Neunzehntes Kapitel
Es wird gezeigt, dass das oberste Recht in Religionsangelegenheiten bei der Staatsgewalt sein müsse, und dass der äussere Gottesdienst dem Frieden des Staates angepasst werden müsse, wenn man Gott recht gehorchen wolle.

[254] Wenn ich oben gesagt habe, dass die Inhaber der Staatsgewalt allein das Recht zu Allem haben, und dass alles Recht nur von ihrem Beschlusse abhängt, so habe ich dies nicht blos von dem bürgerlichen Kochte, sondern auch von dem geistlichen gemeint; auch von diesem müssen sie die Erklärer und Vertheidiger sein. Ich erkläre das hier ausdrücklich und werde in diesem Kapitel absichtlich darüber handeln, weil von Vielen bestritten wird, dass dieses geistliche Recht der Staatsgewalt zustehe, und weil sie von diesen nicht als Auslegerin des göttlichen Rechtes anerkannt wird. Deshalb erlauben diese Leute sich auch, sie anzuklagen, sie abzusetzen, ja aus der Kirche auszuschliessen, wie zuerst Ambrosius mit dem Kaiser Theodosius gethan hat. Es wird weiter unten gezeigt werden, dass sie auf diese Weise die Staatsgewalt zertheilten, ja selbst danach strebten; vorher will ich aber zeigen, dass die Religion die Kraft eines Gesetzes nur durch den Beschluss der Inhaber der Staatsgewalt erlangen kann, und dass Gott keine besondere Herrschaft über die Menschen führt, sondern dies nur durch Die thut, welche die Staatsgewalt haben; ferner, dass der Gottesdienst und die Uebung der Frömmigkeit sich dem Frieden und Nutzen des Staats unterordnen muss und deshalb nur von der Staatsgewalt eingerichtet worden soll, die deshalb auch die Erklärer derselben sein muss. Ich spreche ausdrücklich von der Uebung der Frömmigkeit und von dem äusseren Gottesdienst, nicht von der Frömmigkeit selbst und von dem inneren Gottesdienst, oder von den Mitteln, wodurch die Seele innerlich bestimmt wird, Gott mit voller Seele zu verehren. Dieser innere Gottesdienst und diese[254] Frömmigkeit gehört zu den besonderen Rechten jedes Einzelnen, die, wie in Kap. 17 gezeigt worden, auf einen Anderen nicht übertragen werden können. Was ich ferner unter Reich Gottes hier verstelle, erhellt genügend aus Kap. 14, wo ich gezeigt habe, dass Derjenige das Gesetz Gottes erfüllt, welcher nach Gottes Willen die Gerechtigkeit und Liebe übt; daraus folgt, dass das Reich Gottes da ist, wo die Gerechtigkeit und Liebe die Kraft des Rechts und Gesetzes haben. Auch erkenne ich hier keinen Unterschied an, ob Gott den wahren Dienst der Gerechtigkeit und Liebe durch das natürliche Licht oder durch Offenbarung gelehrt und geboten hat; denn auf die Art der Mittheilung kommt es dabei nicht an, wenn es nur das höchste Gesetz ist und als solches den Menschen gilt. Wenn ich daher jetzt zeigen will, dass die Gerechtigkeit und Liebe die Kraft des Rechtes und Gesetzes nur durch das Recht des Staats erlangen kann, so ergiebt sich leicht, da das Recht des Staats nur bei der höchsten Gewalt ist, dass die Religion die Kraft des Rechts nur durch den Beschluss Derer erlangen kann, welche die weltliche Staatsmacht innehaben, und dass Gott neben Diesen nicht noch eine besondere Herrschaft über die Menschen führt. Dass aber der Dienst der Gerechtigkeit und Liebe die Kraft des Rechts nur durch das Recht des Staates erlangt, erhellt aus dem Früheren; denn in Kap. 16 habe ich nachgewiesen, dass im natürlichen Zustande die Vernunft nicht mehr Recht hat als die Begierde, und dass sowohl Die, welche nach den Gesetzen der Begierde, wie die, welche nach den Gesetzen der Vernunftleben, das Recht auf Alles, was sie vermögen, haben. Deshalb habe ich in dem natürlichen Zustande keine Sünde angenommen und Gott nicht als einen Richter vorgestellt, der die Menschen wegen ihrer Sünden straft, sondern dass da Alles nach den allgemeinen Gesetzen der ganzen Natur geschieht, und dieselben Ereignisse, um mit Salomo zu reden, den Gerechten und Gottlosen, den Reinen und den Unreinen treffen, und weder Platz für Gerechtigkeit noch Liebe ist. Damit aber die Lehren der wahren Vernunft, d.h. wie ich in Kap. 4 bei dem göttlichen Gesetz gezeigt habe, die göttlichen Lehren die Kraft des Rechtes unbedingt erhielten, war es nöthig, dass Jeder sein natürliches Recht aufgab, und Alle es auf Alle oder Einige[255] oder Einem übertrugen. Erst damit wurde klar, was Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit, was Billigkeit und Unbilligkeit sei. Die Gerechtigkeit und überhaupt alle Lehren der wahren Vernunft und folglich auch die Liebe gegen den Nächsten erhalten also nur durch das Recht des Staates, d.h. nach dem in demselben Kapitel Gezeigten, mir durch den Beschluss Derer die Kraft des Rechts und Gesetzes, welche die höchste Staatsgewalt inne haben. Da nun, wie ich dargelegt, das Reich Gottes nur in dem Rechte der Gerechtigkeit und Liebe oder in dem Rechte der wahren Religion besteht, so folgt, wie ich behauptet habe, dass Gott kein anderes Reich unter den Menschen hat als das durch die Inhaber der Staatsgewalt geübte. Es ist dabei gleich, ob man meint, die Religion sei durch das natürliche Licht oder mittelst der Propheten offenbart; denn der Beweis gilt allgemein, da die Religion dieselbe von Gott mitgetheilte ist, mag sie so oder so den Menschen bekannt geworden sein. Deshalb musste auch bei den Juden, wenn die durch die Propheten geoffenbarte Religion die Kraft des Rechts erlangen sollte, Jeder sein natürliches Recht aufgeben, und Alle gemeinsam festsetzen, nur dem zu gehorchen, was die Propheten ihnen offenbaren würden, wie dies in dem demokratischen Staat geschieht, wo Alle mit gemeinsamer Uebereinstimmung beschliessen, nur nach dem Gebot der Vernunft zu leben.

