§ 64. Besondere Praktiken.

[477] Die Frau, die man mit Pulver von Euphorbia antiquorum-Dornen, vermischt mit Boerhavia procumbens, Affenkot und der Wurzel von Jussieua repens bestreut1, liebt keinen anderen. Wer eine Frau besucht, deren Vulva mit Pulver von Ruta graveolens, Vernonia anthelminthica, Eclipta prostrata, Eisenrost und Ameisen und dem verdickten ausgeschwitzten Safte der Früchte von Cathartocarpus fistula und Eugenia Jambolana bestrichen ist; dessen Leidenschaft schwindet. – Wer eine Frau besucht, die sich in Pulver von Mistkäfern, Salvinia cucullata und Ameisen, verbunden mit verdünnter Büffelbuttermilch, gebadet hat, dessen Leidenschaft schwindet. – Eine Salbe und Kränze aus den Blüten von Nauclea Cadamba, Spondias mangifera und Eugenia Jambolana bewirken Unbeliebtheit. – Eine Salbe aus den Früchten von Asteracantha longifolia zieht die[477] Vulva einer »Elefantenkuh« für eine Nacht zusammen. – Pulver aus den Wurzelknollen des Nelumbium speciosum und des blauen Lotus sowie aus Terminalia tomentosa und sugandha2 mit Honig zu einer Salbe verrieben, weitet die Vulva einer »Gazelle« – Myrobalanenfrüchte, versehen mit dem Milchsafte von Euphorbia antiquorum, Soma und Calotropis gigantea und den Früchten von Vernonia anthelminthica bewirken Weißwerden des Haares. – Ein Bad mit den Wurzeln vom arabischen Jasmin, Wrightia antidysenterica, Kavañjanikā, Clitoria Ternatea und Ślaksnaparṇī bewirkt, daß die Haare wieder wachsen. Wenn man sie mit einer Salbe bestreicht, die man durch sorgfältiges Kochen derselben Sachen erhält, so werden sie schwarz und wachsen allmählich nach. – Die Lippe, die mit Lack gefärbt wird, den man siebenmal mit dem Hodenschweiße eines weißen Hengstes vermischt hat, wird weiß. Arabischer Jasmin usw. bringen sie in den früheren Zustand zurück. – Diejenige Frau, welche einen Mann auf einer Rohrpfeife blasen hört, die bestrichen ist mit Salvinia cucullata, Costus speciosus, Tabernaemontana montana, Flacourtia cataphracta, Pinus deodora und Asteracantha longifolia, wird ihm untertan. – Speise mit Früchten von Datura vermischt macht wahnsinnig. Melasse dient, wenn sie verdaut ist, als Gegenmittel hierfür. – Welchen Gegenstand auch immer eine Hand berührt, die mit dem Kote eines Pfauen bestrichen ist, der von gelbem oder rotem Arsenik gefressen hat: der ist unsichtbar. – Wasser, vermischt mit Öl und Asche von Kohlen und Gras, bekommt die Farbe von Milch. – Eiserne Gefäße, bestrichen mit Śravaṇa und Panicum italicum, verrieben unter Terminalia Chebula und Spondias mangifera, werden zu kupfernen. – Wenn man eine Lampe ansteckt mit dem Öle von Śravaṇa und Panicum italicum und einem Dochte aus Seide und Schlangenhaut, erscheinen zur Seite länglich zugeschnittene Hölzer als Schlangen. – Wenn man die Milch einer weißen Kuh trinkt, die ein weißes Kalb hat, findet man Ruhm und ein langes Leben. – Heil den trefflichen Brahmanen![478]

Unter Zusammentragung der älteren Lehrbücher und unter Aneignung ihrer Vorschriften ist dieses Kāmasūtram hier in gedrängter Darstellung mit Fleiß niedergeschrieben worden.

Wer dessen Inhalt kennt, versteht Dharma, Artha und Kāma, hegt Zuversicht, kennt die Welt und handelt nicht in der (blinden) Leidenschaft.

Die absonderlichen Mittel, die Leidenschaft wachsen zu machen, wie sie gemäß den einzelnen Abschnitten behandelt worden sind, die werden hier unmittelbar darauf ausdrücklich verboten.

Nach dem Worte, daß die Theorie nichts gilt, wird (nur) die Praxis anerkannt, man wisse, daß der Inhalt der Theorie sich überallhin erstreckt, die Praxis aber nur auf einzelne Teile.

Ich, Vātsyāyana, habe den Inhalt des Lehrbuches des Bābhravya aufgenommen und nach gehöriger Prüfung der Überlieferung dieses Kāmasūtram entsprechend verfaßt.

In höchster Enthaltsamkeit und Andacht ist es geschaffen worden für das Treiben der Welt; seine Einrichtung hat nicht die (blinde) Leidenschaft zum Ziele.

Wer den Sinn dieses Lehrbuches kennt, der zähmt seine Leidenschaft, indem er dem Dharma, Artha und Kāma ihre Bestimmung wahrt, die sie in der Welt einnehmen.

Der Wissende also, der sich darauf versteht und auf Dharma und Artha achtet, erreicht sein Ziel, wenn er in der Verliebtheit handelt, ohne von (blinder) Leidenschaft erfüllt zu sein.

Fußnoten

1 Auf dem Kopfe.


2 Andropogon schoenanthus?

Quelle:
Das Kāmasūtram des Vātsyāyana. Berlin 71922, S. 477-479.
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