§ 22. Anhänger, Zeitgenossen und Gegner Humes.

  • [120] Literatur: A. Oncken, Adam Smith und I. Kant. Lpz. 1877. Hasbach, Die allgemeinen philosophischen Grundlagen der von Quesnay und Smith begründeten politischen Ökonomie. Lpz. 1890. Schönlank, Hartley und Priestley, die Begründer des Assoziationismus in England. Diss. 1882.

1. Adam Smith.

Humes Werk wurde auf ethischem und national-ökonomischem Gebiete fortgesetzt durch seinen jüngeren Freund und Landsmann Adam Smith (1723-1790). Dieser, Sohn eines Zollbeamten, bekleidete seit 1751 eine[120] Professur der Moralphilosophie in Glasgow, wo er über natürliche Theologie, Naturrecht, Ethik und Nationalökonomie las. Nachdem er 1759 seine Theorie der moralischen Gefühle veröffentlicht hatte, gab er seine Stelle auf und reiste nach Frankreich, wo er die Bekanntschaft der Nationalökonomen Quesnay, Turgot und Necker (§ 27) machte. Nach Schottland zurückgekehrt, arbeitete er in der Stille seines Heimatsdorfes, bei seiner Mutter lebend, das berühmte Werk aus, von dem man den Anfang der wissenschaftlichen Nationalökonomie zu datieren pflegt: Untersuchung über die Natur und die Ursachen des Reichtums der Völker (1776). Später bekam er eine Stellung am Zollamt zu Edinburg, wo er 1790 starb: eine stille, weiche und bildsame Natur.

a) Seine Ethik vertieft diejenige Humes. Das moralische Gefühl entsteht nur in Gesellschaft anderer, durch unwillkürliche Sympathie: die Rücksicht auf den Nutzen tritt erst später ergänzend hinzu. Jeder Mensch trägt einen unparteiischen inneren Zuschauer seiner Handlungen in seiner Brust. Das moralische Urteil bildet sich zwar erst allmählich aus, aber es ist unwillkürlich; erst bei seinen Verallgemeinerungen wirkt die Vernunft mit. Den Humeschen Sympathiegedanken baut Smith mit guter psychologischer Beobachtung bis ins kleinste aus. Die erste Stufe des Sympathisierens ist rein psychologischer Natur; dann entspringen Werturteile; aus ihnen das Gebot: Betrachte dein Fühlen und Tun in dem Lichte, in dem es der »unparteiische Zuschauer« tut. So bilden sich bestimmte Grundsätze und Lebensregeln, das Pflichtgefühl, endlich die Erkenntnis jener Regeln als göttlicher Gebote. Zu der Achtung muß Neigung (natürliches Gefühl) hinzukommen. Das Gerechtigkeitsgefühl beruht auf dem Grundtrieb der gesellschaftlichen Ausgleichung. Das leitet uns über zu seinem

b) ökonomischen Denken, das ihn berühmter als seine Moralphilosophie gemacht hat, übrigens in einem gewissen Gegensatz zu dieser steht. Ausgangspunkt ist nämlich hier der natürliche Erwerbstrieb des einzelnen, der sich frei und unbeschränkt regen muß. Quellen des Reichtums sind Arbeit und Sparsamkeit. Der Staat soll weder mit Geboten noch mit Verboten in diese Erwerbssphäre eingreifen; Angebot und Nachfrage werden, wie sie es von jeher getan, alles schon aufs beste regulieren, die angemessene Arbeitsteilung bewirken usw. Der Staat soll nur den Frieden erhalten, vor äußerer Gewalt[121] schützen, höchstens rein gemeinnützige Anstalten ins Leben rufen. Die Volkswirtschaft ist für Smith nur die Summe der Privatwirtschaften. Was die Gewinnverteilung betrifft, so tritt neben den Anteil des Arbeiters derjenige des die Rohstoffe liefernden Grundeigentümers und des die Betriebsmittel liefernden Kapitalisten.

Dies aus den Bedürfnissen der englischen Wirtschaftsverhältnisse hervorgewachsene Prinzip des Laissez-faire ist heute in seiner Einseitigkeit erkannt, bedeutete jedoch für die damalige Zeit einen wichtigen Fortschritt; ja sein Urheber hielt dessen Verwirklichung im damaligen England noch für unmöglich. Das (etwas breite) Buch von Smith hat auf die ältere, sogenannte »klassische« Nationalökonomie (Ricardo, Malthus u. a.) einen bedeutsamen Einfluß geübt. Auch von Kant und seinem Königsberger Kollegen Kraus ist Smith sehr hochgeschätzt worden.


