XXXIII.

[306] Meine erste Vortragstätigkeit innerhalb der Kreise, die aus der theosophischen Bewegung hervorgewachsen waren, mußte sich nach den Seelenverfassungen dieser Kreise richten. Man hatte da theosophische Literatur gelesen und sich für gewisse Dinge eine gewisse Ausdrucksform angewöhnt. An diese mußte ich mich halten, wenn ich verstanden sein wollte.

Erst im Laufe der Zeit ergab sich mit der vorrückenden Arbeit, daß ich immer mehr auch in der Ausdrucksform die eigenen Wege gehen konnte.

Es ist daher dasjenige, was in den Nachschriften der Vorträge aus den ersten Jahren der anthroposophischen Wirksamkeit vorliegt, zwar innerlich, geistig ein getreues Abbild des Weges, den ich einschlug, um die Geist-Erkenntnis stufenweise zu verbreiten, so daß aus dem Naheliegenden das Fernerliegende erfaßt werden sollte; aber man muß diesen Weg auch wirklich nach seiner Innerlichkeit nehmen.

Für mich waren die Jahre etwa von 1901 bis 1907 oder 1908 eine Zeit, in der ich mit allen Seelenkräften unter dem Eindruck der an mich herankommenden Tatsachen und Wesenheiten der Geistwelt stand. Aus dem Erleben der allgemeinen Geistwelt wuchsen die besonderen Erkenntnisse heraus. Man erlebt viel, indem man ein solches Buch wie die »Theosophie« aufbaut. Es war bei jedem Schritte mein Bestreben, nur ja im Zusammenhange mit dem wissenschaftlichen Denken zu bleiben. Nun nimmt mit der Erweiterung und Vertiefung des geistigen Erlebens dieses Streben nach einem solchen Zusammenhang besondere Formen an. Meine »Theosophie« scheint in dem Augenblicke, wo ich von der Schilderung der Menschenwesenheit zur Darstellung der »Seelenwelt« und des »Geisterlandes« komme, in einen ganz anderen Ton zu verfallen.

Die Menschenwesenheit schildere ich, indem ich von den Ergebnissen der Sinneswissenschaft ausgehe. Ich versuche die Anthropologie so zu vertiefen, daß der menschliche Organismus in seiner Differenziertheit erscheint. Man kann ihm dann ansehen, wie er in seinen unterschiedenen Organisationsweisen auch in unterschiedlicher Art mit den ihn durchdringenden geistig-seelischen Wesenhaftigkeiten verbunden ist. Man findet die Lebenstätigkeit[307] in einer Organisationsform; da wird das Eingreifen des Ätherleibes anschaulich. Man findet die Organe der Empfindung und Wahrnehmung; da wird durch die physische Organisation auf den Astralleib verwiesen. Vor meiner geistigen Anschauung standen diese Wesensglieder des Menschen: Ätherleib, Astralleib, Ich usw. geistig da. Für die Darstellung suchte ich sie an das anzuknüpfen, was Ergebnisse der Sinneswissenschaft waren. – Schwierig wird für den, der wissenschaftlich bleiben will, die Darstellung der wiederholten Erdenleben und des sich durch diese hindurch gestaltenden Schicksales. Will man da nicht bloß aus der Geistesschau sprechen, so muß man auf Ideen eingehen, die sich zwar aus einer feinen Beobachtung der Sinneswelt ergeben, die aber von den Menschen nicht gefaßt werden. Der Mensch stellt sich vor eine solche feinere Betrachtungsweise in Organisation und Entwickelung anders hin als die Tierheit. Und beobachtet man dieses Anderssein, so stellen sich aus dem Leben heraus die Ideen vom wiederholten Erdenleben ein. Aber man beachtet es eben nicht. Und so erscheinen dann solche Ideen nicht aus dem Leben geholt, sondern willkürlich gefaßt oder einfach aus älteren Weltanschauungen aufgegriffen.