Wenn auch die Juden nebenbei ihr Recht auf Gott übertragen haben, so konnten sie das doch nur in Gedanken, aber nicht durch die That vollziehen. Denn sie behielten in Wahrheit, wie wir gesehen haben, die unbeschränkte Staatsgewalt, bis sie diese auf Moses übertrugen, welcher dann unbeschränkter König blieb, und Gott hat die Juden nur durch ihn regiert. Ferner konnte aus diesem Gründe, dass die Religion nur durch das Recht des Staates die rechtliche Natur erlangt, Moses Diejenigen nicht ebenso mit dem Tode bestrafen, welche vor dem Vertrage, wo sie also noch in ihrem natürlichen Rechte waren, den Sabbath verletzt hatten (Exod. XV. 30), als die, welche nach dem Vertrage dies thaten (Num. XV. 36), wo sie ihr Recht abgetreten hatten, und der Sabbath nach dem Staatsrecht die Kraft eines Gebotes annahm. Endlich hat deshalb auch nach dem Untergang[256] des jüdischen Staates die geoffenbarte Religion aufgehört, die Kraft des Rechts zu haben; denn unzweifelhaft hat von da ab, wo die Juden ihr Recht auf den babylonischen König übertrugen, das Reich Gottes und das göttliche Recht sofort aufgehört. Denn damit war der Vertrag völlig aufgehoben, in dem sie Gott zugesagt hatten, allen seinen Worten zu gehorchen, der die Grundlage des Rechtes Gottes gebildet hatte, und sie konnten nicht mehr an denselben halten, da sie von da ab nicht mehr selbstständig waren, wie in der Wüste oder in ihrem Lande, sondern dem König von Babylon gehörten, dem sie, wie ich in Kap. 16 gezeigt habe, in Allem zu gehorchen hatten. Auch Jeremias sagt dies ausdrücklich XIX. 7. »Bedenkt«, sagt er, »den Frieden des Reichs, wohin ich Euch als Gefangene geführt habe; bleibt jenes unversehrt, so werdet auch Ihr unversehrt bleiben.« Für die Wohlfahrt dieses Staates konnten sie aber nicht als dessen Diener, da sie Gefangene waren, sondern nur als dessen Sklaven sorgen; indem sie sich zur Vermeidung von Aufständen in Allem gehorsam bewiesen, die Gesetze und Rechte des Landes beobachteten, wenn sie auch von den im Vaterland gewohnten sehr verschieden waren u.s.w.

