3. Über den Ursprung und die Natur der Affekte

Vorwort

[155] Viele, die über die Affekte und über die Lebensweise der Menschen geschrieben haben, scheinen nicht von natürlichen Dingen zu reden, welche den allgemeinen Naturgesetzen folgen, sondern von Dingen außerhalb der Natur. Ja, sie scheinen den Menschen in der Natur wie einen Staat im Staate anzusehen. Denn sie glauben, daß der Mensch die Ordnung der Natur mehr stört als befolgt und daß er über seine Handlungen eine absolute Macht hat und von niemand bestimmt wird als von sich selbst. Ferner suchen sie die Ursache der menschlichen Schwäche und Unbeständigkeit nicht in der gewöhnlichen Naturkraft, sondern ich weiß nicht in welchem Gebrechen der menschlichen Natur, welche sie daher beweinen, verlachen, verachten oder, was am häufigsten geschieht, verwünschen. Und wer die Schwäche des menschlichen Geistes recht beredt oder scharf durchzuhecheln versteht, der wird wie ein göttliches Wesen angesehen.

Indessen hat es doch auch an hervorragenden Männern nicht gefehlt (und ich gestehe, daß ich deren Arbeit und Fleiß viel zu verdanken habe), die über die rechte Lebensweise viel Treffliches geschrieben und den Sterblichen Ratschläge voll Klugheit gegeben haben. Die Natur und die Kräfte der Affekte aber, und was hinwiederum der Geist vermag, sie zu mäßigen, das hat, soviel ich weiß, noch niemand angegeben. Ich weiß zwar, daß der hochberühmte Cartesius, obschon auch er glaubte, der Geist habe über seine Handlungen eine absolute Macht, dennoch versucht hat, die menschlichen Affekte nach ihren ersten Ursachen zu erklären und zugleich den Weg zu zeigen, wie der Geist über die Affekte eine absolute Herrschaft[155] erlangen könne. Er hat aber damit, nach meiner Meinung wenigstens, nichts als den Scharfsinn seines großen Geistes gezeigt, was ich an der geeigneten Stelle beweisen werde.

Hier will ich mich wieder zu jenen wenden, welche die menschlichen Affekte und Handlungen lieber verwünschen oder verlachen, als verstehen wollen. Diesen wird es ohne Zweifel sonderbar vorkommen, daß ich die menschlichen Fehler und Torheiten auf geometrische Weise zu behandeln unternehme und nach einer vernünftigen Methode Dinge entwickeln will, welche sie jahraus, jahrein als vernunftwidrig und als eitel, albern und schrecklich verschreien.

Mein Grund aber ist folgender: Es geschieht in der Natur nichts, was ihr als Fehler angerechnet werden könnte. Denn die Natur ist immer dieselbe, und ihre Kraft und ihr Vermögen zu wirken ist überall gleich. Das heißt: Die Gesetze und Regeln der Natur, nach welchen alles geschieht und Formen in Formen verwandelt werden, sind überall und immer die gleichen. Daher kann es auch nur Eine Methode geben, nach welcher die Natur aller Dinge, welche es immer seien, erkannt wird, nämlich durch die allgemeinen Gesetze und Regeln der Natur. Es erfolgen darum die Affekte, wie Haß, Zorn, Neid, an sich betrachtet, aus derselben Notwendigkeit und Kraft der Natur wie alles andere. Hiernach haben sie ihre bestimmten Ursachen, durch welche sie erkannt werden, und haben bestimmte Eigenschaften, die unseres Erkennens ebenso würdig sind wie die Eigenschaften eines jeden andern Dinges, an dessen bloßer Betrachtung wir uns erfreuen.

Ich werde daher die Natur und die Kräfte der Affekte und die Macht des Geistes über dieselben nach derselben Methode behandeln, nach welcher ich in den vorigen Teilen Gott und den Geist behandelt habe, und die menschlichen Handlungen und Begierden geradeso betrachten, als handelte es sich um Linien, Flächen oder Körper.
[156]


Definitionen

1. Adäquate Ursache nenne ich eine Ursache, deren Wirkung klar und bestimmt durch diese Ursache erkannt werden kann. Inadäquate aber oder partiale Ursache nenne ich eine solche, deren Wirkung durch diese Ursache allein nicht erkannt werden kann.

2. Ich sage, daß wir tätig sind (handeln), wenn etwas in uns oder außer uns geschieht, dessen adäquate Ursache wir sind, d.h. (nach der vorigen Definition), wenn etwas in uns oder außer uns aus unserer Natur erfolgt, das durch sie allein klar und deutlich erkannt werden kann. Dagegen sage ich, daß wir leiden wenn in uns etwas geschieht oder aus unserer Natur etwas folgt, wovon wir nur die partiale Ursache sind.

3. Unter Affekte verstehe ich die Erregungen des Körpers, durch welche das Tätigkeitsvermögen des Körpers vergrößert oder verringert, gefördert oder gehemmt wird; zugleich auch die Ideen dieser Erregungen.

Wenn wir also die adäquate Ursache dieser Erregungen sein können, verstehe ich unter Affekt eine Tätigkeit (Handlung), im andern Fall ein Leiden.


Postulate

1. Der menschliche Körper kann auf viele Weisen erregt werden, durch welche sein Tätigkeitsvermögen vermehrt oder vermindert wird, aber auch auf viele andere Weisen durch welche sein Tätigkeitsvermögen weder vermehrt noch vermindert wird.

Dieses Postulat oder dieses Axiom stützt sich auf Postulat 1 und die Hilfssätze 5 und 7, Siehe diese nach Lehrsatz 13 im zweiten Teil.

2. Der menschliche Körper kann viele Veränderungen erleiden und dabei doch die Eindrücke oder Spuren der Objekte behalten (s. hierüber Postulat 5, Teil 2) und folglich auch dieselben Bilder der Dinge. Siehe deren Definition in der Anmerkung zu Lehrsatz 17 im zweiten Teil.[157]


Erster Lehrsatz

Unser Geist tut manches, manches aber leidet er. Sofern et nämlich adäquate Ideen hat, insofern tut er notwendig manches; und sofern er inadäquate Ideen hat, insofern leidet er notwendig manches.


Beweis

Die Ideen eines jeden menschlichen Geistes sind teils adäquate, teils verstümmelte und verworrene Ideen (nach Anmerkung zu Lehrsatz 40, Teil 2). Die Ideen aber, welche im Geiste eines Menschen adäquat sind, sind in Gott adäquat, sofern er das Wesen eben dieses Geistes ausmacht (nach Zusatz zu Lehrsatz 11, Teil 2). Diejenigen ferner, welche im Geiste inadäquat sind, sind in Gott ebenfalls adäquat (nach demselben Zusatz); nicht sofern er das Wesen bloß dieses Geistes ausmacht; sondern sofern er auch die Geister anderer Dinge zugleich in sich enthält. Ferner muß aus jeder gegebenen Idee notwendig irgendeine Wirkung folgen (nach Lehrsatz 36, Teil 1), deren adäquate Ursache Gott ist (s. Definition 1 dieses Teils), nicht sofern er unendlich ist, sondern sofern er als von dieser gegebenen Idee erregt betrachtet wird (s. Lehrsatz 19, Teil 2). Von dieser Wirkung aber, deren Ursache Gott ist, sofern er von einer Idee erregt ist, welche im Geiste eines Menschen adäquat ist, ist eben dieser Geist die adäquate Ursache (nach Zusatz zu Lehrsatz 11, Teil 2) Folglich tut unser Geist (nach Definition 2 dieses Teils), sofern er adäquate Ideen hat, notwendig etwas. Damit ist das erste bewiesen. – Was ferner notwendig aus einer Idee folgt, welche in Gott adäquat ist, nicht sofern er nur[158] den Geist eines Menschen ausmacht, sondern sofern er die Geister anderer Dinge zugleich mit dem Geiste dieses Menschen in sich hat, davon ist (nach demselben Zusatz zu Lehrsatz 11, Teil 2) der Geist jenes Menschen nicht die adäquate Ursache, sondern die partiale. Folglich leidet der Geist (nach Definition 2 dieses Teils), sofern er inadäquate Ideen hat, notwendig etwas. Damit ist das zweite bewiesen. – Also tut unser Geist usw. – W.z.b.w.


Zusatz

Hieraus folgt, daß der Geist um so mehr den Leiden unterworfen ist, je mehr inadäquate Ideen er hat, und daß er dagegen um so mehr tätig ist, je mehr adäquate Ideen er hat.


Zweiter Lehrsatz

Der Körper kann weder den Geist Zum Denken noch der Geist den Körper zur Bewegung oder zur Ruhe oder zu etwas anderem (wenn es ein solches gibt) bestimmen.


Beweis

Alle Daseinsformen des Denkens haben Gott zur Ursache, sofern er ein denkendes Ding ist, nicht aber, sofern er durch ein anderes Attribut ausgedrückt wird (nach[159] Lehrsatz 6, Teil 2). Dasjenige also, was den Geist zum Denken bestimmt, ist eine Daseinsform des Denkens, nicht aber der Ausdehnung; d.h. (nach Definition 1, Teil 2), es ist kein Körper. Damit ist das erste bewiesen. – Ferner, die Bewegung und die Ruhe des Körpers muß von einem andern Körper herrühren, welcher auch wieder zur Bewegung oder Ruhe von einem andern bestimmt worden ist. Überhaupt mußte alles, was in einem Körper vorgeht, von Gott herrühren, sofern er als durch eine Daseinsform der Ausdehnung, nicht aber, sofern er als durch eine Daseinsform des Denkens erregt betrachtet wird (nach demselben Lehrsatz 6, Teil 2); d.h., es kann vom Geiste, welcher (nach Lehrsatz 11, Teil 2) eine Daseinsform des Denkens ist, nicht herrühren. Damit ist das zweite bewiesen. – Also kann weder der Körper den Geist usw. – W.z.b.w.


Anmerkung

Noch deutlicher ist dies aus dem in der Anmerkung zu Lehrsatz 7, Teil 2, Gesagten ersichtlich, wonach Geist und Körper ein und dasselbe Ding sind, welches bald unter dem Attribut des Denkens, bald unter dem der Ausdehnung begriffen wird. Daher kommt es, daß die Ordnung oder Verkettung der Dinge dieselbe ist, ob die Natur unter diesem oder unter jenem Attribut begriffen wird und folglich auch, daß die Ordnung der Tätigkeiten und der Leiden unseres Körpers von Natur aus der Ordnung der Tätigkeiten und der Leiden unseres Geistes genau entspricht. Dies erhellt auch aus dem, womit ich den 12. Lehrsatz des 2. Teils bewiesen habe.

Aber obgleich sich dies so verhält und durchaus kein Grund vorliegt, daran zu zweifeln, glaube ich doch kaum, daß die Menschen dazu bewogen werden können, die Sache unbefangen zu erwägen, wenn ich sie nicht mit der Erfahrung belege; so fest sind sie überzeugt, daß der Körper auf einen bloßen Wink des Geistes bald in Bewegung,[160] bald in Ruhe versetzt wird und zahlreiche Handlungen verübt, die allein vom Willen des Geistes und von der Kunst des Denkens abhängen. Was freilich der Körper alles vermag, hat bis jetzt noch niemand festgestellt; d.h., niemand hat sich bis jetzt auf dem Wege der Erfahrung darüber unterrichtet, was der Körper nach den bloßen Gesetzen seiner Natur, sofern sie nur als eine körperliche betrachtet wird, tun kann und was er nicht tun kann, wenn er nicht vom Geiste dazu bestimmt wird. Denn niemand hat bis jetzt die Werkstätte des Körpers so genau kennengelernt, um alle seine Verrichtungen erklären zu können; ganz abgesehen davon, daß man bei Tieren vieles beobachtet, was die menschliche Sinnesschärfe weit überragt, und daß Nachtwandler im Schlafe vieles tun, was sie im wachen Zustand nicht wagen würden. Das zeigt doch zur Genüge, daß der Körper an sich nach den bloßen Gesetzen seiner Natur vieles vermag, worüber sich sein eigener Geist wundert. – Es weiß ferner niemand anzugeben, auf welche Weise und mit welchen Mitteln der Geist den Körper bewegt, noch auch, wieviel Grade der Bewegung er dem Körper mitteilen könne und wie groß die Schnelligkeit ist, mit welcher er ihn zu bewegen vermöge.

Daraus folgt, daß, wenn die Menschen sagen, diese oder jene Körpertätigkeit entspringe aus dem Geiste, welcher die Herrschaft über den Körper hat, sie nicht wissen, was sie sagen, und bloß mit blendenden Worten eingestehen, daß sie die wahre Ursache jener Tätigkeit nicht wissen, ohne sich über dieselbe zu wundern.

Allein man wird sagen, ob man wisse oder nicht wisse, mit welchen Mitteln der Geist den Körper bewege, so mache man doch die Erfahrung, daß der Körper schlaff sein würde, wenn der Geist nicht zum Denken fähig wäre Ferner mache man die Erfahrung, daß es in der bloßen Macht des Geistes stehe, entweder zu reden oder zu schweigen, und noch vieles andere, was man deshalb von der Entschließung des Geistes abhängig glaubt.

Was nun das erste anbelangt, so frage ich die Gegner[161] selbst, ob nicht die Erfahrung ebenfalls lehrt, daß auch umgekehrt, wenn der Körper schlaff ist, auch der Geist zugleich unfähig zum Denken ist? Denn wenn der Körper im Schlafe ruht, ist auch der Geist mit ihm in Schlaf versenkt und hat nicht, wie im wachen Zustand, die Macht zu denken. Ferner wird wohl jeder schon die Erfahrung gemacht haben, daß der Geist nicht immer gleich befähigt ist, über ein Objekt zu denken, daß vielmehr, je fähiger der Körper ist, das Bild von diesem oder jenem Objekt in sich zu erzeugen, um so fähiger auch der Geist ist, dieses oder jenes Objekt zu betrachten.

Aber, wird man sagen, aus den bloßen Gesetzen der Natur, sofern sie nur als körperliche betrachtet wird, können doch die Ursachen von Gebäuden, Gemälden und andern Dingen dieser Art, welche bloß der menschlichen Kunst ihre Entstehung verdanken, unmöglich hergeleitet werden; und der menschliche Körper ist ja nicht imstande, einen Tempel zu erbauen, wenn er nicht im Geiste dazu bestimmt und angeleitet werde. – Ich habe aber bereits gezeigt, daß die Gegner selbst nicht wissen, was der Körper vermag und was aus der bloßen Betrachtung seiner Natur abgeleitet werden kann, und daß sie selbst die Erfahrung machen, daß vieles nach den bloßen Gesetzen der Natur geschieht, wovon sie nie geglaubt hätten, daß es ohne die Leitung des Geistes geschehen könne, so z.B. was die Nachtwandler im Schlafe tun und worüber sie selbst im wachen Zustand verwundert sind. Ich will noch auf den künstlichen Bau des menschlichen Körpers hinweisen, der an Künstlichkeit alles weit übertrifft, was von menschlicher Kunst gebaut worden ist, ganz zu schweigen davon daß, wie schon oben ausgeführt wurde, aus der Natur, unter welchem Attribut sie auch betrachtet werde, Unendliches folgt.

Was ferner das zweite betrifft, so stünde es allerdings weit besser um die menschlichen Zustände, wenn das Schweigen ebenso wie das Reden in der Macht des Menschen stünde. Die Erfahrung aber lehrt genug und übergenug, daß die Menschen nichts weniger in ihrer Gewalt[162] haben als die Zunge und daß sie nichts weniger vermögen, als ihre Begierden im Zaum zu halten. Daher kommt es, daß viele glauben, wir täten nur das freiwillig, was wir nicht heftig begehren; denn die Begierde nach solchen Dingen kann leicht beschränkt werden durch die Erinnerung an etwas anderes, dessen wir häufig gedenken. Dasjenige dagegen, glauben sie, täten wir nicht freiwillig, was wir mit heftigem Affekt begehren, der also durch die Erinnerung an etwas anderes nicht gedämpft werden kann. Und würden sie nicht die Erfahrung gemacht haben, daß der Mensch vieles tut, was er später bereut, und daß er oft, wenn er von entgegengesetzten Affekten bestürmt wird, das Bessere sieht und das Schlechtere befolgt, so würden sie keinen Anstand nehmen zu glauben, daß wir alles freiwillig tun. So glaubt das Kind, es begehre die Milch freiwillig; der erzürnte Knabe, er wolle die Rache; der Furchtsame die Flucht. Der Betrunkene glaubt, er rede aus freier Entschließung des Geistes, was er, wieder ernüchtert, verschwiegen zu haben wünscht. So meint der Irrsinnige, der Schwätzer, der Knabe und viele dieses Schlags aus freier Entschließung des Geistes zu reden während sie doch den Antrieb zum Reden, den sie haben nicht bezähmen können.

Somit lehrt die Erfahrung selbst nicht minder deutlich als die Vernunft, daß die Menschen nur darum glauben, sie wären frei, weil sie ihrer Handlungen bewußt, der Ursachen aber, von denen sie bestimmt werden, unkundig sind. Und außerdem lehrt sie, daß die Entschlüsse des Geistes nichts anderes sind als die Begierden selbst, die je nach der verschiedenen Disposition des Körpers verschieden sind. Denn jeder entscheidet sich in allem gemäß seinem Affekt. Diejenigen also, welche von entgegengesetzten Affekten bestürmt werden, wissen nicht, was sie wollen; die aber von gar keinem Affekt erregt sind, werden durch einen geringfügigen Anlaß dahin und dorthin getrieben.

Alles dies zeigt gewiß klar, daß sowohl der Entschluß des Geistes als auch die Begierde und die Bestimmung[163] des Körpers von Natur einander entsprechen oder vielmehr ein und dasselbe Ding sind, welches wir, wenn es unter dem Attribut des Denkens betrachtet und durch dieses ausgedrückt wird, Entschluß nennen, und wenn es unter dem Attribut der Ausdehnung betrachtet und aus den Gesetzen der Bewegung und Ruhe abgeleitet wird, Bestimmung heißen.

Es wird dies aus den bald folgenden Ausführungen noch deutlicher erhellen. Hier möchte ich noch auf etwas anderes besonders aufmerksam machen: daß wir nämlich durch einen Entschluß des Geistes nichts tun können, dessen wir uns nicht erinnern. Wir können z.B. ein Wort, dessen wir uns nicht erinnern, nicht aussprechen. Ferner, daß es nicht in der freien Macht des Geistes steht, sich einer Sache zu erinnern oder sie zu vergessen. Daher glaubt man, es stehe nur in der Macht des Geistes, über eine Sache, an die wir uns erinnern, zu schweigen oder zu reden. Allein wenn wir träumen, daß wir reden, so glauben wir aus freier Entschließung des Geistes zu reden und reden doch gar nicht, oder wenn wir reden, so geschieht es durch eine willkürliche Bewegung des Körpers. Wir träumen ferner auch, daß wir andern etwas verheimlichen, und zwar nach derselben Entschließung des Geistes, nach welcher wir im wachen Zustande etwas verschweigen, was wir wissen. Wir träumen endlich auch, daß wir nach der Entschließung des Geistes etwas tun, was wir im wachen Zustande nicht zu tun wagen. Ich möchte also fragen, ob es im Geiste zweierlei Arten von Entschlüssen gibt, phantastische und freie?

Wem nun aber diese alberne Annahme zu weit geht, der muß notwendig zugeben, daß diese Entschließung des Geistes, die man für eine freie hält, sich von der eigentlichen Vorstellung oder der Erinnerung nicht unterscheidet und nichts ist als jene Bejahung, welche die Idee, sofern sie Idee ist, notwendig in sich schließt (s. Lehrsatz 49, Teil 2). Also entstehen diese Entschlüsse des Geistes nach derselben Notwendigkeit im Geiste wie die Ideen der wirklich existierenden Dinge.[164]

Wer also glaubt, daß er nach freiem Entschluß des Geistes rede oder schweige oder irgend etwas tue, der träumt mit offenen Augen.


Dritter Lehrsatz

Die Tätigkeiten (Handlungen) des Geistes rühren von adäquaten Ideen allein her; die Leiden aber hängen von inadäquaten Ideen allein ab.


Beweis

Das erste, was das Wesen des Geistes ausmacht, ist nichts anderes als die Idee des wirklich existierenden Körpers (nach den Lehrsätzen 11 und 13, Teil 2), welche (nach Lehrsatz 15, Teil 2) aus vielen andern zusammengesetzt wird, von denen manche (nach Zusatz zu Lehrsatz 38, Teil 2) adäquat, manche aber (nach Zusatz zu Lehrsatz 29, Teil 2) inadäquat sind. Alles dasjenige also, was aus der Natur des Geistes folgt und dessen nächste Ursache, durch die es erkannt werden muß, der Geist ist, muß notwendig aus einer adäquaten oder inadäquaten Idee folgen. Sofern aber der Geist (nach Lehrsatz 1 dieses Teils) inadäquate Ideen hat, insofern leidet er notwendig. Somit folgen die Tätigkeiten des Geistes aus adäquaten Ideen allein, und der Geist leidet nur deshalb, weil er inadäquate Ideen hat. – W.z.b.w.


Anmerkung

Wir sehen also, daß die Leiden auf den Geist nur bezogen werden, sofern er etwas hat, was eine Verneinung in sich schließt oder sofern er als ein Teil der Natur betrachtet wird, der für sich allein, ohne andere Dinge, nicht klar und deutlich erfaßt werden kann. Ebenso könnte[165] ich noch zeigen, daß die Leiden gleicherweise auf die Einzeldinge wie auf den Geist bezogen werden und nicht anders erfaßt werden können. Ich beabsichtige indes, nur den menschlichen Geist zu behandeln.


Vierter Lehrsatz

Jedes Ding kann nur von einer äußern Ursache zerstört werden.


