu denken, ist unmöglich, denn worauf soll das Repellierende wirken, wenn ihm nicht das Attrahierende einen Gegenstand macht, oder worauf das Anziehende, wenn es nicht in sich selbst zugleich ein Zurückstoßendes hat? Daher dialektisch ganz richtig gesagt wird: Gut und Bös seien dasselbe, nur von verschiedenen Seiten gesehen, oder, das Böse sei an sich d.h. in der Wurzel seiner Identität betrachtet, das Gute, wie das Gute dagegen, in seiner Entzweiung oder Nicht-Identität betrachtet, das Böse. Aus diesem Grunde ist auch jene Rede ganz richtig, daß, wer keinen Stoff noch Kräfte zum Bösen in sich hat, auch zum Guten untüchtig sei, wovon wir zu unserer Zeit genugsame Beispiele gesehen. Die Leidenschaften, welchen unsere negative Moral den Krieg macht, sind Kräfte, deren jede mit der ihr entsprechenden Tugend eine gemeinsame Wurzel hat. Die Seele alles Hasses ist Liebe,[496] und im heftigsten Zorn zeigt sich nur die im innersten Zentrum angegriffene und aufgereizte Stille. Im gehörigen Maß und organischen Gleichgewicht sind sie die Stärke der Tugend selbst und ihre unmittelbaren Werkzeuge. »Wenn die Leidenschaften Glieder der Unehre sind,« sagt der treffliche J. G. Hamann, »hören sie deswegen auf, Waffen der Mannheit zu sein? Versteht ihr den Buchstaben der Vernunft klüger als jener allegorische Kämmerer der alexandrinischen Kirche den der Schrift, der sich selbst zum Verschnittenen machte um des Himmelreichs willen? – Die größten Bösewichter gegen sich selbst macht der Fürst dieses Äons zu seinen Lieblingen – – seine (des Teufels) Hofnarren sind die ärgsten Feinde der schönen Natur, die freilich Korybanten und Gallier zu Bauchpfaffen, aber starke Geister zu wahren Anbetern hat«33. Nur mögen dann diejenigen, deren Philosophie mehr für das Gynäzeum als für die Akademie oder die Palästra des Lyzeums gemacht ist, jene dialektischen Sätze nicht vor ein Publikum bringen, das sie ebenso wie sie selber mißverstehend, darin eine Aufhebung alles Unterschiedes von Recht und Unrecht, Gut und Böse sieht, und vor welches sie so wenig als etwa die Sätze der alten Dialektiker, des Zenon und der übrigen Eleaten, vor das Forum seichter Schöngeister gehören.

Die Erregung des Eigenwillens geschieht nur, damit die Liebe im Menschen einen Stoff oder Gegensatz finde, darin sie sich verwirkliche. Inwiefern die Selbstheit in ihrer Lossagung das Prinzip des Bösen ist, erregt der Grund allerdings das mögliche Prinzip des Bösen, aber nicht das Böse selber, noch zum Bösen. Aber auch diese Erregung geschieht nicht nach dem freien Willen Gottes, der sich in dem Grunde nicht nach diesem oder seinem Herzen, sondern nur nach seinen Eigenschaften bewegt.

Wer daher behauptete, Gott selbst habe das Böse gewollt, müßte den Grund dieser Behauptung in der Tat der Selbstoffenbarung als der Schöpfung suchen, wie auch sonst oft gemeint worden, derjenige, der die Welt gewollt, habe auch das Böse[497] wollen müssen. Allein daß Gott die unordentlichen Geburten des Chaos zur Ordnung gebracht und seine ewige Einheit in die Natur ausgesprochen, dadurch wirkte er vielmehr der Finsternis entgegen, und setzte der regellosen Bewegung des verstandlosen Prinzips das Wort als ein beständiges Zentrum und ewige Leuchte entgegen. Der Wille zur Schöpfung war also unmittelbar nur ein Wille zur Geburt des Lichtes, und damit des Guten; das Böse aber kam in diesem Willen weder als Mittel, noch selbst, wie Leibniz sagt, als Conditio sine qua non der möglich größten Vollkommenheit der Welt34 in Betracht. Es war weder Gegenstand eines göttlichen Ratschlusses, noch und viel weniger einer Erlaubnis. Die Frage aber, warum Gott, da er notwendig vorgesehen, daß das Böse wenigstens begleitungsweise aus der Selbstoffenbarung folgen würde, nicht vorgezogen habe, sich überhaupt nicht zu offenbaren, verdient in der Tat keine Erwiderung. Denn dies hieße ebensoviel als, damit kein Gegensatz der Liebe sein könne, soll die Liebe selbst nicht sein, d.h. das absolut-Positive soll dem, was nur eine Existenz als Gegensatz hat, das Ewige dem bloß Zeitlichen geopfert werden. Daß die Selbstoffenbarung in Gott, nicht als eine unbedingt willkürliche, sondern als eine sittlich-notwendige Teil betrachtet werden müsse, in welcher Liebe und Güte die absolute Innerlichkeit überwunden, haben wir bereits erklärt. So denn also Gott um des Bösen willen sich nicht geoffenbart, hätte das Böse über das Gute und die Liebe gesiegt. Der Leibnizische Begriff des Bösen als Conditio sine qua non kann nur auf den Grund angewendet werden, daß dieser nämlich den kreatürlichen Willen (das mögliche Prinzip[498] des Bösen) als Bedingung errege, unter welcher allein der Wille der Liebe verwirklicht werden könne. Warum nun Gott den Willen des Grundes nicht wehre oder ihn aufhebe, haben wir ebenfalls schon gezeigt. Es wäre dies ebensoviel, als daß Gott die Bedingung seiner Existenz, d.h. seine eigne Persönlichkeit, aufhöbe. Damit also das Böse nicht wäre, müßte Gott selbst nicht sein.

Eine andre Gegenrede, welche aber nicht bloß diese Ansicht, sondern jede Metaphysik trifft, ist diese, daß, wenn auch Gott das Böse nicht gewollt habe, er doch in dem Sünder fortwirke und ihm die Kraft gebe, das Böse zu vollbringen. Dieses ist denn mit der gehörigen Unterscheidung ganz und gar zuzugeben. Der Urgrund zur Existenz wirkt auch im Bösen fort, wie in der Krankheit die Gesundheit noch fortwirkt, und auch das zerrüttetste, verfälschteste Leben bleibt und bewegt sich noch in Gott, sofern er Grund von Existenz ist. Aber es empfindet ihn als verzehrenden Grimm, und wird durch das Anziehen des Grundes selbst in immer höhere Spannung gegen die Einheit, bis zur Selbstvernichtung und endlichen Krisis, gesetzt.

