§ 53. Leben, Charakter und schriftstellerische Entwicklung.

  • [304] Literatur: Vgl. die heute noch wertvollen Biographien von K. Rosenkranz (Anhänger Hegels), Berlin 1844, und R. Haym, Hegel und seine Zeit (kritisch) Berlin 1857, von denen letztere auch zu den besten zusammenfassenden Darstellungen seiner Lehre zählt, außerdem den VIII. Band (Hegel) von Kuno Fischer, Gesch. d. n. Philosophie, Heidelberg 1902 (3. Aufl. 1911 f., mit Anhang von H. Falkenheim und G. Lasson, über 1300 Seiten!); ferner Lassons Einleitungen zu seinen Ausgaben Hegelscher Werke (s. u.). Zur ersten Einführung kann auch die kurze Schrift von K. Köstlin, Hegel in philos., polit. und nationaler Beziehung (Tübingen 1870), empfohlen werden. Gute Gesichtspunkte auch in der kleinen Schrift von E. Hammacher, Die Bedeutung der Philosophie Hegels für die Gegenwart. Lpz. 1911. Reiche Literaturangaben gibt das interessante Buch des Italieners B. Croce, Lebendiges und Totes in Hegels Philosophie (deutsch 1909). Über seine Entwicklung bis 1800 vgl. W. Dilthey, Die Jugendgeschichte Hegels, 1905. Eine völlig ausreichende Darstellung des ganzen Systems ist bisher noch nicht erschienen.
    Zu einer vollständigen Ausgabe seiner Werke, einschließlich der Vorlesungsmanuskripte, vereinigte sich ein »Verein von Freunden des Verewigten« (Gans, Hotho, Michelet, Rosenkranz u. a). Dieselbe erschien in 18 Bänden 1832 – 1845; dazu ist 1887 der von seinem Sohne Karl Hegel veröffentlichte Briefwechsel als Band XIX gekommen. Eine neue Gesamtausgabe in der Philos. Bibl. durch G. Lasson (mit Einleitungen des Herausgebers) ist im Werke.
    [304] Bisher erschienen: die Enzyklopädie (2. Aufl. 1905), die Phänomenologie des Geistes (Lpz. 1907), die Grundlinien der Philosophie des Rechts (1911), Schriften zur Politik und Rechtsphilosophie (1913), Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte, I. Bd. 1917. – In anderen Verlagen ferner die Religionsphilosophie (in gekürzter Form, mit Einführung, Anmerkungen und Erläuterungen) von Arthur Drews, Jena 1905, und die Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte (bei Reclam, 1907). Auch der holländische Hegelianer Bolland hat die wichtigsten Schriften: die »kleine« Logik, die Religions-, die Rechtsphilosophie, die Enzyklopädie (1906), die Phänomenologie (1907) und die Vorlesungen über Geschichte der Philosophie (1908), mit Kommentaren neu (Leyden, 1901 ff.) herausgegeben. Auf der Kgl. Bibliothek zu Berlin finden sich noch zahlreiche Manuskripte aus den verschiedensten Perioden des Philosophen, von denen bisher seine Theologischen Jugendschriften durch Hermann Nohl (Tübingen 1907), ein ›System der Sittlichkeit‹ aus dem Jahre 1800 von G. Lassen in der Philos. Bibliothek und ›Hegels erstes System‹ durch H. Ehrenberg und H. Link (Heidelberg 1915) veröffentlicht worden sind. Seit 1911 gibt Lasson ein ›Hegel-Archiv‹ herauf, das in zwangloser Folge Hefte mit Beiträgen zur Hegelforschung (u. a. auch ungedruckte Briefe und sonstige Nachlaßstücke) erscheinen läßt.