Beweis

Dieser Satz versteht sich von selbst. Denn die Definition jedes Dinges bejaht das Wesen dieses Dinges, verneint sie aber nicht; oder sie setzt das Wesen des Dinges, hebt es aber nicht auf. Wenn wir also nur das Ding selbst, nicht aber eine äußere Ursache ins Auge fassen, werden wir an ihm nichts finden können, was es zerstören könnte. – W.z.b.w.


Fünfter Lehrsatz

Die Dinge sind insofern entgegengesetzter Natur, d.h., sie können in einem und demselben Subjekt nicht sein, sofern das eine das andere zerstören kann.


Beweis

Denn wenn sie untereinander übereinstimmen oder in demselben Subjekt zugleich sein könnten, so könnte es also in demselben Subjekt etwas geben, welches dasselbe zerstören könnte, und das wäre (nach dem vorigen Lehrsatz) widersinnig. Also sind die Dinge usw. – W.z.b.w.[166]


Sechster Lehrsatz

Jedes Ding strebt, soweit es in sich ist, in seinem Sein zu verharren.


Beweis

Denn die Einzeldinge sind Daseinsformen, durch welche die Attribute Gottes auf gewisse und bestimmte Weise ausgedrückt werden (nach Zusatz zu Lehrsatz 25, Teil 1) d.h. (nach Lehrsatz 34, Teil 1) Dinge, welche die Macht Gottes, durch welche Gott ist und handelt, auf gewisse und bestimmte Weise ausdrücken. Auch hat kein Ding etwas in sich, von dem es zerstört werden könnte oder das seine Existenz aufhebt (nach Lehrsatz 4 dieses Teils); vielmehr setzt es allem, was seine Existenz aufheben könnte, Widerstand entgegen (nach dem vorigen Lehrsatz). Also strebt es, soweit es kann und in sich ist, in seinem Sein zu verharren. – W.z.b.w.


Siebenter Lehrsatz

Das Bestreben, womit jedes Ding in seinem Sein zu verharren strebt, ist nichts als das wirkliche Wesen des Dinges selbst.


Beweis

Aus dem gegebenen Wesen eines jeden Dinges folgt not. wendig manches (nach Lehrsatz 36, Teil 1). Auch vermögen die Dinge nichts anderes als das, was aus ihrer bestimmten Natur notwendig erfolgt (nach Lehrsatz 29, Teil 1). Daher ist das Vermögen oder Bestreben jedes Dinges, womit es entweder allein oder mit andern etwas tut oder zu tun strebt, d.h. (nach Lehrsatz 6 dieses Teils) das Vermögen oder Bestreben, womit es in seinem Sein zu verharren strebt, nichts anderes als das gegebene oder wirkliche Wesen des Dinges selbst. – W.z.b.w.
[167]


Achter Lehrsatz

Das Bestreben, womit jedes Ding in seinem Sein zu verharren strebt, schließt keine bestimmte, sondern eine unbestimmte Zeit in sich.


Beweis

Denn würde es eine begrenzte Zeit in sich schließen, welche die Dauer des Dinges bestimmt, so würde aus dem bloßen Vermögen selbst, womit das Ding existiert, folgen, daß das Ding nach jener begrenzten Zeit nicht existieren könnte, sondern der Zerstörung anheimfallen müßte. Nun ist dies aber (nach Lehrsatz 4 dieses Teils) widersinnig. Folglich schließt das Bestreben, womit ein Ding existiert, keine bestimmte Zeit in sich; sondern weil im Gegenteil (nach demselben Lehrsatz 4 dieses Teils), wenn ein Ding von keiner äußern Ursache zerstört wird, es mit demselben Vermögen, womit es bereits existiert, zu existieren immer fortfährt, darum schließt dieses Bestreben eine unbestimmte Zeit in sich. – W.z.b.w.


Neunter Lehrsatz

Der Geist sterbt, sowohl sofern er klare und bestimmte als auch sofern er verworrene Ideen hat, in seinem Sein auf unbestimmte Dauer zu verharren, und er ist sich dieses seines Strebens bewußt.


Beweis

Das Wesen des Geistes besteht aus adäquaten und inadäquaten Ideen (wie ich in Lehrsatz 3 dieses Teils bewiesen habe). Daher strebt er (nach Lehrsatz 7 dieses Teils), sowohl sofern er diese als auch sofern er jene Ideen hat, in seinem Sein zu verharren, und zwar (nach Lehrsatz[168] 8 dieses Teils) auf unbestimmte Dauer. Da aber der Geist (nach Lehrsatz 23, Teil 2) durch die Ideen der Körpererregungen notwendig sich seiner bewußt ist, so ist folglich (nach Lehrsatz 7 dieses Teils) der Geist sich seines Strebens bewußt. – W.z.b.w.


Anmerkung

Dieses Bestreben wird, wenn es auf den Geist allein bezogen wird, Wille genannt; wird es aber auf Geist und Körper zugleich bezogen, so heißt es Verlangen; welches also nichts anderes ist als des Menschen Wesen selbst, aus dessen Natur das, was zu seiner Erhaltung dient, notwendig folgt, weshalb der Mensch bestimmt ist, es zu tun. Auch ist zwischen Verlangen und Begierde kein Unterschied; nur daß Begierde meistenteils auf den Menschen bezogen wird, sofern er seines Verlangens bewußt ist. Man kann es daher so definieren: Die Begierde ist ein Verlangen mit dem Bewußtsein desselben. – Aus dem allem geht darum hervor, daß wir nichts erstreben, wollen, verlangen oder begehren, weil wir es für gut halten, sondern daß wir umgekehrt darum etwas für gut halten, weil wir es erstreben, wollen, verlangen oder begehren.


Zehnter Lehrsatz

Eine Idee, welche die Existenz unseres Körpers ausschließt, kann es in unserm Geiste nicht geben, sondern steht mit ihm in Widerspruch.


Beweis

Was unsern Körper zerstören kann, kann es in ihm nicht geben (nach Lehrsatz 5 dieses Teils). Es kann also auch[169] keine Idee eines solchen Dinges in Gott geben, sofern er die Idee unseres Körpers hat (nach Zusatz zu Lehrsatz 9, Teil 2); d.h. (nach den Lehrsätzen 11 und 13, Teil 2), es kann keine Idee eines solchen Dinges in unserm Geiste geben. Vielmehr, da (nach den Lehrsätzen 11 und 13, Teil 2) das erste, was das Wesen des Geistes ausmacht, die Idee des wirklich existierenden Körpers ist, so ist es das erste und hauptsächliche Streben unseres Geistes (nach Lehrsatz 7 dieses Teils), die Existenz unseres Körpers zu bejahen. Folglich steht eine Idee, welche die Existenz unseres Körpers verneint, mit unserm Geiste im Widerspruch. – W.z.b.w.


Elfter Lehrsatz

Alles, was das Tätigkeitsvermögen unseres Körpers vermehrt oder vermindert, fördert oder hemmt, dessen Idee vermehrt oder vermindert, fördert oder hemmt das Denkvermögen unseres Geistes.


Beweis

Dieser Lehrsatz erhellt aus dem Lehrsatz 7, Teil 2, oder auch aus dem Lehrsatz 14, Teil 2.


Anmerkung

Wir sehen daher, daß der Geist große Veränderungen erleiden und bald zu größerer, bald zu geringerer Vollkommenheit übergehen kann. Diese Leiden erklären uns die Affekte der Lust und Unlust. Unter Lust verstehe ich daher im nachstehenden ein Leiden, durch welches der Geist zu größerer Vollkommenheit übergeht; unter Unlust dagegen ein Leiden, durch welches der Geist zu geringerer Vollkommenheit übergeht.[170]

Ferner nenne ich den Affekt der Lust, der sich auf Geist und Körper zugleich bezieht, Wollust oder Wohlbehagen; den Affekt der Unlust aber Schmerz oder Mißbehagen. Doch ist zu bemerken, daß Wollust und Schmerz auf den Menschen bezogen werden, wenn einer seiner Teile mehr als die übrigen erregt ist, Wohlbehagen und Mißbehagen aber, wenn alle gleichmäßig erregt sind.

Was ferner Begierde ist, habe ich in der Anmerkung zu Lehrsatz 9 dieses Teils erklärt.

Außer diesen dreien erkenne ich keinen Haupteffekt an; und ich werde im folgenden zeigen, daß alle übrigen aus diesen dreien entstehen.

Bevor ich aber weitergehe, möchte ich den 10. Lehrsatz dieses Teils ausführlicher erläutern, um besser verständlich zu machen, auf welche Weise eine Idee mit einer andern in Widerspruch steht.

In der Anmerkung zu Lehrsatz 17, Teil 2, habe ich gezeigt, daß die Idee, welche das Wesen des Geistes ausmacht, die Existenz des Körpers so lange in sich schließt, als der Körper selbst existiert. Ferner folgt aus dem, was ich im Zusatz zu Lehrsatz 8, Teil 2, und in dessen Anmerkung ausgeführt habe, daß die gegenwärtige Existenz unseres Geistes davon allein abhängt, daß der Geist die wirkliche Existenz des Körpers in sich schließt. Endlich habe ich gezeigt, daß das Vermögen des Geistes, wodurch er die Dinge vorstellt und sich ihrer erinnert, auch davon abhängt (s. die Lehrsätze 17 und 18 des 2. Teils mit der Anmerkung), daß er die wirkliche Existenz des Körpers in sich schließt. Hieraus folgt, daß die gegenwärtige Existenz des Geistes und sein Vorstellungsvermögen aufgehoben wird, sobald der Geist die gegenwärtige Existenz des Körpers zu bejahen aufhört. Die Ursache aber, weshalb der Geist diese Existenz des Körpers zu bejahen aufhört, kann nicht der Geist selbst sein (nach Lehrsatz 4 dieses Teils). Auch daß der Körper zu sein aufhört, kann nicht die Ursache sein. Denn (nach Lehrsatz 6, Teil 2) ist die Ursache, weshalb der Geist die[171] Existenz des Körpers bejaht, nicht die, daß der Körper zu existieren angefangen hat; somit hört er, aus demselben Grunde, nicht auf, die Existenz des Körpers zu bejahen, weil der Körper zu sein aufhört. Dies rührt vielmehr (nach Lehrsatz 17, Teil 2) von einer andern Idee her, welche die gegenwärtige Existenz unseres Körpers und folglich auch unseres Geistes ausschließt und welche mithin mit der Idee, welche das Wesen unsres Geistes ausmacht, im Widerspruch steht.


Zwölfter Lehrsatz

Der Geist ist bestrebt, soviel er vermag, das vorzustellen, was das Tätigkeitsvermögen des Körpers vermehrt oder fördert.


Beweis

Solange der menschliche Körper auf eine Weise erregt ist, welche die Natur eines äußern Körpers in sich schließt, solange wird der menschliche Geist denselben Körper als gegenwärtig betrachten (nach Lehrsatz 17, Teil 2). Demgemäß ist (nach Lehrsatz 7, Teil 2), solange der menschliche Geist einen äußern Körper als gegenwärtig betrachtet, d.h. (nach der Anmerkung zu Lehrsatz 17, Teil 2), ihn vorstellt, auch der menschliche Körper solange auf eine Weise erregt, welche die Natur dieses äußern Körpers in sich schließt. Solange also der Geist sich das vorstellt, was das Tätigkeitsvermögen unsres Körpers vermehrt oder fördert, solange ist der Körper auf eine Weise erregt, welche sein Tätigkeitsvermögen vermehrt oder fördert (s. Postulat 1 dieses Teils); und demgemäß (nach Lehrsatz 11 dieses Teils) wird auch so lange das Denkvermögen des Geistes vermehrt oder gefördert. Folglich wird (nach Lehrsatz 6 oder 9 dieses Teils) der Geist, soviel er vermag, dasselbe vorzustellen bestrebt sein. – W.z.b.w.


Dreizehnter Lehrsatz

[172] Wenn der Geist etwas vorstellt, was das Tätigkeitsvermögen des Körpers vermindert oder hemmt, so ist er bestrebt, soviel er vermag, sich solcher Dinge zu erinnern, welche die Existenz von jenem ausschließen.


Beweis

Solange der Geist etwas Derartiges vorstellt, solange wird das Tätigkeitsvermögen des Geistes oder Körpers vermindert oder gehemmt (wie ich im vorigen Lehrsatz bewiesen habe). Dennoch wird es der Geist so lange vorstellen, bis er etwas anderes vorstellt, was die gegenwärtige Existenz von jenem ausschließt (nach Lehrsatz 17, Teil 2). Das heißt (wie ich soeben gezeigt), das Vermögen des Geistes und Körpers wird so lange vermindert oder gehemmt, bis der Geist etwas anderes vorstellt, was die Existenz von jenem ausschließt und welches daher der Geist (nach Lehrsatz 9 dieses Teils), solange er vermag, vorzustellen oder ins Gedächtnis zu rufen bestrebt sein wird. – W.z.b.w.


Zusatz

Hieraus folgt, daß der Geist abgeneigt sein wird, sich etwas vorzustellen, was sein Vermögen und das des Körpers vermindert oder hemmt.


Anmerkung

Hieraus ist klar ersichtlich, was Liebe und was Haß ist. Nämlich Liebe ist nichts anderes als Lust, verbunden mit der Idee einer äußern Ursache, und Haß nichts anderes als Unlust, verbunden mit der Idee einer äußern Ursache. – Wir sehen auch, daß der Liebende[173] notwendig bestrebt ist, den geliebten Gegenstand gegenwärtig zu haben und zu erhalten, und daß dagegen der Hassende bestrebt ist, den verhaßten Gegenstand zu entfernen und zu zerstören. Doch hierüber später ausführlicher.


Vierzehnter Lehrsatz

Wenn der Geist einmal von zwei Affekten zugleich erregt gewesen ist, so wird er, wenn er später von einem derselben wieder erregt wird, auch von dem andern wieder erregt werden.


Beweis

Wenn der menschliche Körper einmal von zwei Körpern zugleich erregt gewesen ist, so wird der Geist, wenn er später einen derselben vorstellt, sich sofort auch des andern erinnern (nach Lehrsatz 18, Teil 2). Die Vorstellungen des Geistes aber zeigen mehr die Erregungen unseres Körpers an als die Natur der äußern Körper (nach Zusatz II zu Lehrsatz 16, Teil 2). Wenn also der Körper und folglich auch der Geist (s. Definition 3 dieses Teils) einmal von zwei Affekten zugleich erregt gewesen ist, so wird er, wenn er später von einem derselben wieder erregt wird, auch von dem andern wieder erregt werden. – W.z.b.w.


Fünfzehnter Lehrsatz

Jedes Ding kann zufällig (gelegentlich, durch einen Nebenumstand) Ursache der Lust, Unlust oder Begierde sein.


Beweis

[174] Angenommen, der Geist würde von zwei Affekten zugleich erregt, nämlich von einem, der sein Tätigkeitsvermögen weder vermehrt noch vermindert, und von einem andern, der es vermehrt oder vermindert (s. Postulat 1 dieses Teils). Aus dem vorigen Lehrsatz erhellt, daß, wenn der Geist später von jenem Affekt durch seine wahre Ursache, welche an sich (nach der Voraussetzung) sein Denkvermögen weder vermehrt noch vermindert, erregt wird, er sofort auch von diesem andern, welcher sein Denkvermögen vermehrt oder vermindert, d.h. (nach Anmerkung zu Lehrsatz 11 dieses Teils) von Lust oder Unlust, erregt wird. Also wird jenes Ding nicht durch sich, sondern zufällig Ursache der Lust oder Unlust sein. Und mit diesem Verfahren kann auch leicht gezeigt werden, daß jenes Ding zufällig Ursache der Begierden sein kann. – W.z.b.w.


Zusatz

Deshalb allein schon, weil wir ein Ding mit dem Affekt der Lust oder Unlust betrachtet haben, können wir es lieben oder hassen, obgleich es nicht selbst die wirkende Ursache dieser Affekte ist.


Beweis

Denn bloß daher kommt es (nach Lehrsatz 14 dieses Teils), daß der Geist, wenn er dieses Ding später vorstellt, vom Affekt der Lust oder Unlust erregt wird, d.h. (nach Anmerkung zu Lehrsatz 11 dieses Teils), daß das Vermögen des Geistes und Körpers vermehrt oder vermindert wird etc. Daraus folgt weitet (nach Lehrsatz 12 dieses Teils), daß der Geist geneigt oder (nach Zusatz zu Lehrsatz 13 dieses Teils) abgeneigt ist, dasselbe vorzustellen, d.h. (nach Anmerkung zu Lehrsatz 13 dieses Teils), daß er es liebt oder haßt. – W.z.b.w.
[175]


Anmerkung

Daraus ersehen wir, wie es kommen kann, daß wir etwas lieben oder hassen ohne eine uns bekannte Ursache; bloß aus Sympathie oder Antipathie (wie man sagt).

Hierher gehören auch die Gegenstände, die uns bloß deshalb mit Lust oder Unlust erregen, weil sie mit Gegenständen die uns mit diesen Affekten zu erregen pflegen, irgendeine Ähnlichkeit haben, wie ich im folgenden Lehrsatz zeigen werde. Zwar weiß ich wohl, daß die Schriftsteller, welcher diese Worte Sympathie und Antipathie zuerst eingeführt haben, gewisse geheime Eigenschaften der Dinge damit bezeichnen wollten gleichwohl wird es mir, denke ich, gestattet sein, auch bekannte oder offenbare Eigenschaften darunter zu verstehen.


Sechzehnter Lehrsatz

Deshalb allein schon, weil wir uns vorstellen, daß ein Ding irgendeine Ähnlichkeit mit einem Gegenstand hat, welcher den Geist mit Lust oder Unlust zu erregen pflegt, werden wir dasselbe lieben oder hassen, auch wenn das, worin das Ding dem Gegenstand ähnlich ist, nicht die wirkende Ursache dieser Affekte ist.


Beweis

Das, worin es dem Gegenstand ähnlich ist, haben wir in diesem Gegenstand selbst (nach der Voraussetzung) mit dem Affekt der Lust oder Unlust betrachtet. Wenn also (nach Lehrsatz 14 dieses Teils) der Geist von der Vorstellung dieser Eigenschaft erregt wird, so wird er sogleich auch von diesem oder jenem Affekt erregt werden. Folglich wird ein Ding, in dem wir diese Eigenschaft wieder wahrnehmen (nach Lehrsatz 15 dieses Teils), zufällig die Ursache der Lust oder Unlust sein. Also werden wir[176] (nach dem vorigen Zusatz) das Ding lieben oder hassen, obgleich das, worin es dem Objekt ähnlich ist, nicht die wirkende Ursache dieser Affekte ist. – W.z.b.w.


Siebzehnter Lehrsatz

Wenn wir uns vorstellen, daß ein Ding, das uns mit dem Affekt der Unlust zu erregen pflegt, eine Ähnlichkeit mit einem andern Ding hat, das uns mit dem gleich starken Affekt der Lust zu erregen pflegt, so werden wir es zugleich hassen und lieben.


Beweis

Denn dieses Ding ist (nach der Voraussetzung) an sich Ursache der Unlust, und (nach der Anmerkung zu Lehrsatz 13 dieses Teils) sofern wir es mit diesem Affekt vorstellen, werden wir es hassen. Sofern wir uns außerdem vorstellen, daß es mit einem andern Ding Ähnlichkeit hat, das uns mit dem gleich starken Affekt der Lust zu erregen pflegt, werden wir es mit gleich starkem Gefühl der Lust lieben (nach dem vorigen Lehrsatz). Folglich werden wir es hassen und lieben zugleich. – W.z.b.w.


Anmerkung

Dieser Zustand des Geistes, welcher nämlich aus zwei entgegengesetzten Affekten entsteht, heißt Schwanken des Gemüts, und es verhält sich zum Affekt wie der Zweifel zur Vorstellung (s. Anmerkung zu Lehrsatz 44, Teil 2). Beide, das Schwanken des Gemüts und der Zweifel, unterscheiden sich voneinander nur nach dem Mehr oder Weniger.

Es ist nun noch zu beachten, daß ich im vorigen Lehrsatz diese Schwankungen des Gemüts aus Ursachen abgeleitet[177] habe, wovon die eine an sich die Ursache des einen Affekts, die andere zufällig die Ursache des andern Affekts ist. Ich habe dies deshalb getan, weil ich sie so leichter aus dem Vorhergehenden ableiten konnte; nicht aber, weil ich bestreite, daß die Schwankungen des Gemüts häufig von Einem Gegenstand herrühren, welcher die wirkende Ursache beider Affekte ist. Denn der menschliche Körper ist (nach Postulat 1, Teil 2) aus vielen Individuen von verschiedener Natur zusammengesetzt und kann daher (nach Axiom I hinter Hilfssatz 3, der auf Lehrsatz 13, Teil 2, folgt) von einem und demselben Körper auf mannigfaltige und verschiedene Weisen erregt werden. Und ebenso umgekehrt: Weil ein und dasselbe Ding auf viele Weisen erregt werden kann, wird er folglich auch einen und denselben Körperteil auf verschiedene Weisen erregen können. Hieraus können wir leicht ersehen, daß ein und derselbe Gegenstand die Ursache vieler einander entgegengesetzter Affekte sein kann.


Achtzehnter Lehrsatz

Der Mensch wird durch die Vorstellung eines vergangenen oder zukünftigen Dinges mit dem gleichen Affekt der Lust und Unlust erregt wie durch die Vorstellung eines gegenwärtigen Dinges.


Beweis

Solange der Mensch von der Vorstellung eines Dinges erregt ist, wird er das Ding, wenn es auch nicht existiert, als gegenwärtig betrachten (nach Lehrsatz 17, Teil 2, und dessen Zusatz), und er wird es als vergangen oder zukünftig nur vorstellen, sofern die Vorstellung des Dinges mit der Vorstellung der vergangenen oder zukünftigen Zeit verbunden ist (s. Anmerkung zu Lehrsatz 44, Teil 2). Die Vorstellung eines Dinges ist daher, an sich allein[178] betrachtet, dieselbe, ob sie auf die zukünftige oder vergangene oder ob sie auf die gegenwärtige Zeit bezogen wird. Das heißt (nach Zusatz II zu Lehrsatz 16, Teil 2), der Zustand oder Affekt des Körpers ist der gleiche, ob die Vorstellung ein vergangenes oder zukünftiges oder ob sie ein gegenwärtiges Ding betrifft. Also ist der Affekt der Lust und Unlust derselbe, mag die Vorstellung ein vergangenes oder zukünftiges oder mag sie ein gegenwärtiges Ding betreffen. – W.z.b.w.


