Dreizehnte Vorlesung

[651] Die Wissenschaft, die über allen Wissenschaften ist, und ehe sie für sich selbst da ist, für die andern da ist, – denn keine von diesen rechtfertigt sich wegen ihres Gegenstandes, die Physik z.B., wenn man verlangte, sie solle erst das Dasein der Materie beweisen, würde sich wenig daran kehren und den Fragenden auffordern, die Antwort in einer andern Wissenschaft zu suchen, und ebenso folgt jede andere gewissen allgemeinen und besondern Voraussetzungen, ohne über dieselben Rede zu stehen oder sie auf die letzten Gründe zu verfolgen; wegen dieser verweisen sie einstimmig an eine Wissenschaft, die sich ausdrücklich mit ihnen beschäftige, und die sie demnach nicht bloß außer sich, sondern über sich setzen: – die Wissenschaft also, die über allen Wissenschaften ist, sucht auch den Gegenstand, der über allen Gegenständen ist, und dieser wieder kann nicht ein seiendes sein (denn was immer ein solches, ist schon von irgend einer der andern Wissenschaften in Beschlag genommen), kann nur der sein, von welchem zu sagen ist, daß er das Seiende ist66.[651]

Dieser Gegenstand kann schon um seiner selbst willen vorzugsweise gesucht sein, denn da das menschliche Wesen überhaupt des Erkennens begehrend ist, wird es natürlich am meisten dessen begehren, in dem am meisten zu erkennen ist, und wenn wir nach Aristoteles auch die durch die bloßen Sinne uns kommenden Erkenntnisse nicht bloß unseres Vergnügens oder unserer Bedürfnisse halber, sondern um ihrer selbst willen lieben, und unter diesen diejenigen am meisten, durch welche wir am meisten erkennen (schon ein altes Buch sagt: das Auge sieht sich nimmer satt und das Ohr hört sich nicht satt), so wird uns die Erkenntnis des Gegenstandes, der über allen Gegenständen ist und in dem alle begriffen sind, die am meisten um ihrer selbst willen begehrenswerte sein, und schon dieses Begehren möchte den Namen Philosophie verdienen; denn auch die bloße Erkenntnis jenes Gegenstandes für sich und ohne alle weitere Folge wäre schon die höchste mögliche sophia zu nennen, und wenn man darauf sieht, daß sie erworben, in diesem Sinn gelernt werden muß, an sich das höchste zu Lernende, das megiston mathêma, wie Platon sich ausdrückt.

Aber allerdings wird dieser Gegenstand nicht bloß um seiner selbst willen gesucht, sondern um der Wissenschaft willen, nämlich in der Absicht, daß sich uns alles andere von ihm ableite. In dieser Beziehung wird er denn auch das Prinzip genannt. Gelingt diese Ableitung, so wird die dadurch entstandene Wissenschaft die deduktive im höchsten Sinne sein. Denn unter die deduktiven im Allgemeinen gehören auch die insbesondere demonstrativ genannten (die mathematischen). Diese jedoch setzen sich gewisse Grenzen, die sie nicht überschreiten; ihre Ausgangspunkte sind Definitionen auch in dem Sinn wie Begrenzungen (horismoi), die sie sich selbst geben, um nicht auf das zu geraten, wovon keine Deduktion mehr möglich ist. Dafür haben diese Wissenschaften auch nacht den unbedingten Verstand der Sachen, sondern nur von diesen Grenzpunkten an, und eben darum geht auch die entwickelnde Kraft des Inhalts nicht vom Gegenstande selbst aus, sondern fällt bloß in das Subjekt und bewirkt doch nur bedingte Überzeugung. Ableitend also und zwar vom hohem, vom unbedingten Prinzip ist die höchste Wissenschaft.[652]

Wie sie jedoch in der Ableitung sich verhält, liegt uns noch ferne. Die erste Frage ist, wie zum Prinzip gelangt werde. Dies wurde in der letzten Vorlesung gezeigt, aber keineswegs allgemein ausgesprochen und erklärt. Es ist z.B. nicht gesagt, ob jenes Zeigen selbst ein wissenschaftliches sei, und wenn nicht Wissenschaft, was denn sonst. Daß aber auch der Weg zum Prinzip selbst wieder Wissenschaft sei, scheint offenbar undenkbar. Man kann alles vom Prinzip ableiten, das Prinzip selbst von nichts, denn über ihm ist nichts, und wenn alle andern Wissenschaften freiwillig an eine höchste verweisen, die nicht wieder eine Wissenschaft wie sie, sondern nur die Wissenschaft schlechthin, die Wissenschaft selbst sein kann, die darum auch nicht von einem Prinzip, sondern nur von dem, was schlechthin und gegen alles Prinzip ist, ausgehen kann: so wäre widersinnig zu denken, daß diese Wissenschaft selbst wieder auf Wissenschaft zurückweise, und die Sache so ins Unendliche gehe; einmal also muß die Wissenschaft kommen, der nicht wieder Wissenschaft in gleichem Sinn, selbst schon von einem Prinzip abgeleitete, vorausgehen kann67.

Wenn aber keine Wissenschaft, eine Methode wenigstens muß es geben, die zum Prinzip führt. Außer der deduktiven, die vom Prinzip als dem Allgemeinen zum Besondern geht, kann es aber nur eine zweite geben, die des umgekehrten Wegs, vom Besondern zum Allgemeinen, also die insgemein induktiv genannte. Wie sollte nun aber die induktive hier anwendbar sein? Denn woher soll uns das Besondere, das der Weg zum Allgemeinen ist, kommen?

Erinnern wir uns also an die Unterschiede des Seins, die wir in der letzten Vorlesung gefunden haben, dort zwar nur im Verlauf einer geschichtlichen Entwicklung und nicht ohne von dem durch Kant gegebenen Begriff (eines Inbegriffs aller Möglichkeiten) auszugehen: sie zeigen, daß einiges nur in gewissem Sinn das Seiende ist, also es nicht unbedingt ist, sondern ist und nicht ist, ist in einem, nicht ist in andrem Sinn, also nur bedingt, nur hypothetisch ist, d.h. es eigentlich nur sein[653] kann, und daß von dem erst, das alle Arten des Seins in sich allein ist, sich sagen läßt, daß es das Seiende ist. Hier ging demnach der Weg von dem, was das Seiende nur auf besondere Weise ist und es daher überhaupt nur sein kann, zu dem, was allgemein, was schlechthin es ist, und wäre nun ein solcher Weg nicht eben auch Induktion zu nennen? Gewiß; aber nach dem Begriff, den man gewöhnlich mit diesem Wort verbindet, nur alsdann, wenn die Elemente dieser Induktion aus Erfahrung geschöpft wären.

