§ 51. Das Gewinnen der Besucher.

[398] Nachdem der (Verfasser) die Freunde geschildert hat, beschreibt er das Gewinnen der Besucher, wie die Hetäre sie sich geneigt machen soll:


Selbst wenn sie von dem Besucher eingeladen wird, soll sie nicht sogleich darauf eingehen, da die Männer eine leicht zu erringende Frau verachten. Um seine Neigung zu ergründen, schicke sie Diener usw., Masseure, Sänger und Spaßmacher zu dem Besucher oder solche Leute, die ihm anhängen; wenn es daran fehlt, den Pīthamarda usw. Durch diese ergründe sie die Lauterkeit oder Unlauterkeit, Neigung oder Abneigung, Anhänglichkeit oder Nichtanhänglichkeit, Freigebigkeit oder Knauserigkeit des Liebhabers. Wenn sie sich über ihn klar geworden ist, schließe sie mit ihm den Liebesbund unter Vermittlung des Viṭa.


Wenn sie von dem auf eigne Faust werbenden Liebhaber aufgefordert wird, gehe sie »nicht sogleich« darauf ein, »da die Männer eine leicht zu erringende Frau verachten«; d.h., sie gehe erst, nachdem sie wiederholt aufgefordert worden ist. »Um seine Neigung zu ergründen.« – »Spaßmacher«, Vidūsa ka. – »Die ihm anhängen«, dem Besucher eifrig Dienste leisten. – »Sie schicke«, beauftrage. – Der Ausdruck, »Pīṭhamarda usw.« bedeutet, (daß sie) ihre Freunde: Viṭa, Kranzwinder, Händler mit Wohlgerüchen, Schankwirte usw. (schicken soll). – »Neigung«, Absichten. Wenn dieselben auch vielfacher Art sind, so handelt es sich doch hauptsächlich darum, zu erfahren, wie er im Punkte der »Lauterkeit« usw. denkt. »Des Liebhabers«, der hier als »Besucher« bezeichnet ist. – Die Äußerungen eines sittlich reinen Benehmens nennt man den Zustand der »Lauterkeit«, das Gegenteil »Unlauterkeit«: ›Denn irgend jemand kann mir ja selbst ein Leid zufügen oder[398] zufügen lassen oder auch beides nicht‹. »Neigung«, das Verlangen nach geschlechtlicher Vermischung; das Gegenteil davon ist »Abneigung«. »Anhänglichkeit«, deren Merkmale weiter unten (p. 411) angegeben werden; das Gegenteil davon ist »Nichtanhänglichkeit«. – »Freigebigkeit«, die Weise des Spenders; das Gegenteil davon ist die »Knauserigkeit«. – »Wenn sie sich über ihn klar geworden ist«, sein Wesen erkannt hat. – »Unter Vermittlung des Vita«: dieser hat nämlich ehemals das Leben eines Elegants geführt. Indem sie diesen vorher hinschickt, »schließe sie den Liebesbund«.

(Der Verfasser) gibt nun die Regeln an, nachdem sie sich mit dem Liebhaber vereinigt hat:


Unter dem Vorwande der Wachtel-, Hahnen- oder Widderkämpfe, des Sprechenlassens von Papageien und Predigerkrähen, des Schauspielbesuches oder der Künste führe der Pīṭhamarda den Liebhaber in deren Behausung oder sie in die seinige. Wenn er angekommen ist, gebe sie ihm als Liebesgabe irgend einen Gegenstand, der Liebe und Neugier erweckt, mit den Worten: »Dies sollst du selbst ganz speziell bekommen!« Woran er Gefallen findet, da ergötze sie ihn mit solcher Unterhaltung und Ehrenbezeugungen.


»Kämpfe von Wachteln« usw. – »Sprechenlassen von Papageien« usw. – »Schauspielbesuch«, das Ansehen von Dramen usw. – »Künste«, Gesang usw. – »Behausung«, Wohnung. – »Oder sie«, die Liebhaberin, »in die seinige« Behausung. – Was »Liebe erweckt«, da es ihm zuträglich ist, »und Neugier«, indem er es vorher noch nicht gesehen hat. – »Gegenstand«, eine Sache. – »Du selbst«, kein andrer, um die Zuneigung auszudrücken: indem sie sagt: ›Du ganz speziell‹ bist würdig, das zu »bekommen«, kein andrer. – »Als Liebesgabe«, was durch eine andere wieder gut gemacht wird. – »Woran«, an der Unterhaltung über Gedichte oder in den Künsten. – »Ehrenbezeugungen«, Kränze, Betel usw.

Nun gibt (der Verfasser) die Regel an für das genaue weitere Verhalten ihrerseits:


Wenn er gegangen ist, sende sie alsbald eine lächelnd redende Dienerin mit einem Geschenke; oder sie selbst gehe, begleitet von dem Pīthamarda, unter Vorschützung irgend eines Grundes, dorthin. – Das ist das Gewinnen der Besucher.
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»Lächelnd«: die viel unter Scherzen redet. Eine solche mehrt nämlich die Liebe. – »Mit einem Geschenke«, mit einer Spende zum Andenken, »sende sie«. Auch hier »alsbald«, sofort, damit der Liebhaber nicht vorher eintritt. – »Begleitet von dem Pīthamarda«: dieser ist nämlich ihr Minister und Anbahner der geschlechtlichen Vereinigung. – »Sie gehe unter Vorschützung irgend eines Grundes«: eine Dreistigkeit bei dem Besuche ist nämlich zu vermeiden.

Gesagtes und Nichtgesagtes gibt (der Verfasser) nun in Versen:


Hier gibt es einige Verse:

Betel, Kränze und wohlzubereitete Salben gebe sie dem Ankommenden aus Liebe und führe Unterhaltungen auch über die Künste.

Sie schenke ihm bei vorhandener Neigung Gegenstände und tausche damit; sie offenbare an sich selbst den Wunsch nach der geschlechtlichen Vermischung.

Durch Liebesgaben, Vorschläge und reine Ehrenbezeugungen ergötze sie darauf den Besucher, wenn sie mit ihm erst vertraut ist.


»Wohlzubereitet« ist überall hinzuzufügen. – »Unterhaltungen auch über die Künste«: das Wort ›auch‹ bedeutet: auch Unterhaltungen über Dichtkunst. – »Gegenstände«, die Liebe und Neugier erwecken. – »Tausche damit«, Obergewänder und Ringe. Auch hier nur »bei vorhandener Neigung«: ein Schenken und Tauschen seitens einer Frau, die noch keine Neigung spürt, gilt für Betrug. – »Wunsch«, Verlangen. – »Sie offenbare«, lege klar. – Wenn aber jemand sich wieder entfernt, nachdem er kaum eingetreten ist, wie soll sie dem gegenüber die gehörige Geschicklichkeit zeigen, die sie offenbaren muß? Darauf antwortet er: »Durch Liebesgaben«, die man aus Liebe spendet. – »Vorschläge«, durch den Pīṭhamarda usw. vorgebracht mit den Worten: ›Warum schlaft ihr hier nicht?‹ – »Rein«, lauter, die auf die geschlechtliche Vereinigung hindeuten. – »Wenn sie mit ihm erst vertraut ist«, sich mit ihm vermischt hat. – »Darauf«: das ist der Gegenstand des nächsten Paragraphen.

Quelle:
Das Kāmasūtram des Vātsyāyana. Berlin 71922, S. 398-400.
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