§ 33. Metalogische Wahrheit.

[124] Endlich können auch die in der Vernunft gelegenen formalen Bedingungen alles Denkens der Grund eines Urtheils seyn, dessen Wahrheit alsdann eine solche ist, die ich am besten zu bezeichnen glaube, wenn ich sie metalogische Wahrheit nenne; welcher Ausdruck übrigens nichts zu schaffen hat[124] mit dem Metalogicus, den Johannes Sarisberriensis im 12. Jahrhundert geschrieben hat; da dieser, in seinem prologus, erklärt: quia Logicae suscepi patrocinium, Metalogicus inscriptus est liber, und von dem Worte weiter keinen Gebrauch macht. Solcher Urtheile von metalogischer Wahrheit giebt es aber nur vier, die man längst durch Induktion gefunden und Gesetze alles Denkens genannt hat, obgleich man sowohl über ihre Ausdrücke, als ihre Anzahl, noch immer nicht ganz einig, wohl aber über das, was sie überhaupt bezeichnen sollen, vollkommen einverstanden ist. Sie sind folgende: 1) Ein Subjekt ist gleich der Summe seiner Prädikate, oder a = a. 2) Einem Subjekt kann ein Prädikat nicht zugleich beigelegt und abgesprochen werden, oder a = -a = 0. 3) Von jeden zwei kontradiktorisch entgegengesetzten Prädikaten muß jedem Subjekt eines zukommen. 4) Die Wahrheit ist die Beziehung eines Urtheils auf etwas außer ihm, als seinen zureichenden Grund.

Daß diese Urtheile der Ausdruck der Bedingungen alles Denkens sind und daher diese zum Grunde haben, erkennen wir durch eine Reflexion, die ich eine Selbstuntersuchung der Vernunft nennen möchte. Indem sie nämlich vergebliche Versuche macht, diesen Gesetzen zuwider zu denken, erkennt sie solche als Bedingungen der Möglichkeit alles Denkens: wir finden alsdann, daß ihnen zuwider zu denken, so wenig angeht, wie unsere Glieder der Richtung ihrer Gelenke entgegen zu bewegen. Könnte das Subjekt sich selbst erkennen, so würden wir auch unmittelbar und nicht erst durch Versuche an Objekten, d.i. Vorstellungen, jene Gesetze erkennen. Mit den Gründen der Urtheile von transscendentaler Wahrheit ist es in dieser Hinsicht eben so: auch sie kommen ins Bewußtseyn nicht unmittelbar, sondern zuerst in concreto, mittelst Objekten, d.h. Vorstellungen. Versuchen wir z.B. eine Veränderung ohne vorhergängige Ursache, oder auch ein Entstehn, oder Vergehn von Materie zu denken; so werden wir uns der Unmöglichkeit der Sache bewußt, und zwar als einer objektiven; obwohl sie ihre Wurzel in unserm Intellekt hat; sonst wir sie ja nicht auf subjektivem Wege zum Bewußtseyn bringen könnten. Überhaupt ist zwischen den transscendentalen und metalogischen Wahrheiten eine große Ähnlichkeit und Beziehung bemerkbar, die auf eine gemeinschaftliche Wurzel beider deutet. Den Satz vom[125] zureichenden Grunde vorzüglich sehn wir hier als metalogische Wahrheit, nachdem er im vorigen Kapitel als transscendentale Wahrheit aufgetreten war und im folgenden noch in einer andern Gestalt als transscendentale Wahrheit erscheinen wird. Daher eben bin ich in dieser Abhandlung bemüht, den Satz vom zureichenden Grunde als ein Urtheil aufzustellen, das einen vierfachen Grund hat, nicht etwan vier verschiedene Gründe, die zufällig auf das selbe Urtheil leiteten, sondern einen sich vierfach darstellenden Grund, den ich bildlich vierfache Wurzel nenne. Die drei andern metalogischen Wahrheiten haben eine so große Ähnlichkeit mit einander, daß man bei ihrer Betrachtung beinah nothwendig auf das Bestreben geräth, einen gemeinschaftlichen Ausdruck für sie zu suchen; wie auch ich Dies im 9. Kapitel des 2. Bandes meines Hauptwerks gethan habe. Dagegen sind sie vom Satze des zureichenden Grundes sehr unterschieden. Wollte man für jene drei andern metalogischen Wahrheiten ein Analogen unter den transscendentalen suchen, so würde wohl diese, daß die Substanz, will sagen die Materie, beharrt, zu wählen seyn.

Quelle:
Arthur Schopenhauer. Zürcher Ausgabe. Werke in zehn Bänden. Band 5, Zürich 1977, S. 124-126.
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