§ 25. Das Gewinnen des Vertrauens des Mädchens.

[251] Wenn man nun auch das Mädchen auf diese Weise erlangt hat, so ist sie doch noch nicht zutraulich und kann noch nicht gebraucht werden. Darum folgt nun »das Gewinnen des Vertrauens des Mädchens«.

Hier beschreibt nun (der Verfasser) die Abhaltung der hierbei gebräuchlichen glückverheißenden Zeremonien nach der Hochzeit:


Wenn sie beide vereint sind, findet drei Nächte lang das Lagern auf dem Erdboden statt, Enthaltsamkeit und Essen ohne Melasse und Salz; ebenso sieben Tage lang Baden unter Musik und Gesang, Toilettemachen, gemeinsames Essen, Ansehen von Aufführungen und Verehrung der Angehörigen. – Das betrifft alle Kasten.


»Wenn sie beide vereint sind«, indem sie durch die Verheiratung zusammengekommen sind. – »Drei Nächte lang«: das Wort Nacht soll die Geschehnisse in der Nacht andeuten. »Lagern auf dem Erdboden«, Ruhen auf der Erde, nicht im Bette. »Enthaltsamkeit«, solange die Opferzeremonie des vierten Tages noch nicht vollbracht ist. Begatten am Tage ist nämlich verboten. – »Melasse«, Zuckerrohrsaft, Syrup usw. »Salz«, Steinsalz usw. Mahlzeiten ohne diese: die hauptsächlich mit Honig, Milch und Schmelzbutter bereitet sind. – Das finde in der Nacht statt; indem es unter der Zahl der nächtlichen Begehungen erwähnt wird. – »Ebenso sieben Tage lang«, so gut wie drei Tage lang; d.h nach diesen noch sieben weitere Tage. Das Wort Tag soll die Geschehnisse am Tage andeuten. – »Baden« unter Musik und unter Gesang, Singen. »Toilettemachen«, Schmuckanlegen. »Gemeinsames Essen«, an ein und[251] derselben Stelle. Auch vorher fand schon gemeinsames Essen statt, aber infolge der Ausführung des Gelübdes ohne Melasse und Salz und nachts. »Ansehen von Aufführungen«, Betrachten der »Angehörigen«, Schauspieler usw. »Verehrung«, vermittelst von Odeurs, Kränzen usw. »Das betrifft alle Kasten«: das gilt für alle vier Kasten, Brahmanen usw., da es nicht verboten ist. Das geht in der Welt unter dem Namen der zehntägigen Feier. Und so heißt es: »Nachdem man im Hause des Mädchens wie ein Fürst die Feier der zehn Tage vollbracht hat, gehe man samt der Gattin in seine Behausung oder wie es sonst Sitte in der Familie und im Lande ist.«

Nun nennt der Verfasser das Mittel, das Vertrauen zu gewinnen:


Hierbei nähere man sich ihr in der Nacht und in der Einsamkeit mit zarten Werbungen.


»Hierbei«, in der zehntägigen Feier. – Das Mädchen ist von zweierlei Art: zum geschlechtlichen Verkehre geneigt oder das Gegenteil. Bei der ersten wird das Vertrauen zu gewinnen gesucht mit Rücksicht auf den Liebesgenuß; bei der zweiten, um Furcht und Verschämtheit zu beseitigen. – »In der Nacht«, weil da die Ängstlichkeit nur gering ist. – »In der Einsamkeit«, im Hochzeitsgemache, indem da die Verschämtheit weicht. – »Mit zarten Werbungen«, mit Worten, Berührungen usw., die keine Verwirrung hervorrufen.

Warum findet die Annäherung statt? Darauf antwortet (der Verfasser):


Wenn das Mädchen nämlich drei Nächte lang den Liebhaber ohne ein Wort zu äußern und wie eine Säule dastehen sieht, dürfte es seiner überdrüssig werden und ihn als dritte Menschenform verachten. – So sagen die Anhänger des Bābhravya.


