§ 3. Die Disziplinierung und die Versachlichung der Herrschaftsformen.

[681] Die Bedeutung der Disziplin S. 681. – Ursprung aus der Kriegsdisziplin S. 683. – Die Disziplin des ökonomischen Großbetriebs S. 686. – Disziplin und Charisma S. 687.


Das Schicksal des Charisma ist es, durchweg mit dem Einströmen in die Dauergebilde des Gemeinschaftshandelns zurückzuebben zugunsten der Mächte entweder der Tradition oder der rationalen Vergesellschaftung. Sein Schwinden bedeutet, im ganzen betrachtet, eine Zurückdrängung der Tragweite individuellen Handelns. Von allen jenen Gewalten aber, welche das individuelle Handeln zurückdrängen, ist die unwiderstehlichste eine Macht, welche neben dem persönlichen Charisma auch die Gliederung nach ständischer Ehre entweder ausrottet oder doch in ihrer Wirkung rational umformt: die rationale Disziplin. Sie ist inhaltlich nichts anderes als die konsequent rationalisierte, d.h. planvoll eingeschulte, präzise, alle eigene Kritik bedingungslos zurückstellende, Ausführung des empfangenen Befehls, und die unablässige innere Eingestelltheit ausschließlich auf diesen Zweck. Diesem Merkmal tritt das weitere der Gleichförmigkeit des befohlenen Handelns hinzu; ihre spezifischen Wirkungen beruhen auf ihrer Qualität als Gemeinschaftshandeln eines Massengebildes, – wobei die Gehorchenden keineswegs notwendig eine örtlich vereinigte, simultan gehorchende oder quantitativ besonders große Masse sein müssen. Entscheidend ist die rationale Uniformierung des Gehorsams einer Vielheit von Menschen. Nicht daß die Disziplin etwa an sich dem Charisma und der Standesehre feindlich gegenüberstände. Im Gegenteil: Ständische Gruppen, welche ein quantitativ großes Gebiet oder Gebilde beherrschen wollen, wie etwa die venezianische Ratsaristokratie oder die Spartiaten oder die Jesuiten in Paraguay oder ein modernes Offizierkorps mit seinem Fürsten an der Spitze, können nur durch[681] das Mittel einer ganz straffen Disziplin innerhalb ihrer eigenen Gruppe die sichere schlagfertige Ueberlegenheit gegenüber den Beherrschten behaupten und den »blinden« Gehorsam der letzteren ebenfalls nur durch deren Erziehung zur Unterordnung unter die Disziplin und unter sonst nichts anderes ihnen »einüben«. Immer wird dadurch diese Festhaltung an der Stereotypierung und Pflege ständischen Prestiges und ständischer Lebensführung nur aus Gründen der Disziplin etwas in starkem Maße bewußt und rational Gewolltes, und dies hat – hier nicht zu erörternde – Rückwirkungen auf die gesamten, durch jene Gemeinschaften irgendwie beeinflußten Kulturinhalte. Und ebenso kann ein cha rismatischer Held die »Disziplin« in seinen Dienst nehmen und muß dies, wenn er seine Herrschaft quantitativ weit erstrecken will: Napoleon hat jene streng disziplinäre Organisation Frankreichs geschaffen, welche noch heute nachwirkt.