Aus alledem ergiebt sich auf das Klarste, dass bei den Juden die Religion die Kraft des Rechts nur von dem Recht des Staates erhalten hat, und dass sie nach dessen Zerstörung nicht mehr als das Recht eines besonderen Staates, sondern als eine allgemeine Lehre der Vernunft gelten kann; der Vernunft, sage ich, da die katholische Religion damals noch nicht offenbart war.

Ich folgere deshalb unbedingt, dass die Religion, sei sie durch das natürliche Licht oder das prophetische offenbart, die Kraft eines Gebotes nur durch den Beschluss des Inhabers der Staatsgewalt erhält, und dass Gott kein besonderes Reich bei den Menschen hat, als nur durch Die, welche die Staatsgewalt inne haben. Dies folgt auch und wird deutlicher aus dem in Kap. 4 Gesagten. Dort habe ich gezeigt, dass alle Beschlüsse Gottes eine ewige Wahrheit und Nothwendigkeit einschliessen, und dass man Gott nicht als einen Fürsten oder Gesetzgeber für die Menschen auffassen könne. Deshalb erhalten die göttlichen Lehren, welche das natürliche oder prophetische Licht offenbart, die Kraft eines Gebotes nicht unmittelbar[257] von Gott, sondern nur von Denen oder mittelst Derer, welche das Recht der Staatsgewalt besitzen. Man kann deshalb auch ohne ihre Vermittlung sich nicht vorstellen, dass Gott über die Menschen herrscht und die menschlichen Angelegenheiten nach Gerechtigkeit und Billigkeit leitet. Auch die Erfahrung bestätigt dies; denn man findet die Spuren der göttlichen Gerechtigkeit nur da, wo die Gerechten regieren; anderwärts, um die Worte Salomo's zu wiederholen, trifft das Gleiche den Gerechten wie den ungerechten, den Reinen wie den Unreinen; ein Umstand, der Viele, welche meinten, Gott regiere die Menschen unmittelbar und leite die ganze Natur zu ihrem Nutzen, an der göttlichen Vorsehung hat zweifeln lassen.

Wenn sonach sowohl die Erfahrung wie die Vernunft ergiebt, dass das göttliche Rocht von dem Beschluss der Staatsgewalt abhängt, so folgt, dass sie auch seine Auslegerin ist. Aber in welcher Weise sie dies ist, wird sich später zeigen; denn es ist Zeit, dass ich darlege, wie der äussere Gottesdienst und alle Hebung der Frömmigkeit sich dem Frieden und der Erhaltung des Staates zu fügen hat, wenn man Gott recht gehorchen will. Nach dieser Darlegung wird dann sich die Art leicht ergeben, in der die Staatsgewalt Religion und Frömmigkeit auszulegen hat.