Wenn es ihn »wie eine Säule«, stumm und ohne Bewegung dort »ohne ein Wort zu äußern dastehen sieht, dürfte es seiner überdrüssig werden«, unwillig sein, weil sie mit einem stummen Bauer verheiratet sei; »und ihn verachten«, als Eunuchen, wegen seiner Unbeweglichkeit, und hierbei Gedanken der Mißachtung fassen.[252]

Da bei dieser Ansicht alles unbedenklich zugelassen wird, gibt (der Verfasser) ein Verbot:


Man nähere sich und gewinne ihr Vertrauen, aber übertrete das Gelübde der Enthaltsamkeit nicht. – So lehrt Vātsyāyana.


»Man nähere sich«, damit sie der Sache nicht überdrüssig wird, »und gewinne ihr Vertrauen«, damit sie zur fleischlichen Vereinigung geneigt wird; »aber man übertrete das Gelübde der Enthaltsamkeit nicht«; da ein Bruch des Gelübdes zur Unzeit, auch wenn sie dazu geneigt ist, ungesetzlich ist.


Der sich Nähernde gehe zu Werke, ohne etwas zu überhasten.


»Der sich Nähernde« usw. Das ist eine weitere Ausführung jenes »mit zarten Werbungen«. »Ohne etwas zu überhasten«: d.h., er handele, ohne selbst eine Berührung heftig auszuführen.

Warum? Darauf antwortet (der Verfasser):


Blumenartig sind ja die Frauen und müssen sehr zart umworben werden. Wenn sie von Leuten, die ihr Vertrauen noch nicht besitzen, ungestüm umworben werden, lernen sie die geschlechtliche Vereinigung hassen. Darum nähere man sich in zarter Weise.


»Blumenartig«, blumengleich, »sind die Frauen« alle: besonders die Mädchen; »und müssen sehr zart umworben werden«: bei ihnen gilt nur zartes Werben, gekennzeichnet durch Berühren usw. »Von Leuten, die ihr Vertrauen noch nicht besitzen«: die es aber gewonnen haben, denen gereicht ein »ungestümes« Werben nicht zum Vorwurfe. »Lernen die geschlechtliche Vereinigung hassen«, indem sie ihnen unerwünscht wird. Darum »in zarter Weise«, sanft. Für alle Arten der Werbung gut das als erste Regel.

(Der Verfasser) nennt nun, da die Ausführung der Werbungen unmöglich ist, wenn jener noch nicht zur freien Entfaltung gekommen ist, das Mittel dazu:


Wo er jedoch selbst mit List ungehemmtes Auftreten erreichen kann, da dringe er vor.


»Mit List«: vermittelst irgend einer schlauen List, die den Umständen entspricht. »Wo er ungehemmtes Auftreten«, bei der Unterhaltung oder dem Spiele mit ihrer Freundin für sich[253] selbst Raum »erreichen kann«, eben »da«, vermittelst der Unterhaltung oder des Spieles »dringe er vor« gegen sie.

Wenn er nun freie Hand bekommen hat, beginnt er zunächst mit der Umarmung. So sagt (der Verfasser):


Vermittelst der Ausführung der Umarmung, wie es ihr recht ist, da sie nicht zu lange dauert.


»Wie es ihr recht ist.« Wieso ist es ihr recht? Darauf antwortet (der Verfasser): »Da sie nicht zu lange dauert«: unmittelbar, nachdem sie ausgeführt ist, wird aufgehört, so daß sie keine Verwirrung bewirkt.


Er beginne mit dem Oberkörper, da dieser etwas aushält.


»Mit dem Oberkörper«: »er beginne« zunächst mit dem Teile, der oberhalb ihres Nabels liegt; »da dieser etwas aushält«; er kann die Annäherung vertragen. Nicht mit dem Unterleibe, weil das Verwirrung verursacht.


Bei einer, die das Jungfrauenalter erreicht und von früher her schon vertraut ist, bei dem Scheine der Lampe, bei einem Mädchen und bei einer, mit der man noch nicht vertraut ist, in der Dunkelheit.