1. Anmerkung

Ich nenne hier ein Ding insofern vergangen oder zukünftig, sofern wir von ihm erregt gewesen sind oder erregt werden; z.B. sofern wir es gesehen haben oder sehen werden, sofern es uns gelabt hat oder laben wird, verletzt hat oder verletzen wird etc. Denn sofern wir es so vorstellen, insofern bejahen wir seine Existenz; d.h., der Körper wird von keinem Affekt erregt, welcher die Existenz des Dinges ausschließt. Daher wird der Körper (nach Lehrsatz 17, Teil 2) durch die Vorstellung dieses Dinges auf dieselbe Weise erregt, als ob das Ding selbst gegenwärtig wäre.

Weil es nun aber häufig vorkommt, daß Menschen, welche viele Erfahrungen gemacht haben, schwanken, solange sie ein Ding (eine Sache) als zukünftig oder vergangen betrachten und über den Ausgang des Dinges (der Sache) häufig im Zweifel sind (s. Anmerkung zu Lehrsatz 44 Teil 2), so kommt es, daß die Affekte, welche aus solchen Vorstellungen der Dinge entstehen nicht sehr anhaltend sind, sondern häufig von den Vorstellungen anderer Dinge verdunkelt werden, bis die Menschen über den Ausgang des Dinges Gewißheit erlangt haben.


2. Anmerkung

[179] Durch das soeben Gesagte verstehen wir, was Hoffnung, Furcht, Zuversicht, Verzweiflung, Freude und Gewissensbiß sind. Hoffnung ist nämlich nichts anderes als unbeständige Lust, entsprungen aus der Vorstellung eines zukünftigen oder vergangenen Dinges, über dessen Ausgang wir im Zweifel sind. Furcht dagegen ist unbeständige Unlust, ebenfalls entsprungen aus der Vorstellung eines zweifelhaften Dinges. Wenn nun der Zweifel bei diesen Affekten schwindet, so wird aus Hoffnung Zuversicht, aus Furcht Verzweiflung, nämlich Lust oder Unlust, entsprungen aus der Vorstellung eines Dinges, das wir gehofft oder gefürchtet haben. Freude sodann ist Lust, entsprungen aus der Vorstellung eines vergangenen Dinges, über dessen Ausgang wir im Zweifel waren. Gewissensbiß endlich ist Unlust, welche der Lust entgegengesetzt ist.


Neunzehnter Lehrsatz

Wer sich vorstellt, daß das, was er liebt, zerstört wird, der wird Unlust empfinden; stellt er sich aber vor, daß es erhalten wird, so wird er Lust empfinden.


Beweis

Der Geist ist bestrebt, soviel er vermag, das vorzustellen was das Tätigkeitsvermögen des Körpers vermehrt oder fördert (nach Lehrsatz 12 dieses Teils); d.h. (nach Anmerkung zu Lehrsatz 13 dieses Teils) das, was er liebt. Die Vorstellung aber wird von dem gefördert, was die Existenz des Dinges setzt, und umgekehrt, von dem gehemmt, was die Existenz des Dinges ausschließt (nach Lehrsatz 17, Teil 2). Demnach fördern die Vorstellungen[180] der Dinge, welche die Existenz des geliebten Dinges setzen, das Bestreben des Geistes, sich das geliebte Ding vorzustellen, d.h. (nach Anmerkung zu Lehrsatz 11 dieses Teils), sie erregen den Geist mit Lust.

Die Vorstellungen dagegen, welche die Existenz des geliebten Dinges ausschließen, hemmen dieses Bestreben des Geistes, d.h. (nach derselben Anmerkung), sie erregen den Geist mit Unlust. Folglich wird, wer sich vorstellt, daß das, was er liebt, zerstört wird, Unlust empfinden. – W.z.b.w.


Zwanzigster Lehrsatz

Wer sich vorstellt, daß das, was er haßt, zerstört wird, der wird Lust empfinden.


Beweis

Der Geist ist bestrebt (nach Lehrsatz 13 dieses Teils), sich das vorzustellen, was die Existenz der Dinge, durch welche das Tätigkeitsvermögen des Körpers vermindert oder gehemmt wird, ausschließt. Das heißt (nach Anmerkung zu dem angeführten Lehrsatz), er ist bestrebt, sich das vorzustellen, was die Existenz der Dinge, welche er haßt, ausschließt. Die Vorstellung eines Dinges, welche die Existenz von dem, was der Geist haßt, ausschließt, fördert somit dieses Bestreben des Geistes, d.h. (nach Anmerkung zu Lehrsatz 11 dieses Teils), sie erregt den Geist mit Lust. Folglich wird, wer sich vorstellt, daß das, was er haßt, zerstört wird, Lust empfinden. – W.z.b.w.
[181]


Einundzwanzigster Lehrsatz

Wer sich vorstellt, daß das, was er liebt, mit Lust oder Unlust erregt wird, der wird selbst ebenfalls mit Lust oder Unlust erregt werden; und jeder dieser beiden Affekte wird im Liebenden stärker oder schwächer sein, je nachdem der Affekt in dem geliebten Gegenstand stärker oder schwächer ist.


Beweis

Die Vorstellungen der Dinge (wie ich im Lehrsatz 19 dieses Teils gezeigt habe), welche die Existenz des geliebten Dinges setzen, fördern das Bestreben des Geistes, das geliebte Ding sich vorzustellen. Die Lust aber setzt die Existenz des Lust empfindenden Gegenstandes, und das um so mehr, je stärker der Affekt der Lust ist; denn sie ist (nach Anmerkung zu Lehrsatz 1 I dieses Teils) Übergang zu größerer Vollkommenheit. Mithin fördert die Vorstellung der Lust des geliebten Gegenstandes in dem Liebenden jenes Bestreben seines Geistes, d.h. (nach Anmerkung zu Lehrsatz 11 dieses Teils), sie erregt den Liebenden mit Lust, und um so mehr, je stärker dieser Affekt in dem geliebten Gegenstand ist. Damit ist das erste bewiesen. – Ferner, sofern ein Gegenstand mit Unlust erregt wird, insofern wird es zerstört, und um so mehr, mit je stärkerer Unlust er erregt wird (nach derselben Anmerkung zu Lehrsatz 11 dieses Teils). Also wird (nach Lehrsatz 19 dieses Teils), wer sich vorstellt, daß das, was er liebt, mit Unlust erregt wird ebenfalls mit Unlust erregt, und um so mehr, je stärker dieser Affekt in dem geliebten Gegenstand ist. – W.z.b.w.


Zweiundzwanzigster Lehrsatz

[182] Wenn wir uns vorstellen, daß jemand einen Gegenstand, den wir lieben, mit Lust erregt, so werden wir mit Liebe zu ihm erregt werden. Umgekehrt, wenn wir uns vorstellen, daß er denselben mit Unlust erregt, so werden wir mit Haß gegen ihn erregt werden.


Beweis

Wer einen Gegenstand, den wir lieben, mit Lust oder Unlust erregt, der erregt zugleich uns selbst mit Lust oder Unlust, wenn wir uns nämlich den geliebten Gegenstand mit diesem Gefühl der Lust oder Unlust erregt vorstellen (nach dem vorigen Lehrsatz). Diese Lust oder Unlust aber ist, der Annahme gemäß, eine solche, welche mit der Idee einer äußern Ursache verbunden ist. Also werden wir (nach Anmerkung zu Lehrsatz 13 dieses Teils) gegen jemand mit Liebe oder Haß erregt werden, von dem wir uns vorstellen, daß er einen Gegenstand, den wir lieben, mit Lust oder Unlust erregt. – W.z.b.w.


Anmerkung

Der 21. Lehrsatz erklärt uns, was Mitleid ist; wir können es definieren als Unlust, entsprungen aus dem Unglück eines andern. Mit welchem Namen aber die Lust zu nennen ist, die aus dem Glück eines andern entspringt, weiß ich nicht.

Ferner wollen wir die Liebe zu dem, der einem andern Gutes getan, Gunst, dagegen den Haß gegen den, der einem andern Böses getan, Entrüstung nennen. Endlich ist darauf aufmerksam zu machen, daß wir nicht bloß einen Gegenstand, den wir lieben, bemitleiden (wie in Lehrsatz 21 gezeigt worden), sondern auch einen solchen, für den wir vorher von keinem Affekt ergriffen waren, wenn wir ihn nur für unseresgleichen halten (wie ich[183] später zeigen werde). Daher fühlen wir auch gegen denjenigen Gunst, der jemand unseresgleichen Gutes getan, und sind über denjenigen entrüstet, der jemand unseresgleichen Böses zufügt.


Dreiundzwanzigster Lehrsatz

Wer sich vorstellt, daß das, was er haßt, von Unlust erregt ist, wird Lust empfinden. Stellt er sich dagegen vor, daß es von Lust erregt ist, so wird er Unlust empfinden. Und jeder dieser beiden Affekte wird stärker oder schwächer sein, je nachdem der entgegengesetzte Affekt in dem gehaßten Gegenstand stärker oder schwächer ist.


Beweis

Sofern ein gehaßter Gegenstand von Unlust erregt wird, insofern wird er zerstört, und zwar um so mehr, je stärker die Unlust ist, von welcher er erregt wird (nach Anmerkung zu Lehrsatz 11 dieses Teils). Wer also (nach Lehrsatz 20 dieses Teils) einen Gegenstand, den er haßt, von Unlust erregt sich vorstellt, der wird umgekehrt von Lust erregt werden; und zwar um so mehr, je stärker die Unlust ist, von welcher er den gehaßten Gegenstand erregt sich vorstellt. Damit ist das erste bewiesen. – Ferner setzt die Lust die Existenz des Lust empfindenden Gegenstands (nach derselben Anmerkung zu Lehrsatz 11 dieses Teils), und um so mehr, je stärker die Lust gedacht wird. Wenn nun jemand den, welchen er haßt, von Lust erregt sich vorstellt, so wird diese Vorstellung (nach Lehrsatz 13 dieses Teils) sein Streben hemmen; d.h. (nach Anmerkung zu Lehrsatz 11 dieses Teils) der, welcher haßt, wird von Unlust erregt werden. – W.z.b.w.


Anmerkung

[184] Diese Lust kann kaum eine innige und vom Zwiespalt des Gemüts frei sein. Denn (wie ich bald in Lehrsatz 27 dieses Teils zeigen werde) sofern sich jemand vorstellt, daß ein Gegenstand seinesgleichen von dem Affekt der Unlust erregt wird, insofern muß er Unlust empfinden, und das Gegenteil, wenn er ihn von Lust erregt sich vorstellt. Doch habe ich hier nur den Haß im Auge.


Vierundzwanzigster Lehrsatz

Wenn wir uns vorstellen, daß jemand einen Gegenstand, den wir hassen, mit Lust erregt, so werden wir auch gegen ihn von Haß erregt werden. Stellen wir uns dagegen vor, daß er diesen Gegenstand mit Unlust erregt, so werden wir gegen ihn von Liebe erregt werden.


Beweis

Dieser Lehrsatz wird auf die gleiche Weise bewiesen wie Lehrsatz 22 dieses Teils; siehe diesen.


Anmerkung

Diese und ähnliche Affekte des Hasses gehören zur Mißgunst. Diese ist daher nichts anderes als der Haß selbst, sofern er betrachtet wird als den Menschen so disponierend, daß er sich über das Unglück eines andern freut und sich dagegen über dessen Glück betrübt.


Fünfundzwanzigster Lehrsatz

[185] Wir sind bestrebt, von uns und von einem geliebten Gegenstand alles das zu bejahen, wovon wir uns vorstellen, daß es uns oder den geliebten Gegenstand mit Lust erregt, und dagegen alles das zu verneinen, wovon wir uns vorstellen, daß es uns oder den geliebten Gegenstand mit Unlust erregt.


Beweis

Das, wovon wir uns vorstellen, daß es uns oder den geliebten Gegenstand mit Lust oder Unlust erregt, das erregt uns selbst mit Lust oder Unlust (nach Lehrsatz 21 dieses Teils). Der Geist aber strebt (nach Lehrsatz 12 dieses Teils) das, was uns mit Lust erregt, soviel er vermag, sich vorzustellen, d.h. (nach Lehrsatz 17, Teil 2, und seinem Zusatz), es als gegenwärtig zu betrachten; dagegen von dem, was uns mit Unlust erregt (nach Lehrsatz 13 dieses Teils), die Existenz auszuschließen. Folglich sind wir bestrebt, von uns und von einem geliebten Gegenstand alles das zu bejahen, wovon wir uns vorstellen, daß es uns oder den geliebten Gegenstand mit Lust erregt; und umgekehrt. – W.z.b.w.


Sechsundzwanzigster Lehrsatz

Wir sind bestrebt, von einem Gegenstand, den wir hassen, alles das zu bejahen, wovon wir uns vorstellen, daß es ihn mit Unlust erregt, und dagegen alles das zu verneinen, wovon wir uns vorstellen, daß es ihn mit Lust erregt.


Beweis

Dieser Lehrsatz folgt aus Lehrsatz 23 wie der vorige Lehrsatz aus Lehrsatz 21 dieses Teils.


Anmerkung

[186] Hieraus ersehen wir, wie leicht es geschieht, daß der Mensch von sich und dem geliebten Gegenstand eine größere Meinung hat, als recht ist, dagegen von einem verhaßten Gegenstand eine geringere Meinung, als recht ist. Diese Vorstellung heißt, soweit sie sich auf den Menschen selbst bezieht, der also von sich selbst eine größere Meinung hat, als recht ist, Hochmut und ist eine Art Wahnwitz, weil ein solcher Mensch mit offenen Augen träumt, er vermöge alles, was er bloß in der Einbildung erreicht. Er betrachtet daher dies alles als Wirklichkeit und bläht sich darob, solange er sich das nicht vorstellen kann, was die Existenz seiner Einbildungen ausschließt und sein Tätigkeitsvermögen beschränkt. Hochmut ist also Lust, daraus entsprungen, daß der Mensch eine größere Meinung von sich hat, als recht ist. – Die Lust ferner, welche daraus entspringt, daß der Mensch von einem andern eine größere Meinung hat, als recht ist, wird Überschätzung, diejenige endlich, welche daraus entspringt, daß er von einem andern eine geringere Meinung hat, als recht ist, wird Unterschätzung genannt.


Siebenundzwanzigster Lehrsatz

Wenn wir einen Gegenstand unseresgleichen, für den wir keinen Affekt empfinden, von irgendeinem Affekt erregt vorstellen, so werden wir eben dadurch von dem gleichen Affekt erregt.


Beweis

Die Vorstellungen der Dinge sind Erregungen des menschlichen Körpers, deren Ideen die äußern Körper uns darstellen, als ob sie uns gegenwärtig wären (nach Anmerkung zu Lehrsatz 17, Teil 2); d.h. (nach Lehrsatz 16,[187] Teil 2), deren Ideen die Natur unseres Körpers und zugleich die gegenwärtige Natur des äußern Körpers in sich schließen. Wenn also die Natur des äußern Körpers der Natur unseres Körpers ähnlich ist, so wird die Idee des äußern Körpers, den wir vorstellen, eine Erregung unseres Körpers in sich schließen, welche der Erregung des äußern Körpers ähnlich ist. Wenn wir uns daher vorstellen, daß jemand unseresgleichen von einem Affekt erregt ist, so wird diese Vorstellung eine Erregung unseres Körpers ausdrücken, welche diesem Affekt ähnlich ist. Dadurch also, daß wir einen Gegenstand unseresgleichen von irgendeinem Affekt erregt vorstellen, werden wir von dem gleichen Affekt erregt wie dieser Gegenstand. Denn wenn wir einen Gegenstand unseresgleichen hassen, so werden wir insofern (nach Lehrsatz 23 dieses Teils) von einem dem seinigen entgegengesetzten Affekt erregt werden, nicht aber von dem gleichen. – W.z.b.w.


Anmerkung

Diese Nachahmung der Affekte heißt, wenn sie Unlust betrifft, Mitleid (s. darüber die Anmerkung zu Lehrsatz 22 dieses Teils). Betrifft sie aber die Begierde, so heißt sie Wetteifer. Diese ist also nichts anders als die Begierde nach einem Ding, welche in uns durch die Vorstellung erzeugt wird, daß andere unseresgleichen diese Begierde haben.


Zusatz I

Wenn wir uns vorstellen, daß jemand, für den wir keinen Affekt empfinden, einen Gegenstand unseresgleichen mit Lust erregt, so werden wir von Liebe zu ihm erregt werden. Stellen wir uns dagegen vor, daß er ihn mit Unlust erregt, so werden wir von Haß gegen ihn erregt werden.


Beweis

[188] Dieser Satz wird ebenso aus dem vorigen Lehrsatz bewiesen wie Lehrsatz 22 dieses Teils aus Lehrsatz 21.


Zusatz II

Einen Gegenstand, den wir bemitleiden, können wir nicht deshalb hassen, weil sein Leid uns mit Unlust erregt.


Beweis

Denn wenn wir ihn deshalb hassen könnten, so würden wir uns (nach Lehrsatz 23 dieses Teils) über seine Unlust freuen, was gegen die Voraussetzung ist.


Zusatz III

Einen Gegenstand, den wir bemitleiden, werden wir, soviel wir können, von seinem Leid zu befreien suchen.


Beweis

Das, was einen Gegenstand, den wir bemitleiden, mit Unlust erregt, erregt uns selbst mit gleicher Unlust (nach dem vorigen Lehrsatz). Daher werden wir bestrebt sein, alles zu ersinnen, was die Existenz dieses Dinges aufhebt oder was das Ding zerstört (nach Lehrsatz 13 dieses Teils); d.h. (nach Anmerkung zu Lehrsatz 9 dieses Teils), wir werden das Verlangen haben, es zu zerstören, oder wir werden bestimmt werden, es zu zerstören. Somit werden wir einen Gegenstand, den wir bemitleiden, von seinem Leid zu befreien suchen. – W.z.b.w.
[189]

Anmerkung

Dieser Wille oder dieses Verlangen, wohlzutun, welches daraus entspringt, daß wir den Gegenstand bemitleiden, dem wir die Wohltat erweisen wollen, heißt Wohlwollen, welches also nichts anderes ist als eine aus Mitleid entsprungene Begierde. Siehe übrigens über Liebe und Haß gegen jemand, der einem Gegenstand, den wir uns als unseresgleichen vorstellen, Gutes oder Böses tut, die Anmerkung zu Lehrsatz 22 dieses Teils.


Achtundzwanzigster Lehrsatz

Alles, wovon wir uns vorstellen, daß es zur Lust beiträgt, suchen wir zu fördern, um seine Verwirklichung herbeizuführen. Alles hingegen, wovon wir uns vorstellen, daß es jenem widerstrebt oder daß es zur Unlust beiträgt, suchen wir zu entfernen und zu zerstören.


Beweis

Das, wovon wir uns vorstellen, daß es zur Lust beiträgt, suchen wir, soviel wir vermögen, uns vorzustellen (nach Lehrsatz 12 dieses Teils); d.h. (nach Lehrsatz 17, Teil 2), wir werden bestrebt sein, soviel wir vermögen, es als gegenwärtig oder als wirklich existierend zu betrachten. Aber das Bestreben des Geistes oder sein Vermögen im Denken ist von Natur gleich und gleichzeitig mit dem Bestreben des Körpers und seinem Vermögen im Handeln (was deutlich hervorgeht aus Zusatz zu Lehrsatz 7 und Zusatz zu Lehrsatz 11, Teil 2). Wir suchen also absolut, oder (was nach Anmerkung zu Lehrsatz 9 dieses Teils dasselbe ist) wir verlangen und streben, daß es existiere. Damit ist das erste bewiesen. – Ferner: wenn wir uns vorstellen, daß das, was wir für die Ursache der Unlust halten, d.h. (nach Anmerkung zu Lehrsatz 13 dieses Teils),[190] daß das, was wir hassen, zerstört wird, so werden wir Lust empfinden (nach Lehrsatz 12 dieses Teils). Also werden wir es (nach dem ersten Teil dieses Beweises) zu zerstören oder (nach Lehrsatz 13 dieses Teils) von uns zu entfernen suchen, damit wir es nicht als gegenwärtig betrachten. Damit ist das zweite bewiesen. – Folglich werden wir alles, wovon wir uns vorstellen, daß es zur Lust etc. – W.z.b.w.


Neunundzwanzigster Lehrsatz

Alles das, wovon wir uns vorstellen, daß es die Menschen1 mit Lust ansehen, werden wir ebenfalls zu tun bestrebt sein; dagegen das, wovon wir uns vorstellen, daß die Menschen ihm abgeneigt sind, werden wir zu tun abgeneigt sein.


Beweis

Dadurch, daß wir uns etwas von den Menschen geliebt oder gehaßt vorstellen, werden wir es ebenfalls lieben oder hassen (nach Lehrsatz 27 dieses Teils); d.h. (nach Anmerkung zu Lehrsatz 13 dieses Teils), eben dadurch werden wir über die Gegenwart dieses Dinges Lust oder Unlust empfinden. Folglich (nach dem vorigen Lehrsatz) werden wir alles das, wovon wir uns vorstellen, daß es die Menschen lieben oder mit Lust ansehen, zu tun bestrebt sein etc. – W.z.b.w.


Anmerkung

Dieses Bestreben, etwas zu tun wie auch zu unterlassen, bloß aus dem Grunde, damit wir den Menschen gefallen,[191] heißt Ehrgeiz, besonders wenn wir so übermäßig der Menge zu gefallen streben, daß wir etwas tun oder unterlassen, selbst wenn es uns oder andern zum Schaden gereicht; andernfalls pflegt man es Menschenfreundlichkeit zu nennen.