1. Von Tübingen nach Jena. Geboren in Stuttgart am 27. August 1770 als Sohn eines württembergischen Rechnungsbeamten, behielt Georg Wilhelm Friedrich Hegel sein Leben lang die Gemütstiefe, aber auch die Schwerfälligkeit und Bedächtigkeit des schwäbischen Naturells. Daneben war ihm eine gewisse Trockenheit und Altklugheit eigen; schon auf der Universität hieß er der »alte Mann«, auch später blieb er körperlich ungewandt und ein schlechter Redner. Von dem Studium der Theologie (im Tübinger Stift), dem sich der 18 jährige Jüngling, wie Fichte und Schelling, anfangs zugewandt, entfernte ihn innerlich bald die Begeisterung für das Griechentum und den Pantheismus, die er mit seinen Freunden Schelling und Hölderlin teilte. Von Kants Werken zog ihn besonders dessen Kritik der Urteilskraft an; auch Schillers ästhetische Briefe wirkten auf ihn ein. Nach bestandener theologischer Prüfung war er – gleich Kant, Fichte, Schelling und Herbart – längere Zeit Hauslehrer (1794 – 97 in Bern, 1797 – 1800 in Frankfurt). 1795 schrieb er ein erst neuerdings (s. o.) veröffentlichtes Leben Jesu, von ziemlich freigeistigem, stark durch Kants Religion innerhalb etc. beeinflußtem Standpunkt. Sein gleichzeitiges politisches Interesse bezeugt seine Kritik der »neuesten inneren Verhältnisse Wirtembergs« (1798), sowie eine solche der deutschen Reichsverfassung (1801, beide erst aus seinem Nachlaß veröffentlicht). Gegen Ende 1800 faßt er den[305] Entschluß, selbst in die philosophische Bewegung Deutschlands einzugreifen und beginnt die Ausarbeitung eines selbständigen Systems, in dem Schon die Keime seiner späteren Philosophie, wenngleich unausgebildet und in spröder, schwer verständlicher Hülle, vorhanden sind, mit dem Kernsatz: Das Absolute ist Geist, und es ist dialektischer Art, d.h. in beständiger Entwicklung begriffen.59 Januar 1801 läßt er sich als Privatdozent in der damaligen Metropole der Philosophie Jena nieder, wo bald darauf (1803) von etwas über 50 Dozenten nicht weniger als 14 Philosophen, darunter die Hälfte Privatdozenten waren. Dort schließt er sich anfangs an seinen Universitätsfreund und Landsmann Schelling in ähnlicher Weise an, wie dieser an Fichte, Fichte an Kant sich angelehnt hatte. Seine Dissertation De orbitis planetarum (1801), deren spekulative Aufstellungen zufälligerweise in demselben Jahre durch die Entdeckung des ersten Planetoiden widerlegt wurden, und seine Schrift Differenz des Fichteschen und Schellingschen Systems sind Verteidigungen von Schellings Identitätssystem: obwohl Hegel, monistischer als dieser, bereits den Geist (Fichtes »Ich«) zum Absoluten macht. Gemeinsam mit dem jüngeren Landsmann gibt er dann das Kritische Journal (§ 50) heraus. In Schellings Geist schreibt er auch Über das Wesen der philosophischen Kritik gegen die Subjektivität der Halbphilosophen, den »gemeinen Verstand« Krugs (§ 44a, 1), den Skeptizismus Schulzes (§ 45, 1), die »Reflexionsphilosophie« Kants, Jacobis und Fichtes, ferner Über die wissenschaftliche Behandlung des Naturrechts gegen Hobbes, Kant und Fichte. In diese Zeit (1802 – 03) fällt wahrscheinlich auch die Abfassung eines Entwurfs zum System der Sittlichkeit für seine Vorlesungen, das nicht vom einzelnen, sondern vom Volke als sittlichem Organismus ausgeht und u. a. die sittliche Heilkraft des Krieges im Gegensatz zu Kants ›Ewigem Frieden‹ preist.

2. Von Jena bis Berlin. Aber die kecken Einfälle und blendenden Allgemeinheiten der Schellingschen Philosophie konnten Hegels nach strenger, nüchterner Systembildung strebendem Geiste nicht zusagen. Als zudem Schelling 1803 Jena den Rücken kehrte und er fortan auf sich selbst angewiesen war, arbeitete er sein erstes selbständiges großes[306] Werk aus, die als Einleitung in sein System gedachte Phänomenologie des Geistes (1807), die in der Nacht vor der Schlacht bei Jena vollendet wurde. Die Ereignisse dieser Tage, die ihn im übrigen innerlich wenig berührten – in Napoleon hatte er den »Weltgeist zu Pferde« bewundert – trieben ihn von dort, wo er 1805 außerordentlicher Professor mit einem armseligen Gehalt geworden war, Frühjahr 1807 nach dem damals geistig aufblühenden Bayern, wo er zunächst eine Zeitlang die Bamberger Zeitung redigierte, dann aber durch seinen Freund Niethammer, Leiter des bayrischen höheren Schulwesens, die ihm sympathischere Stellung eines Rektors des Nürnberger Gymnasiums erhielt. In dieser Zeit (1808 – 16) bildete er sein System weiter aus; sein zweites Hauptwerk Wissenschaft der Logik erschien in 3 Bänden 1812 – 16. Der Unterricht in den höheren Gymnasialklassen kam seinem Stile zugute; derselbe wurde klarer und ebener, freilich auch schulmäßiger, ja scholastischer. 1816 gelang es ihm, in seine eigentliche Berufssphäre zurückzukommen, indem er als Professor der Philosophie nach Heidelberg berufen wurde. Hier erschien die erste und einzige Gesamtdarstellung seines Systems, die Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse (1817, 1827 in 2. stark vermehrter, 1830 in 3. Aufl., in den S. W. mit von anderen nachgeschriebenen, nicht unbedingt zuverlässigen Erläuterungen und Zusätzen versehen). Die Vorrede zu diesem Werke, die sich gegen den »Aberwitz« des »romantischen«, noch schärfer aber gegen die »widrigere Dünkelhaftigkeit« des skeptischen und kritischen »Subjektivismus« wandte, sowie die konservative Staatsgesinnung, die er in einem Aufsatz über die Verhandlungen der württembergischen Stände (1817) bekundete, ließen ihn der damaligen preußischen Restauration geeignet für ein Lehramt an der Berliner Universität erscheinen, an der er dann die letzten dreizehn Jahre seines Lebens gewirkt hat.