»Bei dem Scheine der Lampe«, die in dem Hochzeitsgemache sich befindet. »Bei einer, die das Jungfrauenalter erreicht und von früher her schon vertraut ist«, da hier keine Furcht und Verschämtheit vorhanden ist. – »Bei einem Mädchen und bei einer, mit der man noch nicht vertraut ist, in der Dunkelheit«, wegen der überaus großen Verschämtheit. – Wenn sie auch schon das Jungfrauenalter erreicht hat, ist sie doch geheiratet worden mit Rücksicht auf andere glückverheißende Merkmale, indem das nur ein leichter Fehler ist.


Wenn sie die Umarmung geduldet hat, gibt er ihr mit dem Munde Betel. Wenn sie darauf nicht eingeht, lasse er sie es nehmen durch freundliche Reden, Verwünschungen, Gegenforderungen und Fußfälle. Selbst ein verschämtes und heftig zürnendes Weib kann einem Fußfalle nicht widerstehen: das ist allgemein gültig.


»Gibt ihr mit dem Munde Betel«: mit seinem eignen Munde, indem Geduld bei dem Küssen erwünscht ist. – »Wenn sie darauf nicht eingeht«, sie den Betel nicht annimmt, »lasse er sie es nehmen durch freundliche Reden«, liebenswürdige Worte,[254] »Verwünschungen«: »Bei meinem Leibe beschwöre ich dich!« – »Gegenforderungen«: »Gib du mir es!« oder »Fußfälle«, das letzte Stadium. Denn es gibt außer dem Fußfalle kein weiteres Mittel, daß die Frau die Verschämtheit aufgibt und den Zorn fahren läßt. »Das ist allgemein gültig«: nicht nur bei einem Mädchen, sondern auch anderswo.


Bei Gelegenheit des Darreichens desselben gebe er ihr einen zarten, lautern und nicht übermäßigen Kuß. Wenn sie damit gewonnen ist, bringe er sie zum Sprechen. Um das zu hören, frage er, gleichsam als wisse er es nicht, nach irgend etwas, was sich mit wenigen Lauten beantworten läßt. Wenn sie hierbei nicht dreist wird, frage er wiederholt, voller Freundlichkeit und ohne sie zu verwirren. Wenn sie auch dann nicht redet, fahre er beharrlich fort.


»Zart«, wobei kein Festpacken stattfindet, da ein solches in Verwirrung setzt. – »Lauter«, (nur) Berührung verursachend. »Nicht übermäßig«, lautlos. Über einen schallenden Kuß würde sie beschämt sein. – »Wenn sie damit gewonnen ist«, durch den Kuß günstig gestimmt ist, »bringe er sie zum Sprechen«, damit sie redet. (Der Verfasser) gibt das Mittel hierfür an: »Um das zu hören«, um sie sprechen zu hören. »Irgend etwas«, was sie gerade gesehen oder gehört hat, »was sich mit wenigen Lauten beantworten läßt«, indem es leicht zu erzählen ist. »Gleichsam als wisse er es nicht«; sonst dürfte sie merken, daß er sie zum Sprechen bringen will. – »Wenn sie hierbei nicht dreist wird«, schweigend dasteht. »Voller Freundlichkeit«, voller Artigkeit. – »Fahre beharrlich fort« in dieser Weise.

Sie bekommt doch die Beharrlichkeit satt? Dazu sagt (der Verfasser):


Alle Mädchen nämlich lassen sich die von dem Manne angewendeten Worte gefallen; aber sie sagen nicht einmal ein geringfügiges Wort dagegen. So sagt Ghoṭakamukha.


»Angewendet«, immer wieder gesprochen. – »Lassen sich gefallen«, da dabei die Liebe sich offenbart. – »Nicht einmal ein geringfügiges«, aus nur wenig Buchstaben bestehendes, wenn auch mit einem Doppelsinne versehenes, »sagen sie«, da sie von Scham überwältigt sind.[255]

Hier nennt (der Verfasser) die Art und Weise, wie das Mädchen sprechen soll:


Wenn sie aber beharrlich gefragt wird, soll sie durch Bewegen des Kopfes Antworten geben; bei einem Zanke aber soll sie den Kopf nicht bewegen.