Die Lust, womit wir uns die Tat eines andern vorstellen, mit welcher er uns zu erfreuen bestrebt war, nenne ich Lob; die Unlust dagegen, womit wir die Tat eines andern mißbilligen, nenne ich Tadel.


Dreißigster Lehrsatz

Wenn jemand etwas getan hat, wovon er sich vorstellt, daß es andere mit Lust erregt, so wird er von Lust, verbunden mit der Idee seiner selbst als deren Ursache, erregt werden, oder er wird sich selbst mit Lust betrachten. Wenn dagegen jemand etwas tut, wovon er sich vorstellt, daß es andere mit Unlust erregt, so wird er sich selbst mit Unlust betrachten.


Beweis

Wer sich vorstellt, daß er andere mit Lust oder Unlust erregt, der wird eben dadurch (nach Lehrsatz 27 dieses Teils) von Lust oder Unlust erregt werden. Da aber der Mensch (nach den Lehrsätzen 19 und 23, Teil 2) sich seiner bewußt ist durch die Erregungen, von denen er zum Handeln bestimmt wird, so wird, wer etwas getan hat, wovon er sich vorstellt, daß es andere mit Lust erregt, von Lust, mit dem Bewußtsein seiner selbst als Ursache, erregt werden, oder er wird sich selbst mit Lust betrachten; und umgekehrt. – W.z.b.w.


Anmerkung

[192] Da die Liebe (nach Anmerkung zu Lehrsatz 13 dieses Teils) Lust ist, verbunden mit der Idee einer äußern Ursache, und der Haß Unlust, verbunden mit der Idee einer äußern Ursache, so wird demnach diese Lust und Unlust eine Art Liebe und Haß sein. Weil sich aber Liebe und Haß auf die äußern Gegenstände beziehen, so wollen wir diese Affekte mit andern Namen bezeichnen. Wir wollen nämlich diese mit der Idee einer äußern Ursache verbundene Lust Ehre (Ehrfreude), die ihr entgegengesetzte Unlust Scham nennen. Ich meine hier die Fälle, wo die Lust oder Unlust daraus entsteht, daß sich der Mensch gelobt oder getadelt glaubt; andernfalls nenne ich diese mit der Idee einer äußern Ursache verbundene Lust Selbstzufriedenheit, die ihr entgegengesetzte Unlust aber Reue.

Weil es ferner (nach Zusatz zu Lehrsatz 17, Teil 2) vorkommen kann, daß die Lust, womit jemand andere zu erregen sich vorstellt, nur eine eingebildete ist und (nach Lehrsatz 25 dieses Teils) jeder von sich alles das vorzustellen sucht, wovon er sich vorstellt, daß es ihn mit Lust erregt, so kann es leicht geschehen, daß der Ehrsüchtige hochmütig wird und sich einbildet, er sei allen angenehm, während er allen widerwärtig ist.


Einunddreißigster Lehrsatz

Wenn wir uns vorstellen, daß jemand etwas liebt oder begehrt oder haßt, was wir selbst lieben, begehren oder hassen, so werden wir eben dadurch dieses Ding beharrlicher lieben usw. Stellen wir uns dagegen vor, daß jemand ein Ding, das wir lieben, verschmäht, oder umgekehrt, so werden wir ein Schwanken des Gemüts erleiden.
[193]


Beweis

Dadurch allein schon, daß wir uns vorstellen, daß jemand etwas liebt, werden wir es lieben (nach Lehrsatz 27 dieses Teils). Wir nehmen aber an, daß wir es auch ohne dem lieben. Es tritt also eine neue Ursache zur Liebe hinzu, durch welche sie genährt wird. Daher werden wir das was wir lieben, eben dadurch beharrlicher lieben. Ferner werden wir dadurch, daß wir uns vorstellen, daß jemand etwas verschmäht, dasselbe gleichfalls verschmähen (nach demselben Lehrsatz). Wenn wir aber annehmen, daß wir es zu gleicher Zeit lieben, so werden wir demnach dieses selbe Ding gleichzeitig lieben und verschmähen, oder (s. Anmerkung zu Lehrsatz 17 dieses Teils) wir werden ein Schwanken des Gemüts erleiden. – W.z.b.w.


Zusatz

Hieraus und aus Lehrsatz 28 dieses Teils folgt, daß jeder, soviel er vermag, darnach strebt, daß alle das lieben, was er selbst liebt, und alle das hassen, was er selbst haßt. Darum singt der Dichter2:


»Hoffen zugleich und fürchten zugleich muß jeder, der liebet;

Eisern ist, wer da liebt, das, was der andre verließ.«


Anmerkung

Dieses Streben, es dahin zu bringen, daß alle uns beistimmen, wenn wir etwas lieben oder hassen, ist eigentlich Ehrgeiz (s. Anmerkung zu Lehrsatz 29).

Wir sehen daher, daß von Natur aus jeder verlangt, andere sollen nach Seinem Sinn leben. Wenn freilich alle dieses gleicherweise verlangen, so sind sich alle einander[194] gleich hinderlich, und während alle von allen gelobt oder geliebt werden wollen, werden sie sich vielmehr gegenseitig hassen.


Zweiunddreißigster Lehrsatz

Wenn wir uns vorstellen, daß jemand sich eines Dinges erfreut, das nur Einer allein besitzen kann, so werden wir zu bewirken suchen, daß jener dieses Ding nicht besitzt.


Beweis

Dadurch allein schon, daß wir uns vorstellen, daß jemand sich eines Dinges erfreut, werden wir (nach Lehrsatz 27 dieses Teils und dessen Zusatz II) dieses Ding lieben und uns seiner zu erfreuen suchen. Aber den Umstand, daß jener sich eben dieses Dinges erfreut, stellen wir uns (nach der Voraussetzung) als Hindernis dieser Lust vor. Folglich werden wir (nach Lehrsatz 28 dieses Teils) dahin streben, daß jener dieses Ding nicht besitzt. – W.z.b.w.


Anmerkung

Wir sehen daher, daß die Natur des Menschen meist so beschaffen ist, daß man diejenigen, denen es schlecht geht, bemitleidet und die, denen es gut geht, beneidet, und zwar (nach dem vorigen Lehrsatz) um so stärker, je mehr man das Ding liebt, in dessen Besitz man sich einen andern vorstellt. – Wir sehen ferner, daß aus derselben Eigenschaft der menschlichen Natur, aus welcher folgt, daß die Menschen mitleidig sind, auch folgt, daß sie neidisch und ehrgeizig sind.

Wenn wir die Erfahrung selbst befragen, so werden wir[195] finden, daß sie dies alles bestätigt, besonders wenn wir unsere Jugendjahre ins Auge fassen. Denn wir machen die Erfahrung, daß die Kinder, weil ihr Körper fortwährend wie im Gleichgewicht ist, deshalb allein schon lachen oder weinen, weil sie andere lachen oder weinen sehen. Auch suchen sie das, was sie andere tun sehen, sofort nachzuahmen, und ebenso begehren sie alles für sich, wovon sie sich vorstellen, daß sich andere daran erfreuen. Der Grund ist, weil die Vorstellung der Dinge, wie gesagt, Erregungen des menschlichen Körpers selbst sind oder die Arten, wie der menschliche Körper von äußern Ursachen erregt und disponiert wird, dies oder jenes zu tun.


Dreiunddreißigster Lehrsatz

Wenn wir einen Gegenstand unseresgleichen lieben, so suchen wir, soviel wir vermögen, zu bewirken, daß er uns wiederum liebt.


Beweis

Einen Gegenstand, den wir lieben, suchen wir, soviel wir vermögen, uns vor allen andern vorzustellen (nach Lehrsatz 12 dieses Teils). Wenn also der Gegenstand unseresgleichen ist, so werden wir ihn vor allen andern mit Lust zu erregen suchen (nach Lehrsatz 29 dieses Teils), oder wir werden, soviel wir vermögen, zu bewirken suchen, daß der geliebte Gegenstand von Lust erregt werde, verbunden mit der Idee unserer selbst; d.h. (nach Anmerkung zu Lehrsatz 13 dieses Teils), daß er uns wiederliebe. – W.z.b.w.


Vierunddreißigster Lehrsatz

[196] Je stärker wir uns den Affekt vorstellen, von dem der geliebte Gegenstand gegen uns erregt ist, desto mehr werden wir uns geehrt fühlen.


Beweis

Wir streben, soviel wir vermögen (nach dem vorigen Lehrsatz), daß der geliebte Gegenstand uns wiederum liebe; d.h. (nach Anmerkung zu Lehrsatz 13 dieses Teils), daß der geliebte Gegenstand von Lust erregt werde, verbunden mit der Idee unserer selbst. Je stärker wir uns also die Lust vorstellen, von welcher der geliebte Gegenstand um unseretwillen erregt ist, desto mehr wird dieses Streben gefördert; d.h. (nach Lehrsatz 11 dieses Teils mit seiner Anmerkung) von desto stärkerer Lust werden wir erregt. Wenn wir aber darüber Lust empfinden, daß wir einen andern unseresgleichen mit Lust erregt haben, so betrachten wir uns selbst mit Lust (nach Lehrsatz 30 dieses Teils). Je stärker wir uns also den Affekt vorstellen, von dem der geliebte Gegenstand gegen uns erregt ist, mit um so stärkerer Lust werden wir uns selbst betrachten oder (nach Anmerkung zu Lehrsatz 30 dieses Teils) desto mehr werden wir uns geehrt fühlen. – W.z.b.w.


Fünfunddreißigster Lehrsatz

Wenn sich jemand vorstellt, daß der geliebte Gegenstand mit einem andern durch ein gleiches oder engeres Band der Freundschaft, als das war, wodurch er allein dasselbe in Besitz hatte, sich verbindet. so wird er von Haß gegen den geliebten Gegenstand erregt werden und jenen andern Gegenstand beneiden.


Beweis

[197] Je stärker sich einer die Liebe vorstellt, von welcher ein von ihm geliebter Gegenstand gegen ihn erregt ist, desto mehr wird er sich geehrt fühlen (nach dem vorigen Lehrsatz), d.h. (nach Anmerkung zu Lehrsatz 30 dieses Teils) sich freuen. Er wird daher (nach Lehrsatz 28 dieses Teils), soviel er vermag, sich vorzustellen suchen, daß der geliebte Gegenstand auf das engste mit ihm verbunden sei. Dieses Bestreben oder Verlangen wird noch gesteigert, wenn er sich vorstellt, daß ein anderer denselben Gegenstand für sich begehrt (nach Lehrsatz 31 dieses Teils). Es wird aber angenommen, daß dieses Bestreben oder Verlangen von der Vorstellung des geliebten Gegenstandes selbst, verbunden mit der Vorstellung dessen, welchen der geliebte Gegenstand mit sich verbindet, gehemmt wird. Folglich wird er (nach Anmerkung zu Lehrsatz 11 dieses Teils) eben dadurch von Unlust erregt werden, verbunden mit der Idee des geliebten Gegenstandes als deren Ursache und zugleich mit der Vorstellung jenes andern. Das heißt (nach Anmerkung zu Lehrsatz 13 dieses Teils), er wird von Haß gegen den geliebten Gegenstand erregt werden und zugleich auch gegen jenen andern (nach Zusatz zu Lehrsatz 15 dieses Teils), den er daher (nach Lehrsatz 23 dieses Teils), weil er sich des geliebten Gegenstandes erfreut, beneiden wird. – W.z.b.w.


Anmerkung

Dieser Haß gegen den geliebten Gegenstand, der mit Neid verbunden ist, heißt Eifersucht. Sie ist also nichts anderes als ein Schwanken des Gemüts, entsprungen aus Liebe und Haß zugleich, verbunden mit der Idee eines andern, den man beneidet. Dieser Haß gegen den geliebten Gegenstand wird in bezug auf seine Stärke im Verhältnis stehen zur Lust, von welcher der Eifersüchtige durch die Gegenliebe des geliebten Gegenstandes erregt[198] zu werden pflegte; wie auch zu dem Affekt, von welchem er gegen den erregt war, von dem er sich vorstellt, daß der geliebte Gegenstand sich mit ihm verbindet. Denn wenn er ihn gehaßt hatte, so wird er eben dadurch den geliebten Gegenstand (nach Lehrsatz 24 dieses Teils) hassen, weil er sich vorstellt, daß derselbe das, was er selbst haßt, mit Lust erregt; wie auch (nach Zusatz zu Lehrsatz 15 dieses Teils) deshalb, weil er gezwungen wird, die Vorstellung des geliebten Gegenstandes mit der Vorstellung dessen, den er haßt, zu verbinden.

Dieses Verhältnis findet meistens in der Liebe zu Frauen statt. Denn wer sich vorstellt, daß eine Frau, die er liebt, sich einem andern preisgibt, wird nicht bloß Unlust empfinden, weil sein Verlangen gehemmt wird, sondern er verabscheut auch diese Frau, weil er gezwungen wird, die Vorstellung der Geliebten mit den geheimen Körperteilen und Exkrementen eines andern zu verbinden.

Hierzu kommt endlich noch, daß der Eifersüchtige von dem geliebten Gegenstand nicht mit der gleichen Miene empfangen wird, die er ihm sonst zeigte; ein weiterer Grund, weshalb der Liebende von Unlust erregt wird wie ich gleich zeigen werde.


Sechsunddreißigster Lehrsatz

Wer sich eines Gegenstands erinnert, woran er sich einmal erfreut hat, begehrt denselben unter den gleichen Umständen zu besitzen, als da er sich zum erstenmal daran erfreute.


Beweis

Alles, was der Mensch zugleich mit dem Ding gesehen hat, das ihn erfreute, ist (nach Lehrsatz 15 dieses Teils) zufällige Ursache der Lust. Also wird er (nach Lehrsatz 28 dieses Teils) das alles zugleich mit dem Ding, das ihn[199] erfreute, zu besitzen begehren; oder er wird das Ding unter den gleichen Umständen zu besitzen begehren, als da er sich zum erstenmal daran erfreute. – W.z.b.w.


Zusatz

Wenn daher der Liebende die Wahrnehmung macht, daß einer dieser Umstände fehlt, so wird er Unlust empfinden.


Beweis

Denn sofern er die Wahrnehmung macht, daß einer dieser Umstände fehlt, insofern stellt er sich etwas vor, was die Existenz dieses Dinges ausschließt. Da er aber dieses Ding oder diesen Umstand (nach dem vorigen Lehrsatz) aus Liebe begehrt, so wird er folglich (nach Lehrsatz 19 dieses Teils), sofern er sich vorstellt, daß er fehlt, Unlust empfinden. – W.z.b.w.


Anmerkung

Diese Unlust, welche die Abwesenheit dessen, was wir lieben, betrifft, heißt Sehnsucht.


Siebenunddreißigster Lehrsatz

Die Begierde, welche aus Unlust oder Lust, aus Haß oder Liebe entspringt, ist um so stärker, je stärker der Affekt ist.


Beweis

Die Unlust vermindert oder hemmt das menschliche Tätigkeitsvermögen (nach Anmerkung zu Lehrsatz 11 dieses[200] Teils), d.h. (nach Lehrsatz 7 dieses Teils), sie vermindert oder hemmt das Bestreben, wonach der Mensch in seinem Sein zu verharren strebt. Sie ist also (nach Lehrsatz 5 dieses Teils) diesem Streben entgegengesetzt, und alles, was der von Unlust erregte Mensch anstrebt, ist, die Unlust zu entfernen. Je stärker aber (nach der Definition der Unlust) die Unlust ist, einem desto größeren Teil des menschlichen Tätigkeitsvermögen steht sie notwendig entgegen. Je stärker also die Unlust ist, mit desto größerem Tätigkeitsvermögen wird der Mensch bestrebt sein, die Unlust zu entfernen; d.h. (nach Anmerkung zu Lehrsatz 9 dieses Teils), mit desto stärkerer Begierde oder mit desto stärkerem Verlangen wird der Mensch bestrebt sein, die Unlust zu entfernen. – Weil ferner die Lust (nach derselben Anmerkung zu Lehrsatz 11 dieses Teils) das Tätigkeitsvermögen des Menschen vermehrt oder fördert, so wird auf dieselbe Art leicht bewiesen, daß der von Lust erregte Mensch nichts anderes begehrt, als dieselbe sich zu erhalten, und zwar mit um so stärkerer Begierde, je stärker die Lust ist. – Weil endlich Haß und Liebe die Affekte der Unlust und Lust selbst sind, so folgt auf gleiche Weise, daß das Streben, Verlangen oder Begehren, welches aus Haß oder Liebe entspringt, in bezug auf ihre Stärke, zur Stärke des Hasses und der Liebe im Verhältnis stehen wird. – W.z.b.w.


Achtunddreißigster Lehrsatz

Wenn jemand einen geliebten Gegenstand zu hassen begonnen hat, so daß die Liebe vollständig verdrängt wird, so wird er denselben, bei gleicher Ursache, stärker hassen, als wenn er ihn niemals geliebt hätte, und zwar um so stärker, je stärker vorher die Liebe gewesen ist.
[201]


Beweis

Denn wenn jemand einen geliebten Gegenstand zu hassen beginnt, so wird sein Verlangen in mehr Hinsichten eingeschränkt, als wenn er ihn nicht geliebt hätte. Denn Liebe ist Lust (nach Anmerkung zu Lehrsatz 13 dieses Teils), welche der Mensch, soviel er vermag (nach Lehrsatz 28 dieses Teils), sich zu erhalten sucht; und zwar (nach derselben Anmerkung) dadurch, daß er den geliebten Gegenstand als gegenwärtig betrachtet und ihn (nach Lehrsatz 21 dieses Teils), soviel er vermag, mit Lust erregt. Dieses Streben ist (nach dem vorigen Lehrsatz) um so stärker, je stärker die Liebe ist und je stärker auch das Bestreben ist, zu bewirken, daß der geliebte Gegenstand ihn wiederliebt (s. Lehrsatz 33 dieses Teils). Aber dieses Bestreben wird durch den Haß gegen den geliebten Gegenstand gehemmt (nach Zusatz zu Lehrsatz 13 und nach Lehrsatz 23 dieses Teils). Folglich wird der Liebende (nach Anmerkung zu Lehrsatz 11 dieses Teils) auch aus dieser Ursache von Unlust erregt, und um so stärker, je stärker die Liebe gewesen war; d.h., außer der Unlust, welche die Ursache des Hasses gewesen, entspringt noch eine andere Unlust daraus, daß er den Gegenstand geliebt hatte. Demnach wird er den geliebten Gegenstand mit stärkerem Affekt der Unlust betrachten; d.h. (nach Anmerkung zu Lehrsatz 13 dieses Teils), er wird stärkeren Haß gegen ihn empfinden, als wenn er ihn vorher nicht geliebt hätte, und dieser Haß wird um so stärker sein, je stärker vorher seine Liebe gewesen ist. – W.z.b.w.


Neununddreißigster Lehrsatz

Wer jemand haßt, wird bestrebt sein, ihm Übles zuzufügen, wenn er nicht fürchtet, daß daraus für ihn selbst ein größeres Übel entsteht. Umgekehrt wird, wer jemand liebt, bestrebt sein, ihm nach demselben Gesetz Gutes zuzufügen.


Beweis

[202] Jemand hassen ist (nach Anmerkung zu Lehrsatz 31 dieses Teils), ihn als die Ursache der Unlust vorstellen. Also wird (nach Lehrsatz 28 dieses Teils) derjenige, der jemand haßt, bestrebt sein, ihn zu entfernen oder zu zerstören. Wenn er aber fürchtet, daß ihm daraus mehr Unlust oder (was dasselbe ist) ein größeres Übel erwächst, das er verhüten zu können glaubt, wenn er dem Gehaßten das ihm zugedachte Übel nicht zufügt, so wird er (nach demselben Lehrsatz 28 dieses Teils) von dem Vorhaben, ihm Übles zuzufügen, abzustehen begehren; und zwar wird (nach Lehrsatz 37 dieses Teils) dieses Bestreben stärker sein als das, welches ihn antrieb, jenem das Übel zuzufügen, und es wird daher die Oberhand haben, wie ich behaupte. – Der Beweis des zweiten Teils wird ebenso geführt. – Somit wird, wer jemand haßt, etc. – W.z.b.w.


Anmerkung

Unter Gut verstehe ich hier jede Art von Lust und ferner alles, was zur Lust beiträgt, und hauptsächlich das, was einen Wunsch, welcher Art er immer sei, befriedigt. Unter Übel dagegen jede Art von Unlust und hauptsächlich das, was die Befriedigung eines Wunsches vereitelt. Denn oben (in der Anmerkung zu Lehrsatz 9 dieses Teils) habe ich gezeigt, daß wir nicht etwas begehren, weil wir es für gut halten, sondern daß wir umgekehrt das gutheißen, was wir begehren; und demgemäß nennen wir schlecht (übel) das, was wir verabscheuen. Daher beurteilt oder schätzt jeder nach seinem Affekt, was gut und was schlecht, was das Bessere und das Schlimmere, was das Beste und das Schlechteste sei. So hält der Habsüchtige einen Haufen Gold für das Beste, dagegen den Mangel daran für das Schlimmste. Der Ehrgeizige hingegen begehrt nichts so sehr als den Ruhm und zittert vor nichts mehr als vor der Schande. Dem Neidischen ist nichts angenehmer als das Unglück eines andern, nichts unangenehmer[203] als fremdes Glück. Und so hält jeder nach seinem Affekt ein Ding für gut oder schlecht, nützlich oder schädlich.