Nach allem diesem bleibt immer die Frage übrig: endet das Böse, und wie? Hat überhaupt die Schöpfung eine Endabsicht, und wenn dies ist, warum wird diese nicht unmittelbar erreicht, warum ist das Vollkommene nicht gleich von Anfang? Es gibt darauf keine Antwort als die schon gegebene: weil Gott ein Leben ist, nicht bloß ein Sein. Alles Leben aber hat ein Schicksal und ist dem Leiden und Werden Untertan. Auch diesem also hat sich Gott freiwillig unterworfen, schon da er zuerst, um persönlich zu werden, die Licht- und die finstre Welt schied. Das Sein wird sich nur im Werden empfindlich. Im Sein freilich ist kein Werden; in diesem vielmehr ist es selber wieder als Ewigkeit gesetzt; aber in der Verwirklichung durch Gegensatz ist notwendig ein Werden. Ohne den Begriff eines menschlich leidenden Gottes, der allen Mysterien und geistigen Religionen der Vorzeit gemein ist, bleibt die ganze Geschichte unbegreiflich; auch die Schrift unterscheidet Perioden der Offenbarung, und setzt[499] als eine ferne Zukunft die Zeit, da Gott Alles in Allem, d.h. wo er ganz verwirklicht sein wird. Die erste Periode der Schöpfung ist, wie früher gezeigt worden, die Geburt des Lichts. Das Licht oder das ideale Prinzip ist als ein ewiger Gegensatz des finstern Prinzips das schaffende Wort, welches das im Grunde verborgene Leben aus dem Nichtsein erlöst, es aus der Potenz zum Aktus erhebt. Über dem Wort gehet der Geist auf, und der Geist ist das erste Wesen, welches die finstre und die Lichtwelt vereiniget und beide Prinzipien sich zur Verwirklichung und Persönlichkeit unterordnet. Gegen diese Einheit reagiert jedoch der Grund und behauptet die anfängliche Dualität, aber nur zu immer höherer Steigerung und zur endlichen Scheidung des Guten vom Bösen. Der Wille des Grundes muß in seiner Freiheit bleiben, bis daß alles erfüllt, alles wirklich geworden sei. Würde er früher unterworfen, so bliebe das Gute samt dem Bösen in ihm verborgen. Aber das Gute soll aus der Finsternis zur Aktualität erhoben werden, um mit Gott unvergänglich zu leben; das Böse aber von dem Guten geschieden, um auf ewig in das Nichtsein verstoßen zu werden. Denn dies ist die Endabsicht der Schöpfung, daß, was nicht für sich sein könnte, für sich sei, indem es aus der Finsternis, als einem von Gott unabhängigen Grunde, ins Dasein erhoben wird. Daher die Notwendigkeit der Geburt und des Todes. Gott gibt die Ideen, die in ihm ohne selbständiges Leben waren, dahin in die Selbstheit und das Nichtseiende, damit, indem sie aus diesem ins Leben gerufen werden, sie als unabhängig existierende wieder in ihm seien35. Der Grund wirkt also in seiner Freiheit die Scheidung und das Gericht (krisis), und eben damit die vollkommene Aktualisierung Gottes, Denn das Böse, wenn es vom Guten gänzlich geschieden ist, ist auch nicht mehr als Böses. Es konnte nur wirken durch das (mißbrauchte) Gute, das ihm selbst unbewußt in ihm war. Es genoß im Leben noch der Kräfte der äußern Natur, mit denen es versuchte zu schaffen, und hatte noch mittelbaren Anteil an[500] der Güte Gottes. Im Sterben aber wird es von allem Guten geschieden, und bleibt zwar zurück als Begierde, als ewiger Hunger und Durst nach der Wirklichkeit, aber ohne aus der Potentialität heraustreten zu können. Sein Zustand ist daher ein Zustand des Nichtseins, ein Zustand des beständigen Verzehrtwerdens der Aktivität, oder dessen, was in ihm aktiv zu sein strebt. Es bedarf darum auch zur Realisierung der Idee einer endlichen allseitigen Vollkommenheit keineswegs einer Wiederherstellung des Bösen zum Guten (der Wiederbringung aller Dinge); denn das Böse ist nur bös, inwiefern es über die Potentialität hinausgeht; auf das Nichtsein aber, oder den Potenzzustand reduziert, ist es, was es immer sein sollte, Basis, Unterworfenes, und als solches nicht mehr im Widerspruch mit der Heiligkeit noch der Liebe Gottes. Das Ende der Offenbarung ist daher die Ausstoßung des Bösen vom Guten, die Erklärung desselben als gänzlicher Unrealität. Dagegen wird das aus dem Grunde erhobene Gute zur ewigen Einheit mit dem ursprünglichen Guten verbunden; die aus der Finsternis ans Licht Gebornen schließen sich dem idealen Prinzip als Glieder seines Leibes an, in welchem jenes vollkommen verwirklicht und nun ganz persönliches Wesen ist. Solange die anfängliche Dualität dauerte, herrschte das schaffende Wort in dem Grunde, und diese Periode der Schöpfung geht durch alle hindurch bis zum Ende. Wenn aber die Dualität durch die Scheidung vernichtet ist, ordnet das Wort oder das ideale Prinzip sich und das mit ihm eins gewordene reale gemeinschaftlich dem Geist unter, und dieser, als das göttliche Bewußtsein, lebt auf gleiche Weise in beiden Prinzipien; wie die Schrift von Christus sagt: Er muß herrschen, bis daß er alle seine Feinde unter seine Füße lege. Der letzte Feind, der aufgehoben wird, ist der Tod (denn der Tod war nur notwendig zur Scheidung, das Gute muß sterben, um sich vom Bösen, und das Böse, um sich vom Guten zu scheiden). Wenn aber alles ihm Untertan sein wird, alsdann wird auch der Sohn selbst Untertan sein dem, der ihm alles untergetan hat, auf daß Gott sei Alles in Allem. Denn auch der Geist ist noch nicht das Höchste; er ist nur der Geist, oder der Hauch der Liebe. Die Liebe aber ist das Höchste. Sie ist das, was[501] da war, ehe denn der Grund und ehe das Existierende (als getrennte) waren, aber noch nicht war als Liebe, sondern – wie sollen wir es bezeichnen?

Wir treffen hier endlich auf den höchsten Punkt der ganzen Untersuchung. Schon lange hörten wir die Frage; wozu soll doch jene erste Unterscheidung dienen, zwischen dem Wesen, sofern es Grund ist und inwiefern es existiert? Denn entweder gibt es für die beiden keinen gemeinsamen Mittelpunkt: dann müssen wir uns für den absoluten Dualismus erklären. Oder es gibt einen solchen: so fallen beide in der letzten Betrachtung wieder zusammen. Wir haben dann Ein Wesen für alle Gegensätze, eine absolute Identität von Licht und Finsternis, Gut und Bös und alle die ungereimten Folgen, auf die jedes Vernunftsystem geraten muß, und die auch diesem System vorlängst nachgewiesen sind.

