II

[49] Er war aus einem Hause nahe bei Osaka, dessen Garten im Frühjahr unter einem Traum von Kirschblüten verschwand, und dort hatte er, weltverloren und still, kleine unbedeutende Bilder gemalt, die den ganzen Sinn seines Daseins erfüllten. Vor einigen Wochen war er einberufen worden. Man hatte ihn gekleidet und mit unzähligen andern hinübergeschifft.

Gestern abend war er in dieser unermeßlichen Fläche angelangt, die nach gewaltigen Schlachten sich eben unter noch einer noch größeren dehnte und die Ahnung einer letzten entscheidenden in sich trug. Er war noch immer betäubt von der neuen Welt, die plötzlich auf ihn eindrang, eine arme scheue Seele, die sich in der Menge verloren sah. Die ungeübten Hände rieben sich wund. Die andern, Reisarbeiter und Sänftenträger, spotteten. Das Haus unter den Kirschblüten, das ganze frühere Leben mit seiner kleinen Wichtigkeit, weich und süß, schwand verblassend dahin, als sei es niemals mehr als Traum gewesen.[49]

Der Mond war in der Kühle aufgestiegen. Eine strahlende Nacht entfaltete sich über dem gequälten Boden, der sich mit tausend Lagerfeuern, den hallenden Rufen, fernem Geschützdonner und Schritt vorbeiziehender Kolonnen zu schwerem Schicksal rüstete. Da saß er, der stille magere Mann, den niemand beachtete, und hörte zum erstenmal, wie aus den andern das mächtige Bewußtsein sprach, für ein großes Volk da zu sein, den Tod vor sich, die mit Toten übersättigte Erde unter sich, in der Ferne aber das Ziel einer ruhmreichen Bahn. Er schwieg. Ihn erdrückte dieses Wollen durch alle die Leiber hindurch, während ein lautloser Wind um seine bebenden Schläfen strich.

Und langsam erwachte in ihm ein heißer Wunsch, auch so zu sein, und nahm ihn gefangen, unter atemlosen, selig-süßen Schauern, wie er im bleichen Mondlicht dasaß, winzig, einsam im ewigen All, ohne daß jemand die große Wandlung bemerkt hätte, die sich in seinem Innern vollzog.

Das einstige Leben wanderte in die Ferne. Kaum möglich, daß es jemals wirklich war, wie es nun erschien mit seinen Bildchen und Farben und den freundlichen Gesichtern derer, die davor standen und sie mitnahmen.

Er blickte staunend in das Feuer und auf die geröteten Gesichter ringsum, während der Silberrand einer Wolke, die am Mond vorbeizog, seltsam blinkte. Sie spiegelte sich langsam in glitzernden Waffen. Lärm und Gelächter erscholl. In der Nähe sang man, und leise fortgesetzt verlor sich das Lied in die Nacht. Niemand achtete auf ihn. Ein heißer Strahl des Wollens von Millionen hatte sich in ihn gesenkt. Das Gefühl einer Sendung erfüllte ihn jäh und streifte alles ab, was von kleinen Wünschen je in ihm war. Seine Schultern hoben sich, die Brust atmete tief, das Auge glänzte, aber er allein fühlte sich wachsen und kein Auge eines andern sah, wie es sich in ihm erschloß.

Quelle:
Oswald Spengler: Reden und Aufsätze. München 1937, S. 49-50.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Reden und Aufsätze
Reden und Aufsätze