Undenkbar im Allgemeinen wäre es nun gewiß nicht, daß die Wissenschaft zwar vom unbedingten Prinzip aus in stetiger Folge zum erfahrungsmäßig Gegebenen herabstiege und in diesem Sinn a priori entstünde, das Prinzip selbst aber nur durch Ausgehen von Erfahrung und dem a posteriori Gegebenen erlangt würde. Denn so – nämlich allgemein müßte dies ausgedrückt werden, weil nicht davon die Frage sein kann, wie der Einzelne zur Wissenschaft überhaupt komme, und insofern also auch das aristotelische Wort nicht anwendbar ist, daß die ersten Begriffe uns durch Induktion bekannt werden müssen. Denn schon ohnedies wird sich niemand vorstellen, daß die Seele, die noch vollkommen einer tabula rasa gleicht, sich zur Philosophie erhebe, und nicht vielmehr derjenige erst, welcher die ganze Weite und Tiefe des zu Begreifenden durch Erfahrung kennen gelernt hat, der zur Philosophie Berufenste sei. Und auch dem, welcher sich zum höchsten Standpunkt und zum Gedanken von dort herleitender Wissenschaft erhoben, auch diesem wird ja eben damit nur eine neue Schule von Erfahrung sich eröffnen. Individuelle Erfahrungen aber lassen sich nur in der Form von Bekenntnissen mitteilen, und ich meine nicht zu irren, wenn ich glaube, manche wären lehrreicher erschienen, wenn sie sich auf Bekenntnisse beschränkt hätten, anstatt Philosophen von Profession sein zu wollen. Den innern Fortgang des Individuums von den ersten Eindrücken bis zu wirklicher Philosophie hat der arabische Philosoph Ibn Joktan darzustellen gesucht in der bekannten Erzählung, die Eduard Pococke unter dem Titel: Philosophus autodidactus herausgegeben. Was aber vom Individuum, muß auch von der Gesamtheit gelten, und am wenigsten wohl werden wir, die soeben gezeigt haben,[654] über welche Stufen die neuere Philosophie, um die ihr durch das Christentum gewordene Aufgabe zu erfüllen, bis jetzt aufgestiegen ist, – und ein gleiches Aufsteigen, ein gleiches Versuchen der möglichen Standpunkte zwischen dem Frühesten, dem das Seiende in Gegenständen der Erfahrung, Luft, Feuer usw. war, bis zu Platon, der zuerst mit Bewußtsein zu dem seiend-Seienden, dem ontôs on, wie er es nannte, als einem von aller Materie Abgesonderten sich erhoben – am wenigsten gewiß werden wir, die eine eigentliche Geschichte der Philosophie annehmen, der Behauptung widersprechen: in diesem subjektiven Sinn sei die Philosophie eine Wissenschaft der Erfahrung. Aber die Frage, um die es zu tun ist, ist vielmehr die objektive: ob aus Erfahrung die Elemente jener Induktion zu schöpfen seien, die, wie uns nun einmal feststeht, die einzige zum Prinzip selbst führende Methode sein kann. Auch dieses aber könnten wir wenigstens nicht unbedingt widersprechen, nachdem wir gewisse notwendige Elemente des Seienden angenommen. Denn was immer ein Seiendes ist, wird, wenn auch jedes in eigentümlicher Form, und das eine mehr, das andere weniger, ausgesprochen, aber ein jedes wird doch diese Elemente enthalten, die, wenn auch nicht Prinzipe in bezug auf das Prinzip, doch Prinzipe in bezug auf das Abgeleitete sind und wenigstens als Zugänge und Hinleitungen zum Prinzip selbst dienen können. In diesem Sinn also wird nicht zu leugnen sein, daß die auf das Prinzip gehende Untersuchung von Erfahrung ausgehen könne, ja ich habe in andern öffentlichen Vortragen selbst zum Teil diesen Weg eingeschlagen, wiewohl mehr in didaktischer als in wissenschaftlicher Absicht, in Erwägung, daß der Fortgang von dem uns Näheren und Erkannten (dem pros hêmas proterois kai gnôrimôterois) zu dem an sich Erkenntlicheren aber uns Ferneren, wie Aristoteles sich ausdrückt68, der natürlichere ist. Damit ist aber nicht gesagt, daß wir solchen beistimmen, denen es bei dem Ausgehen von Erfahrung gar nicht um Prinzipe zu tun ist, sondern um gewisse oberste Tatsachen, von welchen sie durch [655] Schlüsse zum allgemeinen Begriff einer höchsten Ursache gelangen, ohne sagen zu können, auf welche Weise sie Ursache sei, weshalb sie ihnen denn auch nicht wirklich Prinzip ist. Da sie aber außerdem, weil mit bloßen Partikularsätzen kein Schluß möglich ist, allgemeiner Grundsätze nicht entbehren können, so nehmen sie es entweder auch als bloße Tatsache an, daß durch solche Grundsätze unser Bewußtsein bestimmt ist; in diesem Fall mögen sie sehen, wie sie der Argumente z.B. David Humes sich erwehren; meinen sie es aber anders, so müssen sie außer der Erfahrung eine andere Quelle der Erkenntnis annehmen, und es erscheinen daher die, welche keine allgemeine Wahrheiten, folglich keine Wissenschaft, sondern nur vereinzelte Tatsachen zugeben, mit sich selbst mehr in Übereinstimmung, als die auf solche Weise mit Tatsachen Philosophie machen wollen. Denn nicht syllogistisch, mit unvermeidlichem Überspringen in ein anderes Gebiet (metabasis eis allo genos), sondern durch reine Analysis des in der Erfahrung Vorliegenden, und ohne je aus diesem herauszugehen, als diesem selbst inwohnend, müßten die Prinzipe und durch diese das Prinzip gefunden werden. Fügen wir nun außerdem hinzu, daß die auf solche Weise zu Werk Gehenden als für ihre Zwecke geeignete Tatsachen nur psychologische annehmen, so zeigt sich auch darin, wie beschränkt sie die Aufgabe fassen. Denn wenn es Prinzipe, also das Allgemeinste ist, was in der Tatsache gesucht wird, so müßte diese, auch wenn sie rein psychologische ist, gerade nicht als solche, sondern nach ihrer allgemeinen und objektiven Seite in Betracht kommen. Nicht subjektiv genommen, sondern in ihren konstitutiven Prinzipien untersucht, wird die psychologische Talsache an objektiven Gehalt keiner andern nachstehen, aber es wird eben nur dieser, nicht was sie besonders hat, in Betracht gezogen werden. Psychologie ist eine Wissenschaft für sich und selbst eine philosophische, die ihre eigne, nicht geringe Aufgabe hat, und daher nicht nebenbei noch zur Begründung der Philosophie dienen kann.

Lassen wir aber diese Mißverständnisse beiseite, und nehmen wir an, die Induktion, die wir verlangen, sei auf der breitesten Grundlage ausgeführt, und auf dem Weg der reinsten und genauesten[656] Analysis wirklich zu den Prinzipien und durch diese zum Prinzip gelangt, wird man alsdann nicht eben dieses Aufsteigen schon selbst als Philosophie ansehen müssen, und wird man noch zur Deduktion übergehen wollen, nur um denselben Weg zum zweitenmal in umgekehrter Richtung zurückzulegen? Angenommen also, diese Induktion wäre die ganze Philosophie, wie vertrüge sich diese Vorstellung mit dem Begriff absoluter Wissenschaft, der sich uns unwillkürlich mit Philosophie verbindet und nicht erlaubt, daß sie ihr Ansehen von irgend einer bloß auf Glauben angenommenen und selbst zweifelhaften Autorität zu Lehn trage? Denn nicht anders ist der Gedanke der Philosophie entstanden, als weil man die bloße Erfahrung für keine durch sich selbst gesicherte Grundlage ansehen konnte, ihre Wahrheit selbst der Begründung bedürftig glaubte. Im besten Falle und bei der sorgfältigsten Ausführung bliebe der Grund schwankend, der nicht nur als ein bloß zufällig Aufgenommenes, sondern als ein selbst Zufälliges, weil sein- und nichtsein-Könnendes erschiene, wie wir ja selbst von dem »Ich bin« des Cartesius einsehen mußten, daß es doch nur ein, zwar nicht mir, der es ausspricht, aber an sich zweifelhaftes Sein ausdrückt. Das philosophische Bewußtsein ist an Empfindlichkeit der des Auges zu vergleichen, das nichts Fremdes in sich duldet. Also nicht nur diese Induktion selbst wäre nicht Wissenschaft, sondern auch, wenn man von dem so gefundenen Prinzip zur Deduktion übergehen zu können meinte, würde nimmer etwas entstehen, das für Wissenschaft im schlechthin abschließenden und unbedingten Sinn gelten könnte, wie wir uns doch einmal die Philosophie denken, dergestalt denken, daß wir lieber den Gedanken derselben aufgeben, wenn wir sie nicht als völlig souveräne Wissenschaft denken dürfen.