Die »Disziplin« im allgemeinen, wie ihr rationalstes Kind: die Bürokratie im speziellen, ist etwas »Sachliches« und stellt sich in unbeirrter »Sachlichkeit« an sich jeder Macht zur Verfügung, welche auf ihren Dienst reflektiert und sie zu beherrschen weiß. Das hindert nicht, daß sie selbst im innersten Wesen dem Charisma und der ständischen, speziell der feudalen, Ehre fremd gegenübersteht. Der Berserker mit seinen manischen Wutanfällen und der Ritter mit seinem persönlichen Sichmessenwollen mit einem persönlichen, durch Heldenehre ausgezeichneten Gegner zur Gewinnung persönlicher Ehre sind der Disziplin gleichermaßen fremd, der erste wegen der Irrationalität seines Handelns, der zweite wegen der Unsachlichkeit seiner inneren Einstellung. An Stelle der individuellen Heldenekstase, der Pietät, enthusiastischen Begeisterung und Hingabe an den Führer als Person, des Kultes der »Ehre« und der Pflege der persönlichen Leistungsfähigkeit als einer »Kunst« setzt sie die »Abrichtung« zu einer durch »Einübung« mechanisierten Fertigkeit und, soweit sie an starke Motive »ethischen« Charakters überhaupt appelliert, [die Ausrichtung auf] »Pflicht« und »Gewissenhaftigkeit« voraus (»man of conscience«, gegenüber dem »man of honours« in der Sprache Cromwells), alles aber im Dienst des rational berechneten Optimum von physischer und psychischer Stoßkraft der gleichmäßig abgerichteten Massen. Nicht daß der Enthusiasmus und die Rückhaltlosigkeit der Hingabe in ihr etwa keine Stätte hätten. Im Gegenteil: jede moderne Kriegführung erwägt gerade die »moralischen« Elemente der Leistungsfähigkeit der Truppe oft mehr als alles andere, arbeitet mit emotionalen Mitteln aller Art – wie, in ihrer Art, ganz ebenso das raffinierteste religiöse Disziplinierungsmittel: die exercitia spiritualia des Ignatius – und sucht in der Schlacht durch »Eingebung« und noch mehr durch Erziehung zur »Einfühlung« der Geführten in den Willen des Führenden zu wirken. Das soziologisch Entscheidende ist aber: 1. daß dabei alles, und zwar gerade auch diese »Imponderabilien« und irrationalen, emotionalen Momente rational »kalkuliert« werden, im Prinzip wenigstens ebenso wie man die Ausgiebigkeit von Kohlen- und Erzlagern kalkuliert. Und 2. daß die »Hingabe«, mag sie auch im konkreten Fall eines hinreißenden Führers noch so stark »persönlich« gefärbt sein, doch ihrer Abgezwecktheit und ihrem normalen Inhalt nach »sachlichen« Charakters ist, Hingabe an die gemeinsame »Sache«, an einen rational erstrebten »Erfolg«, und nicht an eine Person als solche, bedeutet. Anders steht es nur da, wo die Herrengewalt eines Sklavenhalters die Disziplin schafft – im Plantagenbetrieb oder im Sklavenheere des frühen Orients oder auf der mit Sklaven oder Sträflingen bemannten Galeere in der Antike und im Mittelalter. Da ist in der Tat die mechanisierte Abrichtung und die Einfügung des Einzelnen in einen für ihn unentrinnbaren, ihn zum »Mitlaufen« zwingenden Mechanismus, der den Einzelnen, in die Cadres Einrangierten, sozusagen »zwangsläufig« dem Ganzen einfügt – ein starkes Element der Wirksamkeit aller und jeder Disziplin, vor allem auch in jedem diszipliniert geführten Kriege –, das einzige wirksame Element, und als »caput mortuum« bleibt dies überall da, wo die »ethischen« Qualitäten: Pflicht und Gewissenhaftigkeit, versagen. –