Übrigens heißt dieser Affekt, von welchem der Mensch so disponiert wird, daß er das, was er möchte, nicht will oder das, was er nicht möchte, will, Scheu, welche demnach nichts anderes ist als Furcht, sofern der Mensch von ihr disponiert wird, ein künftiges Übel, das er befürchtet, durch ein anderes geringeres zu vermeiden (s. Lehrsatz 28 dieses Teils). – Wenn das Übel, das er befürchtet, die Schande ist, so heißt diese Befürchtung Ehrgefühl (Scheu vor Schande). – Wenn endlich das Verlangen, ein künftiges Übel zu vermeiden, durch die Furcht vor einem andern Übel gehemmt wird, so daß man nicht weiß, was man vorziehen soll, so heißt die Furcht Bestürzung, namentlich wenn beide Übel, die man fürchtet, zu den großen gehören.


Vierzigster Lehrsatz

Wer sich vorstellt, daß er von jemand gehaßt wird, ohne daß er ihm einen Grund zum Haß gegeben zu haben glaubt, der wird denselben wiederum hassen.


Beweis

Wer sich vorstellt, daß jemand von Haß erregt ist, der wird eben dadurch auch von Haß erregt werden (nach Lehrsatz 27 dieses Teils), d.h. (nach Anmerkung zu Lehrsatz 13 dieses Teils) von Unlust, verbunden mit der Idee einer äußern Ursache. Nun stellt er sich aber (nach der Voraussetzung) keine andere Ursache dieser Unlust vor als jenen, der ihn habt. Folglich wird er dadurch, daß er sich vorstellt, er werde von jemand gehaßt, von Unlust erregt, verbunden mit der Idee dessen, der ihn haßt, oder (nach derselben Anmerkung) er wird ihn hassen. – W.z.b.w.[204]


Anmerkung

Wenn er sich aber vorstellt, daß er jenem eine gerechte Ursache zum Haß gegeben habe, so wird er (nach Lehrsatz 30 dieses Teils und seiner Anmerkung) von Scham erregt werden. Doch kommt dies (nach Lehrsatz 25 dieses Teils) selten vor.

Übrigens kann diese Gegenseitigkeit des Hasses auch dadurch entstehen, daß aus dem Haß das Bestreben folgt, dem Gehaßten Übles zuzufügen (nach Lehrsatz 39 dieses Teils). Wer sich also vorstellt, daß er von jemand gehaßt wird, der wird sich diesen als Ursache eines Übels oder einer Unlust vorstellen. Er wird also von Unlust oder Furcht erregt werden, verbunden mit der Idee dessen, der ihn haßt, als deren Ursache; d.h., er wird von Gegenhaß erregt werden, wie oben.


Zusatz I

Wer sich vorstellt, daß jemand, den er liebt, von Haß gegen ihn erregt ist, der wird von Haß und Liebe zugleich bestürmt werden. Denn sofern er sich vorstellt, daß er von ihm gehaßt wird, wird er (nach dem vorigen Lehrsatz) bestimmt, ihn wiederzuhassen. Aber dessenungeachtet liebt er ihn (nach der Voraussetzung). Also wird er von Haß und Liebe zugleich bestürmt werden.


Zusatz II

Wer sich vorstellt, daß ihm von jemand, für den er vorher keinen Affekt empfunden hat, aus Haß ein Übel zugefügt worden sei, so wird er ihm sofort dasselbe Übel wieder zuzufügen suchen.


Beweis

[205] Wer sich vorstellt, daß jemand von Haß gegen ihn erregt ist, der wird denselben (nach dem vorigen Lehrsatz) wiederhassen, und er wird (nach Lehrsatz 26 dieses Teils) bestrebt sein, alles zu ersinnen, was ihn mit Unlust erregen kann, und es ihm (nach Lehrsatz 39 dieses Teils) zuzufügen suchen. Das erste dieser Art, woran er denkt, ist aber (nach der Voraussetzung) das ihm selbst von jenem zugefügte Übel. Daher wird er es ihm sofort zuzufügen suchen. – W.z.b.w.


Anmerkung

Das Bestreben, dem, den wir hassen, Übles zuzufügen, heißt Zorn. Das Bestreben aber, ein uns zugefügtes Übel wieder zu vergelten, heißt Rachsucht.


Einundvierzigster Lehrsatz

Wer sich vorstellt, daß er von jemand geliebt wird, ohne daß er ihm einen Grund zur Liebe gegeben zu haben glaubt (was nach Zusatz zu Lehrsatz 15 und nach Lehrsatz 16 dieses Teils möglich ist), der wird denselben wiederum lieben.


Beweis

Dieser Lehrsatz wird auf gleiche Weise bewiesen wie der vorige (s. dessen Anmerkung).


Anmerkung

Wenn er sich aber vorstellt, daß er jenem eine gerechte Ursache zur Liebe gegeben habe, so wird er sich geehrt[206] fühlen (nach Lehrsatz 30 dieses Teils mit seiner Anmerkung). Dieser Fall kommt häufiger vor (nach Lehrsatz 25 dieses Teils), während dessen Gegenteil, wie ich sagte, dann eintrifft, wenn man sich vorstellt, man werde von jemand gehaßt (s. Anmerkung zum vorigen Lehrsatz). – Diese Gegenliebe und demgemäß (nach Lehrsatz 39 dieses Teils) das Bestreben, demjenigen wohlzutun, der uns liebt und der (nach demselben Lehrsatz 39 dieses Teils) uns wohlzutun sucht, heißt Dank oder Dankbarkeit.

Es erhellt hieraus, daß die Menschen viel eher zur Rache als zur Vergeltung der Wohltaten bereit sind.


Zusatz

Wer sich vorstellt, daß er von jemand, den er haßt, geliebt wird, der wird von Haß und Liebe zugleich bestürmt werden. – Dies wird auf gleiche Weise bewiesen wie Zusatz I zum vorigen Lehrsatz.


Anmerkung

Überwiegt der Haß, so wird er demjenigen, von dem er geliebt wird, Übles zuzufügen suchen. Dieser Affekt heißt Grausamkeit, besonders wenn der Liebende keine Ursache zum Haß gegeben zu haben scheint.


Zweiundvierzigster Lehrsatz

Wer aus Liebe oder in der Hoffnung auf Ehre jemand eine Wohltat erwiesen hat, der wird Unlust empfinden wenn er sieht, daß die Wohltat mit undankbarer Gesinnung empfangen wird.


Beweis

[207] Wer einen Gegenstand seinesgleichen liebt, der ist bestrebt, soviel er vermag, zu bewirken, daß er von ihm wiedergeliebt werde (nach Lehrsatz 33 dieses Teils). Wer also jemand aus Liebe eine Wohltat erweist, der tut es mit dem Wunsche, wiedergeliebt zu werden, d.h. (nach Lehrsatz 34 dieses Teils) mit der Hoffnung auf Ehre oder (nach Anmerkung zu Lehrsatz 30 dieses Teils) auf Lust. Er wird daher (nach Lehrsatz 12 dieses Teils) bestrebt sein, diese Ursache der Ehre, soviel er vermag, sich vorzustellen oder als wirklich existierend zu betrachten. Er stellt sich aber (nach der Voraussetzung) etwas anderes vor, was die Existenz dieser Ursache ausschließt. Also wird er (nach Lehrsatz 19 dieses Teils) dadurch Unlust empfinden. – W.z.b.w.


Dreiundvierzigster Lehrsatz

Der Haß wird durch Erwiderung des Hasses verstärkt, kann dagegen durch Liebe getilgt werden.


Beweis

Wenn sich jemand vorstellt, daß derjenige, den er haßt, von Gegenhaß gegen ihn erregt ist, so entspringt daraus (nach Lehrsatz 40 dieses Teils) ein neuer Haß, während der erste (nach der Voraussetzung) dabei fortdauert. Stellt er sich dagegen vor, daß derselbe von Liebe gegen ihn erregt ist, so betrachtet er, sofern er dies vorstellt, insofern (nach Lehrsatz 30 dieses Teils) sich selbst mit Lust, und insofern wird er (nach Lehrsatz 29 dieses Teils) ihm zu gefallen suchen; d.h. (nach Lehrsatz 41 dieses Teils), insofern strebt er, ihn nicht zu hassen und ihn mit keiner Unlust zu erregen. Dieses Bestreben wird (nach Lehrsatz 37 dieses Teils) stärker oder schwächer sein, je nach[208] dem Affekt, aus dem es entspringt. Ist es nun stärker als jenes Bestreben, das aus dem Haß entspringt und wonach der Betreffende den Gehaßten (nach Lehrsatz 26 dieses Teils) mit Unlust zu erregen sucht, so wird es die Oberhand haben und den Haß aus dem Gemüt verdrängen. – W.z.b.w.


Vierundvierzigster Lehrsatz

Der Haß, welcher durch Liebe gänzlich besiegt wird, geht in Liebe über; und die Liebe ist dann stärker, als wenn ihr der Haß nicht vorausgegangen wäre.


Beweis

Derselbe wird ebenso geführt wie der des 38. Lehrsatzes dieses Teils. Denn wer einen Gegenstand, den er haßt oder den er mit Unlust zu betrachten pflegte, zu lieben anfängt, empfindet schon dadurch Lust, daß er liebt. Zu dieser Lust, welche die Liebe in sich schließt (s. deren Definition in der Anmerkung zu Lehrsatz 13 dieses Teils), kommt noch jene hinzu, welche daraus entspringt, daß das Bestreben, die Unlust zu entfernen, welche der Haß in sich schließt (wie in Lehrsatz 37 dieses Teils gezeigt wurde), sehr gefördert wird, in Verbindung mit der Idee desjenigen, den man gehaßt hatte, als Ursache.


Anmerkung

Obgleich sich die Sache so verhält, so wird doch niemand darnach streben, einen Gegenstand zu hassen oder mit Unlust erregt zu werden, nur damit er diese stärkere Lust genieße; d.h., niemand wird in der Hoffnung des Schadenersatzes Schaden zu leiden wünschen, noch wird sich jemand sehnen, krank zu sein in der Hoffnung auf Wiedergenesung.[209] Denn jeder wird immer streben, sein Sein zu erhalten und Unlust, soviel er vermag, zu entfernen. Wäre es indessen denkbar, daß der Mensch die Begierde haben könnte, jemand zu hassen, um ihm nachher mit stärkerer Liebe zugetan zu sein, so müßte er die Begierde, ihn zu hassen, fortwährend haben; denn je stärker der Haß gewesen sein wird, desto stärker wird die Liebe sein, weshalb er fortwährend wünschen müßte, daß der Haß mehr und mehr wachse. Aus demselben Grunde müßte der Mensch auch streben, mehr und mehr krank zu sein, um später die größere Lust der Wiedergenesung zu genießen; er würde also immer streben, krank zu sein. Das aber ist (nach Lehrsatz 6 dieses Teils) widersinnig.


Fünfundvierzigster Lehrsatz

Wenn sich einer vorstellt, daß jemand seinesgleichen gegen einen Gegenstand seinesgleichen, den er liebt, von Haß erregt ist, so wird er ihn hassen.


Beweis

Denn der geliebte Gegenstand haßt den wiederum, der ihn haßt (nach Lehrsatz 40 dieses Teils). Der Liebende also, der sich vorstellt, daß jemand den geliebten Gegenstand haßt, stellt sich eben dadurch vor, daß der geliebte Gegenstand von Haß, d.h. (nach Anmerkung zu Lehrsatz 13 dieses Teils) von Unlust, erregt ist. Er wird also (nach Lehrsatz 21 dieses Teils) Unlust empfinden, und zwar verbunden mit der Idee dessen, der den geliebten Gegenstand haßt, als Ursache. Das heißt (nach Anmerkung zu Lehrsatz 13 dieses Teils), er wird ihn hassen. – W.z.b.w.
[210]


Sechsundvierzigster Lehrsatz

Wenn jemand von einem Angehörigen eines andern Standes oder Volkes mit Lust oder Unlust erregt worden ist, verbunden mit der Idee desselben unter dem allgemeinen Namen seines Standes oder Volkes als Ursache, so wird er nicht nur ihn, sondern alle Angehörigen seines Standes oder Volkes lieben oder hassen.


Beweis

Der Beweis dieses Satzes erhellt aus Lehrsatz 16 dieses Teils.


Siebenundvierzigster Lehrsatz

Die Lust, welche aus der Vorstellung entspringt, daß ein gehaßter Gegenstand zerstört oder von einem andern Übel erregt wird, ist nicht ohne einige Unlust des Gemüts.


Beweis

Er erhellt aus Lehrsatz 27 dieses Teils. Denn sofern wir uns vorstellen, daß ein Gegenstand unseresgleichen von Unlust erregt wird, insofern empfinden wir Unlust.


Anmerkung

Dieser Lehrsatz kann auch aus Zusatz zu Lehrsatz 17, Teil 2, bewiesen werden. Denn sooft wir uns des Gegenstandes erinnern, auch wenn er nicht wirklich existiert, betrachten wir ihn als gegenwärtig, und der Körper wird auf gleiche Weise erregt. Sofern daher die Erinnerung an den Gegenstand lebendig ist, insofern wird der Mensch bestimmt, ihn mit Unlust zu betrachten. Diese Bestimmung wird, solange die Vorstellung des Gegenstandes[211] noch währt, durch die Erinnerung jener Dinge, welche seine Existenz ausschließen, zwar gehemmt, aber nicht aufgehoben. Der Mensch empfindet also nur insofern Lust, sofern diese Bestimmung gehemmt wird. Daher kommt es, daß diese Lust, welche aus dem Übel, das den verhaßten Gegenstand trifft, entspringt, so oft wiederkehrt, als wir uns dieses Gegenstandes erinnern. Denn wie gesagt, sobald die Vorstellung dieses Gegenstandes er weckt wird, bestimmt sie den Menschen, den Gegenstand mit derselben Unlust zu betrachten, mit welcher er ihn zu betrachten pflegte, als er noch existierte. Weil er aber mit der Vorstellung dieses Gegenstandes andere Vorstellungen verknüpft hat, welche dessen Existenz ausschließen, darum wird diese Bestimmung zur Unlust sofort gehemmt, und der Mensch empfindet von neuem Lust; und zwar so oft, als sich dies wiederholt.

Dies ist auch die Ursache, weshalb die Menschen Lust empfinden, sooft sie sich eines bereits vergangenen Übels erinnern, und weshalb sie Gefahren, aus denen sie befreit worden sind, so gerne erzählen. Wenn sie sich nämlich die Gefahr vorstellen, betrachten sie dieselbe, als würden sie noch immer von ihr bedroht, und werden bestimmt, sie zu fürchten. Diese Bestimmung aber wird wieder eingeschränkt durch die Idee der Befreiung, die sie mit der Idee dieser Gefahr verknüpft haben, als sie von ihr befreit wurden, und welche sie wieder sicher macht, weshalb sie wieder Lust empfinden.


Achtundvierzigster Lehrsatz

Die Liebe und der Haß, z.B. gegen Peter, wird aufgehoben, wenn die Unlust, welche diese, und die Lust, welche jene in sich schließt, mit der Idee einer andern Ursache verknüpft wird. Auch wird die eine wie der andere insofern vermindert, sofern wir uns vorstellen, daß Peter nicht allein die Ursache davon gewesen ist.


Beweis

[212] Derselbe erhellt aus der bloßen Definition der Liebe und des Hasses; siehe diese in der Anmerkung zu Lehrsatz 13 dieses Teils. Denn die Lust heißt nur deswegen Liebe zu Peter und die Unlust nur darum Haß gegen Peter, weil Peter als die Ursache des einen und des andern Affekts betrachtet wird. Wird also die Vorstellung ganz oder teilweise aufgehoben, so hört auch dieser Affekt gegen Peter ganz oder teilweise auf. – W.z.b.w.


Neunundvierzigster Lehrsatz

Die Liebe und der Haß gegen einen Gegenstand, den wir uns als frei vorstellen, müssen bei gleicher Ursache stärker sein als gegen einen notwendigen (unfreien).


Beweis

Ein Gegenstand, den wir uns als frei vorstellen, muß (nach Definition 7, Teil 1) durch sich allein, ohne andere, erfaßt werden. Wenn wir uns ihn also als Ursache der Lust oder Unlust vorstellen, so werden wir ihn eben dadurch (nach Anmerkung zu Lehrsatz 13 dieses Teil) lieben oder hassen, und zwar (nach dem vorigen Lehrsatz) mit der stärksten Liebe oder dem stärksten Haß, die aus dem gegebenen Affekt entspringen können. Wenn wir uns aber den Gegenstand, der die Ursache dieses Affekts ist, als notwendig vorstellen, so werden wir (nach derselben Definition 7, Teil 1) ihn nicht allein, sondern mit andern als Ursache dieses Affekts vorstellen. Also wird (nach dem vorigen Lehrsatz) die Liebe und der Haß gegen denselben schwächer sein. – W.z.b.w.
[213]


Anmerkung

Hieraus folgt, daß die Menschen, weil sie sich für frei halten, stärkere Liebe und stärkeren Haß gegeneinander hegen als gegen andere Dinge. Hierzu kommt noch die Nachahmung der Affekte (s. hierüber die Lehrsätze 27, 34, 40 und 43 dieses Teils).


Fünfzigster Lehrsatz

Jedes Ding kann zufällig (gelegentlich, durch einen Nebenumstand) Ursache der Hoffnung oder der Furcht sein.


Beweis

Dieser Lehrsatz wird ebenso bewiesen wie Lehrsatz 15 dieses Teils. Vergleiche diesen zugleich mit der Anmerkung zu Lehrsatz 18 dieses Teils.


Anmerkung

Die Dinge, welche zufällig Ursache der Hoffnung oder der Furcht sind, werden gute oder schlechte Vorzeichen genannt. Sofern ferner diese Vorzeichen Ursache der Hoffnung oder Furcht sind, insofern sind sie (nach der Definition von Hoffnung und Furcht, s. diese in der 2. Anmerkung zu Lehrsatz 18 dieses Teils) Ursache der Lust und Unlust, und insofern folglich (nach Zusatz zu Lehrsatz 15 dieses Teils) lieben oder hassen wir sie und sind bestrebt (nach Lehrsatz 28 dieses Teils), sie als Mittel zu dem, was wir hoffen, anzuwenden oder als Hindernisse desselben oder als Ursache der Furcht zu entfernen. Aus Lehrsatz 25 dieses Teils folgt außerdem, daß wir von Natur so beschaffen sind, daß wir leicht glauben, was wir hoffen, aber schwer, was wir fürchten, und daß wir von dem einen mehr, von dem andern weniger,[214] als recht ist, halten. Und hieraus ist allerlei Aberglauben entstanden, von dem die Menschen allerorten aufgeregt werden.

Übrigens halte ich es hier nicht für nötig, die Schwankungen des Gemüts zu erörtern, welche aus Furcht und Hoffnung entspringen, daß ja schon aus der bloßen Definition dieser Affekte folgt, daß es keine Hoffnung ohne Furcht und keine Furcht ohne Hoffnung gibt (was ich an der geeigneten Stelle ausführlicher auseinandersetzen werde), und da wir außerdem insofern etwas lieben oder hassen, sofern wir es hoffen oder fürchten; weshalb jeder alles, was von Liebe und Haß gesagt wurde, leicht auf Hoffnung und Furcht wird anwenden können.


Einundfünfzigster Lehrsatz

Verschiedene Menschen können von einem und demselben Objekt auf verschiedene Weise erregt werden, und derselbe Mensch kann von einem und demselben Objekt zu verschiedenen Zeiten auf verschiedene Weise erregt werden.


Beweis

Der menschliche Körper wird (nach Postulat 3, Teil 2) von den äußern Körpern auf vielerlei Weisen erregt. Es können also zu derselben Zeit zwei Menschen auf verschiedene Weise erregt sein, und folglich können sie (nach Axiom I hinter Hilfssatz 3, s. dieses hinter Lehrsatz 13 Teil 2) von einem und demselben Objekt auf verschiedene Weise erregt werden. – Ferner kann (nach demselben Postulat) der menschliche Körper bald auf diese, bald auf andere Weise erregt sein und folglich (nach demselben Axiom) von einem und demselben Objekt zu verschiedenen Zeiten auf verschiedene Weise erregt werden.- W.z.b.w.


Anmerkung

[215] Wir ersehen hieraus, wie es geschehen kann, daß der eine liebt, was der andere haßt, und daß der eine fürchtet, was der andere nicht fürchtet; wie auch, daß derselbe Mensch jetzt liebt, was er früher gehaßt hat, und jetzt wagt, was er früher gefürchtet hat usw.

Weil ferner jeder nach seinem Affekt beurteilt, was gut und was schlecht, was besser und was schlimmer ist (s. Anmerkung zu Lehrsatz 39 dieses Teils), so folgt, daß die Menschen sowohl in ihrem Urteil als in ihrem Affekt verschieden sein können.3

Daher kommt es, daß, wenn wir die einen mit den andern vergleichen, wir sie nach der bloßen Verschiedenheit ihrer Affekte voneinander unterscheiden und daß wir diese unerschrocken, jene furchtsam, andere wieder mit andern Namen benennen. So z.B. werde ich den unerschrocken nennen, der ein Übel geringschätzt, das ich zu fürchten pflege. Fasse ich daneben noch ins Auge, daß seine Begierde, dem Schlimmes zuzufügen, den er haßt, und dem wohlzutun, den er liebt, durch die Furcht vor einem Übel, wegen dessen ich manches unterlasse, nicht eingeschränkt wird, so werde ich ihn kühn nennen. Ferner wird mir derjenige als furchtsam erscheinen, der ein Übel fürchtet, das ich geringzuschätzen pflege. Fasse ich daneben noch ins Auge, daß seine Begierde durch die Furcht vor einem Übel, das mich nicht schrecken kann, eingeschränkt wird, so sage ich, er sei ängstlich; und so wird jeder urteilen.