Es ist gewiss, dass die Treue gegen das Vaterland das Höchste ist, was Jemand zu leisten hat; denn wenn der Staat aufgehoben ist, so kann nichts Gutes bestehen bleiben, Alles kommt in Gefahr, und nur die Leidenschaften und die Gottlosigkeit herrschen dann durch die Furcht über Alles. Deshalb wird selbst das Fromme, was man dem Nächsten erweist, zu einem Gottlosen, wenn es zum Schaden des ganzen Staates gereicht, und ebenso kann man nichts Gottloses an ihm begehen, was nicht als fromm gelten muss, wenn es zur Erhaltung des Staates geschieht. So ist es z.B. fromm, Dem, der mit mir streitet und meinen Rock nehmen will, auch den Mantel zu geben; sollte aber dies der Erhaltung des Staates gefährlich werden, so ist es im Gegentheil fromm, ihn vor Gericht zu fordern, selbst wenn das Todesurtheil gegen ihn ausgesprochen werden muss. Deshalb wird Manlius Torquatus gefeiert, dass er das Wohl des Vaterlandes über die Liebe zum Sohn gestellt hat. Ist dies richtig,[258] so folgt, dass das Wohl des Volkes das höchste Gesetz bildet, dem sich alle, sowohl menschliche wie göttliche, unterordnen müssen. Da aber nur der höchsten Staatsgewalt obliegt, zu bestimmen, was zu dem Wohl des ganzen Volkes und zur Sicherheit des Rechts nöthig ist, und was sie dazu für nöthig hält, anzuordnen, so folgt, dass es auch nur ihr zukommt, zu bestimmen, wie Jeder seinem Nächsten in Frömmigkeit zu helfen, d.h. wie Jeder Gott zu gehorchen hat.

Daraus ergiebt sich, in welchem Sinne die höchste Staatsgewalt die Auslegerin der Religion ist, ferner, dass Niemand Gott recht gehorchen kann, wenn er die Hebung der Frömmigkeit, zu der Jeder schuldig ist, dem allgemeinen Nutzen nicht anpasst, und folglich, wenn er nicht allen Geboten der höchsten Staatsgewalt Folge leistet. Denn da wir Alle auf Gottes Gebot ohne Ausnahme die Frömmigkeit üben und Niemandem schaden sollen, so folgt, dass es Niemandem erlaubt ist, Jemand auf Kosten eines Anderen und noch weniger mit dem Schaden des ganzen Staates zu helfen. Folglich kann Niemand nach Gottes Gebot seinem Nächsten in Frömmigkeit beistehen, wenn er die Frömmigkeit der Religion nicht dem allgemeinen Nutzen anpasst. Nun kann aber der Einzelne nur aus den Beschlüssen der höchsten Staatsgewalt, welcher die Sorge für die öffentlichen Angelegenheiten obliegt, entnehmen, was dem Staate nützlich ist; deshalb kann Niemand die Frömmigkeit recht üben und Gott recht gehorchen, als nur, wenn er den Geboten der höchsten Staatsgewalt Folge leistet.

Dies wird auch durch die Praxis bestätigt. Kein Unterthan darf Dem Hülfe leisten, welchen die höchste Staatsgewalt des Todes schuldig oder für ihren Feind erklärt hat, sei es ein Bürger oder ein Fremder, ein Privatmann oder der Herrscher eines anderen Staates. Deshalb waren auch die Juden, obgleich es ihnen geboten war, ihren Nächsten wie sich selbst zu lieben (Levit. XIX. 17, 18), doch schuldig, den, der gegen das Gebot des Gesetzes etwas begangen hatte, dem Richter anzuzeigen (Lev. V. 1, Deut. XIII. 8, 9) und ihn, wenn er des Todes schuldig erklärt wurde, zu tödten (Deut. XVII. 7). Damit ferner die Juden ihre erlangte Freiheit bewahren und das eroberte Land unter ihrer unbedingten Herrschaft behalten[259] konnten, war es, wie ich Kap. 17 gezeigt habe, nothwendig, dass sie die Religion ihrem Staatswesen ausschliesslich anpassten und von den übrigen Völkern sonderten. Deshalb war ihnen geheissen: Liebe Deinen Nächsten und hasse Deinen Feind (Matth. V. 43). Nachdem sie aber die Staatsgewalt verloren hatten und in die babylonische Gefangenschaft geführt worden waren, belehrte Jeremias sie, auch dafür zu sorgen, dass dem Staate, wohin sie als Gefangene gebracht worden, kein Schaden geschehe; und als Christus sah, dass sie über den ganzen Erdkreis Zerstreut werden würden, lehrte er, dass Alle die Frömmigkeit gegen Jedermann ohne Ausnahme üben sollten. Dies Alles zeigt auf das Klarste, dass die Religion immer dem Wohl des Staates angepasst worden ist.

