§ 50. Reihen der Gründe und Folgen.

[172] Nach dem Gesetz der Kausalität ist die Bedingung immer wieder bedingt und zwar auf gleiche Art: daher entsteht a parte ante eine series in infinitum. Eben so ist es mit dem Seynsgrund im Raum: jeder relative Raum ist eine Figur, hat Gränzen, die ihn mit einem andern in Verbindung setzen und wieder die Figur dieses andern bedingen, und so nach allen Dimensionen, in infinitum. Betrachtet man aber eine einzelne Figur in sich, so hat die Reihe der Seynsgründe ein Ende; weil man von einem gegebenen Verhältniß anhub: wie auch die Reihe der Ursachen ein Ende hat, wenn man bei irgend einer Ursache beliebig stehn bleibt. In der Zeit hat die Reihe der Seynsgründe sowohl a parte ante, wie a parte post eine unendliche Ausdehnung, indem jeder Augenblick durch einen früheren bedingt ist und den folgenden nothwendig herbeiführt, die Zeit also weder Anfang noch Ende haben kann. Die Reihe der Erkenntnißgründe dagegen, d.h. eine Reihe von Urtheilen, deren jedes dem andern logische Wahrheit ertheilt, endigt immer irgendwo, nämlich entweder in einer empirischen, oder transscendentalen, oder metalogischen Wahrheit. Ist das erstere, also eine empirische Wahrheit der Grund des obersten Satzes, darauf man geführt worden, und man fährt fort zu fragen Warum; so ist was man jetzt verlangt kein Erkenntnißgrund mehr, sondern eine Ursache: d.h. die Reihe der Gründe des Erkennens geht über in die Reihe der Gründe des Werdens. Macht man nun aber es ein Mal umgekehrt, läßt nämlich die Reihe der Gründe des Werdens, damit sie ein Ende finden könne, übergehn in die Reihe der Gründe des Erkennens; so ist Dies nie durch die Natur der Sache herbeigeführt, sondern durch specielle Absicht, also ein Kniff, und zwar ist es das unter dem Namen des ontologischen[172] Beweises bekannte Sophisma. Nämlich nachdem man, durch den kosmologischen Beweis, zu einer Ursache gelangt ist, bei welcher man stehn zu bleiben Belieben trägt, um sie zur ersten zu machen, das Gesetz der Kausalität jedoch sich nicht so zur Ruhe bringen läßt, sondern fortfahren will, Warum zu fragen; so schafft man es heimlich bei Seite und schiebt ihm den ihm von Weitem ähnlich sehenden Satz vom Erkenntnißgrunde unter, giebt also, statt der hier verlangten Ursache, einen Erkenntnißgrund, der aus dem zu beweisenden, seiner Realität nach also noch problematischen, Begriff selbst geschöpft wird und der nun, weil er doch ein Grund ist, als Ursache figuriren muß. Natürlich hat man jenen Begriff schon zum voraus darauf eingerichtet, indem man die Realität, allenfalls, des Anstandes halber, noch in ein Paar Hüllen gewickelt, hineinlegte und sich also die nunmehrige, freudige Überraschung, sie darin zu finden, vorbereitete, – wie wir Dies schon oben, § 7, näher beleuchtet haben. – Beruht hingegen eine Kette von Urtheilen zuletzt auf einem Satz von transscendentaler, oder metalogischer Wahrheit, und man fährt fort zu fragen Warum; so giebt es darauf keine Antwort, weil die Frage keinen Sinn hat, nämlich nicht weiß, was für einen Grund sie fordert. Denn der Satz vom Grunde ist das Princip aller Erklärung: eine Sache erklären heißt ihren gegebenen Bestand, oder Zusammenhang, zurückführen auf irgend eine Gestaltung des Satzes vom Grunde, der gemäß er seyn muß, wie er ist. Diesem gemäß ist der Satz vom Grunde selbst, d.h. der Zusammenhang, den er, in irgend einer Gestalt, ausdrückt, nicht weiter erklärbar; weil es kein Princip giebt, das Princip aller Erklärung zu erklären, – oder wie das Auge Alles sieht, nur sich selbst nicht. – Von den Motiven giebt es zwar Reihen, indem der Entschluß zur Erreichung eines Zwecks, Motiv wird des Entschlusses zu einer ganzen Reihe von Mitteln: doch endigt diese Reihe immer a parte priori in einer Vorstellung aus den zwei ersten Klassen, woselbst das Motiv liegt, welches ursprünglich vermochte, diesen individuellen Willen in Bewegung zu setzen. Daß es nun Dieses konnte, ist ein Datum zur Erkenntniß des hier gegebenen empirischen Charakters: warum dieser aber dadurch bewegt werde, kann nicht beantwortet werden, weil der intelligible Charakter außer der Zeit liegt und nie Objekt wird. Die Reihe der Motive als solcher findet also in einem solchen letzten Motiv ihr Ende[173] und geht, jenachdem ihr letztes Glied ein reales Objekt, oder ein bloßer Begriff war, über in die Reihe der Ursachen, oder in die der Erkenntnißgründe.

Quelle:
Arthur Schopenhauer. Zürcher Ausgabe. Werke in zehn Bänden. Band 5, Zürich 1977, S. 172-174.
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