Bis jetzt nun aber haben wir Induktion nur in dem besondern Sinn genommen, daß die Elemente, deren sie sich bedient, aus der Erfahrung geschöpfte seien. Allein es fragt sich, ob diese Beschränkung im Begriff der Methode selbst liegt, welcher es vielmehr genug scheint, daß man durch Einzelnes zum Allgemeinen gehe, gleichviel wie dieses Einzelne gegeben sei. Denn daß es nur durch Erfahrung gegeben sein könne, ist doch[657] eine vorläufig unbegründete Annahme. Und sollte der Weg, den wir in der letzten Vorlesung freilich vorerst mehr versuchsweise als entscheidend eingeschlagen haben, sollte dieses Hindurchgehen durch die verschiedenen Arten des Seins (-A +A ±A sind für sich Einzelne = die kath' hekasta; sie sind noch nicht das Allgemeine selbst), dieses Hindurchgehen durch das, was bloß möglicher- und besondererweise das Seiende ist, zu dem, was es wirklich und allgemein ist, darum weniger Induktion zu nennen sein, weil die Momente desselben nicht aus Erfahrung (im gewöhnlichen Sinn) geschöpfte, sondern, wenn wir uns dessen auch erst jetzt bewußt werden, im reinen Denken, und nur darum zugleich auf solche Weise gefunden sind, daß man der Vollständigkeit auf eine Weise versichert sein kann, wie dies bei der andern Art von Induktion niemals ebenso der Fall ist?

In der Tat rufen wir uns zurück, wie wir zu den Elementen des Seienden gekommen, so zeigt sich, daß wir dabei nur durch das im Denken Mögliche und Unmögliche bestimmt worden. Denn wenn gefragt wird: was ist das Seiende? so steht es nicht in unserm Belieben, was wir zuerst, was wir hernach setzen wollen, von dem nämlich, was das Seiende sein kann. Um zu wissen, was das Seiende ist, müssen wir versuchen, es zu denken (wozu freilich niemand gezwungen werden kann, wie er genötigt ist, das vorzustellen, was sich seinen Sinnen aufdrängt). Wer es aber versucht, wird alsbald inne werden, daß den ersten Anspruch, das Seiende zu sein, nur das reine Subjekt des Seins hat, und das Denken sich weigert, diesem irgend etwas vorzusetzen. Das erste Denkbare (primum cogitabile) ist nur dieses. Ein anderer durch Spinoza klassisch gewordener Ausdruck: id, cujus conceptus non eget conceptu alterius rei, ist ebenfalls nur wahr von dem, was nicht im gegenständlichen Sinn (denn alles Gegenständliche setzt etwas voraus, wogegen es dies ist), um so mehr also im urständlichen Sinn, oder wie wir auch sagen können, nur an sich das Seiende ist. Hierin liegt eine Beraubung (sterêsis), die uns nicht ruhen läßt, sondern dieses (das nur an sich seiende) gesetzt, müssen wir auch das andere setzen; denn zum ganzen und vollkommen Seienden gehört ebensowohl das nur gegenständlich subjektlos seiende, also (wie wir es ebenfalls ausdrücken[658] können) was außer sich das seiende ist; nur nicht in Einem Atem, daß wir so sagen, können wir das Seiende als jenes und als dieses, wir können es als jenes nur zuerst, als dieses hernach setzen, so daß wir nun beide auch als Momente des Seienden bestimmen können. Offenbar aber ist auf diese Weise Beraubung in beiden gesetzt, und auch so kein Stillstand; was indes unmittelbar nicht zu denken war, ist eben dadurch möglich geworden, daß die beiden entgegengesetzten vorausgehen; denn so hat das Seiende, das an erster Stelle nur Subjekt, an zweiter Stelle nur Objekt sein konnte, das hat sowohl das, wogegen es Subjekt, als das, wogegen es Objekt, es hat also, wodurch es beides sein und doch in sich Eines bleiben kann, womit der Begriff des seiner selbst Mächtigen, des bei sich Seienden entsteht (im bei-sich-sein liegt ebensowohl das in-sich, als das außer-sich-Sein). Dieses also ist erst die dritte Möglichkeit. Das Seiende in diesem Sinn (als das bei-sich-Seiende) ist nur möglich als das ausgeschlossene Dritte, wenn wir uns wieder erlauben, diesen Ausdruck, der in bezug auf das kontradiktorisch Entgegengesetzte negativ ist und die Möglichkeit des Dritten verneint, wo bloß von Gegenteiligem die Rede ist, im bejahenden Sinn zu brauchen, so nämlich, daß ausschließen außer sich setzen bedeutet.

Der unwillkürliche Gebrauch von Ausdrücken, die an bekannte logische Grundsätze erinnern, sagt von selbst, in welchem Gebiet wir uns hier befinden, in dem nämlich, wo die Gesetze des Denkens Gesetze des Seins sind, und nicht, wie nach Kant so allgemein geglaubt worden, die bloße Form, sondern den Inhalt der Erkenntnis bestimmen, im Vorgebiet der Wissenschaft, die zum Prinzip nicht wieder die Wissenschaft, sondern nach Aristoteles die Vernunft hat, nicht irgend ein Denken, sondern das Denken selbst, das ein Reich für sich hat, ein Gebiet, das es mit keiner andern Erkenntnis teilt; jenes Denken, von welchem ebenderselbe eben daselbst (in dem berühmten Schluß des zweiten Buchs der Anal. Poster.) sagt, daß es an Wahrheit und an Schärfe über die Wissenschaft geht69, wie wir davon soeben[659] einen Beweis hatten; denn z.B. daß im Denken nichts vor dem Subjekt sein kann, wird nicht gewußt, sondern gefühlt, und übertrifft durch diese Unmittelbarkeit jede vermittelte (erst verschlossene oder durch Entwicklung gefundene) Wahrheit an Evidenz. Übelberatener könnte nichts sein, als die Prinzipe und das Prinzip auf dieselbe Weise suchen zu wollen, wie man erst in der Wissenschaft verfahren kann. Darauf wird sich jedoch besser in der Folge zurückkommen lassen. – Das Denken, sagten wir, hat einen Inhalt für sich. Dieser Inhalt, den die Vernunft allein von sich selbst und von nichts anderem hat, ist im Allgemeinen das Seiende und können im Besonderen nur jene Momente sein, deren jedes für sich nur das Seiende sein kann (nämlich wenn die andern hinzukommen), also nur eine Möglichkeit oder Potenz des Seienden ist. Diese Möglichkeiten aber, die nicht bloß wie andere gedacht, sondern wie das Seiende gar nicht nicht gedacht werden können (denn das Seiende hinweggenommen, ist auch alles Denken hinweggenommen), diese Möglichkeiten also, welche die nicht bloß zu denkenden, sondern die gar nicht nicht zu denkenden, also notwendig gedachte sind, und daher auf ihre Weise und im Reich der Vernunft ebenso sind, wie die Wirklichkeiten der Erfahrung auf ihre Weise und in ihrem Reiche sind: diese Möglichkeiten sind die ersten und von denen alle andern abgeleitet sind, die also, welche uns möglicherweise zu Prinzipien alles Seins werden.