Was wir in der ersten Beziehung annehmen, haben wir bereits erklärt: es muß vor allem Grund und vor allem Existierenden, also überhaupt vor aller Dualität, ein Wesen sein; wie können wir es anders nennen als den Urgrund oder vielmehr Ungrund? Da es vor allen Gegensätzen vorhergeht, so können diese in ihm nicht unterscheidbar noch auf irgend eine Weise vorhanden sein. Es kann daher nicht als die Identität, es kann nur als die absolute Indifferenz beider bezeichnet werden. Die meisten, wenn sie bis zu dem Punkt der Betrachtung kommen, wo sie ein Verschwinden aller Gegensätze erkennen müssen, vergessen, daß diese nun wirklich verschwunden sind, und prädizieren sie wieder als solche von der Indifferenz, die ihnen doch eben durch ein gänzliches Aufhören derselben entstanden war. Die Indifferenz ist nicht ein Produkt der Gegensätze, noch sind sie implicite in ihr enthalten, sondern sie ist ein eignes von allem Gegensatz geschiedenes Wesen, an dem alle Gegensätze sich brechen, das nichts anderes ist als eben das Nichtsein derselben, und das darum auch kein Prädikat hat als eben das der Prädikatlosigkeit, ohne daß es deswegen ein Nichts oder ein Unding wäre. Entweder also sie setzen in dem vor allem Grund vorhergehenden Ungrund wirklich die Indifferenz: so haben sie weder gut noch bös (denn[502] daß die Erhebung des Gegensatzes von Gut und Bös auf diesen Standpunkt überhaupt unstatthaft ist, lassen wir einstweilen auf sich beruhen) – und können von ihm auch weder das eine noch das andere, noch auch beides zugleich prädizieren. Oder sie setzen Gut und Bös: so setzen sie auch gleich die Dualität und also schon nicht mehr den Ungrund oder die Indifferenz. Zur Erläuterung des letzten sei Folgendes gesagt! Reales und Ideales, Finsternis und Licht, oder wie wir die beiden Prinzipien sonst bezeichnen wollen, können von dem Ungrund niemals als Gegensätze prädiziert werden. Aber es hindert nichts, daß sie nicht als Nichtgegensätze, d.h. in der Disjunktion und jedes für sich von ihm prädiziert werden, womit aber eben die Dualität (die wirkliche Zweiheit der Prinzipien) gesetzt ist. In dem Ungrund selbst ist nichts, wodurch dies verhindert würde. Denn eben weil er sich gegen beide als totale Indifferenz verhält, ist er gegen beide gleichgültig. Wäre er die absolute Identität von beiden, so könnte er nur beide zugleich sein, d.h. beide müßten als Gegensätze von ihm prädiziert werden, und wären dadurch selber wieder eins. Unmittelbar aus dem Weder – Noch oder der Indifferenz bricht also die Dualität hervor (die etwas ganz anderes ist als Gegensatz, wenn wir auch bisher, da wir noch nicht zu diesem Punkt der Untersuchung gelangt waren, beides als gleichbedeutend gebraucht haben sollten), und ohne Indifferenz, d.h. ohne einen Ungrund, gäbe es keine Zweiheit der Prinzipien. Anstatt also, daß dieser die Unterscheidung wieder aufhöbe, wie gemeint wurde, setzt und bestätigt er sie vielmehr. Weit entfernt, daß die Unterscheidung zwischen dem Grund und dem Existierenden eine bloß logische, oder nur zur Aushilfe herbeigerufene und am Ende wieder als unecht zu befindende gewesen wäre, zeigte sie sich vielmehr als eine sehr reelle Unterscheidung, die von dem höchsten Standpunkt aus erst recht bewährt und völlig begriffen wurde.

Nach dieser dialektischen Erörterung können wir uns also ganz bestimmt auf folgende Art erklären. Das Wesen des Grundes, wie das des Existierenden, kann nur das vor allem Gründe Vorhergehende sein, also das schlechthin betrachtete Absolute, der Ungrund. Er kann es aber (wie bewiesen) nicht anders sein,[503] als indem er in zwei gleich ewige Anfänge auseinandergeht, nicht daß er beide zugleich, sondern daß er in jedem gleicherweise, also in jedem das Ganze, oder ein eignes Wesen ist. Der Ungrund teilt sich aber in die zwei gleich ewigen Anfänge, nur damit die zwei, die in ihm, als Ungrund, nicht zugleich oder Eines sein konnten, durch Liebe eins werden, d.h. er teilt sich nur, damit Leben und Lieben sei und persönliche Existenz. Denn Liebe ist weder in der Indifferenz, noch wo Entgegengesetzte verbunden sind, die der Verbindung zum Sein bedürfen, sondern (um ein schon gesagtes Wort zu wiederholen) dies ist das Geheimnis der Liebe, daß sie solche verbindet, deren jedes für sich sein könnte und doch nicht ist, und nicht sein kann ohne das andere36. Darum sowie im Ungrund die Dualität wird, wird auch die Liebe, welche das Existierende (Ideale) mit dem Grund zur Existenz verbindet. Aber der Grund bleibt frei und unabhängig von dem Wort bis zur endlichen gänzlichen Scheidung. Dann löst er sich auf, wie im Menschen, wenn er zur Klarheit übergeht und als bleibendes Wesen sich gründet, die anfängliche Sehnsucht sich löst, indem alles Wahre und Gute in ihr ins lichte Bewußtsein erhoben wird, alles andere aber, das Falsche nämlich und Unreine, auf ewig in die Finsternis beschlossen, um als ewig dunkler Grund der Selbstheit, als Caput mortuum seines Lebensprozesses und als Potenz zurückzubleiben, die nie zum Aktus hervorgehen kann. Dann wird alles dem Geist unterworfen: in dem Geist ist das Existierende mit dem Grunde zur Existenz eins; in ihm sind wirklich beide zugleich, oder er ist die absolute Identität beider. Aber über dem Geist ist der anfängliche Ungrund, der nicht mehr Indifferenz (Gleichgültigkeit) ist, und doch nicht Identität beider Prinzipien, sondern die allgemeine, gegen alles gleiche und doch von nichts ergriffene Einheit,[504] das von allem freie und doch alles durchwirkende Wohltun, mit Einem Wort die Liebe, die Alles in Allem ist.