3. Glanzzeit und Ende. Mit dieser Periode (1818 – 31) beginnt seine eigentliche Ruhmeszeit. Von den Mächtigen begünstigt, von zahlreichen Schülern umgeben, im Glänze seiner steigenden Berühmtheit sich sonnend, wird er eine Art philosophischer Diktator Deutschlands, seine Philosophie zur Zeitphilosophie, sein System zur wissenschaftlichen Behausung des Geistes der preußischen Reaktion. Am deutlichsten tritt dies in seiner Rechtsphilosophie (1821) hervor, deren berüchtigte Vorrede u. a. auch die Regierungen auf die Staatsgefährlichkeit des »seichten« und[307] »subjektivistischen« liberalen Zeitgeistes und seiner philosophischen Vertreter (wie Fries) hinweist. In Berlin entwickelte er mit dem ihm eigenen Riesenfleiße eine ausgedehnte Kathederwirksamkeit in Vorlesungen über alle philosophischen Fächer, von denen er einzelne, wie die Religionsphilosophie, hier erst vollständig ausgeführt hat. Den zahlreich aus ganz Deutschland und darüber hinaus herbeiströmenden Jüngern, die zu seinen Füßen saßen, imponierte die Geschlossenheit und strenge Ordnung des Systems, in das er den ganzen geistigen Inhalt der Zeit einzuschließen suchte, während sein Vortrag so eintönig und unbeholfen wie früher blieb. Das Organ der sich bald ausbildenden Hegelschen Schule waren die 1827 gegründeten Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik. Mitten in dieser Tätigkeit, auf der Höhe seines Ruhmes, Mittelpunkt der Verehrung einer zahlreichen Schülerschar, wurde Hegel 1831 von der in Berlin grassierenden Cholera ergriffen und starb 61 jährig an Leibniz' Todestag, dem 14. November. Seine letzte Arbeit war eine von reaktionär-bureaukratischem Geiste eingegebene Kritik der neuen englischen Reformbill für den »Preußischen Staatsanzeiger« gewesen. Er ruht neben dem ihm in vieler Beziehung so entgegengesetzten und doch in der Methode des Philosophierens (vom Absoluten aus) verwandten Fichte.

Die um die Mitte des Jahrhunderts sehr reiche Literatur über Hegel verringerte sich mit der Abnahme des Interesses für seine Philosophie bald sehr stark. Der abstrakte Charakter der Hegelschen Philosophie, ihre teils schematische teils noch mit sich selbst ringende, oft ins Mystisch-Dunkle sich verlierende Darstellung, sowie die Masse technischer Ausdrücke bewirken, daß Hegel heute nur noch von wenigen gelesen wird, die durch dieses Dornengestrüpp zum fruchtbaren Kern vorzudringen vermögen. Erst in den letzten Jahren hat man sich wieder für ihn zu erwärmen begonnen (s. § 76). Am ansprechendsten sind wohl die Vorlesungen zur Ästhetik und zur Philosophie der Geschichte; in die Logik und Phänomenologie ist eine Überfülle von Gedanken gepreßt. Wir versuchen im folgenden zunächst Grundgedanken und Methode des Hegelschen Philosophierens möglichst deutlich zur Anschauung zu bringen, um sodann erst den theoretischen, darauf den praktischen Teil des Systems in knappen Umrissen darzustellen.[308]

Quelle:
Karl Vorländer: Geschichte der Philosophie. Band 2, Leipzig 51919, S. 304-309.
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