Fragt aber Jemand, mit welchem Rechte denn die Jünger Christi, die blosse Privatleute waren, die Religion haben lehren können, so antworte ich, dass sie es auf Grund der Gewalt gethan haben, die sie von Christus gegen die unreinen Geister empfangen haben (Matth. X. 1). Denn ich habe schon oben am Schluss des 16. Kapitels ausdrücklich bemerkt, dass man auch den Tyrannen die Treue bewahren müsse, mit Ausnahme Dessen, dem Gott durch sichere Offenbarung einen besonderen Beistand gegen den Tyrannen versprochen hat. Deshalb kann daran Niemand ein Beispiel nehmen, wenn er nicht auch die Macht hat, Wunder zu verrichten; wie auch daraus erhellt, dass Christus seinen Jüngern gesagt hat, sie sollten Die nicht fürchten, welche den Körper tödten (Matth. XVI. 28). Wäre dies Jedem gesagt worden, so würde der Staat vergeblich errichtet sein, und jene Worte Salomo's (Sprüchwörter XXIV. 21): »Mein Sohn, fürchte Gott und den König,« wären ein gottloses Wort, was aber durchaus falsch ist, und man muss deshalb anerkennen, dass jene Gewalt, welche Christus seinen Jüngern ertheilt hat, ihnen nur für ihre Person gegeben worden ist, und Andere daran kein Beispiel nehmen können.

Uebrigens machen mich die Gründe meiner Gegner nicht bedenklich, durch die sie das geistliche Recht von dem bürgerlichen trennen und behaupten, nur dieses sei bei der höchsten Staatsgewalt, jenes aber bei der allgemeinen Kirche; sie sind so leichtfertig, dass sie keine[260] Widerlegung verdienen. Das Eine kann ich nicht mit Stillschweigen übergehen, dass sie sich selbst kläglich täuschen, wenn sie zur Rechtfertigung dieser aufrührerischen Ansicht, welches harte Wort man mir verzeihen möge, das Beispiel des Hohenpriesters der Juden benutzen, da dieser ehedem auch das Recht hatte, die heiligen Angelegenheiten zu verwalten; sie vergessen, dass die Hohenpriester dieses Recht von Moses empfangen hatten, welcher, wie ich oben gezeigt habe, die höchste Staatsgewalt allein besass, und durch dessen Beschluss sie mithin auch dieses Rechtes wieder beraubt werden konnten. Er selbst wählte ja nicht blos den Aaron, sondern auch dessen Sohn Eleazar und Enkel Pincha, und gab diesen die Macht, das Hohepriesterthum zu verwalten, was nachher die Hohenpriester so behielten, dass sie den noch als die Beamten Mosis, d.h. der höchsten Staatsgewalt erscheinen. Denn Moses erwählte, wie gesagt, keinen Nachfolger in der Herrschaft, sondern vertheilte dessen Geschäfte so, dass die Späteren seine Verweser wurden, welche die Staatsgewalt verwalteten, als wenn der König nur abwesend und nicht todt wäre. Im zweiten Reiche hatten dann die Hohenpriester dieses Recht unbeschränkt, nachdem sie zu dem Priesterthum auch das fürstliche Recht erlangt hatten.