Und wenn wir nun das Gefühl, das uns nicht erlaubt, diesen Möglichkeiten eine andere Stellung als die ausgesprochene zu geben, wenn wir dieses als ein Gesetz aussprechen wollen, welches andere könnte dies sein außer dem, das mit allgemeiner Zustimmung und zu allen Zeiten als das reine und eigentliche Vernunftgesetz gegolten, von dem, wie Aristoteles sagt, nicht eine besondere Art des Seienden, sondern das Seiende als solches und wie es in der Vernunft ist, bestimmt wird, dessen voller oder positiver Sinn aber in der Folge verloren gegangen ist,[660] indem es auf das kontradiktorisch Entgegengesetzte beschränkt und damit zur Unfruchtbarkeit verdammt wurde, wie es für Kant wirklich nur noch Grundsatz für analytische, wie er sie nennt, eigentlich aber tautologische Sätze ist, während Aristoteles es wenigstens nicht minder auch für das bloß Entgegengesetzte (nur als contrarium sich Entgegenstehende) Gesetz sein läßt, das nämlich nur widersprechend werde, also unter den Grundsatz des Widerspruchs falle, wenn es zugleich gesetzt werde, nicht also, wenn das eine vorausgehe, das andere folge, wo Entgegengesetztes allerdings eines und dasselbe sein können. Hierdurch erhält das sonst bloß negative Gesetz positive Bedeutung, und es begreift sich, wie es nach Aristoteles das Gesetz alles Seienden, also das fruchtbarste und inhaltsreichste aller Gesetze sein kann70. Vollständig dies einzusehen muß freilich der Folge vorbehalten bleiben, aber was schon hier einleuchtet ist, daß ohne das so verstandene nur nichtssagende Sätze übrig bleiben, und emphatische, d.h. die wirklich etwas aussprechen, unmöglich sein würden. Denn wovon läßt sich sagen, daß es hell ist, als von dem an sich Dunkeln, wovon, es sei krank, als von dem bloß krank sein Könnenden, an sich also Gesunden.

Es ist wohl der Mühe wert, wegen dieser Ausdehnung des Grundsatzes den Aristoteles selbst zu hören, aus dessen Worten auch noch verschiedenes anderes zu lernen sein möchte. »Da es unmöglich ist, sagt er, daß Widersprechendes zugleich von demselben mit Wahrheit gesagt werde, so ist offenbar, daß auch Entgegengesetztes nicht zugleich eines und dasselbe sein kann. Denn das eine der Entgegengesetzten ist Beraubung, Beraubung aber nicht weniger Verneinung, nämlich einer bestimmten Art (des Seins z.B. – nicht des Seins überhaupt). Wenn es also etwas Unmögliches ist, mit Wahrheit zugleich bejahen und verneinen, so wird auch unmöglich sein, daß Entgegengesetzte zugleich eines und dasselbe sein, man beschränke denn jedes auf ein besonderes Wo, oder sage das eine vom bestimmten[661] Teil (schwarz z.B. vom Auge), das andere (weiß) schlechthin oder vom Ganzen«71. Merkwürdig ist, wie hier dem »nicht zugleich« das »nicht an derselben Stelle« substituiert ist, und leicht mag Aristoteles sinnliche Beispiele, wie die von uns (ähnliche hat Alexander) beigefügten im Sinne gehabt haben. Denn seine Rede ist so formell allgemein, daß das Sinnliche nicht ausgeschlossen war. Aber auch in bezug auf das reinste Intelligible läßt sich das eine statt des andern sagen, zumal wenn man lateinisch sich ausdrückt, wo non eodem loco so viel ist als nicht von gleicher Geltung. Denn das Vorausgehende wird gegen das Folgende zugleich zum Untergeordneten (hypokeimenon), und die Momente des Seienden verhalten sich vollkommen wie Stufen, die ebensowenig zugleich betreten als an derselben Stelle sein können.

Beraubung sei auch Verneinung, sagt Aristoteles hier, nur nicht, wie er anderwärts unterscheidet, unbedingte, die das Verneinte dem Gegenstand überhaupt abspricht, z.B. nicht weiß ist die Stimme (ou leukon hê phônê)72, d.h. das Prädikat: weiß paßt überhaupt nicht zu Stimme, oder: weiß ist auch kein mögliches Prädikat von Stimme. Dagegen ein sonnenverbranntes Gesicht das seiner Natur nach weiß sein könnte, ist nur nicht weiß, es ist mê leukon und wird durch die Verneinung nur zu einer besondern [662] Art des weißen Gesichts; wie das nur nicht positiv Seiende nicht das Nichtseiende, sondern durch die Verneinung nur zu einer besondern Art des Seienden, zum mê on wird73. Das »nicht«, wie Aristoteles an einer andern Stelle erklärt74, beraubt entweder ganz (holôs) oder nur auf gewisse Weise, z.B. daß nur der Aktus geleugnet wird, das gleich sein, nicht auch das gleich sein können. Was A nicht ist, ist entweder das ganz des Aseins Unfähige (to adynaton holôs echein), oder das es sein kann aber nicht ist (to pephykos echein mê echê). Ist Beraubung eine Verneinung des Habens, so setzt sie entweder ein absolutes nicht haben- Können (adynamia dioristheisa), oder sie setzt das Subjekt, das haben-Könnende, voraus (ist syneilêmmenê tô dektikô), wo sie erst Beraubung im engern Sinn ist. Gleich oder nicht gleich (ouk ison) ist alles, gleich oder ungleich (anison) aber nicht alles, sondern nur was der Größe fähig ist75.

Ich unterbreche mich, um zu bemerken, daß auch im allgemeinen Sprachgebrauch die beiden Verneinungspartikeln, welche die griechische Sprache wahrscheinlich vor allen andern voraus hat, auf verschiedene Weise verneinen, und zwar, wie ich dies schon früher in einem andern Vertrag nachgewiesen, ganz analog der philosophischen Unterscheidung, daß durch das eine nur die Wirklichkeit geleugnet, durch das andere auch die Möglichkeit aufgehoben wird. Eine dritte Verneinungsweise ist die durch das a privativum, unser deutsches un. In der zuletzt angeführten Stelle setzt Aristoteles dem ouk ison das anison völlig wie [663] mê ison entgegen76. Überall jedoch möchte diese Gleichstellung nicht anwendbar sein. Es sei z.B. das Muster einer Figur gegeben, wonach jemand eine andere zeichnen oder ausschneiden soll, so wird im Fall des Mißlingens, wenn man nicht bloß das Faktum der Ungleichheit, sondern die verfehlte Absicht ausdrücken will, ungleich nicht ausreichen, man wird sagen müssen, das Nachgebildete sei dem Vorbild nicht wirklich gleich, mê ison. Bemerkungen dieser Art können kleinlich scheinen; da sie aber doch auf wirkliche Nuancen des Gedankens sich beziehen, dürfen sie nicht übersehen werden, wenn auch namentlich die deutsche Sprache Mühe hat sie zu unterscheiden, und fast nur durch den Akzent sich helfen kann, wenn sie nicht wohl oder übel lateinisch sich ausdrücken will; denn da z.B. möchte über den Unterschied zwischen est indoctus, est nondoctus und non est doctus kaum jemand sich täuschen. Weder das Erste noch das Zweite wird man von einem eben geborenen Kinde sagen, das Erste nicht, weil es noch nicht in der Möglichkeit war, das Zweite nicht, weil es sich nicht in der Unmöglichkeit befindet, das Dritte aber wird man zugeben, denn, indem es nur die Wirklichkeit leugnet, setzt es die Möglichkeit.