[682] Der wechselvolle Kampf zwischen Disziplin und individuellem Charisma hat seine klassische Stätte in der Entwicklung der Struktur der Kriegführung. Er ist auf diesem Gebiet in seinem Verlauf natürlich in einem gewissen Maße rein kriegstechnisch bestimmt. Die Art der Waffen: Spieß, Schwert, Bogen ist aber nicht unbedingt entscheidend. Denn sie alle lassen sich zum disziplinierten wie zum individuellen Gefecht verwenden. Wohl aber haben am Beginn der uns zugänglichen Geschichte Vorderasiens und des Okzidents in entscheidender Art der Import des Pferdes und wohl auch in einem gewissen, aber unsicheren, Grad die in jeder Hinsicht so epochemachende beginnende Vorherrschaft des Eisens als Werkzeugmetall eine Rolle gespielt. Das Pferd brachte den Kriegswagen und damit den mit ihm in den Kampf fahrenden, eventuell auch von ihm herab individuell fechtenden Helden, wie er die Kriegführung der orientalischen, indischen, altchinesischen Könige und den ganzen Okzident bis zu den Kelten und bis nach Irland, hier bis in späte Zeiten, beherrscht hat. Die Reiterei ist dem Kriegswagen gegenüber das Spätere, aber Dauerndere: durch sie entstand der »Ritter«, der persische so gut wie der thessalische, athenische, römische, keltische, germanische. Die Fußkämpfer, die sicherlich vorher in der Richtung einer gewissen Disziplinierung ins Gewicht gefallen waren, traten demgegenüber auf längere Zeit weit zurück. Zu den Momenten, welche dann die Entwicklung wieder in das entgegengesetzte Geleise lenkten, hat allerdings wohl auch der Ersatz der bronzenen Wurfspeere durch die eisernen Nahwaffen gehört. Aber nicht das Eisen als solches brachte den Wandel – denn auch die Fernwaffen und Ritterwaffen wurden ja eisern –, so wenig wie im Mittelalter das Schießpulver als solches den Umschwung herbeiführte. Sondern die Hoplitendisziplin der Hellenen und Römer. Schon Homer kennt an einer oft zitierten Stelle die Anfänge der Disziplin mit ihrem Verbot des Aus-der-Reihe-Fechtens, und für Rom symbolisiert die Legende von der Hinrichtung jenes Konsulsohnes, der nach alter Heldenart den gegnerischen Feldherrn im individuellen Kampf erschlagen hatte, die große Wendung. Zuerst das einexerzierte Heer der spartiatischen Berufssoldaten, dann der einexerzierte heilige Lochos der Böotier, dann die einexerzierte Sarissenphalanx der Makedonen, dann die einexerzierte beweglichere Manipeltaktik der Römer gewannen die Suprematie über die persischen Ritter, die hellenischen und italischen Bürgermilizen und die Volksheere der Barbaren. Die Frühzeit des hellenischen Hoplitentums zeigt Ansätze, die Fernwaffen als unritterlich »völkerrechtlich« auszuschließen (so wie man die Armbrust im Mittelalter zu verbieten suchte), – man sieht, daß die Art der Waffe Folge, nicht Ursache der Disziplinierung war. Die Exklusivität der infanteristischen Nahkampftaktik führte im Altertum überall zum Verfall der Reiterei und dazu, daß in Rom der »Rittercensus« praktisch gleichbedeutend war mit Militärdienstfreiheit. Im ausgehenden Mittelalter ist es der Gewalthaufen der Schweizer und seine Parallel-und Folgeentwicklungen, welche zuerst das Kriegsmonopol des Rittertums brachen, obwohl auch die Schweizer noch die Hellebardiere aus dem Haufen, nachdem dieser geschlossen vorgestoßen war, dessen Außenseiten die »Spießgesellen« einnahmen, zum Heldenkampf herausbrechen ließen. Mehr als die Zerstreuung der ritterlichen individuellen Kampfart leisteten sie zunächst nicht. Die Reiterei als solche spielte, freilich in zunehmend disziplinierter Form, auch in den Schlachten des 16. und 17. Jahrhunderts noch eine ganz entscheidende Rolle; Offensivkriege und ein wirkliches Niederringen des Gegners blieben ohne Kavallerie unmöglich, wie z.B. der Gang des englischen Bürgerkriegs zeigt. Die Disziplin aber, und nicht das Schießpulver, war es, welche die Umwandlung zuerst einleitete. Eines der ersten modern disziplinierten, aller »ständischen« Privilegien – z.B. der