»Durch Bewegen des Kopfes«: wenn sie gefragt wird: »Weißt du es?« soll sie die Antwort: ›Ich weiß es‹ durch Auf- und Abbewegen des Kopfes geben; die Antwort: ›Ich weiß es nicht‹ durch Seitwärtsbewegen des Kopfes: um sich vor Dreistigkeit in acht zu nehmen. – »Bei einem Zanke aber«: wenn einmal, während sie nicht spricht, durch eine List ein Wortstreit entstanden ist in Gestalt von Treiben und Wiederantreiben, »soll sie den Kopf nicht bewegen«, wenn sie gefragt wird: »Bist du zornig oder nicht?« um eben den Zorn anzudeuten.

Wenn aber kein Zank vorliegt, und man erfahren will, ob Liebe vorhanden ist, für diesen Fall gibt (der Verfasser) an, wie sie sprechen soll:


»Verlangst du nach mir oder verlangst du nicht nach mir? Gefalle ich dir oder gefalle ich dir nicht?« So befragt bleibe sie lange stehen und, wenn beharrlich gedrängt, bewege sie den Kopf dementsprechend; wird sie aber noch weiter gedrängt, so widerstrebe sie.


»Verlangst du nach mir oder verlangst du nicht nach mir?« – Das ist eine Frage zur Gegenwart. »Gefalle ich dir oder gefalle ich dir nicht?« ist eine Frage für die Zeit vor der Hochzeit. – »Sie bleibe lange stehen«: die Frage ist schwer zu beantworten. Soll sie die erste Hälfte bejahen, so ist das Dreistigkeit und Leichtfertigkeit; wenn die andere Hälfte, Härte. Darum wird sie von dem Liebhaber »beharrlich gedrängt«, um zu hören, was bei der Zweifelfrage wohl gewählt werden mag. Wenn sie nun so beharrlich gedrängt wird, paßt für sie die Bejahung beider Hälften: so sagt (der Verfasser): »Dementsprechend«, d.h. sie bewege ihr Haupt in beiden Fällen, entsprechend der ersten und der zweiten Hälfte. – »Wird sie aber weiter gedrängt«, wird sie von dem Liebhaber, da sie nichts Bestimmtes offenbart hat, noch weiter getrieben, »so widerstrebe sie«: um ihren Zorn auszudrücken, rede sie Verkehrtes: »Du gefällst mir nicht; ich verlange nicht nach dir!«[256]

(Der Verfasser) gibt nun für den Fall, daß sie schon von früher her bekannt ist, die Regeln an für die Ausführung des Sprechens:


Wenn sie vertraut ist, läßt man eine geneigte und für beide Teile vertrauenswürdige Freundin dazwischen treten und eine Geschichte erzählen. Dabei lächele sie mit gesenktem Antlitz. Wenn jene zuviel sagt, schelte und streite sie. Sie aber sage im Scherz selbst Dinge, die jene nicht gesagt hat, mit den Worten: ›Das hat sie gesagt‹. Hierbei stoße sie sie weg, und um Antwort gebeten bleibe sie still sitzen. Wenn sie aber beharrlich gefragt wird, sage sie mit undeutlichen Lauten und unsicherem Sinne: ›So etwas sage ich nicht!‹ – Den Liebhaber blicke sie bisweilen lächelnd von der Seite an. – Das ist die Einleitung der Unterhaltung.