Kann nun aber weder in Ansehung des allgemein-griechischen, noch in Ansehung des aristotelischen Sprachgebrauchs über den Unterschied der beiden Partikeln ein Zweifel sein, man müßte uns denn was den ersten betrifft eine Stelle des platonischen Sophisten entgegenhalten, welche zu erörtern ich später Gelegenheit nehmen werde: so kann und darf es nicht unbemerkt bleiben, daß Aristoteles, so oft er den großen Grundsatz erwähnt (unmöglich ist, daß dasselbe zugleich sei und nicht sei), nur von einai kai mê einai, nie von einai kai ouk einai spricht, wie er müßte, wenn der Grundsatz ihm bloß die formelle Bedeutung hätte, von der die Neueren allein wissen. Offenbar, da er eines von beiden sagen mußte, hat er den Ausdruck vorgezogen, der dem Grundsatz in der weiteren Ausdehnung gemäß ist und ihn nicht[664] auf das kontradiktorisch Entgegengesetzte beschränkt. Dasselbe wünschte man von dem »nicht zugleich« sagen zu können, nämlich Aristoteles habe, was ihm für den einen und materiell bedeutenden Fall unentbehrlich war, auf den formellen nur miterstreckt, wo er eigentlich unstatthaft ist, denn Sinn hat er nur für den Widerspruch, der entsteht, wenn Entgegengesetzte von einem und demselben zugleich gesagt werden. Formeller Widerspruch aber ist nach Aristoteles in zwei Fällen77. Einmal wenn z.B. dem allgemein bejahenden Satz: von Natur sind alle Menschen weiß, der partikulär verneinende entgegensteht: von Natur sind einige Menschen nicht weiß, oder umgekehrt: allgemein bejahend und allgemein verneinend sind die Sätze bloß konträre78, die beide falsch sein können, nicht widersprechende, von denen einer notwendig falsch, der andere also wahr ist. Von eben solchen Sätzen ist es ja aber ganz unmöglich zu denken, daß in verschiedenen Zeiten beide wahr sein können. Der andere Fall ist, wo ohne Unterscheidung der Quantität einfach Bejahung und Verneinung sich entgegenstehen, z.B. die Sonne bewegt sich um die Erde, die Sonne bewegt sich nicht um die Erde. Hier ist es rein unmöglich zu sagen, sie bewege sich und bewege sich nicht, nur nicht in derselben Zeit. Aber z.B. Petrus schreibt, Petrus schreibt nicht. Hier sind zwei Fälle möglich. Er schreibt nicht, kann gesagt werden von dem, der schreiben gar nicht gelernt hat, wo auch das können fehlt. Da also ist es unmöglich, also ein Widerspruch, daß er schreibt. Er schreibt nicht, kann aber ebensowohl von dem gesagt werden, der schreiben kann. Hier ist es nicht unmöglich, d.h. es ist kein Widerspruch, zu sagen, daß derselbe auch schreibt, nur in eine andern Zeit. Also gerade nur wo bloße Entgegensetzung, ist das Aristotelische »nicht zugleich« an seiner Stelle, und Kant, der den Grundsatz nur als formellen kennt, hat ganz recht, wenn er die Einschaltung verwirft, unrecht jedoch, wenn er meint, wo sie unvermeidlich, sei bloß Ungenauigkeit des Ausdrucks daran schuld. Sage man: ein Mensch, der ungelehrt ist, ist nicht gelehrt,[665] so müsse die Bedingung nicht zugleich dabei stehen, denn der, so zu einer Zeit ungelehrt, könne gar wohl zu einer andern gelehrt sein79. Allein erstens spricht niemand so, denn niemand sagt gern etwas von selbst sich Verstehendes, das als Satz ausgesprochen ein Lächerliches wird, zweitens aber, wenn jemand so spräche, ist eben darum, weil nur davon die Rede, was der Mensch, der ungelehrt ist, nicht ist, nicht davon, was er sein kann, das »zugleich« überflüssig. Der korrekte Ausdruck nach Kants Meinung wäre: kein ungelehrter Mensch ist gelehrt; hier sei der Satz analytisch, weil das Merkmal (der Ungelehrtheit) nunmehr den Begriff des Subjekts mit ausmache, und alsdann erhelle der verneinende Satz unmittelbar aus dem Satz des Widerspruchs, ohne daß die Einschränkung »nicht Zugleich« hinzukommen dürfe. Allein weil der Unterschied auch so bloß in Worten liegt, wird auch so niemand sagen, und kein Denkender wird so sagen, weil seine Meinung nicht sein kann, daß es zufällig nur so ist, er wird sagen: daß kein Ungelehrter gelehrt sein kann, wo dann aber sofort der Zusatz »nicht zugleich« als unerläßlich erscheint. Ein Mensch nämlich, der nur zufällig ein ungelehrter ist, kann allerdings noch gelehrt sein, nämlich in einer andern Zeit; hier ist bloße Entgegensetzung, das »nicht zugleich« also von Notwendigkeit. Dagegen für den, der nicht bloß nicht gelehrt ist, sondern nicht gelehrt, weil er über die Jahre des Lernens hinaus ist, wird das Gelehrtsein zur Unmöglichkeit, d.h. zum Widerspruch, hier ist der Zusatz ganz überflüssig.

