§ 46. Die systematische Ordnung.

[167] Die Reihenfolge, in welcher ich die verschiedenen Gestaltungen unsers Satzes aufgestellt habe, ist nicht die systematische, sondern bloß der Deutlichkeit wegen gewählt, um das Bekannte und Das, welches das Übrige am wenigsten voraussetzt, voranzuschicken; gemäß der Regel des Aristoteles: kai mathêseôs ouk apo tou prôtou, kai tês tou pragmatos archês eniote arkteon, all' hothen rast' an mathoi. (et doctrina non a primo, ac rei principio aliquando inchoanda est, sed unde quis facilius discat.) Metaph. IV, I. Die systematische Ordnung, in der die Klassen der Gründe folgen müßten, ist aber diese. Zuerst müßte der Satz vom Seynsgrund angeführt werden und zwar von diesem wieder zuerst seine Anwendung auf die Zeit, als welche das einfache, nur das Wesentliche enthaltende Schema aller übrigen Gestaltungen des Satzes vom zureichenden Grunde, ja, der Urtypus aller Endlichkeit ist. Dann müßte, nach Aufstellung des Seynsgrundes auch im Raum, das Gesetz der Kausalität, diesem das der Motivation folgen und der Satz vom zureichenden Grunde des Erkennens zuletzt aufgestellt werden; da die andern auf unmittelbare Vorstellungen, dieser aber auf Vorstellungen aus Vorstellungen geht.

Die hier ausgesprochene Wahrheit, daß die Zeit das einfache, nur das Wesentliche enthaltende Schema aller Gestaltungen des Satzes vom Grunde ist, erklärt uns die absolut vollkommene Klarheit und Genauigkeit der Arithmetik, worin keine andere[167] Wissenschaft ihr gleichkommen kann. Alle Wissenschaften nämlich beruhen auf dem Satze vom Grunde, indem sie durchweg Verknüpfungen von Gründen und Folgen sind. Die Zahlenreihe nun aber ist die einfache und alleinige Reihe der Seynsgründe und Folgen in der Zeit: wegen dieser vollkommenen Einfachheit, indem nichts ihr zur Seite liegen bleibt, noch irgendwo unbestimmte Beziehungen sind, läßt sie an Genauigkeit, Apodikticität und Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Hierin stehn alle andern Wissenschaften ihr nach; sogar die Geometrie: weil aus den drei Dimensionen des Raums so viele Beziehungen hervorgehn, daß die Übersicht derselben sowohl der reinen, wie der empirischen Anschauung zu schwer fällt; daher die komplicirteren Aufgaben der Geometrie nur durch Rechnung gelöst werden, die Geometrie also eilt, sich in Arithmetik aufzulösen. Daß die übrigen Wissenschaften mancherlei verdunkelnde Elemente enthalten, brauche ich nicht darzuthun.

Quelle:
Arthur Schopenhauer. Zürcher Ausgabe. Werke in zehn Bänden. Band 5, Zürich 1977, S. 167-168.
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