»Eine Freundin«, eine aus der Zahl der Freundinnen, die ihnen »geneigt« ist »und für beide Teile vertrauenswürdig«, mit beiden vertraut, indem sie die Vorgeschichte derselben kennt. Sie läßt man »dazwischen treten«, macht man zur Vermittlerin; und nun beginnt das Erzählen. Man läßt sie »eine Geschichte erzählen«, die dem Liebhaber früher passiert ist: d.h. »Gefalle ich ihr oder nicht?« – »Dabei«: »Seit du bei dem und dem Spiele mit ihr bekannt geworden bist, seitdem gefällst du ihr!« Während die Freundin so berichtet, »lächele sie mit« vor Scham »gesenktem Antlitz«, um anzudeuten, daß es sich wirklich so verhält. – »Wenn sie«, die Freundin, »zuviel sagt«, von übermäßiger Zuneigung berichtet, »schelte« die Liebhaberin »und streite sie«, zanke mit ihr. »Sie aber«, die Freundin, »sage selbst Dinge, die jene – die Liebhaberin – nicht gesagt hat«: ›Wenn du heute noch die Hochzeit feierst, ist es schön!‹ – »Hierbei«, bei dem Berichten von der Zuneigung. »Mit unsicherem Sinne«, wegen der Undeutlichkeit der Laute; um ihre Naivität anzudeuten. – »Den Liebhaber blicke sie lächelnd bisweilen«, von Zeit zu Zeit, infolge ihrer Vertrautheit, »von der Seite an«, indem sie das Gesicht hebt; um das Übermaß ihrer Zuneigung anzudeuten.


Wenn sie so vertraut geworden ist, lege sie ohne ein Wort zu sagen in seine Nähe den erbetenen Betel, Salben und Kranz oder befestige es an seinem Obergewande. Bei dieser Gelegenheit[257] berühre er sie mit dem tönenden Nägelmale oben an den Brustknospen. Wird ihm gewehrt, dann sage er: ›Umarme auch du mich, dann will ich es nicht wieder tun?‹ Unter dieser Bedingung bringe er sie dazu, ihn zu umarmen. Er selbst führe seine Hand bis zur Nabelgegend und wieder zurück. Allmählich setze er sie auf seinen Schoß und gehe weiter und weiter. Wenn sie nicht darauf eingeht, setze er sie in Furcht.


»Wenn sie so vertraut geworden ist«, durch Umarmen, Betel, Küsse und Unterhaltung. – »Ohne ein Wort – ›nimm!‹ – zu sagen«. »Erbeten«, von dem Liebhaber. – »Lege«, stelle hin. – »Bei dieser Gelegenheit«, während sie das hinlegt, oder »es an seinem Obergewande befestigt«. – »Mit dem tönenden Nägelmale«, das früher beschrieben worden ist; »an den Brustknospen«: das Wort »Knospe« ist gewählt, weil übermäßig heftige Berührung unterbleiben soll, wegen ihrer Jugend. – »Wird ihm gewehrt«, dann »bringe er sie dazu, ihn zu umarmen« unter der Bedingung der Berührung. Diese Bedingung nennt der Verfasser: »Umarme auch du mich«. – »Bis zur Nabelgegend«, bis zum Nabel hin, »führe er die Hand und wieder zurück«, um es zu wiederholen und seine Geduld zu zeigen. Der Sinn ist: er führe die Hand immer wieder hin. – »Allmählich«, nicht mit einem Schlage, »setze er sie auf seinen Schoß«. – »Weiter und weiter«, mit Nägel- und Zahnwunden; »wenn sie nicht darauf eingeht«, auf das weitere Vorrücken, »setze er sie in Furcht«.

Wieso? – Das sagt (der Verfasser):


»Ich werde auf deiner Unterlippe Zahnwunden hervorbringen und Nägelmale auf der Wölbung der Brüste; und nachdem ich dasselbe bei mir selbst getan habe, werde ich bei der Schar deiner Freundinnen erzählen, du hättest es getan. Was wirst du dann dazu sagen?« – Mit solchen Einschüchterungen für Kinder, die aber zugleich eine Beruhigung für sie sind, verwirre er sie nach und nach. In der zweiten und dritten Nacht, wo sie etwas mehr vertraut ist, arbeite er mit der Hand.


»Nachdem ich dasselbe bei mir selbst getan habe«. Zahn- und Nägelwunden. – »Was wird die Schar der Freundinnen zu diesem bösen Treiben einer eben erst Verheirateten anderswo sagen?« – Damit schreckt man Kinder. Bei dem Führen[258] solcher Reden ist aber auch die Beruhigung des Kindes schon mit enthalten, daß man nicht so handeln werde. – »Er verwirre sie nach und nach«: mache sie seinen Absichten willfährig. So wird in der ersten Nacht ihr Vertrauen gewonnen; »in der zweiten und dritten Nacht«, wo ein Überschuß dagegen vorhanden ist, »arbeite er mit der Hand«, bewirke er, daß sie an den Achseln, Schenkeln und der Schamgegend die Berührung mit der Hand zu fühlen bekommt.