Kant, der gelegenheitlich auch die Meinung ausgesprochen, seit Aristoteles habe die Logik keine Fortschritte gemacht (vielleicht dürften die Neueren sehr zufrieden sein, wenn man ihnen zugestünde, nur den abstrakten Inhalt der Aristotelischen Logik treu und vollständig bewahrt, und was die metaphysischen Erörterungen der logischen Verhältnisse betrifft, mit denen Aristoteles ja auch vorausgegangen, wenigstens keine Rückschritte gemacht zu haben), Kant also macht gegen das »nicht zugleich« als Zusatz zum Grundsatz des Widerspruchs noch den besondern Grund[666] geltend, daß so der apodiktisch-gewisse (eigentlich der einer Apodixis weder fähige noch bedürftige) Grundsatz durch die Zeit affiziert werde: als ein bloß logischer Grundsatz müsse er seine Aussprüche gar nicht auf Zeitverhältnisse einschränken, eine solche Formel sei der Absicht ganz zuwider80. So wie Kant dies gemeint, dem der Grundsatz überhaupt nur formelle Bedeutung hat, gibt man es ihm zu; nicht zuzugeben aber ist, daß im reinen Denken überhaupt kein Vor und Nach zulässig sei. Denn dies hieße das Denken allzusehr beschränken oder vielmehr aufheben. Es versteht sich unstreitig von selbst, daß im bloßen Denken die Folge auch eine bloß noetische, als solche aber ist sie die ewige und darum unaufhebliche. Wie die drei Elemente des Seienden selbst bloße Potenzen sind (als auf die Wirklichkeit wartende sind sie), so ist auch das Vor und Nach eine bloße Potenz. Zeit liegt darin, die es jedoch erst als solche ist, wenn wirklich das bloße Denken überschritten ist, ja die Folge in den wirklichen Zeiten besteht nur darum, weil sie ursprünglich eine intelligible, noetische, und also eine ewige ist, wie wir annehmen, daß in der Natur die Aufeinanderfolge zuvor schon – in der Idee, wie man sagt – bestimmt sein mußte; dem Vorausgehenden mußte bestimmt sein, daß es voraus gehe, dem Folgenden, daß es folge, dem Letzten, daß es der Zweck und das Ende sei. Es ist unvermeidlich, auf das alles zugleich zu kommen, wie auch Aristoteles zugibt, daß nach Einem Gesichtspunkt die recht haben, welche nicht-Sein und Sein im Gegenstand präexistieren lassen81. Von jenen Momenten des Seienden ist freilich keines ohne das andere, es ist hier alles wie in einem organischen Ganzen gegen sich wechselseitig bestimmend und bestimmt; das nicht seiende ist dem rein seienden der Grund (die ratio sufficiens), aber hinwieder ist das rein seiende die bestimmende Ursache (ratio determinans) des bloßen An-sich-seins, und auch das Dritte vermittelt den vorausgehenden ebenso Momente des Seienden zu sein, wie eben dieses ihm durch sie vermittelt ist; es müssen deshalb alle oder es kann keines gesetzt[667] sein. Weil jedes der Unterschiedenen für sich und ohne das andere das Seiende nie sein kann, so ist zwischen ihnen eine natürliche Anziehung, und es ist nicht anders möglich, als daß die vollendete Idee zumal entsteht. Das ist auch der Sinn von: »In der Idee sei alles zugleich.« Aber dieses »zugleich« hebt nicht auf, daß das eine Moment noetisch eher sei als das andere. Der Natur nach (d.h. eben im Gedanken) ist darum das Erste doch das Erste, das Dritte das Dritte; was Subjekt und Objekt in Einem ist, kann nicht mit Einem Moment, es kann nur mit verschiedenen Momenten, und da unsere Gedanken derselben sukzessiv sind, auch nicht mit einer und derselben Zeit82 gesetzt werden, wenn nämlich, was hier bloß noetisch gemeint ist, zum realen Prozeß wird.

Aber sogar durch Zahlen haben wir die Momente bezeichnet83, und wohl die Frage zu erwarten, wie hier im Anfang der Philosophie schon Zahlen angewendet werden. Wir werden hierauf später angelegener Stelle noch besonders antworten, und begnügen uns jetzt zu sagen, daß da, wo Unterscheidung von Momenten, auch etwas Zählbares ist. Seit Kant den Typus von Thesis, Antithesis und Synthesis in allen Begriffen hervorgehoben, ein Nachfolgender eben diesen in ausgedehntester Anwendung geltend gemacht, ist die sogenannte Trichotomie oder Dreiteilung gleichsam zur stellenden Form geworden, und es war keiner, der nicht die Philosophie mit drei Begriffen (wenn auch noch so verkrüppelten) anfangen zu müssen glaubte; ob sie nun diese zählen und sagen: es sind drei, ist für die Sache ganz gleichgültig. Wie manche überhaupt das voraussetzungslose Anfangen sich vorstellen, müßten sie auch das Denken selbst nicht voraussetzen, und z.B. auch erst die Sprache, in der sie sich ausdrücken, deduzieren; da dies aber selbst nicht ohne Sprache geschehen könnte, bliebe nur das Verstummen, dem sich einige durch Unbehilflichkeit und Kaumvernehmlichkeit der Sprache wirklich anzunähern suchen, und der Anfang müßte sogleich auch das Ende sein.[668]

Zurück von diesen logischen Erörterungen zur Sache. Den höchsten Anspruch, das Seiende zu sein, hat, wie wir gesehen, das Dritte. Aber, da es das, was es ist, nicht für sich sein kann, sondern nur in Gemeinschaft mit den andern, so gilt von ihm, daß es für sich eben auch nur das Seiende sein kann, eine Potenz des Seienden ist. Aber das Ganze, das sich im Gedanken mit Notwendigkeit erzeugte, dieses wird wohl das Seiende sein? Ja, aber im bloßen Entwurf, nur in der Idee, nicht wirklich. Wie jedes einzelne Element das Seiende nur sein kann, so ist das Ganze zwar das Seiende, aber das Seiende, das ebenfalls nicht Ist, sondern nur sein kann. Es ist die Figur des Seienden, nicht Es selbst, der Stoff der wirklichen Idee, nicht sie selbst, sie wirklich, wie Aristoteles von der Dynamis im Allgemeinen sagt: sie sei nur der Stoff des Allgemeinen84. Zur Wirklichkeit wird es erst dann erhoben, wenn Eines oder Etwas Ist, das diese Möglichkeiten ist, die bis jetzt bloß in Gedanken reine Noemata sind. Dieses aber, was diese Möglichkeiten Ist, kann begreiflicherweise nicht selbst wieder eine Möglichkeit sein. Denn in dem, was wir die Figur des Seienden genannt, ist alle Möglichkeit beschlossen (fini), und es bleibt nur das übrig, was nicht mehr Möglichkeit ist, sondern Wirklichkeit, und das sich zu den Möglichkeiten als das sie seiende verhält. Denn das Ganze der Möglichkeiten (die Figur des Seienden) kann als das schlechthin Allgemeine nicht selbst sein, es bedarf Eines, an dem es, als ein selbstloses, sein Selbst hat, das ihm als nicht selbst-seiendem Ursache des Seins ist, aitia tou einai, wie Aristoteles sich ausdrückt. Dieses Letztere, das das-Seiende-seiende (ebenfalls ein aristotelischer Ausdruck, wie sich uns in der Folge zeigen wird), ist, weil es dieses ist, nicht selbst eine Art oder eine Stufe des Seienden, nicht ein Viertes, das sich den drei Elementen oder Prinzipien anreiht; es kann nicht auf gleicher Linie mit dem sein, welchem es Ursache des Seins ist, sondern gehört einer ganz andern Ordnung an (weshalb auch hier nicht wieder[669] Zahl). Jene Elemente werden erst das Seiende, indem es sie ist; aber eben darum kann es in sich selbst nicht wieder das Seiende sein, man sage denn, es sei das Seiende selbst (auto to on), womit angezeigt wird, daß das Sein hier nicht Prädikat, sondern das Wesen selbst ist (Einheit von Sein und Wesen im entgegengesetzten Sinn). Indem es alles Allgemeine in dem hat, zu dem es das Verhältnis des es seienden hat, so ist es selbst (in sich selbst) nichts Allgemeines (kein Was), sondern alles Denken übertreffende Wirklichkeit, so sehr, daß gegen diese sein das-Seiende-Sein nur als ein Späteres85, ein ihm bloß Zustoßendes (symbebêkos), Hinzukommendes erscheint. Es ist das, dessen Wesen im Wirklichsein besteht nach dem energischen Ausdruck des Aristoteles: hou hê ousia energeia86, den die weniger Geübten sich wohl am besten deutlich machen, wenn sie als Gegensatz dazu denken, daß z.B. der Materie (im aristotelischen Sinn) der Aktus (die Energie) ein Zufälliges, nur als Prädikat Zukommendes ist.