Wer also (wie vorhin) sagen wollte: es sei in diesem System Ein Prinzip für alles, es sei ein und dasselbe Wesen, das im finstern Naturgrund und das in der ewigen Klarheit waltet, ein und dasselbe, das die Härte und Abgeschnittenheit der Dinge, und das die Einheit und Sanftmut wirkt, das nämliche, das mit dem Willen der Liebe im Guten und mit dem Willen des Zornes im Bösen herrscht, der hätte, obgleich er das alles ganz richtig sagt, doch dies nicht zu vergessen: daß das Eine Wesen in seinen zwei Wirkungsweisen sich wirklich in zwei Wesen scheidet, daß es in dem einen bloß Grund zur Existenz, in dem andern bloß Wesen (und darum nur ideal ist); ferner daß nur Gott als Geist die absolute Identität beider Prinzipien, aber nur dadurch und insofern ist, daß und inwiefern beide seiner Persönlichkeit unterworfen sind. Wer aber vollends auf dem höchsten Standpunkt dieser Ansicht eine absolute Identität des Guten und Bösen fände, zeigte seine gänzliche Unkunde, indem Böses und Gutes durchaus keinen ursprünglichen Gegensatz, am allerwenigsten aber eine Dualität bilden. Dualität ist, wo sich wirklich zwei Wesen entgegenstehen. Das Böse aber ist kein Wesen, sondern ein Unwesen, das nur im Gegensatz eine Realität ist, nicht an sich. Auch ist die absolute Identität, der Geist der Liebe, eben darum eher als das Böse, weil dieses erst im Gegensatz mit ihm erscheinen kann. Daher es auch nicht von der absoluten Identität begriffen sein kann, sondern ewig von ihr ausgeschlossen und ausgestoßen ist37.

Wer endlich darum, weil in bezug auf das Absolute schlechthin betrachtet alle Gegensätze verschwinden, dieses System Pantheismus nennen wollte, dem möchte auch dieses vergönnt sein38. Wir[505] lassen gern jedem seine Weise, sich die Zeit, und was in ihr ist, verständlich zu machen. Der Name tuts nicht; auf die Sache kommt es an. Die Eitelkeit einer Polemik aus bloßen Allgemeinbegriffen philosophischer Systeme gegen ein Bestimmtes, das wohl mit ihnen manchen Berührungspunkt gemein haben kann und daher auch schon mit allen verwechselt worden ist, das aber in jedem einzelnen Punkt seine eigentümlichen Bestimmungen hat – die Eitelkeit einer solchen Polemik haben wir schon im Eingange zu dieser Abhandlung berührt. So ist es geschwind zu sagen, ein System lehre die Immanenz der Dinge in Gott; und doch wäre Z.B. in bezug auf uns damit nichts gesagt, ob es gleich nicht geradezu unwahr heißen könnte. Denn wir haben genugsam gezeigt, daß alle Naturwesen ein bloßes Sein im Grunde, oder in der noch nicht zur Einheit mit dem Verstande gelangten anfänglichen Sehnsucht haben, daß sie also in bezug auf Gott bloß peripherische[506] Wesen sind. Nur der Mensch ist in Gott, und eben durch dieses in-Gott-Sein der Freiheit fähig. Er allein ist ein Zentralwesen und soll darum auch im Zentro bleiben. In ihm sind alle Dinge erschaffen, so wie Gott nur durch den Menschen auch die Natur annimmt und mit sich verbindet. Die Natur ist das erste oder alte Testament, da die Dinge noch außer dem Zentro und daher unter dem Gesetze sind. Der Mensch ist der Anfang des neuen Bundes, durch welchen als Mittler, da er selbst mit Gott verbunden wird, Gott (nach der letzten Scheidung) auch die Natur annimmt und zu sich macht. Der Mensch ist also der Erlöser der Natur, auf den alle Vorbilder derselben zielen. Das Wort, das im Menschen erfüllt wird, ist in der Natur als ein dunkles, prophetisches (noch nicht völlig ausgesprochenes) Wort. Daher die Vorbedeutungen, die in ihr selbst keine Auslegung haben und erst durch den Menschen erklärt werden. Daher die allgemeine Finalität der Ursachen, die ebenfalls nur von diesem Standpunkt verständlich wird. Wer nun alle diese Mittelbestimmungen ausläßt oder übersieht, der hat leicht zu widerlegen. Es ist um die bloß historische Kritik zwar eine bequeme Sache. Man braucht dabei nichts selbst, aus eignem Vermögen, hinzustellen, und kann das Caute, per Deos! incede, latet ignis sub cinere doloso, trefflich beobachten. Dabei sind aber willkürliche und unbewiesene Voraussetzungen unvermeidlich. So um zu beweisen, daß es nur zwei Erklärungsarten des Bösen gebe – die dualistische, nach welcher ein böses Grundwesen, gleichviel mit welchen Modifikationen unter oder neben dem guten, angenommen wird, und die kabbalistische, nach welcher das Böse durch Emanation und Entfernung erklärt wird – und daß deshalb jedes andere System den Unterschied von Gut und Bös aufheben müsse; um dies zu beweisen, würde nichts weniger als die ganze Macht einer tief ersonnenen und gründlich ausgebildeten Philosophie erfordert. In dem System hat jeder Begriff seine bestimmte Stelle, an der er allein gilt, und die auch seine Bedeutung, so wie seine Limitation bestimmt. Wer nun nicht auf das Innere eingeht, sondern nur die allgemeinsten Begriffe aus dem Zusammenhange heraushebt, wie mag der das Ganze richtig beurteilen? So haben wir den bestimmten Punkt[507] des Systems aufgezeigt, wo der Begriff der Indifferenz allerdings der einzige vom Absoluten mögliche ist. Wird er nun allgemein genommen, so wird das Ganze entstellt, es folgt dann auch, daß dieses System die Personalität des höchsten Wesens aufhebe. Wir haben zu diesem oft gehörten Vorwurf wie zu manchem andern bisher geschwiegen, glauben aber in dieser Abhandlung den ersten deutlichen Begriff derselben aufgestellt zu haben. In dem Ungrund oder der Indifferenz ist freilich keine Persönlichkeit; aber ist denn der Anfangspunkt das Ganze? Nun fordern wir die, welche jenen Vorwurf so leichthin gemacht, auf, uns dagegen nach ihren Ansichten auch nur das geringste Verständliche über diesen Begriff vorzubringen. Überall finden wir vielmehr, daß sie die Persönlichkeit Gottes als unbegreiflich und auf keine Weise verständlich zu machen angeben, woran sie auch ganz recht tun, indem sie eben jene abstrakten Systeme, in denen alle Persönlichkeit überhaupt unmöglich ist, für die einzigen vernunftgemäßen halten, was vermutlich auch der Grund ist, daß sie jedem die nämlichen zutrauen, der nicht Wissenschaft und Vernunft verachtet. Wir im Gegenteil sind der Meinung, daß eben von den höchsten Begriffen eine klare Vernunfteinsicht möglich sein muß, indem sie nur dadurch uns wirklich eigen, in uns selbst aufgenommen und ewig gegründet weiden können. Ja, wir gehen noch weiter, und halten mit Lessing selbst die Ausbildung geoffenbarter Wahrheiten in Vernunftwahrheiten für schlechterdings notwendig, wenn dem menschlichen Geschlecht damit geholfen werden soll39. Ebenso sind wir überzeugt, daß, um jeden möglichen Irrtum (in eigentlich geistigen Gegenständen) darzutun, die Vernunft vollkommen hinreiche, und die Ketzerrichtende Miene bei Beurteilung philosophischer Systeme ganz entbehrlich sei40. Ein absoluter Dualismus von Gut und Bös in die Geschichte übergetragen, wonach in allen Erscheinungen und Werken des menschlichen Geistes entweder das eine oder das andere Prinzip herrscht, wonach es nur zwei[508] Systeme und zwei Religionen gibt, eine absolut gute und eine schlechthin böse; ferner die Meinung, daß alles vom Reinen und Lautem angefangen, und alle späteren Entwicklungen (die doch notwendig waren, um die in der ersten Einheit enthaltenen partiellen Seiten und dadurch sie selbst vollkommen zu offenbaren) nur Verderbnis und Verfälschungen gewesen: diese ganze Ansicht dient zwar in der Kritik als ein mächtiges Alexanders-Schwert, um überall den gordischen Knoten ohne Mühe entzwei zu hauen, führt aber in die Geschichte einen durchaus illiberalen und höchst beschränkenden Gesichtspunkt ein. Es war eine Zeit, die vor jener Trennung vorherging, und eine Weltansicht und Religion, die, obgleich der absoluten entgegengesetzt, doch aus eignem Gründe entsprang, und nicht aus Verfälschung der ersten. Das Heiligtum ist, historisch genommen, so ursprünglich als das Christentum und, wenn gleich nur Grund und Basis des Höheren, doch von keinem andern abgeleitet.

