§ 62. Wiedererweckung der erstorbenen Leidenschaft.

[475] Wer eine Frau von feurigem Temperamente nicht befriedigen kann, gebrauche künstliche Mittel. Zu Beginn des Koitus reibe man die Vulva mit der Hand und übe den Beischlaf erst dann aus, wenn die Frau bereits Wollustempfindungen hat. Das ist das Wiedererwecken der Leidenschaft. Der Koitus mit dem Munde dient als Wiedererweckung der Leidenschaft bei einem Manne von mattem Temperamente; bei einem, dessen Jugend dahin ist; bei einem, der fett und bei einem, der erschöpft ist. Oder man wende künstliche Vorrichtungen an. Diese sind aus Golds, Silber, Kupfer, Eisen, Elfenbein, Büffelhorn, Zinn und Blei; weich, kühlend, die Potenz stärkend und zweckentsprechend. Das sind die künstlichen Vorrichtungen nach Bābhravya. Vātsyāyana lehrt, sie seien aus Holz und dem Wesen des einzelnen entsprechend. Mit einer Öffnung vom Umfange des Penis und am Rande rauh durch viele kleine Knötchen: das nennt man ...1. Zwei solche bilden den »Umhang«. Sind es deren drei und mehr bis zur vollen Länge, so ergibt sich das »Armband« (cūḍaka). Dem Umfange entsprechend wickle man eine kleine Schnur2 herum: das ist »das kleine Armband«. Eine an der Hüfte befestigte, der Größe entsprechende, nach beiden Seiten offne Vorrichtung mit festen[475] und rauhen gesprenkelten Kügelchen ist der Panzer (kañcuka) oder das Netz (jālaka). Wo derlei fehlt, ein Flaschengurkenstengel und Bambusrohr, mit Öl und Salben gut bestrichen, ebenso die vom Unterschenkel eines Schweines abgezogene Haut (?)3 oder ein glatter Holzkranz, festgeknüpft und mit vielen Myrobalanenkernen versehen. Das sind die durchbohrten künstlichen Vorrichtungen. Einer aber, dessen Penis nicht durchbohrt ist, kann nicht in Tätigkeit treten: so wird bei den Bewohnern des Dekhan bei den Kindern das Glied wie ein Ohr durchbohrt. Ist der Betreffende zum Jüngling herangewachsen, so läßt er es mit einem Messer einschneiden und bleibt so lange im Wasser stehen, als Blut kommt; um der Frischhaltung (des Wundkanals) willen4 findet dann in der betreffenden Nacht der Koitus ohne auszusetzen statt. Darauf reinige man den Penis einen Tag später mit Essenzen. Der allmählich wachsende wird mit Blattrippen von Calamus Rotang und Wrightia antidysenterica als Stärkungsmitteln umwunden. Man reinige ihn mit Süßholz, vermischt mit Honig. Darauf vergrößere man ihn durch eine bleierne Wulst; und bestreiche ihn mit dem Öl der Nuß von Semecarpus Anacardium. Das sind die künstlichen Mittel des Durchbohrens. – Dort bringe man die verschiedenartig gestalteten künstlichen Vorrichtungen an: das »Runde«, das »an einer Stelle Runde«, das »Mörserchen«, das »Blümchen«, das »Dornige«, den »Reiherknochen«, den »Elefantenhauer«, die »acht Kugeln«, die »Haarlocke« (?), den »Kreuzweg« oder auch noch andere, wie Theorie und Praxis es lehren. Sie müssen viel aushalten können und je nach der Gepflogenheit weich oder rauh sein. – Das ist die Wiedererweckung der erstorbenen Leidenschaft.

Fußnoten

1 Der Name valaya, den die englische Übersetzung bietet, fehlt sonst doch spricht Yaśodhara gleich darauf von den valaye dve.


2 latākārā sīsakādimayī.


3 Y. liest: śūkarajaṅghābaddha iti śūkarajaṅghātaḥ pramāṇavaśena nirmokavad ākṛṣṭaṃ carma.


4 chidrasyāsamkocārtham.

Quelle:
Das Kāmasūtram des Vātsyāyana. Berlin 71922, S. 475-476.
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