bis dahin durchgesetzten Ablehnung der Schanzarbeiten (als »opera servilia«) durch die Landsknechte – entkleideten Heere war das holländische unter Moritz von Oranien. Die Siege Cromwells über die stürmische Tapferkeit der Kavaliere wurde der nüchternen und rationalen puritanischen Disziplin verdankt. Seine »Eisenseiten«, die »men of conscience«, im Trabe und fest zusammengeschlossen anreitend,[683] gleichzeitig ruhig feuernd, dann einhauend und nach dem Erfolg der Attacke – darin lag der Hauptgegensatz – geschlossen zusammenbleibend oder sich sofort wieder ordnend, waren dem Elan der Kavaliere technisch überlegen. Denn deren Gepflogenheit, sich nach der im Rausch der Karriere durchgeführten Attacke disziplinlos aufzulösen, entweder zur Plünderung des feindlichen Lagers oder zu einer verfrühten individuellen Verfolgung Einzelner, um Gefangene (wegen des Lösegelds) zu machen, verscherzte alle Erfolge ganz ebenso wieder, wie dies in typischer Art im Altertum und Mittelalter (z.B. bei Tagliacozzo) so oft der Fall war. Das Schießpulver und alles, was an Kriegstechnik an ihm hing, entfaltete seine Bedeutung erst auf dem Boden der Disziplin und in vollem Umfang erst des Kriegsmaschinenwesens, welches jene voraussetzt.

Für die Möglichkeit der Entwicklung der Disziplin war die ökonomische Basis, auf welcher die Heeresverfassung jeweils ruhte, nicht allein bestimmend, aber doch von sehr erheblicher Bedeutung. Noch mehr aber beeinflußte umgekehrt die größere oder geringere Rolle, welche die Disziplin einexerzierter Heere in der Kriegführung spielte, auf das Nachhaltigste die politische und soziale Verfassung. Aber dieser Einfluß ist nicht eindeutig. Die Disziplin als Basis der Kriegführung ist die Mutter sowohl des patriarchalen, aber durch die Gewalt der Heereskommandanten (nach Art der spartanischen Ephoren) konstitutionell beschränkten Zulukönigtums, wie der hellenischen Polis mit ihren Gymnasien und ihrer bei höchster Virtuosität des Infanteriedrills (Sparta) unvermeidlich »aristokratischen«, bei Flottendisziplin (Athen) dagegen »demokratischen« Struktur, wie der sehr anders gearteten Schweizer »Demokratie« – die in der Zeit des Reislaufens bekanntlich eine Beherrschung von (hellenisch gesprochen) »Periöken«- sowohl wie Heloten-Gebieten einschloß –, wie der römischen Honoratiorenherrschaft und endlich des ägyptischen, assyrischen und modernen europäischen, bürokratischen Staatswesens. Die Kriegsdisziplin kann, wie jene Beispiele zeigen, mit gänzlich verschiedenen ökonomischen Bedingungen Hand in Hand gehen. Nur pflegen stets irgendwelche, wechselnd geartete, Folgen für Staats-, Wirtschafts- und eventuell Familienverfassung in ihrem Gefolge einzutreten. Denn ein voll diszipliniertes Heer war in der Vergangenheit notwendig »Berufsheer« und die Art der Beschaffung des Unterhalts der Krieger daher stets das grundlegende Problem. Die urwüchsige Form der Schaffung jederzeit schlagfertig bereitstehender geschulter und der Disziplinierung fähiger Truppen ist der schon erwähnte Kriegerkommunismus, entweder in der Form des über den größten Teil der Erde verbreiteten »Männerhauses«, einer Art von »Kaserne« oder »Kasino« der Berufskrieger, oder des ligurischen kommunistischen Seeräubergemeinwesens, oder der spartiatischen, nach dem »Picknick«-Prinzip geordneten Syssitien, oder nach Art der Organisation des Khalifen Omar oder der religiösen Kriegerorden des Mittelalters. Die Kriegergemeinschaft kann dabei – wie wir schon früher gesehen haben – entweder eine ganz autonome, nach außen geschlossene Vergesellschaftung sein, oder sie kann – wie in der Regel – einem fest begrenzten politischen