Diese Betrachtungen führen auf unsern Anfangspunkt zurück. Ein System, das den heiligsten Gefühlen, das dem Gemüt und sittlichen Bewußtsein widerspricht, kann, in dieser Eigenschaft wenigstens, nie ein System der Vernunft, sondern nur der Unvernunft heißen. Dagegen würde ein System, worin die Vernunft sich selbst wirklich erkennte, alle Anforderungen des Geistes wie des Herzens, des sittlichsten Gefühls wie des strengsten Verstandes vereinigen müssen. Die Polemik gegen Vernunft und Wissenschaft verstattet zwar eine gewisse vornehme Allgemeinheit, die genaue Begriffe umgeht, so daß wir leichter die Absichten derselben als ihren bestimmten Sinn erraten können. Indes fürchten wir, wenn wir es auch ergründeten, doch auf nichts Außerordentliches zu stoßen. Denn so hoch wir auch die Vernunft stellen, glauben wir doch z.B. nicht, daß jemand aus reiner Vernunft tugendhaft, oder ein Held, oder überhaupt ein großer Mensch sei; ja nicht einmal, nach der bekannten Rede, daß das Menschengeschlecht durch sie fortgepflanzt werde. Nur in der Persönlichkeit ist Leben; und alle Persönlichkeit ruht auf einem dunkeln Grunde, der also allerdings auch Grund der Erkenntnis sein muß. Aber nur der Verstand ist es, der das in diesem Grunde verborgene[509] und bloß potentialiter enthaltene herausbildet und zum Aktus erhebt. Dies kann nur durch Scheidung geschehen, also durch Wissenschaft und Dialektik, von denen wir überzeugt sind, daß sie allein es sein werden, die jenes öfter, als wir denken, da gewesene, aber immer wieder entflohene, uns allen vorschwebende und noch von keinem ganz ergriffene System festhalten und zur Erkenntnis auf ewig bringen werden. Wie wir im Leben eigentlich nur kräftigem Verstände trauen, und am meisten bei denen, die uns immer ihr Gefühl zur Schau legen, jedes wahre Zartgefühl vermissen, so kann auch, wo es sich um Wahrheit und Erkenntnis handelt, die Selbstheit, die es bloß bis zum Gefühl gebracht hat, uns kein Vertrauen abgewinnen. Das Gefühl ist herrlich, wenn es im Gründe bleibt; nicht aber, wenn es an den Tag tritt, sich zum Wesen machen und herrschen will. Wenn, nach den trefflichen Ansichten Franz Baaders, der Erkenntnistrieb die größte Analogie mit dem Zeugungstrieb hat41, so gibt es auch in der Erkenntnis etwas der Zucht und Verschämtheit Analoges, und dagegen auch eine Un-Zucht und Schamlosigkeit, eine Art faunischer Lust, die an allem herumkostet, ohne Ernst und ohne Liebe, etwas zu bilden oder zu gestalten. Das Band unserer Persönlichkeit ist der Geist, und wenn nur die werktätige Verbindung beider Prinzipien schaffend und erzeugend werden kann, so ist Begeisterung im eigentlichen Sinn das wirksame Prinzip jeder erzeugenden und bildenden Kunst oder Wissenschaft. Jede Begeisterung äußert sich auf eine bestimmte Weise; und so gibt es auch eine, die sich durch dialektischen Kunsttrieb äußert, eine eigentlich wissenschaftliche Begeisterung. Es gibt darum auch eine dialektische Philosophie, die als Wissenschaft bestimmt, z.B. von Poesie und Religion, geschieden, und etwas ganz für sich Bestehendes, nicht aber mit allem Möglichen nach der Reihe eins ist, wie die behaupten, welche jetzt in so vielen Schriften alles mit allem zu vermischen bemüht sind. Man sagt, die Reflexion sei gegen die Idee feindselig; aber gerade dies ist der höchste Triumph der Wahrheit, daß sie aus der äußersten Scheidung und Trennung dennoch[510] siegreich hervortritt. Die Vernunft ist in dem Menschen das, was nach den Mystikern das Primum passivum in Gott oder die anfängliche Weisheit ist, in der alle Dinge beisammen und doch gesondert, eins und doch jedes frei in seiner Art sind. Sie ist nicht Tätigkeit, wie der Geist, nicht absolute Identität beider Prinzipien der Erkenntnis, sondern die Indifferenz; das Maß und gleichsam der allgemeine Ort der Wahrheit, die ruhige Stätte, darin die ursprüngliche Weisheit empfangen wird, nach welcher, als dem Urbild hinblickend, der Verstand bilden soll. Die Philosophie hat ihren Namen einerseits von der Liebe, als dem allgemein begeisternden Prinzip, andererseits von dieser ursprünglichen Weisheit, die ihr eigentliches Ziel ist.