Deshalb hängt das Recht des Hohenpriesters immer von der Bewilligung der Staatsgewalt ab, und die Hohenpriester haben es immer nur mit derselben inne gehabt. Ja, das Recht in Religionsangelegenheiten ist immer bei den Königen gewesen, wie sich aus dem in diesem Kapitel Folgenden ergeben wird. Nur ein Recht hatten sie nicht; sie durften nicht bei Verwaltung der Heiligthümer im Tempel helfen, weil Alle, die nicht von Aaron abstammten, für weltlich gehalten wurden, was aber bei einem christlichen Staate nicht stattfindet. Deshalb sind offenbar heutzutage die Religionsangelegenheiten nur ein Recht der Staatsgewalt; deren Verwaltung verlangt eine besondere Sittlichkeit, aber nicht eine besondere Familie, und deshalb können die Inhaber der Staatsgewalt als Weltliche nicht von ihnen ausgeschlossen werden, und nur auf der Macht oder der Erlaubniss der höchsten Staatsgewalt ruht das Recht und die Macht, die Religionsangelegenheiten zu verwalten, ihre Diener zu erwählen,[261] die Grundlagen der Kirche und ihre Lehre zu bestimmen und festzustellen, über die Sitten und frommen Handlungen zu urtheilen, Jemand in die Kirche aufzunehmen oder daraus zu verstossen und für die Armen zu sorgen.

Dies ist nicht blos wahr, wie ich bewiesen habe sondern auch durchaus nothwendig, sowohl zur Erhaltung der Religion selbst wie des Staates. Denn es ist bekannt, wie viel das Recht und die Macht über die geistlichen Dinge bei dem Volke bedeutet, und wie Alle auf den Mund Dessen lauschen, der diese Macht besitzt; so dass man sagen kann, dass der Inhaber dieser Macht am meisten über die Gemüther gebietet. Wer mithin dieses Recht der höchsten Staatsgewalt entziehen will, strebt nach Theilung der Herrschaft, woraus unvermeidlich, wie sonst zwischen den Königen und Hohenpriestern der Juden, Streit und Unfrieden ohne Ende entstehen muss. Ja, wer diese Macht der weltlichen Gewalt entziehen will, der sucht nach einem Weg zur Herrschaft, wie ich dargelegt habe. Denn was hat die Staatsgewalt zu beschliessen, wenn ihr dieses Recht verweigert wird? Fürwahr nichts, weder über den Krieg noch über den Frieden noch sonst eine Angelegenheit; da sie auf den Ausspruch Dessen warten muss, der sie lehrt, ob das, was sie für nützlich hält, fromm oder gottlos ist; vielmehr geschieht dann Alles nach dem Beschlusse Jenes, der über das Fromme und Gottlose, über das Rocht und Unrecht urtheilen und entscheiden kann.

Alle Jahrhunderte haben Beispiele hierzu erlebt; ich will nur eins für viele anführen. Dem Römischen Hohenpriester war dieses Recht eingeräumt, und so brachte er allmählich alle Könige unter seine Gewalt, bis er zu dem Gipfel der Herrschaft aufgestiegen war. Wenn später die Fürsten und insbesondere die deutschen Kaiser dessen Ansehen nur um ein Geringes zu vermindern suchten, so war dieses vergeblich; vielmehr vermehrten sie nur dadurch in vielen Fällen dessen Macht. Denn das, was kein Monarch mit Eisen oder Feuer, vermag, das haben die Priester mit der blossen Feder vermocht. Daraus allein erhellt ihre Kraft und Gewalt und die Nothwendigkeit, dass die Staatsgewalt diese Macht an sich behalte.

Ueberdenkt man, was ich früher ausgeführt, so sieht man, dass dieses auch nicht wenig zum Wachsthum der[262] Religion und Frömmigkeit selbst beitragen muss. Denn ich habe oben gezeigt, dass selbst die Propheten trotz ihrer Begabung mit göttlicher Tugend doch als Einzelne durch ihr Recht, zu ermahnen, zu tadeln und zu schelten, die Menschen mehr gereizt als gebessert haben; während sie leicht sich den Ermahnungen oder Züchtigungen der Könige fügten. Ferner sind die Könige selbst oft nur deshalb, weil ihnen dieses Recht nicht zustand, von der Religion abgefallen und mit ihnen beinahe das ganze Volk. Selbst in christlichen Ländern hat sich dies aus diesem Grunde oft zugetragen.