(Der Verfasser) gibt das Mittel für das Arbeiten mit der Hand an:


Er verschreite zu dem Küssen an allen Gliedern.


»An allen Gliedern«: wenn sie auf die Stirn, die Augen usw. geküßt wird, wird sie verwirrt und geht auf alles ein.

Nun gibt (der Verfasser) die Regeln für das Arbeiten mit der Hand an:


Wenn er die Hand auf die Schenkel gelegt hat und die Handlung des Streichelns vollbracht ist, streichle er der Reihe nach auch die Vereinigungsstelle der Schenkel. Wird das Streicheln verboten, dann verwirre er sie durch die Frage: »Was ist da weiter dabei?« – und fahre ruhig damit fort. Ist das vollendet, so folgt das Befühlen der Schamgegend, das Losbinden des Gürtels, das Lösen des Untergewandes, das Ablegen der Kleider und das Streicheln der Vereinigungsstelle der Schenkel. Das alles geschieht von ihm unter anderen Vorwänden. Hat er den Penis eingeführt, so ergötze er sie; nicht zur Unzeit aber breche er das Gelübde. Er unterrichte sie, zeige die eigne Zuneigung und beschreibe die früheren Wünsche; für die Zukunft lasse er erkennen, daß sein Benehmen in Willfährigkeit gegen sie bestehen werde; die Furcht vor Nebenbuhlerinnen beseitige er; und wenn sie mit der Zeit allmählich den Mädchenstand verlassen hat, nähere er sich ihr, ohne sie zu erschrecken. – Das ist das Gewinnen des Vertrauens des Mädchens.


»Auf die Schenkel«: hierbei gilt folgende Reihenfolge: Zu erst wird der Oberkörper gestreichelt; ist das vollendet, dann streichele er die Schenkel, nachdem er »die Hand auf die Schenkel gelegt hat«; dann »der Reihe nach die Vereinigungsstelle der Schenkel«. Hierbei, bei der Streichelung der Verbindungsstelle der Schenkel »verwirre er sie« durch Küsse und[259] tönende Nägelmale; »und damit«, mit dem vorher angeführten Streicheln, »fahre er ruhig fort«, um Geduld zu zeigen. »Ist das vollendet«, das Streicheln an der Schamleiste, »dann folgt das Befühlen der Schamgegend«. Unter dem Vorwande des Streichelns nehme er »das Losbinden des Gürtels« usw. vor. Die wiederholte Erwähnung des Streichelns an der Schamleiste soll andeuten, daß man davon nicht lassen soll, da man auf die Weise auch die Scham berühren kann. »Das alles« die Beschäftigung mit dem Berühren der Scham usw. »geschieht von ihm – dem Liebhaber – unter anderen Vorwänden«: nach den drei Nächten ist das vorzunehmen, indem man etwas anderes vorgibt; d.h. ohne einen Bruch des Gelübdes zu begehen. – »Hat er den Penis eingeführt«, nach dem Opfer am vierten Tage, »so ergötze er sie«: das Ergötzen besteht in der Hervorrufung der Liebeswonne ohne Erschrecken. – »Er unterrichte sie«, bringe ihr die vierundsechzig Künste bei; »zeige die eigene Zuneigung«, durch Gebärden und Äußeres, »und beschreibe die früheren Wünsche«, die er alle sich ausgedacht hat: ihre Lippen zu trinken usw. »Für die Zukunft«, für die bevorstehende Zeit, »lasse er erkennen, daß sein Benehmen in Willfährigkeit gegen sie bestehen werde«: »Was du sagst, das muß ich tun!« »Die Furcht vor Nebenbuhlerinnen beseitige er«, daß sie durch eine zweite Frau hintangesetzt werden könne. Und wenn sie im Laufe der Zeit »den Mädchenstand verlassen hat«, eine junge Frau geworden ist, »nähere er sich ihr, ohne sie zu erschrecken«. Auch dann gilt dieselbe Reihenfolge, die deutlich innezuhalten ist.