Aus dieser Natur des Menschen und bei der Veränderlichkeit seines Urteils, auch weil der Mensch häufig nach dem bloßen Affekt der Dinge beurteilt und weil die Dinge, die nach seiner Meinung zur Lust und Unlust beitragen und die er darum (nach Lehrsatz 28 dieses Teils)[216] zu verwirklichen oder zu entfernen sucht, oft nur eingebildet sind – ganz abgesehen von andern Umständen, die im zweiten Teil über die Ungewißheit der Dinge dargelegt wurden –, begreift es sich leicht, daß der Mensch oft die Ursache seiner eigenen Unlust und Lust sein kann oder daß er die Ursache ist, daß er mit Unlust oder Lust, verbunden mit der Idee seiner selbst als Ursache, erregt wird. Wir verstehen dadurch leicht, was Reue und was Selbstzufriedenheit ist. Reue ist nämlich Unlust, verbunden mit der Idee seiner selbst als Ursache; Selbstzufriedenheit ist Lust, verbunden mit der Idee seiner selbst als Ursache. Diese Affekte sind sehr heftig, weil die Menschen glauben, sie wären frei (s. Lehrsatz 49 dieses Teils).


Zweiundfünfzigster Lehrsatz

Ein Objekt, das wir früher zugleich mit andern Objekten gesehen haben oder das nach unserer Meinung nichts an sich hat, was nicht auch, viele andere Objekte an sich haben, werden wir nicht so lange betrachten als ein Objekt, das nach unserer Meinung etwas Besonderes an sich hat.


Beweis

Sobald wir uns ein Objekt vorstellen, das wir mit andern Objekten gesehen haben, erinnern wir uns auch der andern (nach Lehrsatz 18, Teil 2, s. auch dessen Anmerkung), und so kommen wir von der Betrachtung des einen sofort auf die Betrachtung des andern. Ebenso verhält es sich mit einem Objekt, das nach unserer Meinung nichts an sich hat, was nicht auch viele andere Objekte an sich haben. Denn damit nehmen wir an, daß wir an ihm nichts wahrnehmen, was wir nicht vorher auch an andern Objekten gesehen haben. Wenn wir aber annehmen, daß wir an einem Objekt etwas Besonderes wahrnehmen, was wir[217] vorher niemals gesehen haben, so sagen wir nichts anderes, als daß der Geist, während er dieses Objekt betrachtet, nichts anderes in sich hat, auf dessen Betrachtung er von der Betrachtung dieses Objekts kommen kann; und er ist daher bestimmt, dieses allein zu betrachten. Ein Objekt also etc. – W.z.b.w.


Anmerkung

Diese Erregung des Geistes oder Vorstellung eines besonderen Dinges heißt, sofern sie bloß im Geist vorhanden ist, Bewunderung. Geht sie von einem Objekt aus, das wir fürchten, so wird sie Bestürzung genannt, weil die Verwunderung über dieses Übel den Menschen in dessen Betrachtung so fest hält, daß er die Kraft nicht gewinnt, an etwas anderes zu denken, womit er jenes Übel abhalten könnte. Ist aber das, was wir bewundern, eines Menschen Klugheit, Fleiß oder etwas Derartiges, indem wir sehen, daß uns der Betreffende darin weit übertrifft, so heißt die Bewunderung Hochachtung (Verehrung, Ehrfurcht); andernfalls, wenn wir uns über eines Menschen Zorn, Mißgunst usw. wundern, so heißt das Abscheu. – Wenn wir ferner die Klugheit, den Fleiß usw. eines Menschen bewundern, den wir lieben, so wird die Liebe eben dadurch (nach Lehrsatz 12 dieses Teils) stärker sein, und eine solche mit Bewunderung oder Hochachtung verbundene Liebe nennen wir Ergebenheit. Auf diese Weise können wir uns auch den Haß, die Hoffnung, die Zuversicht und andere Affekte mit der Bewunderung verbunden denken und können so mehr Affekte ableiten, als es gebräuchliche Worte dafür gibt. Hieraus erhellt auch, daß die Namen der Affekte nicht sowohl aus der genauen Erkenntnis der Affekte gebildet wurden als vielmehr nach dem Bedürfnis des sprachlichen Verkehrs.

Der Bewunderung steht die Verachtung gegenüber, deren Ursache meistenteils folgende ist. Wenn wir sehen,[218] daß jemand ein Ding bewundert, liebt, fürchtet usw. oder wenn ein Ding auf den ersten Anblick Ähnlichkeit mit Dingen zeigt, die wir bewundern, lieben, fürchten usw., so werden wir bestimmt (nach Lehrsatz 15 mit seinem Zusatz und Lehrsatz 27 dieses Teils), dieses Ding zu bewundern, zu lieben, zu fürchten usw. Sind wir nun aber, wenn das Ding selbst uns gegenwärtig ist oder wenn wir es genauer betrachten, gezwungen, ihm alles abzusprechen, was Ursache der Bewunderung, Liebe, Furcht usw. sein kann, so bleibt der Geist durch die wirkliche Gegenwart des Dinges mehr bestimmt, an das zu denken, was nicht an ihm ist, als an das, was ja an ihm ist; während er sonst, wenn ein Ding gegenwärtig ist, hauptsächlich an das zu denken pflegt, was an dem Ding ist. – Wie sodann die Ergebenheit aus der Bewunderung eines Dinges, das wir lieben, entspringt, so entspringt die Verhöhnung (der Spott) aus der Verachtung eines Dinges, das wir hassen oder fürchten; ebenso die Geringschätzung aus der Verachtung der Dummheit wie die Ergebenheit aus der Bewunderung der Klugheit. – Wir können endlich auch die Liebe, die Hoffnung, die Ehre mit der Verachtung verbunden denken und daraus noch andere Affekte ableiten, die man ebenfalls mit keinem besonderen Namen von andern zu unterscheiden pflegt.


Dreiundfünfzigster Lehrsatz

Wenn der Geist sich selbst und sein Tätigkeitsvermögen betrachtet, empfindet er Lust; und um so mehr, je deutlicher er sich und sein Tätigkeitsvermögen vorstellt.


Beweis

Der Mensch kennt sich selbst nur durch die Erregung seines Körpers und die Ideen derselben (nach dem Lehrsatz 19 und 23, Teil 2). Wenn es also geschieht, daß der[219] Geist sich selbst. betrachten kann, so wird angenommen, daß er eben dadurch zu größerer Vollkommenheit übergeht, d.h. (nach Anmerkung zu Lehrsatz 11 dieses Teils), daß er von Lust erregt wird; und um so mehr, je deutlicher er sich und sein Tätigkeitsvermögen vorstellen kann. – W.z.b.w.


Zusatz

Diese Lust wird mehr und mehr genährt, je mehr der Mensch sich von andern gelobt vorstellt. Denn je mehr er sich von andern gelobt vorstellt, um so stärker stellt er sich die Lust vor von welcher andre durch ihn erregt werden, und zwar in Verbindung mit der Idee seiner selbst (nach Anmerkung zu Lehrsatz 29 dieses Teils). Daher wird er selbst (nach Lehrsatz 27 dieses Teils) von stärkerer Lust, verbunden mit der Idee seiner selbst, erfüllt. – W.z.b.w.


Vierundfünfzigster Lehrsatz

Der Geist strebt, nur das sich vorzustellen, was sein Tätigkeitsvermögen setzt.


Beweis

Das Streben oder das Vermögen des Geistes ist das Wesen des Geistes selbst (nach Lehrsatz 7 dieses Teils). Das Wesen des Geistes aber bejaht (wie an sich klar) nur das, was der Geist ist und vermag; nicht aber das, was er nicht ist und nicht vermag. Daher strebt er, nur das sich vorzustellen, was sein Tätigkeitsvermögen bejaht oder setzt. – – W.z.b.w.


Fünfundfünfzigster Lehrsatz

[220] Wenn sich der Geist sein Unvermögen vorstellt, so empfindet er eben dadurch Unlust.


Beweis

Das Wesen des Geistes bejaht nur das, was der Geist ist und vermag; oder es liegt in der Natur des Geistes, sich nur das vorzustellen, was sein Tätigkeitsvermögen setzt (nach dem vorigen Lehrsatz). Wenn wir also sagen, daß der Geist, während er sich selbst betrachtet, sich sein Unvermögen vorstellt, so sagen wir nichts anderes, als daß, wenn der Geist sich etwas vorzustellen strebt, was sein Tätigkeitsvermögen setzt, dieses sein Streben gehemmt wird oder (nach Anmerkung zu Lehrsatz 11 dieses Teils) daß er Unlust empfindet. – W.z.b.w.


Zusatz

Diese Unlust wird mehr und mehr genährt, wenn er sich von andern verachtet vorstellt; was auf gleiche Weise bewiesen wird wie der Zusatz zu Lehrsatz 53 dieses Teils.


Anmerkung

Diese mit der Idee unserer Schwäche verbundene Unlust wird Niedergeschlagenheit genannt. Die Lust dagegen, die aus der Betrachtung unserer selbst entspringt, heißt Selbstliebe oder Selbstzufriedenheit. Und da diese Lust ebensooft wiederkehrt, sooft der Mensch seine Vorzüge oder sein Tätigkeitsvermögen betrachtet, so kommt es folglich auch daher, daß jeder so gerne seine Taten erzählt und sowohl seine körperlichen wie seine geistigen Kräfte an den Tag legt, so daß die Menschen einander damit lästig werden. – Hieraus[221] folgt wiederum, daß die Menschen von Natur mißgünstig sind (s. die Anmerkung zu Lehrsatz 24 und die Anmerkung zu Lehrsatz 32 dieses Teils) oder daß sie sich über die Schwäche ihrer Nebenmenschen freuen, über deren Vorzüge dagegen sich ärgern. Denn sooft jeder sich seine Taten vorstellt, ebensooft wird er von Lust erregt (nach Lehrsatz 53 dieses Teils), und um so mehr, je mehr Vollkommenheit seine Taten nach seiner Vorstellung ausdrücken und je deutlicher er sich dieselben vorstellt, d.h. (nach dem, was in der 1. Anmerkung zu Lehrsatz 40, Teil 2, ausgeführt ist), je mehr er dieselben von andern unterscheiden und als etwas Besonderes betrachten kann. Deshalb wird jeder bei der Betrachtung seiner selbst sich dann am meisten freuen, wenn er etwas an sich betrachtet, was er von andern verneint. Wenn aber das, was er von sich bejaht, zur allgemeinen Idee des Menschen oder der lebenden Wesen gehört, so wird er sich nicht so sehr freuen. Umgekehrt wird er Unlust empfinden, wenn er sich vorstellt, daß seine Handlungen im Vergleich mit den Handlungen anderer schwächer sind. Von dieser Unlust wird er sich zwar (nach Lehrsatz 28 dieses Teils) zu befreien suchen, und zwar dadurch, daß er die Handlungen seiner Nebenmenschen mißdeutet oder seine eigenen, soviel er vermag, herausstreicht.

Es erhellt demnach, daß die Menschen von Natur zu Haß und Mißgunst geneigt sind. Diese Neigung wird noch durch die Erziehung gefördert. Denn die Eltern pflegen ihre Kinder nur durch den Stachel des Ehrgeizes und des Neids zur Tugend anzueifern. – Vielleicht bleibt aber noch der Einwand, daß wir nicht selten die Tugenden der Menschen bewundern und dieselben hochschätzen. Um diesen Einwand zu beseitigen, will ich noch folgenden Zusatz beifügen.


Zusatz

Der Mensch beneidet nur seinesgleichen um einen Vorzug.


Beweis

[222] Der Neid ist Haß (s. Anmerkung zu Lehrsatz 24 dieses Teils) oder (nach Anmerkung zu Lehrsatz 13 dieses Teils) Unlust, d.h. (nach Anmerkung zu Lehrsatz 11 dieses Teils) eine Erregung, durch welche das Tätigkeitsvermögen des Menschen oder sein Bestreben gehemmt wird. Der Mensch aber strebt oder begehrt nichts zu tun, als was aus seiner gegebenen Natur erfolgen kann (nach Anmerkung zu Lehrsatz 9 dieses Teils). Also wird der Mensch nicht begehren, daß ihm ein Tätigkeitsvermögen oder (was dasselbe ist) eine Tugend beigelegt werde, welche der Natur eines andern eigentümlich und der seinigen fremd ist. Es kann folglich ein Begehren nicht deshalb eingeschränkt werden, d.h. (nach Anmerkung zu Lehrsatz 11 dieses Teils), er kann nicht deshalb Unlust empfinden, weil er an jemand, der nicht seinesgleichen ist, einen Vorzug bemerkt, und folglich wird er ihn nicht darum beneiden können; wohl aber seinesgleichen, bei dem er eine der seinen gleiche Natur voraussetzt. – W.z.b.w.


Anmerkung

Wenn ich also oben, in der Anmerkung zu Lehrsatz 52 dieses Teils, gesagt habe, daß wir einen Menschen deshalb hochachten, weil wir seine Klugheit, Tapferkeit usw. bewundern, so kommt dies daher (wie aus dem Lehrsatz selbst erhellt), weil wir uns vorstellen, daß diese Tugenden ihm eigentümlich und nicht gemeinsame Eigenschaften der Menschennatur sind. Daher werden wir ihn um dieselbe ebensowenig beneiden wie die Bäume um ihre Höhe, die Löwen um ihre Stärke usw.
[223]


Sechsundfünfzigster Lehrsatz

Von der Lust, der Unlust und der Begierde und folglich auch von jedem Affekt, der aus diesen zusammengesetzt ist, wie das Schwanken des Gemüts, oder der von diesen abgeleitet ist, wie Liebe, Haß, Hoffnung, Furcht usw., gibt es ebenso viele Arten, als es Arten von Objekten gibt, von denen wir erregt werden.


Beweis

Lust und Unlust und folglich auch die Affekte, welche aus diesen zusammengesetzt sind oder von diesen abgeleitet werden, sind Leiden (nach Anmerkung zu Lehrsatz 11 dieses Teils). Wir leiden aber notwendig (nach Lehrsatz 1 dieses Teils), sofern wir inadäquate Ideen haben; und nur insofern leiden wir, sofern wir diese haben (nach Lehrsatz 3 dieses Teils). Das heißt (s. Anmerkung zu Lehrsatz 40, Teil 2), nur insofern leiden wir notwendig, sofern wir (sinnliche) Vorstellungen haben oder (s. Lehrsatz 17, Teil 2, mit seiner Anmerkung) sofern wir von einem Affekt erregt werden, welcher die Natur unseres Körpers und die Natur des äußern Körpers in sich schließt. Die Natur eines jeden Leidens muß also notwendig so erklärt werden, daß die Natur des Objekts, von dem wir erregt werden, damit ausgedrückt wird. Nämlich die Lust, welche aus einem Objekt, z.B. A, entspringt, schließt die Natur des Objekts A selbst in sich, und die Lust, die aus dem Objekt B entspringt, schließt die Natur des Objekts B in sich. Daher sind diese beiden Affekte der Lust ihrer Natur nach verschieden, weil sie von Ursachen verschiedener Natur herrühren. So ist auch der Affekt der Unlust, welcher aus dem einen Objekt entspringt, seiner Natur nach verschieden von der Unlust, die von einer andern Ursache herrührt. Dasselbe gilt auch von der Liebe, dem Haß, der Hoffnung, der Furcht, dem Schwanken des Gemüts usw. Also gibt es notwendig ebenso viele Arten von Lust, Unlust, Liebe, Haß usw., als es Arten von Objekten gibt, von denen wir erregt werden.[224]

Die Begierde aber ist eines jeden Wesen oder Natur selbst, sofern sie als durch irgendeinen gegebenen Zustand derselben zu irgendeiner Tätigkeit bestimmt begriffen wird (s. Anmerkung zu Lehrsatz 9 dieses Teils). Je nachdem also jemand durch äußere Ursachen von dieser oder jener Art der Lust, der Unlust, der Liebe, des Hasses usw. erregt wird, d.h. je nach dem Zustand seiner Natur, muß seine Begierde notwendig bald so, bald anders sein, und die Natur der einen muß notwendig von der Natur der andern genauso verschieden sein, wie die Affekte, aus denen jede entspringt, sich voneinander unterscheiden. Also gibt es ebenso viele Arten von Begierden, als es Arten von Lust, Unlust, Liebe usw. gibt, und folglich auch (nach dem bereits Gezeigten) so viele, als es Arten von Objekten gibt, von denen wir erregt werden. – W.z.b.w.


Anmerkung

Unter den verschiedenen Arten von Affekten, deren es (nach dem vorigen Lehrsatz) sehr viele geben muß, sind die hervorragendsten: die Schwelgerei, die Trunksucht, die (geschlechtliche) Lüsternheit, die Habsucht und der Ehrgeiz. Sie sind nichts anderes als Begriffe der Liebe und der Begierde, welche die Natur dieser beiden Affekte durch die Objekte erklären, auf welche sie sich beziehen. Denn unter Schwelgerei, Trunksucht, Lüsternheit und Ehrsucht verstehen wir nichts andere. als die unmäßige Liebe und Begierde zum Schmausen, zum Zechen, zum Begatten, zum Reichtum und zur Ehre. Im übrigen stehen diesen Affekten, sofern wir sie bloß nach dem Objekt, worauf sie sich beziehen, von andern unterscheiden, keine gegenteiligen Affekte gegenüber. Denn die Mäßigkeit, die wir der Schwelgerei, die Nüchternheit, die wir der Trunksucht, endlich die Keuschheit, die wir der Lüsternheit gegenüberzustellen pflegen, sind keine Affekte oder Leiden,[225] sondern sie zeigen die Macht des Geistes an, welche diese Affekte zügelt.

Auf die übrigen Arten von Affekten kann ich hier nicht eingehen (da es so viele gibt, als es Arten von Objekten gibt), und wenn ich es auch könnte, so wäre es nicht nötig. Denn für das, was ich bezwecke, die Bestimmung der Kräfte der Affekte und der Macht des Geistes über dieselben, genügt die allgemeine Definition eines jeden Affekts. Es genügt, sage ich, die gemeinsamen Eigenschaften der Affekte und des Geistes zu verstehen, um bestimmen zu können, welcher Art und wie groß die Macht des Geistes ist, die Affekte zu bezähmen und einzuschränken. Obgleich daher zwischen diesem und jenem Affekt der Liebe, des Hasses oder der Begierde ein großer Unterschied ist, wie z.B. zwischen der Liebe zu den Kindern und der Liebe zur Frau, so haben wir hier nicht nötig, diese Verschiedenheiten zu kennen und die Natur und den Ursprung der Affekte weiter zu untersuchen.


Siebenundfünfzigster Lehrsatz

Jeder Affekt eines jeden Individuums ist von dem Affekt eines andern um so viel unterschieden, als das Wesen des einen von dem Wesen des andern unterschieden ist.


Beweis

Dieser Lehrsatz erhellt aus Axiom I. Siehe dieses nach Hilfssatz 3 zur Anmerkung bei Lehrsatz 13 im zweiten Teil. Gleichwohl will ich ihn auch aus den Definitionen der drei Hauptaffekte beweisen.

Alle Affekte beziehen sich auf Begierde, Lust oder Unlust, wie die aufgestellten Definitionen derselben zeigen. Die Begierde ist aber eben die Natur oder das Wesen eines jeden (s. deren Definition in der Anmerkung zu Lehrsatz 9 dieses Teils). Folglich ist die Begierde eines[226] jeden Individuums von der Begierde eines andern um so viel unterschieden, als die Natur oder das Wesen des einen von dem Wesen des andern sich unterscheidet. – Lust und Unlust ferner sind Leiden, durch welche das Vermögen oder Bestreben eines jeden vermehrt oder vermindert, gefördert oder gehemmt wird (nach Lehrsatz 11 dieses Teils und seiner Anmerkung). Unter dem Bestreben aber, in seinem Sein zu verharren, verstehen wir, sofern es auf Geist und Körper zugleich bezogen wird, das Verlangen oder die Begierde (s. Anmerkung zu Lehrsatz 9 dieses Teils). Folglich sind Lust und Unlust die Begierde oder das Verlangen selbst, sofern es von äußern Ursachen vermehrt oder vermindert, gefördert oder gehemmt wird; d.h. (nach derselben Anmerkung), sie sind eben die Natur eines jeden. Mithin ist auch die Lust oder Unlust eines jeden von der Lust oder Unlust eines andern um so viel unterschieden, als die Natur oder das Wesen des einen von dem Wesen des andern verschieden ist. – Also ist jeder Affekt eines jeden Individuums von dem Affekt eines andern um so viel unterschieden usw. – W.z.b.w.


Anmerkung

Hieraus folgt, daß die Affekte der Geschöpfe, die man vernunftlos nennt (denn daß die Tiere Empfindung haben, können wir durchaus nicht bezweifeln, nachdem wir den Ursprung des Geistes kennengelernt haben), von den Affekten der Menschen sich um so viel unterscheiden, als sich ihre Natur von der menschlichen Natur unterscheidet. Das Pferd wird zwar wie der Mensch von der Zeugungslust angetrieben; aber jenes von der pferdemäßigen, dieser von der menschlichen Zeugungslust. So müssen auch die Lüste und Begierden der Insekten, der Fische und der Vögel untereinander verschieden sein.

Wenn daher auch jedes Individuum mit Seiner Natur, aus welcher es besteht, zufrieden lebt und sich derselben erfreut, so ist doch dieses Leben, mit dem jedes zufrieden[227] ist, und diese Freude nichts anderes als die Idee oder die Seele des betreffenden Individuums, und darum ist die Freude des einen von der Freude des andern von Natur um so viel unterschieden, als sich das Wesen des einen von dem Wesen des andern unterscheidet.

Endlich folgt aus dem vorstehenden Lehrsatz, daß auch ein bedeutender Unterschied ist zwischen der Freude, von der z.B. ein Betrunkener erfaßt wird, und der Freude, von welcher ein Philosoph erfüllt ist; was ich hier im Vorbeigehen bemerken wollte.

Soviel von den Affekten, welche sich auf den Menschen beziehen, sofern er leidet. Es erübrigt noch, weniges hinzuzufügen über diejenigen, die sich auf ihn beziehen, sofern er tätig ist.


Achtundfünfzigster Lehrsatz

Außer der Lust und der Begierde, welche Leiden sind, gibt es noch andere Affekte der Lust und der Begierde, die sich auf uns beziehen, sofern wir tätig sind.


