§ 32. Transscendentale Wahrheit.

[124] Die im Verstande und der reinen Sinnlichkeit liegenden Formen der anschauenden, empirischen Erkenntniß können, als Bedingungen der Möglichkeit aller Erfahrung, Grund eines Urtheils seyn, das alsdann ein synthetisches a priori ist. Da ein solches Urtheil dennoch materiale Wahrheit hat; so ist diese eine transscendentale; weil das Urtheil nicht bloß auf der Erfahrung, sondern auf den in uns gelegenen Bedingungen der ganzen Möglichkeit derselben beruht. Denn es ist durch eben Das bestimmt, wodurch die Erfahrung selbst bestimmt wird: nämlich entweder durch die a priori von uns angeschauten Formen des Raumes und der Zeit, oder durch das a priori uns bewußte Gesetz der Kausalität. Beispiele solcher Urtheile sind Sätze wie: Zwei gerade Linien schließen keinen Raum ein. – Nichts geschieht ohne Ursache. – 3 x 7 = 21. – Materie kann weder entstehn noch vergehn. Eigentlich kann die ganze reine Mathematik, nicht weniger meine Tafel der Prädikabilia a priori, im 2. Bande der Welt a. W. und V., wie auch die meisten Sätze in Kants metaphys. Anfangsgr. d. Naturwissenschaft, als Beleg dieser Art der Wahrheit angeführt werden.

Quelle:
Arthur Schopenhauer. Zürcher Ausgabe. Werke in zehn Bänden. Band 5, Zürich 1977, S. 124.
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