Das, was das Seiende Ist, kann als das schlechthin Wesen- oder Idee-Freie (nämlich für sich und außer dem Seienden betrachtet), nicht einmal das Eine sein, sondern nur Eines. En ti was dem Aristoteles mit dem was ein Dieses (ein tode ti on)87 und dem für-sich-sein-Könnenden gleichbedeutend ist, dem chôriston88. Als alles Allgemeine und damit alles Materielle von sich ausschließend, wird es so wenig dem Wesen nach ein Seiendes, als in sich selbst das Seiende, es wird bloß seiend zu nennen sein, wie Aristoteles von der Substanz (ousia) sagt: ou ti on, all' haplôson89, nicht etwas (was es sei), sondern einfach[670] seiend. Was weiter hinzukommt, hat es durch sein Verhältnis zum Seienden.

Es wird Ihnen, wenn Sie dies aufgefaßt, auch nicht schwer sein, dieses, von dem wir sagen, es sei rein seiend, von jenem seienden, das wir unter den Elementen oder Potenzen als das rein (nämlich subjektlos) seiende bezeichnet haben, zu unterscheiden. Denn das Letzte ist entschieden ein Allgemeines, dynamis tou katholou (wiewohl besonderer Art, wovon im Augenblick nicht die Rede sein kann), und es ist das seiende bloß materiell, und nicht als Wirkliches, sondern wesentlich potentiell.

Dagegen könnte eine Schwierigkeit darin gesucht werden, daß man nicht sagen kann, d.h. daß es keinen Begriff dafür gibt, was überhaupt Aktus ist. Aristoteles sagt es zwar bloß bei Gelegenheit des Aktus: daß man nicht alles zu definieren suchen müsse, sondern sich wohl auch mit Analogien begnügen90. Aber er meint es doch vorzüglich vom Aktus, den er nicht zu erklären gesteht, indem er ihn durch Beispiele erläutert. Wenn es sich also bloß darum handelt zu zeigen, was überhaupt Aktus ist, so hatte Fichte nicht so unrecht, deshalb gleich an das uns Nächste, die fortgesetzte Tat, oder, wie er sich kräftiger auszudrücken glaubte, Tathandlung unseres Selbstbewußtseins zu verweisen. Der Aktus überhaupt ist doch eigentlich nicht im Begriff, sondern in der Erfahrung. Der Aktus wird auch nicht was die Potenz wird, Attribut. Als wirkliche Instanz aber das Gesagte brauchen zu wollen, könnte nur einem von denen einfallen, von denen wir oben sagten, daß sie verstummen müßten. Denn es ist keinem, der irgend etwas versteht, je beigekommen zu behaupten, daß, wenn die Wissenschaft nicht aus der Erfahrung zu schöpfen ist, der Mensch darum ohne sie zu irgend einer Sache, am wenigsten aber, daß er zur Philosophie tauglich sei.

In der Tat das, was das Seiende ist und nur reine Wirklichkeit sein kann, ist, sofern dieses, mit keinem Begriff zu[671] fassen. Das Denken geht doch nur bis zu diesem. Das was nur Aktus ist, entzieht sich dem Begriff. Will sich die Seele mit diesem beschäftigen und also das was das Seiende ist außer dem Seienden und an und für sich gesetzt haben, als ein kechôrismenon ti kai auto kath' hauto, wie Aristoteles sich ausdrückt: dann ist sie nicht mehr denkend, sondern (weil alles Allgemeine hinweg) schauend91.

Leicht möglich aber, daß uns infolge der letzten Erörterungen ein anderer Streit erregt werde wegen der früheren Bestimmungen in betreff des ontologischen Arguments. Denn unstreitig standen wohl viele, wo nicht die meisten, die sich mit ihm befaßten, in der Meinung, daß sie mit demselben nur den aristotelischen Begriff (hou hê ousia energeia) ausführten. Allein der große Unterschied ist dieser. Nach dem aristotelischen Begriff ist von Wesen eigentlich gar nicht die Rede, der Aktus tritt ganz an seine Stelle, und es ist insofern völlig eliminiert. Dagegen wo die allgemeine Formel: Einheit des Seins und des Wesens (in Gott) angewendet wird, geschieht es bei den Neueren auf die Weise, daß man sagt: Gott sei durch sein Wesen bestimmt zur Existenz, oder: Gottes Existenz sei darum eine notwendige, weil der zureichende Grund derselben in seinem Wesen liege, ein Ausdruck, dessen Leibniz um so mehr sich bedient, weil er leugnet, daß ohne das Prinzip des zureichenden Grundes Gottes Dasein erweislich sei, also auch dem ontologischen Argument ohne dieses keine Beweiskraft zuschreibt92. In allen diesen Ausdrücken wird Wesen vor die Existenz gesetzt, der Sinn des aristotelischen Begriffs aber ist, daß das Wesen selbst bloß im Aktus bestehe. Jeder Beweis der notwendigen Existenz Gottes[672] könnte auch nur dahin führen, daß er das notwendig Existierende ist (necessario Existens), aber um was es sich zuletzt handelt ist, daß er die natura necessaria ist. Gottes notwendiges Existieren besteht nun in seinem notwendig, d.h. ohne sein Wollen oder Zutun, das-Seiende-Sein. Die natura necessaria aber ist er vermöge des von seinem das-Seiende-Sein unabhängigen Seins, wodurch er gegen jenes notwendige Existieren frei wird und in sich sein kann.