Beweis

Wenn der Geist sich selbst und sein Tätigkeitsvermögen begreift, empfindet er Lust (nach Lehrsatz 53 dieses Teils). Der Geist aber betrachtet sich selbst notwendig, wenn er eine wahre oder adäquate Idee begreift (nach Lehrsatz 43 Teil 2). Nun begreift der Geist einige adäquate Ideen (nach 2. Anmerkung zu Lehrsatz 40, Teil 2). Folglich empfindet er auch insofern Lust, sofern er adäquate Ideen begreift, d.h. (nach Lehrsatz 1 dieses Teils) sofern er tätig ist. – Ferner strebt der Geist, sowohl sofern er klare und deutliche als auch sofern er verworrene Ideen hat, in seinem Sein zu verharren (nach Lehrsatz 9 dieses Teils). Unter Bestreben verstehen wir aber die Begierde (nach der Anmerkung zu demselben Lehrsatz). Folglich bezieht[228] sich die Begierde auf uns, auch sofern wir erkennen oder (nach Lehrsatz 1 dieses Teils) sofern wir tätig sind. – W.z.b.w.


Neunundfünfzigster Lehrsatz

Unter allen Affekten, die sich auf den Geist, sofern er tätig ist, beziehen, gibt es keine andern als solche, die sich auf die Lust oder die Begierde beziehen.


Beweis

Alle Affekte beziehen sich auf die Begierde, die Lust oder die Unlust, wie die aufgestellten Definitionen derselben zeigen. Unter Unlust aber verstehen wir das, daß das Denkvermögen des Geistes vermindert oder gehemmt wird (nach Lehrsatz 11 dieses Teils und seiner Anmerkung). Daher empfindet der Geist insofern Unlust, sofern sein Erkenntnisvermögen, d.h. sein Tätigkeitsvermögen (nach Lehrsatz 1 dieses Teils), vermindert oder gehemmt wird. Es können also keine Affekte der Unlust auf den Geist bezogen werden, sofern er tätig ist; sondern nur Affekte der Lust und der Begierde, welche (nach dem vorigen Lehrsatz) sich insofern auch auf den Geist beziehen. – W.z.b.w.


Anmerkung

Alle Tätigkeiten, welche aus Affekten folgen, die sich auf den Geist beziehen, sofern er erkennt, rechne ich zur Geisteskraft, an welcher ich die Seelenstärke[229] und den Edelmut unterscheide. Unter Seelenstärke verstehe ich die Begierde, wonach jemand bestrebt ist, sein eigenes Sein nach dem bloßen Gebot der Vernunft zu erhalten. Unter Edelmut aber verstehe ich die Begierde, wonach jemand bestrebt ist, nach dem bloßen Gebot der Vernunft seinen Mitmenschen wohlzutun und sie sich durch Freundschaft zu verbinden. Die Handlungen also, welche den Nutzen des Handelnden allein bezwecken, rechne ich zur Seelenstärke, die, welche den Nutzen eines andern bezwecken, zum Edelmut. Mäßigkeit, Nüchternheit, Geistesgegenwart in Gefahren usw. sind also Arten der Seelenstärke; Leutseligkeit, Milde usw. hingegen sind Arten des Edelsinns.

Damit glaube ich, die wichtigsten Affekte und die Schwankungen des Gemüts, welche aus der Verbindung der drei Hauptaffekte: Begierde, Lust und Unlust, entspringen, erklärt und auf ihre ersten Ursachen zurückgeführt zu haben. Es erhellt daraus, daß wir von äußern Ursachen auf vielerlei Arten hin und her bewegt werden und wie die von entgegengesetzten Winden aufgeregten Meereswellen dahin und dorthin schwanken, unkundig unseres Verhängnisses und Schicksals.

Ich habe indes schon gesagt, daß ich nur die wichtigsten Erregungen des Gemüts erörtert habe, nicht alle, die es geben kann. Denn wir könnten, auf demselben Wege wie bisher weitergehend, leicht zeigen, daß sich die Liebe mit der Reue, der Geringschätzung, der Scham usw. verbindet. Ja, es wird sich, wie ich glaube, einem jeden aus den bisherigen Ausführungen klar ergeben, daß die Affekte auf so vielerlei Weisen sich miteinander verbinden und daß daraus so mannigfaltige Arten von Affekten entstehen können, daß es keine Zahl dafür gibt. Für meinen Zweck genügt es aber, nur die wichtigsten aufgezählt zu haben; denn die übrigen, die ich unerwähnt ließ, hätten mehr ihrer Seltsamkeit als ihres Nutzens wegen Interesse.[230]

Von der Liebe ist jedoch noch etwas zu bemerken. Es kommt nämlich sehr oft vor, daß, wenn wir den Gegenstand, nach welchem wir Verlangen hatten, genießen, der Körper durch diesen Genuß eine Veränderung seines Zustandes (Verfassung, Beschaffenheit) erfährt, so daß er anders bestimmt wird, und Vorstellungen anderer Dinge in ihm wachgerufen werden; womit zugleich der Geist sich etwas anderes vorzustellen und etwas anderes zu wünschen beginnt. Wenn wir uns z.B. etwas vorstellen, was uns durch seinen Geschmack zu ergötzen pflegt, begehren wir, es zu genießen, d.h., zu essen. Während wir es aber genießen, wird der Magen angefüllt, und der Körper gelangt damit in einen andern Zustand. Wenn also, während der Zustand des Körpers bereits ein anderer geworden, die Vorstellung dieser Speise, weil sie selbst gegenwärtig ist, noch lebhafter wird und folglich auch das Bestreben oder die Begierde, sie zu essen, so wird dieser Begierde oder diesem Bestreben dieser neue Zustand widerstreben, und folglich wird die Gegenwart der Speise, nach der wir Verlangen hatten, verhaßt. Das ist es, was man Überdruß und Ekel nennt.

Übrigens habe ich die äußern Körpererregungen, welche bei den Affekten beobachtet werden, wie das Zittern, das Erbleichen, das Schluchzen, das Lachen usw., beiseite gelassen, weil sie den Körper allein betreffen und keinerlei Beziehungen zum Geiste haben.

Schließlich ist noch einiges über die Definitionen der Affekte zu bemerken. Ich werde sie daher hier der Reihe nach wiederholen und was bei jedem noch zu beachten ist einfügen.[231]


Definitionen der Affekte
I

Begierde ist des Menschen Wesen selbst, sofern es als durch irgendeine gegebene Erregung desselben zu einer Tätigkeit bestimmt begriffen wird.


Erläuterung

Ich habe oben in der Anmerkung zu Lehrsatz 9 dieses Teils gesagt, die Begierde sei ein Verlangen mit dem Bewußtsein desselben. das Verlangen aber sei des Menschen Wesen selbst, sofern es bestimmt ist, das zu tun, was zu seiner Erhaltung dient. In derselben Anmerkung habe ich aber auch bemerkt, daß ich zwischen dem menschlichen Verlangen und der Begierde keinen Unterschied anerkenne. Denn mag der Mensch sich seines Verlangens bewußt sein oder nicht, so bleibt doch das Verlangen eins und dasselbe. Darum habe ich, um mich nicht einer scheinbaren Tautologie schuldig zu machen, die Begierde nicht durch Verlangen erklären wollen, sondern sie in einer Weise zu definieren gesucht, daß damit alle Bestrebungen der menschlichen Natur, die wir mit dem Namen Verlangen Wille, Begierde oder Trieb bezeichnen, zusammengefaßt sind. Denn ich hätte sagen können: »Die Begierde ist des Menschen Wesen selbst, sofern es als zu irgendeiner Tätigkeit bestimmt begriffen wird.« Aber aus dieser Definition würde (nach Lehrsatz 23, Teil 2) nicht folgen, daß der Geist seiner Begierde oder seines Verlangens sich bewußt sein könne. Um daher die Ursache dieses Bewußtseins einzuschließen, war es nötig (nach demselben Lehrsatz) hinzuzufügen: »durch irgendeine gegebene Erregung desselben«. Denn unter Erregung des menschlichen Wesens verstehen wir jeden Zustand (Verfassung, Beschaffenheit) seines Wesens, mag derselbe angeboren sein, mag er durch das bloße Attribut des Denkens oder durch das bloße Attribut der Ausdehnung begriffen werden oder mag er sich auf beide zugleich beziehen. – Hier[232] also verstehe ich unter dem Namen Begierde jedes Streben, jeden Trieb, jedes Verlangen und jedes Wollen, die nach den verschiedenen Zuständen desselben Menschen verschieden und nicht selten einander so sehr entgegengesetzt sind, daß der Mensch nach verschiedenen Richtungen gezogen wird und nicht weiß, wohin er sich wenden soll.


II

Lust ist Übergang des Menschen von geringerer zu größerer Vollkommenheit.


III

Unlust ist Übergang des Menschen von größerer zu geringerer Vollkommenheit.


Erläuterung

Ich sage Übergang. Denn Lust ist nicht selbst Vollkommenheit. Denn wenn der Mensch mit der Vollkommenheit, zu welcher er übergeht, geboren würde, so wäre er ohne den Affekt der Lust im Besitze derselben. Dies ergibt sich deutlicher aus dem Affekt der Unlust, welcher dem Affekt der Lust gegenübersteht. Denn daß die Unlust im Übergang zu geringerer Vollkommenheit besteht, nicht aber in der geringeren Vollkommenheit selbst, kann niemand bestreiten, da ja der Mensch insofern nicht Unlust empfinden kann, sofern er irgendeiner Vollkommenheit teilhaftig ist. Auch können wir nicht sagen, daß die Unlust im Mangel einer größeren Vollkommenheit besteht. Denn Mangel ist nichts, der Affekt der Unlust aber ist ein Vorgang und kann daher nichts anderes sein als der Vorgang des Übergangs zu geringerer Vollkommenheit, d.h. der Vorgang, durch welchen das Tätigkeitsvermögen des Menschen vermindert oder gehemmt wird (s. die Anmerkung zu Lehrsatz 11 dieses Teils).

Die Definitionen von Wohlbehagen und Wollust, Mißbehagen und Schmerz übergehe ich, weil sie sich hauptsächlich[233] auf den Körper beziehen und nichts sind als Arten der Lust und Unlust.


IV

Bewunderung ist die Vorstellung eines Dinges, in welcher der Geist deshalb versunken bleibt, weil diese besondere Vorstellung keine Verbindung mit den sonstigen Vorstellungen hat (s. Lehrsatz 52 dieses Teils mit seiner Anmerkung).


Erläuterung

In der Anmerkung zu Lehrsatz 18 im zweiten Teil habe ich gezeigt, welche Ursache es bewirkt, daß der Geist aus der Betrachtung eines Dinges sofort auf den Gedanken eines andern Dinges verfällt: weil nämlich die Vorstellungen dieser Dinge miteinander verkettet und so geordnet sind, daß die eine auf die andere folgt. Dies ist aber nicht denkbar, wenn die Vorstellung eines Dinges eine neue ist, dann wird vielmehr der Geist in der Betrachtung dieses Dinges festgehalten, bis er von andern Ursachen bestimmt wird, etwas anderes zu denken.

Die Vorstellung eines neuen Dinges ist also, an sich betrachtet, von gleicher Natur wie die übrigen Vorstellungen. Aus diesem Grunde zähle ich die Bewunderung nicht zu den Affekten. Ich sehe auch gar keinen Grund, dies zu tun, da ja dieses Abgezogensein des Geistes nicht aus irgendeiner positiven Ursache entspringt, die den Geist von andern Dingen abzieht, sondern nur daraus, daß keine Ursache vorhanden ist, durch welche der Geist bestimmt wird, bei der Betrachtung eines Dinges an andere Dinge zu denken.

Ich erkenne also (wie ich in der Anmerkung zu Lehrsatz 11 dieses Teils bemerkt habe) nur drei Haupt- oder primäre Affekte an, nämlich Lust, Unlust und Begierde, und ich sah mich nur deshalb veranlaßt, von der Bewunderung zu reden, weil es gebräuchlich geworden ist, daß gewisse Affekte, welche von den drei Hauptaffekten abgeleitet[234] werden, mit andern Namen bezeichnet werden, wenn sie sich auf Objekte beziehen, die wir bewundern. Der gleiche Grund veranlaßt mich, hier noch die Definition der Verachtung beizufügen.


V

Verachtung ist die Vorstellung eines Dinges, welche den Geist so wenig berührt, daß der Geist durch die Gegenwart des Dinges mehr bewegt wird, das vorzustellen, was an dem Ding nicht ist, als was an ihm ist (s. die Anmerkung zu Lehrsatz 52 dieses Teils).

Die Definitionen der Hochachtung und der Geringschätzung lasse ich hier beiseite, weil meines Wissens keine Affekte ihren Namen von ihnen ableiten.


VI

Liebe ist Lust, verbunden mit der Idee einer äußern Ursache.


Erläuterung

Diese Definition drückt das Wesen der Liebe vollständig klar aus. Die Definition jener Schriftsteller aber, welche lautet: Liebe ist der Wille des Liebenden, sich mit dem geliebten Gegenstand zu verbinden, drückt nicht das Wesen der Liebe, sondern eine Eigenschaft derselben aus. Und weil das Wesen der Liebe von diesen Schriftstellern nicht genügend durchschaut wurde, konnten sie auch von ihrer Eigenschaft keinen klaren Begriff haben. Daher kommt es, daß man ihre Definition allgemein für eine sehr dunkle hält.

Wenn ich nun sage, es sei eine Eigenschaft des Liebenden, daß er den Willen habe, sich mit dem geliebten Gegenstand zu verbinden, so ist zu beachten, daß ich unter Willen nicht etwa die Zustimmung oder die Überlegung oder einen freien Entschluß verstehe (daß dies letztere eine reine Einbildung sei, habe ich im Lehrsatz 48, Teil 2, bewiesen). Auch meine ich damit nicht die Begierde, sich mit[235] dem geliebten Gegenstand zu verbinden, wenn er abwesend ist, oder in seiner Gegenwart zu verharren, wenn er anwesend ist; denn die Liebe kann auch ohne diese Begierde gedacht werden. Unter Willen verstehe ich hier die Befriedigung, welche den Liebenden bei der Gegenwart des geliebten Gegenstandes erfüllt und durch welche die Lust des Liebenden verstärkt oder mindestens genährt wird.


VII

Haß ist Unlust, verbunden mit der Idee einer äußern Ursache.


Erläuterung

Was hier zu bemerken ist, kann dem, was in der Erläuterung zur vorigen Definition gesagt ist, leicht entnommen werden (s. außerdem die Anmerkung zu Lehrsatz 13 dieses Teils).


VIII

Zuneigung ist Lust, verbunden mit der Idee eines Dinges, welches zufällig (gelegentlich, durch einen Nebenumstand) Ursache der Lust ist.


IX

Abneigung ist Unlust, verbunden mit der Idee eines Dinges, welches zufällig Ursache der Unlust ist (s. darüber die Anmerkung zu Lehrsatz 15 dieses Teils).


X

Ergebenheit ist Liebe zu jemand, den wir bewundern.


Erläuterung

Daß die Bewunderung aus der Neuheit eines Gegenstandes entspringt, habe ich im Lehrsatz 52 dieses Teils[236] gezeigt. Wenn wir uns nun das, was wir bewundern, oft vorstellen, so hören wir auf, es zu bewundern. Darum sehen wir, daß der Affekt der Ergebenheit leicht in einfache Liebe übergeht.


XI

Verhöhnung (Spott) ist Lust, daraus entsprungen, daß wir uns vorstellen, es sei etwas, das wir verachten, an einem Gegenstand, den wir hassen.


Erläuterung

Sofern wir einen Gegenstand, den wir hassen, verachten, insofern sprechen wir ihm Existenz ab (s. Anmerkung zu Lehrsatz 52 dieses Teils) und insofern (nach Lehrsatz 20 dieses Teils) empfinden wir Lust.

Da wir aber annehmen, daß der Mensch das, was er verhöhnt, auch haßt, so folgt, daß diese Lust keine innige ist (s. die Anmerkung zu Lehrsatz 47 dieses Teils).


XII

Hoffnung ist unbeständige Lust, entsprungen aus der Idee eines zukünftigen oder vergangenen Dinges (Sache), über dessen Ausgang wir in gewisser Hinsicht im Zweifel sind.


XIII

Furcht ist unbeständige Unlust, entsprungen aus der Idee eines zukünftigen oder vergangenen Dinges (Sache), über dessen Ausgang wir in gewisser Hinsicht im Zweifel sind (s. hierüber die 2. Anmerkung zu Lehrsatz 18 dieses Teils).


Erläuterung

Aus diesen Definitionen folgt, daß es keine Hoffnung gibt ohne Furcht und keine Furcht ohne Hoffnung. Denn von jemand, der in Hoffnung schwebt und über den Ausgang[237] einer Sache zweifelt, wird angenommen, daß er sich etwas vorstellt, was die Existenz dieser zukünftigen Sache ausschließt und also insofern Unlust empfindet (nach Lehrsatz 19 dieses Teils) und folglich, während er in Hoffnung schwebt, fürchtet, die Sache möchte nicht eintreffen. – Wer hingegen in Furcht ist, d.h., über den Ausgang einer Sache, die er haßt, zweifelt, stellt sich ebenfalls etwas vor, was die Existenz dieser zukünftigen Sache ausschließt, und folglich (nach Lehrsatz 20 dieses Teils) empfindet er Lust und hat also insofern Hoffnung, daß die Sache nicht eintreffen werde.


XIV

Zuversicht ist Lust, entsprungen aus der Idee eines zukünftigen oder vergangenen Dinges, bei welchem die Ursache des Zweifelns geschwunden ist.


XV

Verzweiflung ist Unlust, entsprungen aus der Idee eines zukünftigen oder vergangenen Dinges, bei welchem die Ursache des Zweifelns geschwunden ist.


Erläuterung

Aus Hoffnung wird also Zuversicht und aus Furcht Verzweiflung, wenn die Ursache des Zweifelns über den Ausgang der Sache schwindet, entweder weil der Mensch sich das vergangene oder zukünftige Ding als seiend vorstellt und als gegenwärtig betrachtet, oder weil er sich etwas vorstellt, was die Existenz der Dinge, die ihm Zweifel erregen, ausschließt. Denn wenn wir auch über den Ausgang (Verlauf) der Einzeldinge (nach Zusatz zu Lehrsatz 31, Teil 2) niemals gewiß sein können, so kann doch das der Fall sein, daß wir über ihren Ausgang nicht zweifeln. Denn wie ich gezeigt habe (s. Anmerkung zu Lehrsatz 49, Teil 2), ist es ein anderes, über ein Ding nicht zweifeln, und ein anderes, über ein Ding Gewißheit haben.[238] Daher ist es wohl möglich, daß wir durch die Vorstellung eines vergangenen oder zukünftigen Dinges von gleichem Affekt der Lust oder Unlust erregt werden wie durch die Vorstellung eines gegenwärtigen Dinges, wie ich im Lehrsatz 18 dieses Teils bewiesen habe; s. diesen samt seiner Anmerkung.


XVI

Freude ist Lust, verbunden mit der Idee eines vergangenen Dinges, welches unverhofft eingetroffen ist.


XVII

Gewissensbiß ist Unlust, verbunden mit der Idee eines vergangenen Dinges, welches unerwartet eingetroffen ist.


XVIII

Mitleid ist Unlust, verbunden mit der Idee eines Übels, das einem andern, den wir uns als unseresgleichen vorstellen, begegnet ist (s. die Anmerkung zu Lehrsatz 22 und die Anmerkung zu Lehrsatz 27 dieses Teils).


Erläuterung

Zwischen Mitleid und Mitgefühl (Barmherzigkeit) scheint kein Unterschied zu sein, wenn nicht vielleicht der, daß Mitleid den einzelnen Affekt bezeichnet, Barmherzigkeit aber die entsprechende Gemütsanlage.


XIX

Gunst ist Liebe zu jemand, der einem andern Gutes getan.


XX

Entrüstung ist Haß gegen jemand, der einem andern Böses getan.
[239]


Erläuterung

Ich weiß, daß diese Namen im gewöhnlichen Sprachgebrauch etwas anderes bedeuten. Meine Absicht ist aber nicht, die Bedeutung der Wörter, sondern die Natur der Dinge zu erläutern und sie mit solchen Ausdrücken zu bezeichnen, deren gebräuchlicher Sinn von demjenigen, in welchem ich sie gebrauche, nicht ganz abweicht. Diese Bemerkung mag ein für allemal genügen.

Über die Ursache dieser Affekte s. Zusatz zu Lehrsatz 27 und Anmerkung zu Lehrsatz 22 dieses Teils.


XXI

Überschätzung ist, von jemand aus Liebe eine größere Meinung haben, als recht ist.


XXII

Unterschätzung ist, von jemand aus Haß eine geringere Meinung haben, als recht ist.


Erläuterung

Sonach ist Überschätzung eine Wirkung oder Eigenschaft der Liebe, Unterschätzung eine Wirkung oder Eigenschaft des Hasses. Man kann daher die Überschätzung auch definieren als Liebe, sofern sie den Menschen so erregt, daß er von dem geliebten Gegenstand eine größere Meinung hat, als recht ist: die Unterschätzung als Haß, sofern sie den Menschen so erregt, daß er von dem gehaßten Gegenstand eine geringere Meinung hat, als recht ist (s. hierüber die Anmerkung zu Lehrsatz 26 dieses Teils).


XXIII

Mißgunst ist Haß, sofern er den Menschen so erregt, daß er sich über das Glück eines andern betrübt und sich dagegen über das Unglück eines andern freut.


Erläuterung

[240] Der Mißgunst wird gewöhnlich das Mitgefühl (Barmherzigkeit) gegenübergestellt, welches daher, gegen die wörtliche Bedeutung, wie folgt definiert werden kann.


XXIV

Mitgefühl (Barmherzigkeit) ist Liebe, sofern sie den Menschen so erregt, daß er sich über das Glück eines andern freut und sich dagegen über das Unglück eines andern betrübt.