Gebietsverband als Bestandteil von dessen (freilich der Sache nach von ihr maßgebend bestimmten) Ordnung eingefügt und also in der Rekrutierung durch dessen Ordnung gebunden sein. Diese Bindung ist meist relativ. Auf »Blutsreinheit« hielten z.B. auch die Spartiaten nicht unbedingt: die Teilnahme an der in anderem Zusammenhang zu besprechenden kriegerischen Erziehung war auch dort das Entscheidende. Die Existenz der Kriegerschaft ist unter diesen Bedingungen ein vollkommenes Pendant zur Mönchsexistenz, deren Klosterkasernierung und Klosterkommunismus ja ebenfalls dem Zweck der Disziplin im Dienst ihres jenseitigen (und im Gefolge davon eventuell auch: diesseitigen) Herrn dient. Auch außerhalb der direkt nach Analogie der Mönchsorden geschaffenen zölibatären Ritterorden geht bei voller Entwicklung der Institution die Loslösung aus der Familie und von allen privatwirtschaftlichen Sonderinteressen oft bis zum völligen Ausschluß von Familienbeziehungen. Die Insassen des Männerhauses kaufen oder rauben sich Mädchen oder beanspruchen, daß die Mädchen[684] der beherrschten Gemeinschaft, solange sie nicht in die Ehe verkauft sind, ihnen zur Verfügung stehen. Die Kinder des herrschenden Standes der Arioi in Polynesien werden getötet. In sexuelle Dauergemeinschaften mit Sonderwirtschaft kann der Mann erst nach vollendeter »Dienstzeit«, also mit Ausscheiden aus dem Männerhaus, treten, also oft erst in vorgeschrittenem Alter. Sowohl die auch für die Regulierung der Sexualbeziehungen bei manchen Völkern wichtige »Altersklassen«-Gliederung wie die angeblichen Reste ursprünglicher sexueller »endogamer Promiskuität« innerhalb der Gemeinschaft oder geradezu eines oft als »urwüchsig« hingestellten »Anrechts« aller Genossen auf die noch nicht einem Einzelnen appropriierten Mädchen, ebenso der Frauenraub als angeblich »älteste« Form einer »Ehe« und vor allem das »Mutterrecht« dürften in den allermeisten Fällen Reste derartiger, bei chronischem Fehdezustand weit verbreiteter Militärverfassungen sein, welche die Aushäusigkeit und Familienlosigkeit des Kriegers bedingten. Wohl überall ist diese kommunistische Kriegergemeinschaft das caput mortuum der Gefolgschaft charismatischer Kriegsfürsten, welche sich zu einer chronischen Institution »vergesellschaftet« hat und, nunmehr auch in Friedenszeiten bestehend, das Kriegsfürstentum hat verfallen lassen. Unter günstigen Umständen freilich kann der Kriegsfürst seinerseits zum schrankenlosen Herrn der disziplinierten Kriegerschaften emporwachsen. Ein extremes Gegenbild gegen diesen, durch Abgaben der Frauen, Nichtwaffenfähigen und eventuell Hörigen und durch Beute gespeisten Kommunismus der Kriegerschaft bietet demgemäß der »Oikos« als Grundlage der Militärverfassung: das von einem Herrn aus seinen Vorräten sustentierte, equipierte und kommandierte patrimoniale Heer, wie es namentlich Aegypten kannte, wie es aber in Fragmenten innerhalb andersartiger Heeresverfassungen sich sehr weit verbreitet findet und dann die Basis despotischer Fürstenmacht bildet. Die umgekehrte Erscheinung: Emanzipation der Kriegergemeinschaft von der schrankenlosen Herrengewalt – wie sie Sparta durch die Einsetzung der Ephoren zeigt – geht nur so weit, als die Interessen der Disziplin es zulassen. Daher gilt in der Polis meist die Abschwächung der Königsgewalt und das heißt: der Disziplin, nur im Frieden und in der Heimat (»domi«, nach dem technischen Ausdruck des römischen Amtsrechts, im Gegensatz zu »militiae«). Die Herrengewalt des Königs ist bei den Spartiaten nur in Friedenszeiten dem Nullpunkt nahe, im Felde ist der König im Interesse der Disziplin allmächtig.

