8. Mut

[187] Als Kung Dsï einst im Lande Kuang wanderte, da umringten ihn die Leute jener Gegend in dichten Scharen. Doch er hörte nicht auf, die Laute zu spielen und zu singen.

Der Jünger Dsï Lu trat ein, um nach ihm zu sehen, und sprach: »Wie kommt es, Meister, daß Ihr so fröhlich seid?«

Kung Dsï sprach: »Komm her, ich will dir's sagen! Ich habe mich lange Zeit bemüht, dem Mißerfolg zu entgehen,[187] und kann ihm doch nicht entrinnen: das ist das Schicksal. Ich habe mich lange Zeit bemüht, Erfolg zu erlangen, und habe ihn nicht erreicht: das ist die Zeit. Unter den heiligen Herrschern Yau und Schun gab es niemand auf Erden, der Mißerfolg hatte, ohne daß darum alle besonders weise gewesen wären. Unter den Tyrannen Gië und Dschou Sin gab es niemand auf Erden, der Erfolg hatte, ohne daß darum alle der Weisheit bar gewesen wären. Es war eben, weil die Zeitläufte sich so trafen. Wer im Wasser seine Arbeit tut, ohne sich zu fürchten vor Krokodilen und Drachen, der ist ein mutiger Fischer; wer die Wälder durchstreift, ohne sich zu fürchten vor Nashörnern und Tigern, der ist ein mutiger Jäger; wer angesichts des Kreuzens blanker Klingen den Tod dem Leben gleichachtet, der ist ein mutiger Held; wer in der Erkenntnis dessen, daß Erfolg und Mißerfolg von Schicksal und Zeit abhängen, in der größten Not nicht zagt, der hat den Mut des Heiligen. Warte ein wenig, mein Freund! Mein Schicksal ruht in den Händen eines höheren Herrn.«

Nach einer kleinen Frist kam der Führer der Bewaffneten herein, entschuldigte sich und sprach: »Wir hielten Euch für den schlimmen Yang Hu, deshalb umringten wir Euch; nun seid Ihr's nicht.« Mit diesen Worten bat er um Entschuldigung und zog sich zurück.

Quelle:
Dschuang Dsï: Das wahre Buch vom südlichen Blütenland. Düsseldorf/Köln 1972, S. 187-188.
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