2. Die Assoziationspsychologie (Hartley und Priestley).

a) David Hartley (1705-57), anfangs Theologe, dann Arzt geworden, führt in seinen Beobachtungen über den Menschen, seinen Bau, seine Pflicht und seine Aussichten (1749) alle seelischen Erscheinungen auf die »Assoziation« einfachster Geschehnisse und Vorstellungen zurück. So können aus den einfachsten die zusammengesetztesten, aus anfangs automatischen bewußte, aus ursprünglich sinnlichen und egoistischen ideale, zuletzt religiöse Vorstellungen werden und umgekehrt. Es gilt Locke mit Newton zu verbinden, eine »Physik der Seele« zu begründen. Der geistigen Verbindung der Vorstellungen entspricht die physiologische der Gehirnschwingungen; doch behauptet Hartley vorsichtigerweise nur einen Parallelismus beider an sich unvergleichbarer Reihen. Folgerechter als er verfuhr sein Schüler

b) Joseph Priestley (1733-1804), der Entdecker des Sauerstoffes und – Prediger einer Dissentergemeinde, der mit frommer Gesinnung freie politische Anschauungen (Begeisterung für die Französische Revolution) und einen ausgesprochenen naturwissenschaftlichen Materialismus verband. Das Wesen der Materie liegt in der anziehenden oder abstoßenden Kraft der Atome. Der nämlichen Substanz können – so entwickelte er in seinen Untersuchungen über Materie und Geist (1777) – sowohl physische als psychische Kräfte zukommen. Statt psychologischer Zergliederungen soll man Physik des Nervensystems[122] treiben. Auf theologischem Gebiete dagegen lehrt er Auferstehung und Unsterblichkeit und bekämpft zwar im Namen der natürlichen Religion alle »Verfälschungen des Christentums«, aber auch den Skeptizismus Humes und den Atheismus der französischen Materialisten. Wegen seines Freisinns von der Hochkirche verfolgt, verließ er England und starb in Philadelphia.

c) Während in Deutschland mehr die rationalistische Theologie Hartleys und Priestleys wirkte, wurde in England ihre Assoziationspsychologie aufgenommen und weiter gebildet von Charles Darwins Großvater und Vorläufer Erasmus Darwin (1731-1802), dessen Zoonomie oder die Gesetze des organischen Lebens (1794-96) die Entstehung der Instinkte durch Erfahrung und Assoziation, unter dem Einflusse des Selbsterhaltungstriebes und der Anpassung an die Verhältnisse, ja schon die Vererbung erworbener Eigenschaften lehrt und so die Assoziationspsychologie zu einer allgemein-biologischen Entwicklungstheorie erweitert. So versetzt uns die Philosophie dieser Männer, die großen Einfluß auf die englischen Philosophen des 19. Jahrhunderts (z.B. die beiden Mill) geübt haben, schon mitten in die naturphilosophischen Probleme der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.


3. Die Philosophie des gemeinen Menschenverstandes (schottische Schule).

Eine ganz andere Stellung zu Hume nehmen diejenigen seiner Landsleute ein, die man unter dem Namen der »Schottischen Schule« zusammenfaßt, welche sich schon in den ihr verwandten Ästhetikern Home und Burke (S. 103 f.) ankündigte, aber erst mit Thomas Reid (1710-1796) in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts an den Universitäten Schottlands zur Herrschaft gelangte. In seiner Hauptschrift Untersuchung über den menschlichen Geist nach den Prinzipien des Common sense (1764) erzählt Reid selbst, wie er anfangs Locke und Berkeley angehangen habe, bis ihm Humes Traktat die gefährlichen Konsequenzen dieser Philosophie gezeigt habe, nämlich: Umsturz aller Wissenschaft, Tugend, Religion und des gesunden oder gemeinen Menschenverstandes (common sense). Diesen letzteren, der, älter als alle Philosophie, uns unmittelbar von Gott verliehen ist, und seine »von selbst« einleuchtenden Wahrheiten will Reid wiederherstellen. Er gibt zwölf solcher ursprünglichen[123] Urteile an, die intuitive Gewißheit besitzen. Die mathematischen und logischen Axiome gehören ebenso dazu wie der Kausal-»Instinkt« und das Dasein der Seele. Die Außendinge, die wir sehen, sind uns als wirklich durch unsere Empfindungen verbürgt, welche letzteren die Natur »mittels einer Art natürlicher Magie« in uns hervorruft. Auf dem praktischen Gebiete endlich äußert er sich als »moralischer Sinn«.

Von den weiteren Vertretern der schottischen Schule wandte Beattie (1735-1803) das Prinzip des common sense namentlich auf das ästhetische Gebiet an, während der Theologe Oswald († 1793) mit Hilfe desselben die religiösen Wahrheiten gegen den Skeptizismus zu verteidigen suchte. Bedeutender als beide ist Dugald Stewart (1733-1828), der die Lehre des Meisters ausbaute, aber in manchen Punkten auch modifizierte. Das gleiche widerfuhr der seinigen von seinem Schüler Thomas Brown (1778-1820), der sich wieder Hume und der Assoziationspsychologie näherte.

Die schottische Schule bezeichnet eine Ermattung des philosophischen Denkens. Denn bezüglich des gesunden Menschenverstandes hat der scharfsinnigste Philosoph vor dem gemeinen Manne nichts voraus. Trotzdem hat sie auf die Mit- und Folgezeit nicht unbedeutend eingewirkt, so in Deutschland auf Jacobi und die Popularphilosophen, in Frankreich auf den Spiritualismus der Jouffroy und Cousin, in England u. a. auf Hamilton, der Reids und Stewarts Werke neu herausgegeben hat.

Damit sind wir indes bereits über die Schwelle des 19. Jahrhunderts getreten. Weit bedeutender waren die Wirkungen, welche die leitenden Gedanken der englischen Aufklärungsphilosophie auf das Frankreich des 18. Jahrhunderts hervorriefen.

Quelle:
Karl Vorländer: Geschichte der Philosophie. Band 2, Leipzig 51919, S. 120-124.
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