Wenn der Philosophie das dialektische Prinzip, d.h. der sondernde, aber eben darum organisch ordnende und gestaltende, Verstand, zugleich mit dem Urbild, nach dem er sich richtet, entzogen wird, so, daß sie in sich selbst weder Maß noch Regel mehr hat: so bleibt ihr allerdings nichts anderes übrig, als daß sie sich historisch zu orientieren sucht, und die Überlieferung, an welche bei einem gleichen Resultat schon früher verwiesen worden, zur Quelle und Richtschnur nimmt. Dann ist es Zeit, wie man die Poesie bei uns durch die Kenntnis der Dichtungen aller Nationen zu begründen meinte, auch für die Philosophie eine geschichtliche Norm und Grundlage zu suchen. Wir hegen die größte Achtung für den Tiefsinn historischer Nachforschungen, und glauben gezeigt zu haben, daß die fast allgemeine Meinung, als habe der Mensch erst allmählich von der Dumpfheit des tierischen Instinkts zur Vernunft sich aufgerichtet, nicht die unserige sei. Dennoch glauben wir, daß die Wahrheit uns näher liege, und daß wir für die Probleme, die zu unserer Zeit rege geworden sind, die Auflösung zuerst bei uns selbst und auf unserem eignen Boden suchen sollen, ehe wir nach so entfernten Quellen wandeln. Die Zeit des bloß historischen Glaubens ist vorbei, wenn die Möglichkeit unmittelbarer Erkenntnis gegeben ist. Wir haben eine ältere Offenbarung als jede geschriebene, die Natur. Diese enthält Vorbilder, die noch kein Mensch gedeutet hat, während die der geschriebenen ihre Erfüllung und Auslegung längst erhalten haben. Das einzig wahre System der Religion und Wissenschaft würde,[511] wenn das Verständnis jener ungeschriebenen Offenbarung eröffnet wäre, nicht in dem dürftig zusammengebrachten Staat einiger philosophischen und kritischen Begriffe, sondern zugleich in dem vollen Glänze der Wahrheit und der Natur erscheinen. Es ist nicht die Zeit, alte Gegensätze wieder zu erwecken, sondern das außer und über allem Gegensatz Liegende zu suchen.

Gegenwärtiger Abhandlung wird eine Reihe anderer folgen, in denen das Ganze des ideellen Teils der Philosophie allmählich dargestellt wird.[512]


3

Sext. Empir. adv. Grammaticos L. I, c. 13, p. 238. ed. Fabric. A. d. O.

4

Frühere Behauptungen der Art sind bekannt. Ob die Äußerung von Fr. Schlegel in der Schrift: Über die Sprache und Weisheit der Indier S. 141: »der Pantheismus ist das System der reinen Vernunft« etwa einen andern Sinn haben könne, lassen wir dahingestellt. A. d. O.

5

Auch Hr. Reinhold, welcher die ganze Philosophie durch Logik umschaffen wollte, der aber nicht zu kennen scheint, was schon Leibniz, in dessen Fußtapfen er zu wandeln sich vorstellt, bei Gelegenheit der Einwürfe des Wissowatius (Opp. T. I ed. Dutens, p. 11) über den Sinn der Copula gesagt hat, zerarbeitet sich noch immer an diesem Irrsal, nach welchem er Identität mit Einerleiheit verwechselt. In einem vor uns liegenden Blatt steht folgende von ihm herrührende Stelle: »Nach der Anforderung Platons und Leibnizens besteht die Aufgabe der Philosophie in Aufweisung der Unterordnung des Endlichen unter das Unendliche, nach der Anforderung Xenophanes, Brunos, Spinozas, Schellings im Aufweisen der unbedingten Einheit beider.« Inwiefern hier Einheit dem Gegensatz zufolge offenbar Gleichheit bezeichnen soll, versichere ich Hrn. Reinhold, daß er, wenigstens was die beiden letzten betrifft, sich im Irrtum befinde. Wo ist für die Unterordnung des Endlichen unter das Unendliche ein schärferer Ausdruck zu finden als der obige des Spinoza? Die Lebenden müssen sich der nicht mehr Gegenwärtigen wider Verunglimpfungen annehmen, wie wir erwarten, daß im gleichen Falle die nach uns Lebenden in Ansehung unsrer tun werden. Ich rede nur von Spinoza, und frage, wie man dieses Verfahren nennen soll, über Systeme, ohne sie gründlich zu kennen, in den Tag hinein zu behaupten, was man gut findet, gleich als wäre es eben eine Kleinigkeit, ihnen dies oder jenes anzudichten? In der gewöhnlichen sittlichen Gesellschaft würde es gewissenlos genannt werden. – Nach einer andern Stelle in dem nämlichen Blatt liegt für Hrn. R. der Grundfehler aller neueren Philosophie, ebenso wie jener älteren, in der Nichtunterscheidung (Verwirrung, Verwechslung) der Einheit (Identität) mit dem Zusammenhang (Nexus), so wie der Verschiedenheit (Diversität) mit dem Unterschiede. Es ist nicht das erste Beispiel, daß Hr. R. in seinen Gegnern eben die Fehler findet, die er zu ihnen mitgebracht hat. Es scheint dies die Art zu sein, wie er die nötige Medicina mentis für sich gebraucht; wie man Beispiele haben will, daß Personen von reizbarer Einbildungskraft durch Arzneien, die sie andere für sich nehmen ließen, genesen sind. Denn wer begeht diesen Fehler der Verwechslung – dessen, was er Einheit nennt, was aber Einerleiheit ist – mit dem Zusammenhang in bezug auf ältere und neuere Philosophie bestimmter als eben Hr. R. selbst, der das Begriffensein der Dinge in Gott dem Spinoza als behauptete Gleichheit beider auslegt, und der allgemein die Nichtverschiedenheit (der Substanz oder dem Wesen nach) für einen Nichtunterschied (der Form oder dem logischen Begriff nach) hält. Wenn Spinoza wirklich so zu verstehen ist, wie ihn Hr. Reinhold auslegt, so müßte auch der bekannte Satz, daß das Ding und der Begriff des Dings eins ist, so verstanden werden, als könnte man z.B. den Feind anstatt mit einer Armee mit dem Begriff einer Armee schlagen usw., Konsequenzen, zu denen der ernsthafte und nachdenkliche Mann sich doch gewiß selbst zu gut findet. A. d. O.

6

Den Rat. den Hr. Fr. Schlegel in einer Rezension der neueren Schriften Fichtes in den Heidelbergischen Jahrb. der Literatur (1. Jahrg., 6. Heft, S. 139) dem letzten erteilt, sich bei seinen polemischen Unternehmungen ausschließlich an den Spinoza zu halten, weil bei diesem allein das der Form und Konsequenz nach durchaus vollendete System des Pantheismus – welcher nach der oben angeführten Äußerung zugleich das System der reinen Vernunft wäre – angetroffen werde; dieser Rat mag zwar übrigens gewisse Vorteile gewähren, fällt aber doch dadurch ins Sonderbare, daß Hr. Fichte ohne Zweifel der Meinung ist, den Spinozismus (als Spinozismus) bereits durch die Wissenschaftslehre widerlegt zu haben, woran er auch ganz Recht hat. – Oder ist der Idealismus vielleicht kein Werk der Vernunft, und bleibt die vermeintliche traurige Ehre, Vernunftsystem zu sein, wirklich nur dem Pantheismus und Spinozismus? A. d. O.