(Der Verfasser) sagt, indem er das Gesagte zusammenfaßt:


Es gibt hier einige Verse:

So willfahrend mache man das Mädchen mit List bereit: auf diese Weise wird es voller Zuneigung und recht vertraut.


»So willfahrend«, nachdem man die Gedanken ihres Herzens erkannt hat. – »Mit List«, durch Kniffe. – »Mache man das Mädchen bereit«, gewinne man ihr Vertrauen. Was geschieht dann? Darauf sagt (der Verfasser): »Auf diese Weise«, nachdem es recht »vertraut« geworden ist, »wird es voller Zuneigung«. So ist zu verbinden.

Hierbei gibt er noch eine besondere Regel:


[260] Nicht durch übermäßiges Anklammern an die natürliche Ordnung, noch durch übermäßiges Handeln gegen die natürliche Ordnung erlangt man das Ziel bei den Mädchen; darum gewinne man sie durch den Mittelweg.


»Das Ziel«, die Liebeswonne. Hier, bei dem Vorgehen nach der »natürlichen Ordnung« wäre das der Weg auch für die Zukunft; und dann gäbe es keinen Erfolg auf diesem Gebiete, da sein freier Wille getötet wird. Handelt man »gegen die natürliche Ordnung«, gegen das Herkommen, wie soll man dann Erfolg auf diesem Gebiete haben, da Abneigung eintritt? »Darum gewinne man sie durch den Mittelweg«, mit List.

Was für einen Erfolg hat das Gewinnen des Vertrauens? Darauf antwortet (der Verfasser):


Wer sich darauf versteht, das Vertrauen der Mädchen zu gewinnen, was ihm selbst Liebe einbringt und bei den Frauen den Stolz mehrt, der wird bei ihnen beliebt werden.


»Mehrt«, indem das das Wesen der höflichen Umwerbung ausmacht. Das Wort »Frauen«, während man von Mädchen sprechen sollte, soll andeuten, daß bei der ersten Vereinigung das ganz allgemein gilt. Den Lohn dieser Erkenntnis gibt (der Verfasser) an, indem er sagt: »Der wird bei ihnen beliebt werden.«


Wer aber ein Mädchen als zu schamhaft verschmäht, der wird gleich einem Vieh verachtet, da er sich auf Gedanken nicht versteht.

Mit Ungestüm aber genossen von einem, der das Mädchenherz nicht zu nehmen weiß, bekommt sie Furcht, Zittern, Verwirrung und Haß zugleich.

Wenn sie nicht zum Genusse der Liebe gekommen oder durch ihn mit Verwirrung besudelt ist, wird sie entweder zur Männerfeindin, oder sie geht, feindlich gesinnt, einem andern als diesem nach.


»Als zu schamhaft«: aus diesem Grunde ist kein Mädchen zu verschmähen! – Dies ist eine weitere Ausführung jener Stelle: »Wenn das Mädchen drei Nächte lang den Liebhaber dastehen sieht, ohne daß er ein Wort äußert, dürfte es seiner überdrüssig werden und ihn verachten.« – »Genossen«, beschlafen. – »Furcht«, so daß sie ihm nicht einmal vor die Augen zu treten wagt; »Zittern«, Beben des Leibes, wenn sie[261] an ihn denkt; »Verwirrung« Abwendung vom Essen usw. – »Wenn sie nicht zum Genusse der Liebe gekommen ist«, da sie als allzu schamhaft verschmäht wird. – »Mit Verwirrung besudelt«, da sie ungestüm genossen worden ist. – »Männerfeindin«: sie haßt alle Männer und ist ihnen feindselig gesinnt, da sie meint, daß jeder so ist; weil sie die (wahre) Liebe nicht genossen hat. Daher verläßt sie diesen und geht zu einem anderen Manne.

Quelle:
Das Kāmasūtram des Vātsyāyana. Berlin 71922, S. 251-262.
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