Eine durchgängige Abschwächung der Disziplin pflegt dagegen mit jeder Art von dezentralisierter, sei es präbendaler, sei es feudaler Militärverfassung verbunden zu sein. Dem Grade nach sehr verschieden. Das einexerzierte Spartiatenheer, die κλῆροι der sonstigen hellenischen und der makedonischen und mancher orientalischen Militärverfassungen, die türkischen präbendenartigen Lehen, endlich die Lehen des japanischen und okzidentalen Mittelalters sind lauter Stufen der ökonomischen Dezentralisation, welche mit einer Abschwächung der Disziplin und einem Aufsteigen der Bedeutung des individuellen Heldentums Hand in Hand zu gehen pflegt. Der sich selbst nicht nur equipierende und verproviantierende und seinen Troß mit sich führende, sondern auch Untervasallen, die sich ebenfalls selbst ausrüsten, aufbietende grundherrliche Lehensmann ist vom Standpunkt der Disziplin ganz ebenso das äußerste Gegenbild des patrimonialen oder bürokratischen Soldaten, wie er es, ökonomisch betrachtet, ist, und das erstere ist die Konsequenz des letzteren. Sowohl die im späten Mittelalter und im Beginn der Neuzeit herrschende ganz oder halb privatkapitalistische Beschaffung von Soldheeren durch einen Kondottiere, wie die gemeinwirtschaftliche Aushebung und Ausrüstung der stehenden Heere durch die politische Gewalt bedeutet demgegenüber Steigerung der Disziplin auf der Basis der zunehmenden Konzentration der Kriegsbetriebsmittel in den Händen des Kriegsherrn. Die zunehmende Rationalisierung der Bedarfsdeckung des Heeres von Moritz von Oranien bis zu Wallenstein, Gustav Adolf, Cromwell, den Heeren der Franzosen, Friedrichs des Großen und der Maria Theresia, der Uebergang vom Berufsheer zum Volksaufgebot durch die Revolution und die Disziplinierung des[685] Aufgebots durch Napoleon zum (teilweisen) Berufsheer, endlich die Durchführung der allgemeinen Wehrpflicht im 19. Jahrhundert sind hier im einzelnen nicht zu schildern. Die ganze Entwicklung bedeutet im Erfolg eindeutig eine Steigerung der Bedeutung der Disziplin und ebenso eindeutig die konsequente Durchführung jenes ökonomischen Prozesses.

Ob im Zeitalter der Maschinenkriege die exklusive Herrschaft der allgemeinen Dienstpflicht das letzte Wort bleiben wird, steht dahin. Die Rekordschießleistungen der englischen Flotte z.B. scheinen durch die jahrelange Kontinuität des Ensembles der die Geschütze bedienenden Söldner bedingt. Es steht wohl fest, daß, zumal wenn der zur Zeit freilich in Europa stockende Prozeß der Verkürzung der Dienstzeit seinen Fortgang nehmen sollte, die esoterisch, in manchen Offizierskreisen, bereits vielfach bestehende Ansicht, daß für gewisse Truppengattungen vielleicht der Berufssoldat kriegstechnisch stark überlegen sei, an Macht gewinnen wird; schon die französische Herstellung der dreijährigen Dienstpflicht (1913) wurde hie und da mit der, mangels jeder Differenzierung nach den Truppengattungen, wohl etwas deplacierten Parole: »Berufsheer« motiviert. Diese noch sehr vieldeutigen Möglichkeiten und ihre denkbaren, auch politischen, Konsequenzen sind hier nicht zu erörtern, sie alle werden jedenfalls die extreme Bedeutung der Massendisziplin nicht ändern. Hier kam es auf die Feststellung an, daß die Trennung des Kriegers von den Kriegsbetriebsmitteln und deren Konzentration in den Händen des Kriegsherrn, vollziehe sie sich oikenmäßig, kapitalistisch, bürokratisch, überall eine der typischen Grundlagen dieser Massendisziplin gewesen ist. –