7

Hr. Fr. Schlegel hat das Verdienst, in seiner Schrift über Indien und an mehreren Orten diese Schwierigkeit besonders gegen den Pantheismus geltend gemacht zu haben; wobei bloß zu bedauern ist, daß dieser scharfsinnige Gelehrte seine eigne Ansicht vom Ursprung des Bösen und seinem Verhältnis zum Guten nicht mitzuteilen für gut befunden hat.

8

Ennead. I, L. VIII, c. 8.

9

Man s. dieselbe in der Zeitschr. für spekul. Physik Bd. II, Heft 2, § 54 Anm. [oben Bd. II, 350] ferner Anm. 1 zu § 93 und die Erklärung S. 114. [ob. Bd. II, 407].

10

A. a. O. S. 59. 60. [ob. Bd. II, 367].

11

Ebendas. S. 41. [ob. Bd. II, 350].

12

Das S. 114. [ob. Bd. II, 407].

13

Es ist dies der einzig rechte Dualismus, nämlich der, welcher zugleich eine Einheit zuläßt. Oben war von dem modifizierten Dualismus die Rede, nach welchem das böse Prinzip dem guten nicht bei-, sondern untergeordnet ist. Kaum ist zu fürchten, daß jemand das hier aufgestellte Verhältnis mit jenem Dualismus verwechseln werde, in welchem das Untergeordnete immer ein wesentlich-böses Prinzip ist und eben darum seiner Abkunft aus Gott nach völlig unbegreiflich bleibt. A. d. O.

14

In dem Sinne, wie man sagt: das Wort des Rätsels. A. d. O.

15

In der Abhandlung: »Über die Behauptung, daß kein übler Gebrauch der Vernunft sein kann«, im Morgenblatt 1807, Nr. 197, und: »Über Starres und Fließendes«, in den Jahrbüchern der Medizin als Wissenschaft III. Bd., 2. Heft. Zur Vergleichung und weitem Erläuterung stehe auch hier die hierher bezügliche Anmerkung am Ende dieser Abhandlung S. 203: »Einen lehrreichen Aufschluß gibt hier das gemeine Feuer (als wilde, verzehrende, peinliche Glut) im Gegensatze der sogenannten organischen wohltuenden Lebensglut, indem hier Feuer und Wasser in Einem (wachsenden) Grunde zusammen, oder in Konjunktion eingehen, während sie dort in Zwietracht auseinander treten. Nun war aber weder Feuer noch Wasser, als solche, d.h. als geschiedene Sphären im organischen Prozesse, sondern jenes war als Zentrum (mysterium), dieses als offen oder Peripherie in ihm, und eben die Aufschließung, Erhebung, Entzündung des ersten zusammen mit der Verschließung des zweiten gab Krankheit und Tod. So ist nun allgemein die Ichheit, Individualität freilich die Basis, das Fundament oder natürliches Zentrum jedes Kreaturlebens; sowie selbes aber aufhört dienendes Zentrum zu sein und herrschend in Peripherie tritt, brennt es als tantalischer Grimm der Selbstsucht und des Egoismus (der entzündeten Ichheit) in ihr. Aus Ù wird nun ÿ – das heißt: an einer einzigen Stelle des Planetensystems ist jenes finstere Naturzentrum verschlossen, latent, und dient eben darum als Lichtträger dem Eintritt des höheren Systems (Lichteinstrahl- oder Offenbarung des Ideellen). Eben darum ist also diese Stelle der offene Punkt (Sonne – Herz – Auge) im Systeme – und erhöbe oder öffnete sich auch dort das finstere Naturzentrum, so verschlösse sich eo ipso der Lichtpunkt, das Licht würde zur Finsternis im System, oder die Sonne erlösche!« A. d. O.

16

Tentam. theod. Opp. T. I., p. 136.

17

Ebendas. S. 240.

18

Ebendas. S. 387.

19

Es ist in dieser Beziehung auffallend, daß nicht erst die Scholastiker, sondern schon unter den früheren Kirchenvätern mehrere, vorzüglich Augustinus, das Böse in eine bloße Privation setzten. Merkwürdig ist besonders die Stelle contr. Jul. L. 1, C. III: Quaerunt ex nobis, unde sit malum? Respondemus ex bono, sed non summo, ex bonis igitur orta sunt mala. Mala enim omnia participant ex bono, merum enim et ex omni parte tale dari repugnat. – – Haud vero difficulter omnia expediet, qui conceptum mali semel recte formaverit, eumque semper defectum aliquem involvere attenderit, perfectionem autem omnimodam in communicabiliter possidere Deum; neque magis possibile esse, creaturam illimitatam adeoque independentem creari, quam creari alium Deum.

20

Tentam. theod. p. 242.

21

Ebendas. P. I. § 30.

22

Aus dem gleichen Grunde muß jede andere Erklärung der Endlichkeit, z.B. aus dem Begriff der Relationen, zur Erklärung des Bösen unzureichend sein. Das Böse kommt nicht aus der Endlichkeit an sich, sondern aus der zum Selbstsein erhobenen Endlichkeit.

23

In der oben angeführten Abhandlung im Morgenblatt 1807, S. 786.

24

Augustinus sagt gegen die Emanation: aus Gottes Substanz könne nichts hervorgehen denn Gott; darum sei die Kreatur aus Nichts erschaffen, woher ihre Korruptibilität und Mangelhaftigkeit komme (de lib. arb. L. I, C. 2). Jenes Nichts ist nun schon lange das Kreuz des Verstandes. Einen Aufschluß gibt der Ausdruck der Schrift: der Mensch sei ek tôn mê ontôn, aus dem, das da nicht ist, geschaffen, so wie das berühmte mê on der Alten, welches, so wie die Schöpfung aus Nichts, durch die obige Unterscheidung zuerst eine positive Bedeutung bekommen möchte.

25

Möge es einst der treffliche Erklärer des Platon, oder noch früher der wackere Böckh aufhellen, der dazu schon durch seine Bemerkungen bei Gelegenheit der von ihm dargestellten Platonischen Harmonik und durch die Ankündigung seiner Ausgabe des Timäos die besten Hoffnungen gegeben hat.