Erläuterung

Siehe übrigens über Mißgunst die Anmerkung zu Lehrsatz 24 und die Anmerkung zu Lehrsatz 32 dieses Teils.

Dies sind die Affekte der Lust und Unlust, welche die Idee eines äußern Dinges als eigentliche oder als zufällige (gelegentliche) Ursache begleitet.

Ich gehe nunmehr zu andern Affekten über, welche die Idee eines innern Dinges als Ursache begleitet.


XXV

Selbstzufriedenheit ist Lust, daraus entsprungen, daß der Mensch sich selbst und sein Tätigkeitsvermögen betrachtet.


XXVI

Niedergeschlagenheit ist Unlust, daraus entsprungen, daß der Mensch sein Unvermögen oder seine Schwäche betrachtet.


Erläuterung

Selbstzufriedenheit ist der Gegensatz zu Niedergeschlagenheit, sofern wir darunter Lust verstehen, welche daraus entspringt, daß wir unser Tätigkeitsvermögen betrachten. Sofern wir darunter aber Lust verstehen, die von der Idee[241] einer Tat begleitet ist, welche wir aus freier Entschließung des Geistes getan zu haben glauben, ist sie Gegensatz zur Reue, welche von mir wie folgt definiert wird.


XXVII

Reue ist Unlust, begleitet von der Idee einer Tat, die wir aus freier Entschließung des Geistes getan zu haben glauben.


Erläuterung

Die Ursache dieser Affekte habe ich in der Anmerkung zu Lehrsatz 51 dieses Teils und in den Lehrsätzen 53, 54 und 55 dieses Teils nebst der Anmerkung dazu dargetan. Über den freien Entschluß des Geistes aber siehe die Anmerkung zu Lehrsatz 35 des zweiten Teils.

Es muß hier außerdem noch bemerkt werden, daß man sich nicht darüber zu wundern braucht, daß überhaupt auf alle Taten, welche man für unrecht hält, Unlust, auf solche aber, die man für recht hält, Lust folgt. Es hängt dies nämlich hauptsächlich von der Erziehung ab, was wir dem Obigen leicht entnehmen können. Denn da die Eltern die ersteren tadelten und die Kinder ihretwegen häufig schalten, wogegen sie die andern empfahlen und lobten, bewirkten sie, daß sich mit den ersteren die Regungen der Unlust, mit den andern die der Lust verbanden. Dies wird auch durch die Erfahrung bestätigt. Denn Gewohnheit und Religion sind nicht bei allen Menschen gleich, vielmehr ist dem einen heilig, was dem andern unheilig ist, und was bei diesem für ehrbar gilt, gilt jenem für schändlich. Je nachdem also der Mensch erzogen ist bereut er eine Tat oder rühmt er sich derselben.


XXVIII

Hochmut (Stolz) ist, aus Liebe zu sich selbst eine größere Meinung von sich haben, als recht ist.


Erläuterung

[242] Hochmut unterscheidet sich also dadurch von der Überschätzung, daß sich diese auf ein äußeres Objekt bezieht, jener aber auf den Menschen selbst, der eine größere Meinung von sich hat, als recht ist. Wie übrigens die Überschätzung eine Wirkung oder Eigenschaft der Liebe ist, so ist der Hochmut eine Wirkung oder Eigenschaft der Selbstliebe. Man kann ihn also auch definieren als: Liebe zu sich selbst oder Selbstzufriedenheit, sofern sie den Menschen so erregt, daß er von sich eine größere Meinung hat, als recht ist (s. Anmerkung zu Lehrsatz 26 dieses Teils).

Zu diesem Affekt gibt es keinen Gegensatz. Denn niemand hat aus Haß gegen sich selbst eine geringere Meinung von sich, als recht ist. Ja, es hat auch dann niemand eine zu geringe Meinung von sich, wenn er sich vorstellt, daß er dies oder jenes nicht vermag. Denn wenn sich der Mensch vorstellt, daß er etwas nicht vermag, so beruht diese Vorstellung auf Notwendigkeit, und diese Vorstellung disponiert ihn so, daß er tatsächlich nichts zu tun vermag, wovon er sich vorstellt, daß er es nicht vermag. Denn solange er sich vorstellt, daß er das oder jenes nicht vermag, solange ist er nicht bestimmt, es zu tun, und folglich ist es ihm so lange auch nicht möglich, dies zu tun.

Wenn wir freilich nur das ins Auge fassen, was von der Meinung allein abhängt, so werden wir allerdings die Möglichkeit denken können, daß der Mensch eine zu geringe Meinung von sich hat. Ist es doch möglich, daß ein Trauriger, indem er seine Schwäche betrachtet, sich vorstellt, er werde von jedermann verachtet, während kein Mensch daran denkt, ihn zu verachten. – Außerdem kann der Mensch eine zu geringe Meinung von sich haben, wenn er sich in der Gegenwart eine Fähigkeit abspricht in bezug auf die Zukunft, über die er keine Gewißheit hat, z.B. wenn er sich die Fähigkeit abspricht, etwas als gewiß begreifen zu können, oder wenn er sich einbildet, nur schändliche[243] und verächtliche Dinge begehren und tun zu können usw. – Ferner können wir sagen, daß jemand zu gering von sich denkt, wenn wir sehen, daß er aus übertriebener Furcht vor Schande sich nicht zu tun getraut, was andere seinesgleichen zu tun sich getrauen. Diesen Affekt können wir dem Hochmut gegenüberstellen, und ich werde ihn Kleinmut nennen. Denn wie aus der Selbstzufriedenheit Hochmut entspringt, so entspringt aus der Niedergeschlagenheit Kleinmut, den ich daher also definiere:


XXIX

Kleinmut ist, aus Unlust eine geringere Meinung von sich haben, als recht ist.


Erläuterung

Wir pflegen aber häufig dem Hochmut die Demut gegenüberzustellen; dann aber haben wir mehr die Wirkung dieser beiden Affekte als ihre Natur im Auge. Denn wir pflegen jemand hochmütig zu nennen, der sich übermäßig rühmt (s. Anmerkung zu Lehrsatz 30 dieses Teils), der von sich nur Vorzüge, von andern nur Fehler erzählt, der vor allen den Vorrang haben will und der endlich so gravitätisch und prunkvoll auftritt wie Leute von weit höherer Stellung. Umgekehrt nennen wir jemand demütig, der häufig errötet, der seine Fehler bekennt und die Vorzüge anderer erzählt, der gegen andere zurücksteht und der endlich mit gesenktem Haupt einhergeht und allen Prunk verschmäht.

Übrigens kommen diese Affekte, nämlich Demut und Kleinmut, sehr selten vor. Denn die menschliche Natur, an sich betrachtet, widerstrebt ihnen in hohem Grade (s. die Lehrsätze 13 und 54 dieses Teils). Daher sind die, welche für die Kleinmütigsten und Demütigsten gehalten werden, häufig die ehrgeizigsten und neidischsten.


XXX

[244] Ehre (Ehrfreude) ist Lust, verbunden mit der Idee einer eigenen Handlung, die wir uns von andern gelobt vorstellen.


XXXI

Scham ist Unlust, verbunden mit der Idee einer eigenen Handlung, die wir uns von andern getadelt vorstellen.


Erläuterung

Siehe hierüber die Anmerkung zu Lehrsatz 30 dieses Teils. Hier ist auf den Unterschied zwischen Scham und Schamhaftigkeit aufmerksam zu machen. Scham ist nämlich Unlust, welche auf eine Handlung folgt, der man sich schämt. Schamhaftigkeit aber ist Furcht oder Besorgnis vor Scham, durch welche der Mensch abgehalten wird, etwas Schimpfliches zu begehen. – Der Schamhaftigkeit pflegt man die Schamlosigkeit (Unverschämtheit) gegenüberzustellen, welche eigentlich kein Affekt ist, wie ich an geeigneter Stelle zeigen werde. – Indessen beziehen sich die Namen der Affekte (wie ich schon erinnert) mehr auf den Gebrauch als auf die Natur derselben.

Damit habe ich die Affekte der Lust und Unlust, deren Erklärung ich mir vorgesetzt, erledigt.

Ich gehe nun zu denen über, die ich auf die Begierde beziehe.


XXXII

Sehnsucht ist Begierde oder Verlangen nach dem Besitze eines Dinges, welches durch die Erinnerung an das betreffende Ding genährt wird, aber durch die Erinnerung an andere Dinge, welche die Existenz des verlangten Dinges ausschließen, eingeschränkt wird.


Erläuterung

Wenn wir uns an ein Ding erinnern, werden wir, wie schon oft bemerkt wurde, hierdurch disponiert, es mit[245] gleichem Affekt zu betrachten, wie wenn das Ding gegenwärtig wäre. Aber diese Disposition oder dieses Streben wird im wachen Zustand vielfach zurückgedrängt von den Vorstellungen der Dinge, welche die Existenz des Dinges, dessen wir uns erinnern, ausschließen. Wenn wir uns also eines Dinges erinnern, das uns mit irgendeiner Art von Lust erregt, streben wir eben dadurch, es mit demselben Affekt der Lust zu betrachten, als wäre es gegenwärtig; welches Streben aber sofort durch die Erinnerung an Dinge, welche die Existenz jenes Dinges ausschließen, zurückgedrängt wird. Darum ist Sehnsucht eigentlich Unlust, welche jener Lust gegenübersteht, die aus der Abwesenheit eines Dinges, das wir hassen, entspringt (s. hierüber die Anmerkung zu Lehrsatz 47 dieses Teils). Weil aber der Name Sehnsucht sich auf die Begierde zu beziehen scheint, darum rechne ich diesen Affekt zu den Affekten der Begierde.


XXXIII

Wetteifer ist Begierde nach einem Ding, welche in uns dadurch erzeugt wird, daß wir uns vorstellen, andere hätten diese Begierde.


Erläuterung

Wenn jemand flieht, weil er andere fliehen sieht, oder wenn jemand fürchtet, weil er andere fürchten sieht, oder auch wenn jemand, der sieht, wie ein anderer die Hand verbrannt hat, seine Hand deshalb zurückzieht und Körperbewegungen macht, als ob er seine eigene Hand verbrannt hätte, so sagen wir, daß er den Affekt eines andern nachahmt, aber nicht, daß er mit ihm wetteifert. Nicht etwa, weil uns eine besondere Ursache für die Nachahmung und eine besondere für den Wetteifer bekannt wäre, sondern weil sich der Gebrauch eingebürgert hat, daß wir mit Wetteifer nur die Nachahmung von solchen Handlungen bezeichnen, die wir für anständig, nützlich oder angenehm halten.[246]

Siehe übrigens über die Ursache des Wetteifers Lehrsatz 27 dieses Teils mit seiner Anmerkung. Über den Umstand aber, daß mit diesem Affekt häufig der Neid verbunden ist, s. Lehrsatz 32 dieses Teils mit seiner Anmerkung.


XXXIV

Dank oder Dankbarkeit ist die Begierde oder das Bestreben der Liebe, dem wohlzutun, der uns aus gleichem Affekt der Liebe wohlgetan hat (s. Lehrsatz 39 mit der Anmerkung zu Lehrsatz 41 dieses Teils).


XXXV

Wohlwollen ist die Begierde, dem wohlzutun, den wir bemitleiden (s. die Anmerkungen zu Lehrsatz 27 dieses Teils).


XXXVI

Zorn ist die Begierde, durch welche wir aus Haß gegen jemand angetrieben werden, dem Böses zuzufügen, den wir hassen (s. Lehrsatz 39 dieses Teils).


XXXVII

Rachsucht ist die Begierde, durch welche wir aus Gegenhaß angetrieben werden, dem Böses zuzufügen, der uns aus Haß Böses zugefügt hat (s. Zusatz II zu Lehrsatz 40 dieses Teils mit seiner Anmerkung).


XXXVIII

Grausamkeit oder Wut ist die Begierde, durch welche jemand angetrieben wird, dem Böses zuzufügen, den wir lieben oder den wir bemitleiden.


Erläuterung

Der Grausamkeit wird die Milde gegenübergestellt, welche aber kein Leiden ist, sondern die Macht des Gemüts, mit welcher der Mensch den Zorn oder die Rachsucht bändigt.
[247]


XXXIX

Scheu ist die Begierde, ein größeres Übel, das wir befürchten, durch ein geringeres zu vermeiden (s. Anmerkung zu Lehrsatz 39 dieses Teils).


XL

Kühnheit ist die Begierde, durch welche jemand angetrieben wird, etwas zu tun, trotz einer damit verbundenen Gefahr, die andere seinesgleichen von dieser Tat abhält.


XLI

Ängstlichkeit wird dem beigelegt, dessen Begierde eingeschränkt wird durch die Furcht vor einer Gefahr, welcher sich andere seinesgleichen beherzt unterziehen.


Erläuterung

Ängstlichkeit ist also nichts anderes als Furcht vor einem Übel, das die meisten nicht zu fürchten pflegen. Ich rechne sie daher nicht zu den Affekten der Begierde. Dennoch wollte ich sie hier nicht unerklärt lassen, weil sie, sofern wir die Begierde ins Auge fassen, dem Affekt der Kühnheit in der Tat entgegengesetzt ist.


XLII

Bestürzung wird dem beigelegt, dessen Begierde, ein Übel zu vermeiden, eingeschränkt wird durch die Verwunderung über ein Übel, das er fürchtet.


Erläuterung

Die Bestürzung ist daher eine Art der Ängstlichkeit. Weil aber die Bestürzung aus einer doppelten Furcht entspringt, so kann man sie treffender definieren als: Furcht, die den verblüfften und schwankenden Menschen so erfaßt, daß er das Übel nicht abwenden kann. Ich sage den »verblüfften«, sofern wir in der Verwunderung den Grund erblicken,[248] daß seine Begierde, das Übel abzuwenden eingeschränkt wird. Ich sage aber den »schwankenden« sofern wir erkennen, daß diese Begierde durch die Furcht vor einem andern Übel eingeschränkt wird, das ihn ebenso schreckt, so daß er nicht weiß, welches von beiden er abwenden soll.

Siehe hierüber die Anmerkung zu Lehrsatz 39 und die Anmerkung zu Lehrsatz 52 dieses Teils. Über Ängstlichkeit und Kühnheit s. die Anmerkung zu Lehrsatz 51 dieses Teils.


XLIII

Menschenfreundlichkeit oder Leutseligkeit ist die Begierde zu tun, was den Menschen gefällt, und zu unterlassen, was ihnen mißfällt.


XLIV

Ehrgeiz ist unmäßige Begierde nach Ehre.


Erläuterung

Ehrgeiz ist eine Begierde, durch welche alle Affekte (nach den Lehrsätzen 27 und 31 dieses Teils) genährt oder verstärkt werden. Daher ist dieser Affekt beinahe unüberwindlich. Denn solange der Mensch von irgendeiner andern Begierde erfaßt ist, ist er notwendig zugleich von dieser erfaßt. »Die besten Menschen«, sagt Cicero4, »werden sehr stark von Ruhmbegierde geleitet. Sogar die Philosophen setzen ihre Namen auf die Bücher, die sie über Verachtung des Ruhms schreiben usw.«


XLV

Schwelgerei ist die unmäßige Begierde oder auch Liebe zum Schmausen.
[249]


XLVI

Trunksucht ist unmäßige Begierde und Liebe zum Zechen.


XLVII

Habsucht (Geiz) ist unmäßige Begierde und Liebe zu Reichtümern.


XLVIII

Lüsternheit ist Begierde und Liebe zur fleischlichen Vermischung.


Erläuterung

Man pflegt diese Begierde zur Begattung, mag sie eine mäßige oder unmäßige sein, Lüsternheit zu nennen.

Diese fünf Affekte haben (wie ich in der Anmerkung zu Lehrsatz 56 erinnert habe) keinen Gegensatz. Denn die Leutseligkeit ist eine Art des Ehrgeizes; s. darüber die Anmerkung zu Lehrsatz 29 dieses Teils. Die Mäßigkeit, die Nüchternheit und die Keuschheit bezeichnen eine Macht des Geistes, nicht aber ein Leiden, wie ich ebenfalls bereits erwähnt habe. Und obgleich es vorkommt, daß ein habsüchtiger, ehrgeiziger oder furchtsamer Mensch sich des Übermaßes im Essen, Trinken und Beischlaf enthält, so sind doch Habsucht Ehrgeiz und Furcht keine Gegensätze zu Schwelgerei Trunksucht und Lüsternheit. Denn der Habsüchtige (Geizige) möchte in der Regel gern an fremder Tafel schwelgen. Der Ehrgeizige aber wird, wenn er hoffen kann, daß es verborgen bleibt, sich in keiner Sache mäßigen; ja, wenn er unter Zechern und Lüstlingen lebt, wird er, eben weil er ehrgeizig ist, sich diesen Lastern nur um so mehr hingeben. Der Furchtsame endlich tut das, was er nicht tun möchte. Denn wenn auch der Geizige, um dem Tod zu entgehen, seine Reichtümer ins Meer wirft, bleibt er doch ein Geiziger. Und wenn der Lüstling[250] betrübt ist, weil er seinem Hang nicht frönen kann, so hört er damit nicht auf, lüstern zu sein. Überhaupt beziehen sich diese Affekte nicht sowohl auf die eigentlichen Handlungen des Schmausens, Zechens usw. als auf das Verlangen und die Liebe. Es kann somit diesen Affekten nichts gegenübergestellt werden als der Edelsinn und die Selbstbeherrschung; darüber im folgenden.

Über die Definitionen der Eifersucht und der übrigen Gemütsschwankungen gehe ich hinweg, sowohl deswegen, weil sie durch eine Verbindung der bereits definierten Affekte entstehen, als auch darum, weil die meisten keine Namen haben; was zeigt, daß für das praktische Leben schon eine allgemeine Kenntnis derselben genügt.


Aus den Definitionen der Affekte, die wir erläutert haben, geht übrigens mit Klarheit hervor, daß sie alle aus der Begierde, der Lust oder der Unlust entspringen, oder vielmehr, daß alle nichts anderes sind als eben diese drei Affekte, von denen jeder mit verschiedenen Namen belegt wird, je nach den verschiedenen äußerlichen Beziehungen und Benennungen.

Wenn wir nun diese drei Hauptaffekte wie auch das, was oben über die Natur des Geistes ausgeführt wurde, ins Auge fassen, so werden wir die Affekte, sofern sie sich nur auf den Geist beziehen, folgendermaßen definieren können.


Allgemeine Definition der Affekte


Ein Affekt, auch Leidenschaft genannt, ist eine verworrene Idee, durch welche der Geist von seinem Körper oder einem Teil desselben eine größere oder geringere Existenzkraft bejaht als vorher und durch deren Vorhandensein der Geist selbst bestimmt wird, mehr an dies als an jenes zu denken.[251]


Erläuterung

Ich sage zuerst, ein Affekt, auch Leidenschaft genannt, sei eine verworrene Idee. Denn ich habe gezeigt (s. Lehrsatz 3 dieses Teils), daß der Geist nur insofern leidet, sofern er inadäquate oder verworrene Ideen hat. – Ich sage ferner, durch welche der Geist von seinem Körper oder einem Teil desselben eine größere oder geringere Existenzkraft bejaht als vorher. Denn alle Ideen, welche wir von Körpern haben, zeigen (nach Zusatz II zu Lehrsatz 16, Teil 2) mehr den wirklichen Zustand unseres Körpers als die Natur des äußern Körpers an. Diejenige Idee aber, welche die Form des Affekts ausmacht, muß denjenigen Zustand des Körpers oder eines Teils desselben anzeigen oder ausdrücken, welchen der Körper oder ein Teil desselben dadurch hat, daß sein Tätigkeitsvermögen oder seine Existenzkraft vermehrt oder vermindert, gefördert oder gehemmt wird.

Es ist aber zu beachten, daß, wenn ich sage: »eine größere oder geringere Existenzkraft als vorher«, ich nicht meine, daß der Geist den gegenwärtigen Zustand des Körpers mit dem vergangenen vergleicht, sondern daß die Idee, welche die Form des Affekts ausmacht, vom Körper etwas bejaht, was tatsächlich mehr oder weniger Realität in sich schließt als vorher. Und weil das Wesen des Geistes darin besteht (nach den Lehrsätzen 11 und 13, Teil 2), daß er die wirkliche Existenz seines Körpers bejaht und wir unter Vollkommenheit das eigentliche Wesen eines Dinges verstehen, so folgt, daß der Geist zu größerer oder geringerer Vollkommenheit übergeht, sobald es geschieht, daß er von seinem Körper oder von einem Teil desselben etwas bejaht, was mehr oder weniger Realität in sich schließt als vorher. Wenn ich also oben sagte, daß das Denkvermögen des Geistes vermehrt oder vermindert werde, so wollte ich nichts anderes sagen, als daß der Geist von seinem Körper oder von einem Teil desselben eine Idee gebildet habe, welche mehr oder[252] weniger Realität ausdrückt, als er von seinem Körper vorher bejaht hatte. Denn die Vorzüglichkeit der Ideen und das wirkliche Denkvermögen wird nach der Vorzüglichkeit des Objekts geschätzt.

Ich habe endlich noch hinzugefügt: und durch deren Vorhandensein der Geist selbst bestimmt wird, mehr an dies als an jenes zu denken, um damit außer der Natur der Lust und der Unlust, welche der erste Teil der Definitionen erläutert, auch die Natur der Begierde auszudrücken.[253]

1

NB. Unter »Menschen« sind hier und im folgenden solche Menschen zu verstehen, für welche wir keinen Affekt empfinden.

2

Ovid, Liebeselegien, Buch II, Elegie 19, V. 5 und 6.

3

NB. Daß dies möglich ist, obgleich der menschliche Geist ein Teil des göttlichen Verstandes ist, habe ich in der Anmerkung zu Lehrsatz 13, Teil 2, gezeigt.

4

In seiner Rede für Archias.

Quelle:
Spinoza: Ethik. Leipzig 1975, S. 155-254.
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