Die Disziplin des Heeres ist aber der Mutterschoß der Disziplin überhaupt. Der zweite große Erzieher zur Disziplin ist der ökonomische Großbetrieb. Von den pharaonischen Werkstätten und Bauarbeiten an – so wenig im einzelnen über ihre Organisation bekannt ist – zur karthagisch-römischen Plantage, zum spätmittelalterlichen Bergwerk, zur Sklavenplantage der Kolonialwirtschaft und endlich zur modernen Fabrik führen zwar keinerlei direkte historische Uebergänge, gemeinsam ist ihnen aber: die Disziplin. Die Sklaven der antiken Plantagen lebten ehe- und eigentumlos und schliefen kaserniert, eine Einzelwohnung – etwa nach Art unserer Unteroffizierswohnungen oder nach Art eines Gutsbeamten moderner landwirtschaftlicher Großbetriebe – hatten nur die Beamten, insbesondere der villicus, nur er auch – normalerweise – ein Quasieigentum (peculium, ursprünglich: Viehbesitz) und eine Quasiehe (contubernium). Die Arbeitssklaven traten morgens »korporalschaftsweise« (in »decuriae«) an und wurden durch Einpeitscher (monitores) zur Arbeit geführt; ihre Bedarfsgegenstände waren, im Kasernenbegriff ausgedrückt, »auf Kammer« in Verwahrung und wurden nach Bedarf ausgegeben, Lazarett und Arrestzelle fehlten nicht. Wesentlich lockerer, weil traditionell stereotypiert und daher die Gewalt des Herrn immerhin einschränkend, ist die Disziplin der Fronhöfe des Mittelalters und der Neuzeit. Daß dagegen die »militärische Disziplin« ganz ebenso wie für die antike Plantage auch das ideale Muster für den modernen kapitalistischen Werkstattbetrieb ist, bedarf nicht des besonderen Nachweises. Die Betriebsdisziplin ruht, im Gegensatz zur Plantage, hier völlig auf rationaler Basis, sie kalkuliert zunehmend, mit Hilfe geeigneter Messungsmethoden, den einzelnen Arbeiter ebenso, nach seinem Rentabilitätsoptimum, wie irgendein sachliches Produktionsmittel. Die höchsten Triumphe feiert die darauf aufgebaute rationale Abrichtung und Einübung von Arbeitsleistungen bekanntlich in dem amerikanischen System des »scientific management«, welches darin die letzten Konsequenzen der Mechanisierung und Disziplinierung des Betriebs zieht. Hier wird der psychophysische Apparat des Menschen völlig den Anforderungen, welche die Außenwelt, das Werkzeug, die Maschine, kurz die Funktion an ihn stellt, angepaßt, seines, durch den eigenen organischen Zusammenhang gegebenen, Rhythmus entkleidet und unter planvoller Zerlegung in Funktionen einzelner Muskeln und Schaffung einer optimalen Kräfteökonomie den Bedingungen der Arbeit entsprechend neu rhythmisiert. Dieser gesamte[686] Rationalisierungsprozeß geht hier wie überall, vor allem auch im staatlichen bürokratischen Apparat, mit der Zentralisation der sachlichen Betriebsmittel in der Verfügungsgewalt des Herrn parallel.

So geht mit der Rationalisierung der politischen und ökonomischen Bedarfsdeckung das Umsichgreifen der Disziplinierung als eine universelle Erscheinung unaufhaltsam vor sich und schränkt die Bedeutung des Charisma und des individuell differenzierten Handelns zunehmend ein.[687]


Quelle:
Max Weber: Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriß der verstehenden Soziologie. Besorgt von Johannes Winckelmann. Studienausgabe, Tübingen 51980, S. 681-688.
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