Ähre (2), die

[189] 2. Die Ähre, plur. die -n, Diminutiv. das Ährchen, der oberste Theil der Halmen an den Grasarten, besonders an den Getreidearten, welcher der Sitz der Blüthe und des Samens ist. Ähren bekommen, oder gewinnen. Das Korn fängt an in die Ähren zu schießen, es gehet in die Ähren, wenn die Ähren aus ihren Schoßbälgen hervor kommen. Ähren lesen, auslesen, sammeln, in Schwaben klauben, ein Hülfsmittel armer Leute, nach abgeschnittenen und aufgebundenen Getreide, die übrig gebliebenen Ähren aufzusammeln. Daher die Ährenlese, oder Halmlese, und der Ährenleser, oder Halmleser. Dort schwimmen die Westwinde auf der grünen Fläche der ährenvollen Gefilde, Dusch. In der Kräuterkunde heißt eine Ähre, eine jede Sammlung von Blüthen, welche entweder ohne, oder mit sehr kurzen angedrückten Stängeln an dem Hauptstängel sitzen.

Anm. Dieses Wort lautet im Nieders. Aar, Are, und im Holländ. Are. Viele rechnen es mit zu dem Geschlechte, zu welchem ären, pflügen, Arbeit in Ansehung seiner ersten Sylbe, Ärnde, Jahr, und noch andere gehören. Allein wenn man bedenket, daß dieses Wort in allen alten Mundarten in der Mitte eine starke Aspiration hatte, wie aus dem Angels. Aechir, woraus nachmahls Ear zusammen gezogen worden, dem Gothischen Ahs, dem heutigen Dänischen Ax, und dem alten Alemann. Ahir (denn diese sprachen das h wie das heutige ch aus) und dem heutigen Oberschwäbischen Aher erhellet; so wird man Wachtern gerne beyfallen, wenn er behauptet, daß in dieser Benennung zunächst auf die Agen, Acheln oder Grannen an den Fruchtähren gesehen worden, und daß man daher dieses Wort auch zu Agen, Ahle, Ecke, und so vielen andern dieses Geschlechts rechnen müsse. Bey den Wenden in Krain bedeutet Ersh, Korn, Dinkel.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 1. Leipzig 1793, S. 189.
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