Wenn man mich aber fragt, wer dann, wenn die Inhaber der Staatsgewalt gottlos sein wollten, die Frömmigkeit vertheidigen solle? ob Jene auch dann als Erklärer derselben gelten sollen? so frage ich dagegen: Wie aber, wenn die Geistlichen, die auch Menschen sind, und Einzelne, denen nur ihre Geschäfte zu besorgen obliegt, oder Andere, bei denen das Recht über die geistlichen Dinge sein soll, gottlos sein wollen, sollen auch dann sie als dessen Erklärer gelten. Es ist sicher, dass, wenn die Inhaber der Staatsgewalt nach ihrem Belieben vorgehen wollten, Alles, mögen sie das Recht über die geistlichen Dinge haben oder nicht, das Geistliche wie das Weltliche, in schlechten Zustand gerathen wird, und zwar um so schneller, wenn Einzelne das göttliche Recht in aufrührerischer Weise beanspruchen. Deshalb wird damit nichts erreicht, dass ihnen dieses Recht versagt wird, sondern das Uebel wird vielmehr vergrössert, da sie deshalb allein gottlos werden müssen, wie die jüdischen Könige, denen dieses Recht nicht unbedingt zustand, und somit wird die Beschädigung des Staates und sein Unglück aus einem Ungewissen und zufälligen zu einem sicheren und nothwendigen gemacht.

Sowohl in Hinsicht auf die Wahrheit der Sache wie die Sicherheit des Staates und die Vermehrung der Frömmigkeit ist man deshalb zur Annahme genöthigt, dass das göttliche Recht oder das Recht über die geistlichen Dinge von dem Beschluss der höchsten Staatsgewalt abhängig sein und sie der Ausleger und Beschützer derselben sein muss; woraus folgt, dass sie auch der Diener des Wortes Gottes ist, welcher das Volk durch das Ansehn der höchsten Gewalt die Frömmigkeit lehrt, wie[263] sie nach ihrem Beschluss dem allgemeinen Wohl angepasst ist.

Ich habe noch darzulegen, weshalb in den christlichen Staaten immer über dieses Recht gestritten worden ist, während doch die Juden, so viel ich weiss, niemals darüber zweifelhaft gewesen sind. Es kann allerdings ungeheuerlich erscheinen, dass eine so klare und nothwendige Sache immer in Frage gestanden, und dass die höchsten Staatsgewalten dieses Recht immer nur mit Streit, ja mit Gefahr des Aufstandes und zum Schaden für die Religion besessen haben. Könnte ich hierfür keinen sicheren Grund angeben, so würde ich gern glauben, dass die Ausführungen dieses Kapitels nur eine Theorie sind und zu jener Gattung von Spekulationen gehören, die keine Anwendung finden können. Allein wenn man die Anfänge der christlichen Religion betrachtet, so offenbart sich bald die Ursache davon. Denn die christliche Religion ist nicht zuerst von den Königen gelehrt worden, sondern von Privatpersonen, welche lange Zeit hindurch gegen den Willen der Staatsgewalt, deren Unterthanen sie waren, in Privatkirchen predigten, die heiligen Gebräuche einsetzten und verwalteten und Alles allein ohne Rücksicht auf die Staatsgewalt einrichteten und beschlossen.

Als nun nach Abschluss vieler Jahre die Religion die des Staates zu werden begann, so mussten die Geistlichen, welche sie festgestellt hatten, sie auch den Kaisern lehren, und damit konnten sie es leicht erlangen, dass sie als die Lehrer und Ausleger und Hüter der Kirche und als die Stellvertreter Gottes anerkannt wurden. Auch sorgten die Geistlichen vortrefflich dafür, dass die christlichen Könige später diese Macht sich nicht anmassen konnten, indem sie den höheren Dienern der Kirche und dem höchsten Ansieger der Religion die Ehe untersagten. Dazu kam, dass sie die Lehrsätze der Religion zu einer so grossen Zahl vermehrt und mit der Philosophie so vermengt hatten, dass der oberste Ausleger auch der vornehmste Theologe und Philosoph sein und Müsse für eine Menge nutzloser Spekulationen haben musste, was nur bei Privatpersonen, die Müsse genug übrig hatten, eintreffen konnte.