Nun aber ist es Zeit, auf das Seiende zurückzusehen und auf die Elemente desselben, wie diese sich verhalten, nachdem Eines Ist, das sie ist. Also diese Unterschiede sind nun seine Unterschiede, dieses bestimmten Einen, das in ihnen Anfang, Mittel und Ende seiner selbst, aus sich selbst (in seinem an-sich- Sein), durch sich (als das außer-sich-Seiende), in sich (das ewige bei-sich-Sein) gehend. Das bei-sich-Sein ist das Mittlere vom an sich und außer sich seienden, bei sich ist nur, was auch außer sich ist. Nicht das Subjekt, nicht das Objekt, nicht das Subjekt-Objekt ist, sondern das bestimmte Eine ist das Subjekt, ist das Objekt, und ist das Subjekt-Objekt, d.h. diese Elemente, die Prinzipien zu sein scheinen konnten, sind zu bloßen Attributen des Einen herabgesetzt, das in ihnen das vollkommen und ganz sich Besitzende ist, ohne daß daraus folgt, daß es nicht auch in seinem für-sich-Sein dies sein würde. Denn was es in seinem das-Seiende-Sein auf materielle Weise ist, das ist es auch in sich selbst, nur immateriellerweise (asynthetôs, um das aristotelische Wort zu brauchen): in den Elementen ist die Einheit nur auf die erste Weise, in dem Einen selbst (denn so können wir es auch nennen, wie wir es das Seiende selbst genannt haben), in diesem also ist die Einheit auf die andere Weise und unzerstörlich, weil in ihm gar nichts Mögliches sein kann, weil es unüberwindliche und unauflösliche Einzelheit ist, Einzelwesen wie kein anderes; die Einzelheit allein hält stand, alles andere ist dissolubel. Die Einheit des Einen selbst ist, die nicht mit der in der Allheit gesetzten verschwindet, sondern diese als alle Möglichkeit übertreffende Wirklichkeit überdauert. Die Elemente stören sich untereinander nicht; das wäre nur wenn eines in sich was das andere sein wollte (-A z.B. +A), aber ihr Unterschied und also auch[673] ihr Sein, das sie in der Einheit haben, beruht gerade nur darauf, daß das eine nicht das andere (nicht eodem loco) ist, wir sie darum auch nur so bestimmen konnten, daß wir z.B. von -A sagten, es sei reines Können ohne alles Sein, von +A es sei ebenso reines Sein ohne alles Können, von ±A es sei nur als von beiden (jedem für sich) Ausgeschlossenes. Der Unterschied zwischen ihnen ist nicht wie zwischen Widersprechenden; sie sind durch bloße Beraubung, nur kata sterêsin unterschieden, d.h. daß einfach dem einen fehlt, was das andere ist. Von Ausschließen haben wir zwar früher gesprochen, aber dies war nur im Gedanken gemeint; zum wirklichen Ausschließen gehörte, daß eines für sich sein wollte; aber hier ist vielmehr jedes von sich abgewendet, -A das Können nicht von sich selbst, sondern von +A, beide zusammen das Können von ±A alle zusammen von dem was allein das selbst Seiende ist. (Sie schließen sich so wenig aus als im mathematischen Punkt, den man als den Kreis in potentia ansehen kann93, Mittelpunkt, Umkreis und Durchmesser sich ausschließen.) Sie schließen sich nicht aus, weil sie nicht drei Seiende sind keines ein Sein für sich anspricht, das Sein vielmehr allein dessen ist, zu dessen Attribut sie werden, zu dem sie sich als bloße Prädikate verhalten, ihr eignes Sein also in bloßer Potenz bleibt.

Es könnte uns hier, da wir uns des Worts Prädikate bedient, leicht, besonders von solchen, die mit den früheren Entwicklungen desselben Gedankens nicht unbekannt sind, die Frage gestellt werden, warum wir das, was das Seiende ist, nicht einfach das Subjekt, und zwar das absolute Subjekt genannt haben, das zu nichts anderem, und zu dem alles andere nur als Attribut sich verhalten kann. Freilich, wenn in dem Seienden eine gewisse Sukzession liegt, daß je das Vorhergehende, das ein in höherem Sinn für sich seiendes, in diesem Sinn Subjekt schien, gegen das Folgende zum Prädikat wird, so ist das was über allem ist, zuletzt das was zuerst -A war, Subjekt, und[674] wenn, was hier bloß noetisch gemeint ist, zum realen Prozeß wird, so immer wird eine Sukzession von Subjekten (immer höherer Ordnung) zuletzt zum absoluten Subjekt führen. Der Sache und dem Begriff nach also wird es sich so verhalten. Aber was uns abhält, auch demgemäß uns auszudrücken, ist, daß wir uns vorgesetzt, in dieser Darstellung (und in der Weise der Darstellung kann und soll ja ein immerwährender Fortschritt stattfinden bis zur Vollendung) durchaus die Ausdrücke soviel immer möglich in ihrer strengsten Eigentlichkeit zu brauchen. Aber -A, wovon wir ausgingen, konnte recht eigentlich Subjekt heißen, es ist an erster Stelle, das eigentliche sub-jectum (hypokeimenon, hypotithen), das Letzte aber könnte nur uneigentlich und gegen den wirklichen Verstand so genannt werden, da es nichts untertan ist, und um jenem (dem -A) seine große Bedeutung zu retten, möchten wir es gern allein das Subjekt nennen. Wir finden uns hier allerdings durch die Sprache beengt, aber nicht wir erst; denn auch Aristoteles, von dessen Hypokeimenon sich das scholastisch-lateinische Subjectum und unser Subjekt herschreibt, wenn dieser von der Substanz (der ousia) sagt, daß sie das sei, was nicht von einem Subjekt gesagt werde, obgleich daraus eigentlich folgt, daß sie selbst das absolute Subjekt ist, nennt er doch das erste der Wesen nie das erste Hypokeimenon, wohl aber nennt er die Hyle (das Unterste) so, da wo er zuerst seine vier Ursachen aufzählt94; am meisten sichtlich aber ist die Verlegenheit in dem besondern Kapitel von der Substanz, wo die Frage erörtert werden muß, ob die Materie Substanz sei in dem vorbestimmten Sinn (daß nämlich Substanz ist was von nichts anderem gesagt wird), und fast zur Abweisung eben dieser Definition steigert sich jenes Gefühl95.

Subjekt, Objekt, Subjekt-Objekt: das sind die Urstoffe des Seienden. Aber nicht das Seiende, sondern das was das Seiende ist, ist der Gegenstand, ist das Gewollte, der Zweck, ist das Prinzip, das es wirklich ist (die andern sind bloß mögliche).[675] Denn jenes Sein, in Kraft dessen es allein das Seiende ist, ist ein von seinem das-Seiende-Sein unabhängiges, durch das also auch es selbst vom Seienden unabhängig ist; es ist das Sein, das es in sich hat, also unabhängig hat von jenen Voraussetzungen, die nur im Denken vorausgehen, nur logô protera sind; es ist das Sein, vermöge dessen es das prôtôs on, das erst seiende, dem kein anderes vorausgeht, und das schon darum ein Besonderes ist; es ist das Sein, in dem das Denken sein Ziel hat: wenn wir bei ihm ankommen, ist das Denken vollendet und hat seine völlige Befriedigung; was vermöge des Denkens möglich ist, was sich denken läßt, ist gedacht, also ist über dieses Sein nicht mehr zu denken, also auch nicht mehr zu zweifeln, es ist das schlechthin unzweifelhafte Sein; mit ihm also ist das, wovon man anfangen kann, wenn man es nämlich erst für sich hat.

Dieses demnach, das auf solche Weise seiend, ist der seit Descartes gesuchte, aber nicht gefundene Gegenstand, das ganz durch die Idee bestimmte Ding, von dem Kant spricht, das eben darum auch im reinen Denken noch vor aller Wissenschaft gefunden ist, in dem daher das unmittelbare Denken sein Ziel, die Wissenschaft ihre Voraussetzung hat. Nach diesem verlangt die Vernunft, nicht um bei ihm stehen zu bleiben, sondern zunächst, wie sich zeigen wird, um von ihm aus zu allem andern als einem ebenfalls durch das Denken Bestimmten zu gelangen, und in dem großen Verhör oder Vernehmen, wovon die Vernunft den Namen hat und in das sie alles Denkbare und Wirkliche zu ziehen beabsichtigt, nichts frei zu sprechen, d.h. gelten zu lassen, zu dem sie nicht von ihm aus im reinen Denken gelangt ist, damit so nach Ausstoßung alles Fremdartigen (Heteronomischen) die vollkommene Durchsichtigkeit des Wissens möglich und zu jener durchaus selbstherrlichen Wissenschaft wenigstens der Weg eröffnet sei.[676]

Quelle:
Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling: Werke. Band 3, Leipzig 1907, S. 651-677.
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