5. Der rechte Besitz des Erdreichs

[124] Die Weltmenschen freuen sich alle darüber, wenn die andern mit ihnen einig sind, und hassen es, wenn die andern von ihnen abweichen. Der Grund dafür, daß man es gern hat, wenn die andern mit einem übereinstimmen, und nicht gern hat, wenn die andern von einem abweichen, ist das Streben, sich vor der Menge hervorzutun. Aber dieses Streben, sich vor der Menge hervorzutun, kann unmöglich dauernde Erfolge haben. Zur Bestätigung seiner eigenen Erfahrungen muß man sich auf die der Menge verlassen, da die eigenen Fähigkeiten nicht so vielfältig sind wie die der Menge. Wer nun ein Reich regieren will unter Aneignung der Vorteile, die die Regierungsmaßregeln der Herrscher des Altertums gewähren, aber ohne daß er ihre Nachteile sieht, der gründet den Bestand dieses Reiches auf einen glücklichen Zufall. Wie selten aber kommt es vor, daß, wer sich auf den Zufall verläßt, das Reich nicht zugrunde richtet! Unter zehntausend solchen Fällen gibt es nicht einen, da das Reich Bestand hätte.[124] Mit ungeheurer Wahrscheinlichkeit wird ein Reich auf diese Weise zugrunde gehen. Ach, daß die, die das Erdreich besitzen, das nicht erkennen! Die das Erdreich besitzen, besitzen ein großes Ding. Wer ein großes Ding besitzt, darf sich nicht durch die Dinge selbst zum Ding machen lassen. Weil er selbst nicht als Ding erscheint, darum kann er die Dinge als Dinge behandeln. Wer es durchschaut hat, daß, was die Dinge zu Dingen macht, nicht selbst ein Ding ist, dessen Macht beschränkt sich nicht darauf, nur die Leute auf der Welt in Ordnung bringen zu können. Er geht aus und ein in der Räumlichkeit und wandelt durch die Welt. Er ist frei in seinem Gehen und Kommen, von ihm kann man sagen, daß er (die Welt) zur freien Verfügung hat. Ein Mensch, der so (die Welt) zur freien Verfügung hat, der besitzt den höchsten Adel.

Die Lehre des großen Mannes gleicht dem Schatten, der dem Körper folgt, dem Echo, das dem Laute folgt. Jede Frage findet ihre Antwort, die die innersten Gedanken trifft. Er weilt jenseits des Tons und handelt jenseits der Pläne. Er nimmt dich und führt dich ans Ziel und bringt dich an deinen Platz durch deine eigne Bewegung. Seine Handlungen haben keine Grenzen. Er geht aus und ein im Jenseitigen und ist ewig wie die Sonne. Will man preisend reden von seiner Gestalt: er ist eins mit der Allgemeinheit. Eins mit der Allgemeinheit hat er kein persönliches Ich. Weil er kein persönliches Ich hat, betrachtet er das Seiende auch nicht als sein eigen. Die auf das Sein achteten, waren die Herrscher der alten Zeit; die auf das Nicht-Sein achten, sind Freunde von Himmel und Erde.

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Dschuang Dsï: Das wahre Buch vom südlichen Blütenland. Düsseldorf/Köln 1972, S. 124-125.
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