4. Das wahre Ziel

[176] Die vor alters ihr Selbst zu wahren wußten, schmückten nicht durch Beweise ihr Wissen auf. Sie suchten nicht mit ihrem Wissen die Welt zu erschöpfen, suchten nicht mit ihrem Wissen das LEBEN zu erschöpfen. Auf steiler Höh' weilten sie an ihrem Platz und kehrten zu ihrer Natur zurück. Was hätten sie auch handeln sollen? Der SINN besteht wahrlich nicht aus kleinen Tugenden; das LEBEN besteht wahrlich nicht aus kleinen Erkenntnissen. Kleine Erkenntnisse schädigen das LEBEN; kleine Tugenden schädigen den SINN. Darum heißt es: Sich selbst recht machen ist alles. Höchste Freude ist es, das Ziel zu erreichen.

Was die Alten als Erreichung des Ziels bezeichneten, waren nicht Staatskarossen und Kronen, sondern sie bezeichneten damit einfach die Freude, der nichts zugefügt werden kann. Was man heute unter Erreichung des Ziels versteht, sind Staatskarossen und Kronen. Staatskarossen und Kronen aber sind nur etwas Äußerliches und haben nichts zu tun mit dem wahren LEBEN. Was von außen her der Zufall bringt, ist nur vorübergehend. Das Vorübergehende soll man nicht abweisen, wenn es kommt, und nicht festhalten, wenn es geht. Darum soll man nicht um äußerer Auszeichnungen willen selbstisch werden in seinen Zielen, noch um äußerer Not und Schwierigkeiten willen es machen wollen wie die andern. Dann ist unsere Freude dieselbe im Glück und Unglück, und man ist frei von allen Sorgen. Heutzutage aber verlieren die Leute ihre Freude, wenn das Vorübergehende sie verläßt. Von diesem Gesichtspunkt aus sind sie auch mitten in ihrer Freude immer in Unruhe. Darum heißt es: Die ihr Selbst verlieren an die Außenwelt, die ihr Wesen preisgeben an die andern: das sind verkehrte Leute.

Quelle:
Dschuang Dsï: Das wahre Buch vom südlichen Blütenland. Düsseldorf/Köln 1972, S. 176.
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