Ich stand mit vollem Bewußtsein diesen Schwierigkeiten gegenüber. Ich kämpfte mit ihnen. Und wer sich die Mühe nehmen wollte, nachzusehen, wie ich in aufeinanderfolgenden Auflagen meiner »Theosophie« das Kapitel über die wiederholten Erdenleben immer wieder umgearbeitet habe, gerade um dessen Wahrheiten an die Ideen heranzuführen, die von der Beobachtung in der Sinneswelt genommen sind, der wird finden, wie ich bemüht war, der anerkannten Wissenschaftsmethode gerecht zu werden.

Noch schwieriger stellt sich von diesem Gesichtspunkte aus die Sache bei den Kapiteln über die »Seelenwelt« und das »Geisterland«. Da erscheinen für den, der die vorangehenden Ausführungen nur so gelesen hat, daß er von dem Inhalte Kenntnis genommen hat, die dargestellten Wahrheiten wie willkürlich hingeworfene Behauptungen. Aber anders ist es bei dem, dessen Ideen-Erleben durch das Lesen dessen, was an die Beobachtung der Sinneswelt angeknüpft ist, eine Erkraftung erfahren hat. Für ihn haben sich die Ideen zu selbständigem innerem Leben losgelöst von dem Gebundensein an die Sinne. Und nun kann dann der folgende Seelenvorgang in ihm sich ereignen. Er wird das Leben der losgelösten Ideen gewahr. Sie weben und wirken[308] in seiner Seele. Er erlebt sie, wie er durch die Sinne Farben, Töne, Wärme-Eindrücke erlebt. Und wie in Farben, Tönen usw. die Naturwelt gegeben ist, so ist ihm in den erlebten Ideen die Geist-Welt gegeben. – Wer allerdings so ohne inneren Erlebnis-Eindruck die ersten Ausführungen meiner »Theosophie« liest, daß er nicht ein Umwandeln seines bisherigen Ideen-Erlebens gewahr wird, wer gewissermaßen an die folgenden Ausführungen, trotzdem er das Vorangehende gelesen hat, so herangeht, als ob er das Buch mit dem Kapitel »Seelenwelt« zu lesen beginnen würde, der kann nur zu einem Ablehnen kommen. Ihm erscheinen die Wahrheiten als unbewiesene Behauptungen hingepfahlt. Aber ein anthroposophisches Buch ist darauf berechnet, in innerem Erleben aufgenommen zu werden. Dann tritt schrittweise eine Art Verstehen auf. Dieses kann ein sehr schwaches sein. Aber es kann – und soll – da sein. Und das weitere befestigende Vertiefen durch die Übungen, die in »Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?« geschildert sind, ist eben ein befestigendes Vertiefen. Zum Fortschreiten auf dem Geisteswege ist das notwendig; aber ein richtig verfaßtes anthroposophisches Buch soll ein Aufwecker des Geistlebens im Leser sein, nicht eine Summe von Mitteilungen. Sein Lesen soll nicht bloß ein Lesen, es soll ein Erleben mit inneren Erschütterungen, Spannungen und Lösungen sein.

Ich weiß, wie weit das, was ich in Büchern gegeben habe, davon entfernt ist, durch seine innere Kraft ein solches Erleben in den lesenden Seelen auszulösen. Aber ich weiß auch, wie bei jeder Seite mein innerer Kampf darnach ging, nach dieser Richtung hin möglichst viel zu erreichen. Ich schildere dem Stile nach nicht so, daß man in den Sätzen mein subjektives Gefühlsleben verspürt. Ich dämpfe im Niederschreiben, was aus Wärme und tiefer Empfindung heraus ist, zu trockener, mathematischer Stilweise. Aber dieser Stil kann allein ein Aufwecker sein, denn der Leser muß Wärme und Empfindung in sich selbst erwachen lassen. Er kann diese nicht in gedämpfter Besonnenheit einfach aus dem Darsteller in sich hinüberfließen lassen.

Quelle:
Steiner, Rudolf: Mein Lebensgang. Stuttgart 1975, S. 306-309.
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Mein Lebensgang. Eine nicht vollendete Autobiographie
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