Bei den Juden verhielt sich die Sache aber ganz anders. Ihre Kirche begann gleichzeitig mit dem Staat,[264] der unbedingte Inhaber der Staatsgewalt lehrte dem Volke auch die Religion, ordnete die heiligen Aemter und wählte deren Diener. Daher kam es, dass die königliche Macht bei dem Volke am meisten galt, und dass das Recht in den geistlichen Dingen wesentlich bei den Königen war. Denn wenn auch nach Mosis Tode Niemand die Staatsgewalt unbeschränkt besass, so war doch das Recht der Gesetzgebung sowohl in geistlichen Dingen wie sonst bei den Fürsten, und um in der Religion und Frömmigkeit belehrt zu werden, musste das Volk ebenso den höchsten Richter wie den Hohenpriester antreten (Deut. XVII. 9, 11), und wenn auch die Könige nicht dasselbe Recht wie Moses hatten, so hing doch die ganze Ordnung und das Wohl des geistlichen Dienstes von ihnen ab. Denn David richtete den ganzen Dienst des Tempels ein (1. Chronik XXVIII. 11, 12 u. f.); dann wählte er aus allen Leviten 24,000 zu dem Singen der Psalmen, und 6000, aus denen die Richter und Vorstände gewählt werden sollten, und 4000 Thürsteher, und 4000, die die Flöte spielen sollten (1. Chronik XXIII. 4, 5). Dann theilte er sie in Abtheilungen, deren Vorsteher er auch auswählte, und von denen jedesmal einer der Reihe nach den Dienst verrichtete (daselbst 5). Auch die Priester theilte er in so viel Abtheilungen. Damit ich nicht Alles einzeln darzustellen brauche, verweise ich den Leser auf die 2. Chronik VIII. 13, wo es heisst: »Der Gottesdienst sei so, wie ihn Moses eingerichtet, auf Befehl Salomo's im Tempel verwaltet worden,« und v. 14, »dass er selbst (Salomo) in seinen und der Leviten Aemtern die Priester in Abtheilungen eingetheilt nach dem Befehl des göttlichen Mannes David,« und in v. 15 bezeugt endlich der Geschichtschreiber: »dass sie in nichts von dem Gebote des Königs, was er an die Priester und Leviten erlassen, abgewichen seien; auch nicht in Verwaltung der Schatzkammer.« Daraus und aus der übrigen Geschichte der Könige erhellt klar, dass die ganze Hebung der Religion und der geistliche Dienst nur von dem Könige abgehangen hat; und wenn ich oben gesagt, dass die Könige nicht wie Moses den Hohenpriester wählen, Gott unmittelbar befragen und die Propheten verurtheilen konnten, die ihnen bei ihrem Leben weissagten, so habe ich dies nur gesagt, weil die Propheten nach ihrer Macht einen neuen[265] König wählen und dem Vatermörder verzeihen konnten; aber sie konnten nicht den König, wenn er etwas gegen die Gesetze unternahm, vor Gericht laden und nach dem Recht gegen ihn verfahren. Wenn es deshalb keine Propheten gegeben hätte, welche dem Vatermörder auf besondere Offenbarung Verzeihung sicher gewähren konnten, so hätten die Könige das Recht zu allen geistlichen wie bürgerlichen Dingen gehabt. Deshalb haben die heutigen Inhaber der Staatsgewalt, wo keine Propheten bestehen und angenommen zu werden brauchen, da sie dem jüdischen Gesetze nicht zugethan sind, dieses Recht unbeschränkt, wenn sie auch verheirathet sind, und werden es immer behalten, wenn sie nur die Lehrsätze der Religion nicht zu sehr vermehren, noch mit den Wissenschaften vermengen lassen.

Quelle:
Spinoza: Theologisch-politische Abhandlung. Berlin 1870, S. 254-266.
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