26

So ist die nahe Verbindung, in welche die Imagination aller Völker, besonders alle Fabeln und Religionen des Morgenlandes, die Schlange mit dem Bösen setzen, gewiß nicht umsonst. Die vollkommene Ausbildung der Hilfsorgane, die im Menschen aufs Höchste gediehen ist, deutet nämlich schon die Unabhängigkeit des Willens von den Begierden oder ein Verhältnis von Zentrum und Peripherie an, welches das einzig eigentlich gesunde ist, in dem das erste in seine Freiheit und Besonnenheit zurückgetreten sind, und vom bloß Werkzeuglichen (Peripherischen) sich geschieden hat. Wo hingegen die Hilfsorgane nicht ausgebildet sind oder ganz mangeln, da ist das Zentrum in die Peripherie getreten, oder es ist der mittelpunktlose Ring in der oben (in der Anmerkung) angeführten Stelle von Fr. Baader.

27

Man vergleiche mit diesem ganzen Abschnitt des Verfassers Vorlesungen über die Methode des akademischen Studiums, VIII. Vorlesung über die historische Konstruktion des Christentums [oben II, 616 ff.].

28

So Luther im Traktat de servo arbitrio: mit Recht, wenn er auch die Vereinigung einer solchen unfehlbaren Notwendigkeit mit der Freiheit der Handlungen nicht auf die rechte Art begriffen.

29

Der Platonische Ausdruck im Timäos S. 349, Vol. IX. der Zweibr. Ausg.; früher in Tim. Locr. de an. mundi, ebendas. S. 5

30

Sehr richtige Bemerkungen über diese moralische Genialität des Zeitalters enthält die mehrmals angeführte Rezension von Hrn. Fr. Schlegel in den Heidelb. Jahrbüchern, S. 154.

31

Ein junger Mann, der wahrscheinlich, wie jetzt viele andere, zu hochmütig, den ehrlichen Weg Kants zu wandeln, und doch unfähig, sich zum wirklich Besseren zu erheben, ästhetisch irre redet, hat bereits eine solche Begründung der Moral durch Ästhetik angekündigt. Bei solchen Fortschritten wird vielleicht aus dem Kantischen Scherz, den Euklides als eine etwas schwerfällige Anleitung zum Zeichnen zu betrachten, auch noch Ernst werden.

32

Tentam. theod. Opp. T. I, p. 365. 366.

33

Kleeblatt hellenistischer Briefe II, S. 196.

34

Tentam. theod. p. 139: »Ex bis concludendum est, Deum antecedenter velle omne bonum in se, velle consequenter optimum tanquam finem; indifferens et malum physicum tanquam medium; sed velle tantum permittere malum morale, tanquam conditionem, sine qua non obtineretur optimum, ita nimirum, ut malum nonnisi titulo necessitatis hypotheticae, id ipsum cum optimo connectentis, admittatur«. – p. 292: Quod ad vitium attinet, superius ostensum est, illud non esse objectum decreti divini, tanquam medium, sed tanquam conditionem sine qua non – et ideo duntaxat permitti. – Diese zwei Stellen enthalten den Kern der ganzen Leibnizischen Theodicee.

35

Philosophie und Religion, (Tübingen. 1804) S. 73. [I, VI., S. 63].

36

Aphorismen über die Naturphilosophie in den Jahrbüchern der Medizin als Wissenschaft. Bd. I, Heft 1. Aphor. 162. 163. [I, VII 174:

162. Der Unterschied einer göttlichen Identität von einer bloß endlichen ist, daß in jener nicht Entgegengesetzte verbunden werden, die der Verbindung bedürfen, sondern solche, deren jedes für sich sein könnte und doch nicht ist ohne das andere.

163. Dies ist das Geheimnis der ewigen Liebe, daß, was für sich absolut sein möchte, dennoch es für keinen Raub achtet, es für sich zu sein, sondern es nur in und mit dem andern ist. Wäre nicht jedes ein Ganzes, sondern nur Teil des Ganzen, so wäre nicht Liebe: Darum aber ist Liebe, weil jedes ein Ganzes ist und dennoch nicht ist und nicht sein kann ohne das andere.

37

Hieraus erhellt, wie sonderbar es ist, zu fordern, daß der Gegensatz von Gut und Bös gleich in den ersten Prinzipien erklärt werde. So reden muß freilich, wer Gut und Bös für eine wirkliche Dualität und den Dualismus für das vollkommenste System hält.

38

Niemand kann mehr als der Verfasser in den Wunsch einstimmen, den Hr. Fr. Schlegel in den Heidelb. Jahrb. H. 2, S. 242 äußert, daß der unmännliche pantheistische Schwindel in Deutschland aufhören möge, besonders, da Hr. S. auch die ästhetische Träumerei und Einbildung dazusetzt, und inwiefern wir zugleich die Meinung von der allsschließenden Vernunftmäßigkeit des Spinozismus mit zu jenem Schwindel rechnen dürfen. Es ist zwar in Deutschland, wo ein philosophisches System Gegenstand literarischer Industrie wird, und so viele, denen die Natur selbst für alltägliche Dinge den Verstand versagt hat, sich zum Mitphilosophieren berufen glauben, sehr leicht, eine falsche Meinung, ja sogar einen Schwindel zu erregen. Beruhigen kann wenigstens das Bewußtsein, ihn nie persönlich begünstigt oder durch eigne hilfreiche Unterstützung aufgemuntert zu haben, sondern mit Erasmus (so wenig man sonst mit ihm gemein haben mag) sagen zu können: semper solus esse volui nihilque pejus odi quam juratos et factiosos. Der Verfasser hat nie durch Stiftung einer Sekte andern, am wenigsten sich selbst die Freiheit der Untersuchung nehmen wollen, in welcher er sich noch immer begriffen erklärte und wohl immer begriffen erklären wird. Den Gang, den er in gegenwärtiger. Abhandlung genommen, wo, wenn auch die äußere Form des Gesprächs fehlt, doch alles wie gesprächsweise entsteht, wird er auch künftig beibehalten. Manches konnte hier schärfer bestimmt und weniger lässig gehalten, manches vor Mißdeutung ausdrücklicher verwahrt werden. Der Verf. unterließ es zum Teil absichtlich. Wer es nicht so von ihm nehmen kann oder will, der nehme überhaupt nichts von ihm, er suche andere Quellen. Vielleicht aber, daß, von unberufenen Nachfolgern und Gegnern, dieser Abhandlung die Achtung zuteil wird, die sie der früheren, verwandten Schrift Philosophie und Religion durch gänzliches Ignorieren erwiesen haben, wozu die ersten gewiß weniger durch die Drohworte der Vorrede oder die Darstellungsart, als durch den Inhalt selbst bewogen wurden.

39

Erziehung des Menschengeschlechts, § 76.

40

Besonders wenn man auf der andern Seite da nur von Ansichten reden will, wo man von alleinseligmachenden Wahrheiten sprechen sollte.

41

Man s. die Abhandlung obigen Inhalts in den Jahrbüchern für Medizin. Bd. III, 1. Heft, S. 113.

Quelle:
Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling: Werke. Band 3, Leipzig 1907.
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